er ftemde Hund.
Eine Anekdote von W. Schäfer.
Als Peter Hille noch seinen Körper wie das zer-
brechliche Gefäß der mildesten Dichterseele einsam in
fremde Straßen und fremdere Nächte trug und, auf die
Gutwilligkeit zufälliger Bekanntschaften angewiesen,
sonderbare Dinge anrichtete: widerfuhr ihm auf der
Straße von Benrath nach Düsseldorf ein Erlebnis,
das er, wie alles, staunend und beglückt hinnahm, ob-
wohl es andern nur ein Scherzspiel des Iufalls scheinen
könnte.
Er war im nassen Februar nach Düsseldorf gefahren,
vierter Klasse und mit geborgtem Geld, weil er über
die rheinische Fastnacht schriftstellern wollte. Wie ihm
das leicht geschah, geriet er auf einer Morgenwanderung
im Eller Forst seitab und schließlich durch die Felder nach
Benrath am Rhein, wo er das zierliche Jagdschloß wie
ein vertriebener Fürst besichtigte, der einmal noch und
unbekannt in seinem geflickten Mantel die Säle der
Jugend ansehen will. Die Stimmung dieser verstaubten
Rokokowelt ging auch noch mit ihm, als er am Nach-
mittag — ohne Nahrung seit dem Morgen — den stunden-
weiten Weg nach Düsseldorf abwanderte, in einem
nassen Schneetag, darin er ahnungslos mit Segeltuch-
schuhen ging.
Wie nun die Stelle kam, wo sich die Straße dicht
an den Rhein heranzieht, der da mit einem starken Bogen
die Böschung bedrängt, und wo der nasse Schneewind
ihm auch den Mantel dick überzuckerte — unten mischten
die Schlepper ihren braunen Rauch in die dämmrige
Luft — kam von der Seite aus einem Feldweg ein
Hund zu ihm, der augenscheinlich gleich ihm den Anschluß
an die Geschäfte und Häuser der Menschen verloren
hatte. Der Dichter sah mit gütigen Augen das verwahr-
loste Tier — es war ein gefleckter Jagdhund, der sich
mißtrauisch an ihn heranschnupperte — lockte es mit
seiner leisen westfälischen Stimme und klopfte ihm ein
paarmal zutraulich auf das enge Gehirn, das ihn aus
der blauen Tiefe solcher Hundeaugen demütig ansah.
Jndem die beiden dann weitertrotteten, der Hund ein
wenig voraus und vielfach die Straße kreuzend, als ob
er dem Menschen Ieit geben wollte, nachzukommen:
verspann der Dichter sich in keine Träume mehr und
dachte nun die wirklichen Gedanken, wie solch ein Hund
gleich einem Menschen mit einer Seele in die Welt
geboren wäre; auch mit denselben Sinnen, nur daß die
ihre Meldungen in einer Handvoll Gehirn anbringen
mußten, das nur im Iwang an andressierten Folg-
samkeiten damit wirtschaften konnte: indessen bei ihm,
dem Menschen, Trieb und Sinneswahrungen zum
geistigen Besitztum würden, sodaß er mit dem Bewußt-
sein der Weltzusammenhänge zugleich die Herrschaft dar-
über in sich trüge und somit auch den Sinn vom Leben,
der in den Tieren, den Bäumen und den Steinen noch
ungeweckt sei.
Sogleich fiel ihm die Torheit hitziger Jünglinge
ein, dieses Vorrecht schon göttlich zu nennen: Weil erst
das menschliche Bewußtsein den Sinn der Schöpfung
zur Klarheit brächte, dürfte sich der Einzelne dreist als
ein Stück Gottes vorkommen, der in der Menschheit ge-
wissermaßen zum Welt- und Selbstbewußtsein käme,
weshalb der Fortschritt aller Wissenschaft und Denk-
arbeit nichts weniger als die Geschichte Gottes wäre.
Als sich der Dichter recht mit lächelndem Mund
in diese Prahlerei zurückgedacht hatte, blieb er erschrocken
in dem Schneewetter stehen, weil ihm zur Antwort
eine Kette von tiefer Traurigkeit aufkam: Er erkannte
deutlicher als sonst, wie jeder menschliche Gedanke, auch
der feinste, wie jede Ahnung des Gefühls, auch die
leiseste, in ihrem Dasein menschlich wäre und ihn vom
Göttlichen abgrenze. Nichts anders als ein künstlicher
Scheinwerfer war sein Bewußtsein; rundum stand das
Geheimnis der Natur, stand Gott in Ieit und Raum,
doch überall, wo der Mensch mit seinen Gedanken und
Gefühlen hinleuchten wollte: war auf das Geheimnis
ein Schein von menschlicher Beleuchtung gelegt, der
es dichter als die Dunkelheit verhüllte, sodaß die sonst
gnädig überschattete Grenze den göttlichen und mensch-
lichen Bereich schärfer trennte. Statt daß die mensch-
liche Entwicklung zu Gott hinführe — wie jene Prahler
meinten — brächte sie ihn recht von Gott ab, und somit
sei der tiefste Sinn und höchste Trieb des Menschen Gott
feindlich, der im Gehirn des Jagdhundes hier auf der
fremden Straße viel ungestörter beschlossen wäre als
in seinem mit tausendfältigen Nachrichten anderer
Menschlichkeit befrachteten Geist.
