Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Lewin, Robert: Das Drama und die Tat
DOI Artikel:
Halm, August Otto: Richard Wagners Tristan (II.)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0046

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Drama und die Tat.

anderes Gesicht. Sie ist nur Ausdruck einer zielbewußten
Lebensdynamik. Der Dramatiker kann aus der Gegen-
wart nichts schöpfen, das seiner Bühne Leben verleihen
könnte. Nur Menschen im Geiste Strindbergs, die mit
ihren leisen, feinen Dialogen an uns vorüberwandeln,
lassen Abgründe sich in unsrer Seele auftun. Hier ver-
mögen wir noch, jenseits des Jntellektuellen, den Sinn
alles Dramatischen zu fassen. Robert Lewin.

ichard Wagners Tristan (II>.

2.

Grundsätzlicher Dualismus eignet dem Drama als
wesentlich; die Kunst, ihn zu gestalten, das ist durch Per-
sonen oder Gruppen, Worte, Handlungen als durch
Symbole ihn sichtbar werden, aus kompliziert Gegen-
sätzlichem allmählich einen Hauptgegensatz entstehen, sich
herausstellen zu lassen: das ist also wesentlich drama-
tische Kunst, und der erste Akt von „Tristan und Jsolde"
insofern ein Musterdrama ersten Ranges.

Er beginnt mit einem gewaltigen Kontrast, dem sich
der psychologische Wert eines Trugbildes von Feind-
seligkeit zugesellt — und schließt mit demselben Kontrast,
der nun in taisächliche Feindschaft erwachsen ist, die
aber von den Betroffenen garnicht empfunden wird
(worin überdies noch der Keim des Fortgangs liegt,
woraus insbesondere in den zweiten Akt die drama-
tische Kraft fließt). Jsolde vernimmt das Lied eines
jungen Seemanns, dessen Schluß („Jrische Maid, du
wilde, minnige Maid!") sich wie ein Stachel in sie
bohrt, um sie zu halber Bewußtheit zu erwecken; be-
täubt gleichwie auch überempfindlich wähnt sie sich ver-
höhnt, mit ihrem: „Wer wagts" fährt sie auf. Der
Seemann denkt natürlich nicht an sie, und sie selbst merkt
sogleich, daß sie sich getäuscht hat. Aber die Stimme
drang von außen her zu ihr, die Stimme der verhaßten
Welt selbst tönte in seinem Lied, und darin freilich irrte
ihr hellhöriger Haß nicht. Die Welt, die Tristan von ihr
trennt, mit der Tristan im Bund steht, an die er sie aus-
liefert: was könnte sie ihr zusenden, das nicht übervoll
von Feindschaft wäre; welcher schwächste Hauch nur
könnte von dorther an sie rühren, der die wunde Seele
nicht in Aufruhr brächte? Und dennoch hat diese selbe
Welt nachher alle Mühe, sich auch nur der außersten
Oberfläche ihrer Seele bemerkbar zu machen; Jsolde
steht, seit sie Tristan zu sich her und von der Welt ab-
gezogen hat, mit ihm zusammen außer deren Reichweite.
Nur das körperliche Dasein kann fortan noch Not leiden
vder zum Opfer fallen; das historische Dasein, das ohne-
hin bald, als das Schicksal erfüllend, sein Amt vollführt
haben und hinfällig geworden sein wird.

Den ungeheuren hier zurückgelegten Weg nun, auf
dem Jsolde Führerin, bezeichnen als Marksteine und
Stationen jene Einzelfalle des Neben- oder Aueinander
der Gegensätze, des Einwirkens und Reagierens, die
darum als die eigentlichen Symptome der dramatischen
Entwicklung gelten dürfen.