* *
*
Als so den Dichter, der doch als Katholik mit einer
Jnbrunst zur Gläubigkeit erfüllt war, der Unwert aller
Religionsgedanken und der frommen Gefühle überkam,
blieb er verzweifelt auf der nassen Landstraße stehen.
Der Hund kam suchend mit gesenkter Schnauze zurück
und stand treulich bei ihm, sodaß die beiden einem
Iimmermann aus Oberbilk, der von der andern Seite
des Weges kam, einen ärgerlichen Anblick gaben.
Der wollte noch mit der letzten Helligkeit nach Ben-
rath, dort eine Arbeit auszumessen, um mit dem Sechs-
uhrzug in Düsseldorf zurück zu sein: ein kräftiger Mann
und Handwerker in braunen Sammethosen, dem dieser
Fremdling in nassen Segeltuchschuhen mit dem struppigen
Vieh erbärmlich vorkam, sodaß er sich im Weitergehen
garnicht beruhigen konnte, wie jemand so dem Elend
und der Bettelei verfallen möchte. Doch schimpfte er
nach fünf Minuten schon nach der andern Seite, als er
vor einem Kraftwagen zur Seite springen mußte, der
durch den nassen Schnee wie eine gejagte Ente herwat-
schelte und ihn bespritzte: Daß solche Arbeitslosen im
Pelz auf angeerbten Iinsscheinen sitzend noch viel ab-
scheulicher wären! sodaß der Iimmermann — dem die
kalte Nässe bis dahin nichts vermocht hatte — nun doch
verdrießlich über das Hundewetter und alle andern
Ungerechtigkeiten der Welt die Straße weiterzog.
Es war aber so wenig ein Arbeitsloser wie der Dichter
in Segeltuchschuhen, der da mit Lederhandschuhen am
Steuerrad vorübergefahren war, vielmehr ein Maler,
der sich für seine Studien in einem Dorf bei Benrath
eingebaut hatte. Auch jetzt saß er nach seiner in die
Palette verbissenen Natur daran, die glasige Tönung
dieser nassen Winterluft in den Kontrasten am Horizont
Eine Anekdote von W. Schäfer.
Als Peter Hille noch seinen Körper wie das zer-
brechliche Gefäß der mildesten Dichterseele einsam in
fremde Straßen und fremdere Nächte trug und, auf die
Gutwilligkeit zufälliger Bekanntschaften angewiesen,
sonderbare Dinge anrichtete: widerfuhr ihm auf der
Straße von Benrath nach Düsseldorf ein Erlebnis,
das er, wie alles, staunend und beglückt hinnahm, ob-
wohl es andern nur ein Scherzspiel des Iufalls scheinen
könnte.
Er war im nassen Februar nach Düsseldorf gefahren,
vierter Klasse und mit geborgtem Geld, weil er über
die rheinische Fastnacht schriftstellern wollte. Wie ihm
das leicht geschah, geriet er auf einer Morgenwanderung
im Eller Forst seitab und schließlich durch die Felder nach
Benrath am Rhein, wo er das zierliche Jagdschloß wie
ein vertriebener Fürst besichtigte, der einmal noch und
unbekannt in seinem geflickten Mantel die Säle der
Jugend ansehen will. Die Stimmung dieser verstaubten
Rokokowelt ging auch noch mit ihm, als er am Nach-
mittag — ohne Nahrung seit dem Morgen — den stunden-
weiten Weg nach Düsseldorf abwanderte, in einem
nassen Schneetag, darin er ahnungslos mit Segeltuch-
schuhen ging.
Wie nun die Stelle kam, wo sich die Straße dicht
an den Rhein heranzieht, der da mit einem starken Bogen
die Böschung bedrängt, und wo der nasse Schneewind
ihm auch den Mantel dick überzuckerte — unten mischten
die Schlepper ihren braunen Rauch in die dämmrige
Luft — kam von der Seite aus einem Feldweg ein
Hund zu ihm, der augenscheinlich gleich ihm den Anschluß
an die Geschäfte und Häuser der Menschen verloren
hatte. Der Dichter sah mit gütigen Augen das verwahr-
loste Tier — es war ein gefleckter Jagdhund, der sich
mißtrauisch an ihn heranschnupperte — lockte es mit
seiner leisen westfälischen Stimme und klopfte ihm ein
paarmal zutraulich auf das enge Gehirn, das ihn aus
der blauen Tiefe solcher Hundeaugen demütig ansah.
Jndem die beiden dann weitertrotteten, der Hund ein
wenig voraus und vielfach die Straße kreuzend, als ob
er dem Menschen Ieit geben wollte, nachzukommen:
verspann der Dichter sich in keine Träume mehr und
dachte nun die wirklichen Gedanken, wie solch ein Hund
gleich einem Menschen mit einer Seele in die Welt
geboren wäre; auch mit denselben Sinnen, nur daß die
ihre Meldungen in einer Handvoll Gehirn anbringen
mußten, das nur im Iwang an andressierten Folg-
samkeiten damit wirtschaften konnte: indessen bei ihm,
dem Menschen, Trieb und Sinneswahrungen zum
geistigen Besitztum würden, sodaß er mit dem Bewußt-
sein der Weltzusammenhänge zugleich die Herrschaft dar-
über in sich trüge und somit auch den Sinn vom Leben,
der in den Tieren, den Bäumen und den Steinen noch
ungeweckt sei.
Sogleich fiel ihm die Torheit hitziger Jünglinge
ein, dieses Vorrecht schon göttlich zu nennen: Weil erst
das menschliche Bewußtsein den Sinn der Schöpfung
zur Klarheit brächte, dürfte sich der Einzelne dreist als
ein Stück Gottes vorkommen, der in der Menschheit ge-
wissermaßen zum Welt- und Selbstbewußtsein käme,
weshalb der Fortschritt aller Wissenschaft und Denk-
arbeit nichts weniger als die Geschichte Gottes wäre.
Als sich der Dichter recht mit lächelndem Mund
in diese Prahlerei zurückgedacht hatte, blieb er erschrocken
in dem Schneewetter stehen, weil ihm zur Antwort
eine Kette von tiefer Traurigkeit aufkam: Er erkannte
deutlicher als sonst, wie jeder menschliche Gedanke, auch
der feinste, wie jede Ahnung des Gefühls, auch die
leiseste, in ihrem Dasein menschlich wäre und ihn vom
Göttlichen abgrenze. Nichts anders als ein künstlicher
Scheinwerfer war sein Bewußtsein; rundum stand das
Geheimnis der Natur, stand Gott in Ieit und Raum,
doch überall, wo der Mensch mit seinen Gedanken und
Gefühlen hinleuchten wollte: war auf das Geheimnis
ein Schein von menschlicher Beleuchtung gelegt, der
es dichter als die Dunkelheit verhüllte, sodaß die sonst
gnädig überschattete Grenze den göttlichen und mensch-
lichen Bereich schärfer trennte. Statt daß die mensch-
liche Entwicklung zu Gott hinführe — wie jene Prahler
meinten — brächte sie ihn recht von Gott ab, und somit
sei der tiefste Sinn und höchste Trieb des Menschen Gott
feindlich, der im Gehirn des Jagdhundes hier auf der
fremden Straße viel ungestörter beschlossen wäre als
in seinem mit tausendfältigen Nachrichten anderer
Menschlichkeit befrachteten Geist.
* *
*
Als so den Dichter, der doch als Katholik mit einer
Jnbrunst zur Gläubigkeit erfüllt war, der Unwert aller
Religionsgedanken und der frommen Gefühle überkam,
blieb er verzweifelt auf der nassen Landstraße stehen.
Der Hund kam suchend mit gesenkter Schnauze zurück
und stand treulich bei ihm, sodaß die beiden einem
Iimmermann aus Oberbilk, der von der andern Seite
des Weges kam, einen ärgerlichen Anblick gaben.
Der wollte noch mit der letzten Helligkeit nach Ben-
rath, dort eine Arbeit auszumessen, um mit dem Sechs-
uhrzug in Düsseldorf zurück zu sein: ein kräftiger Mann
und Handwerker in braunen Sammethosen, dem dieser
Fremdling in nassen Segeltuchschuhen mit dem struppigen
Vieh erbärmlich vorkam, sodaß er sich im Weitergehen
garnicht beruhigen konnte, wie jemand so dem Elend
und der Bettelei verfallen möchte. Doch schimpfte er
nach fünf Minuten schon nach der andern Seite, als er
vor einem Kraftwagen zur Seite springen mußte, der
durch den nassen Schnee wie eine gejagte Ente herwat-
schelte und ihn bespritzte: Daß solche Arbeitslosen im
Pelz auf angeerbten Iinsscheinen sitzend noch viel ab-
scheulicher wären! sodaß der Iimmermann — dem die
kalte Nässe bis dahin nichts vermocht hatte — nun doch
verdrießlich über das Hundewetter und alle andern
Ungerechtigkeiten der Welt die Straße weiterzog.
Es war aber so wenig ein Arbeitsloser wie der Dichter
in Segeltuchschuhen, der da mit Lederhandschuhen am
Steuerrad vorübergefahren war, vielmehr ein Maler,
der sich für seine Studien in einem Dorf bei Benrath
eingebaut hatte. Auch jetzt saß er nach seiner in die
Palette verbissenen Natur daran, die glasige Tönung
dieser nassen Winterluft in den Kontrasten am Horizont