-o Einen Teil des Seemannsliedes noch einmal singen
zu lassen, lag für den Musiker nahe, zumal da ein Motiv
darauö in den symphonischen Bestand aufgenommen
ward. Deni Wunsch der Musik nach einer „Wieder-

kehr" entsprechend gewinnt aber zudem der Dramatiker:
hätte er doch garnicht besser den Weg fernab von der
Welt weisen können, als indem er ein und dasselbe
Gehörte so verschieden auf Jsolde wirken läßt, nämlich
zuerst aufscheuchend und aufreizend, sodann geradezu
garnicht. Eben mit ihrem vorigen krankhaften Beziehen
des Liedes auf sich vergleichend, empfinden wir die
jetzige Beziehungslosigkeit so, als ob eine große Strecke
zurückgelegt, eine erste Höhenstufe erklommen sei; und
das Gefühl davon verleiht vor allem den wappenartig
geprägten Worten: „Mir erkoren, mir verloren"* und
ihrem Spruchcharakter Recht und Gewicht. Psycholo-
gisch betrachtend begreifen wir diesen entscheidenden
Sieg damit, daß die Verwünschung des Schiffes und
des Lebens, das es trägt, sich zum ruhigen Entschluß,
daß die Wut sich zum Willen gefestigt hat.

Die vollzogene Abkehr von der Welt muß eine
sürchterliche Probe besteben; und wirklich bedeutet die
nächste Etappe eine Mischung von Weiter- und von
Ausderrichtungkommen: ähnlich wie an schwieriger
Stelle, vor unbezwinglichem Hindernis ein Umweg
und scheinbarer Abweg nottut. Kurwenals und der
Mannen Lied von Morolds Fall dringt in die Kajüte.
Also im Volksmund ist Jsoldes Leid, ja in diesem Augen-
blick wird das zum Volkslied, und ihr jäh empörtes
törichtes Fragen: „wer wagts mich zu höhnen"? wird
jetzt eben grausam sinnvoll durch eine schreckliche Ant-
wort: alle wagens; bald wird das ganze Land vom
Hohn über ihr Unglück erschallen! Der jammernden
Brangäne wie auch sich selbst gebietet da die starke
Herrin: „doch nun von Tristan"! Dieses Wortpaar:
„doch nun" zeugt allein von einem Kampf, einem schnell
überwundenen schweren Erschüttert- und Beirrtwerden;
gleich ist des Blicks Geradheit, des Aieles Sicherheit
wiedererrungen, um im Fluch über Tristan und sich
selbst sich zu bestätigen.

Jsolde ist von da ab völlig fertig mit der Welt;
von nun an müssen ihr „alle Dinge zum Besten dienen".
Die Arbeitsgesänge der Mannschaft, auf schnelle Fahrt
deutend, beschleunigen und bestärken ihren eigenen Ent-
schluß, kommen später ihrem Herrscher- und Führer-
willen zu Hilfe, den sie auf Tristan ausübt. Auf die'er
Stuse angelangt, kennt sie nämlich nur noch die eme
Aufgabe, Tristan von der Welt und ihrem Einfluß zu
befreien; und was eben noch ihr selbst die letzte Gefahr
brachte, von dort her in sie einzudringen, sie aus die
Welt hören zu machen und in deren Botmäßigkeit
zurückzuzwingen drohte, das stößt zugleich den Tristan
von jener ab und zieht ihn zu ihr hin: des von Kurwenal
und den Mannen gesungenen Liedes muß er sich schämen;
die Erkenntnis der kleinen Schuld ersetzt vorerst die Klar-
heit über die große, und bereitet ihn zugleich dafür,
diese, seine eigentliche Schuld an der Verratenen zu
sehen. Wie leicht wird so in dem Awiegespräch zwischen
ihr und Tristan, dem Meisterstück dramatischer Dialektik,
besiegt, was dieser noch von der Welt her vor sie bringt,
ihr gegenüber vorbringt. Er ist ihr verfallen, von allen

* Der übcrlieferte Tert der solgenden Aeile: „hehr und
heil" beruht wohl auf falschem Lesen; allem Vermutcn nach
wollte der Dichter ihr als der Parallele zur ersten, gleichfalls
einen Widerspruch anvertrauen, wird also geschrieben haben: „hehr
und feil"; oder vielleicht: „sehr und heil".
 
Annotationen