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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Becker, Franz Karl: Rebundus
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Stauff, Philipp: Heilige Feme und Justitia
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0360

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Rebundus.

Er mm, glaubend, ich deute auf sein Pult, ihm zu
zeigen, sah naher zu.

Schrak auf, wie ein vom Schuß Getroffener, taumelte
und stieß einen Schrei aus laut und gellend. Einen
Schrei so laut, daß aller Gesang abbrach und verhallte
wje eine niederstürzende Glocke und alles die Haupter
umwarf.

Er aber fiel an mich, ich hielt seinen jungen Leib.
Und er entröchelte an mir und starb, seine Augen brachen
dicht unter meinen, ich sah es.

Da hielt ich meinen Taumel nicht mehr, ich zerrann
meiner Kraft. Meinen Mund öffnete ich, noch die Leiche
haltend, ich bekannte alles.

Die Brüder urteilten und begruben mich nach meinem
Wunsch lebendig zur Buße.

Jch saß in der Finsternis, wie ein Fels in der Erde,
schlafend und weinend, schlafend und weinend. Lange,
lange, Gott tötete mich nicht."

König Rotbart hörte alles, was der Mönch sagte.

„Begehrtest du nie Freiheit?" fragte er.

Der Alte nickte, verneinte.

König Rotbart sah auf Rainald, seinen Berater. Sie
flüsterten.

„Dir ist vergeben," sagte er ernst. „Gut ist es, für
andere sterben, doch recht, sein Leben zu erhalten. Du
hast schwer gebüßt. Bereite dich, du sollst mit mir ziehen!"

Als die Abreise geschah, nahm er den Alten mit,
um ihm Ehre in der Welt anzutun. Aber der Tod
erlöste diesen aus der Verdammnis seines Lebens nach
kurzer Aeit.

eilige Feme und Justitia.

Einen guten Gedanken hat der KünstlerWilhelm
Spatz ausgeführt mit den Bildern, mit denen
er den Saal des Düsseldorfer Oberlandesgerichts schmückte.
Einen plastischen Uberblick über die Entwicklung des Rechts
auf deutschem Boden wollte er bieten, und wenn die
Art, wie er da in seinen Stoff hineinschaute, auch vielleicht
nicht dauernd deutscheS Gemeingut bleiben wird, so
wird das doch hoffentlich sein Werk. Uber das letztere
selbst soll hier indes weniger die Rede sein als über den
ganzen Gedankenkreis, dem es entstammt.

Das Gottesgericht. Die Niederschrift der germanischen
Rechtsgesetze unter Karl dem Großen. Die Feme.
Die Gerechtigkeit. Jn diesen vier Stationen erfaßt
Wilhelm Spatz den Werdegang deutscher Rechtsent-
wicklung. Das letzte Bild, die allegorische Justitia mit
verbundenen Augen, Schwert und Wage, scheint ihm
den Höhepunkt dieser Entwicklung zu bedeuten. Oder
nicht? Man hat ja ein gewisses überliefertes Recht
auf diese aus der Antike geholte Vorstellung. Aber in
den Deutschen von heute regen sich seltsam anders-
geartete Vorstellungen. Nicht in allen, aber vielleicht
in den meisten von denen, die ein starkes deutsches
Sehnen in sich tragen. Die grollen eigentlich mehr
dieser blinden Göttin, als daß sie ihr Verehrung be-
zeugten. Die meinen, es ware unserem Volke besser

gedient mit einer hellaugigen Rechtsherrin, die groß
und durchdringend um sich blickte und die Personen
ansähe und die Absichten... Die Engländer, obwohl
kaum mehrNachkommen der alten Angelsachsen zu nennen,
haben sich etwas gerettet davon; ihre Justitia ist anders
als die unsere. Sie hat kein Gesetzbuch auf den Knien
und die Augen sind ihr nicht verbunden worden, und so
vermag sie Ehrlichkeit und Unehrlichkeit, Wert und
Unwürde, Gemeindenken und selbstsüchtigen Aftersinn
leichter zu unterscheiden, als es oft ihrer deutschen
Schwester gelingen will, die mit ihren Wertungen so
leicht — mangels des persönlichen Eindrucks — äußerlich
bleibt und einfach auf einen bestimmten Paragraphen
des Buches auf ihren Knien deutet. Wie kommt eigentlich
diese Göttin in die deutschen Gefilde? Undeutsch ist sie,
aus fremdem Gau, aus fremdem Blute und fremdem
Geiste...

Unser Volk kennt da ein großes, urbedeutsames
Stück seiner Geschichte nicht. Und wenn es oft von dem
Fluche spricht, mit dem das Ringen der deutschen Kaiser
um Rom unser Volk beladen hat (eigentlich soll man
Geschichte nur verstehen; man soll ihr nicht fluchen),
so vergißt es dabei meist, das allerschwerste Erbe jener
Zeiten zu nennen: die Durchsetzung des römischen
Rechtes. Seit der „Rezeption" ist unsere Geschichte
nicht mehr deutsch gewesen; so viel echter guter Heils-
geist auch zu hemmen und zu halten suchte: es ging
immer weiter weg vom Wesen des Deutschtums, immer
fremder wurde unser Volk sich selber, immer mehr
kamen fremde Prinzipien zur Geltung und regierten
die Verhältnisse. Und wir selber wurden blind gegen die
Dinge. Unser Schultum ist es noch, und darum ein großer
Teil unserer gebildeten Schichten. Weil wir die un-
geschriebene Geschichte nicht verstehen. Wie Justitia
sich an ihrem Buche festhält, so hielt sich unsere Ver-
gangenheitsbetrachtung an die unmittelbaren Urkunden
und schaute diese an mit dem „Aufklärungs"-Geiste des
19. und 20. Jahrhunderts und sah nicht, was darinnen
stak. Sie wußte auch nicht und weiß heute noch nicht,
was die hl. Feme gewesen ist, die ungeheuerlichste Er-
scheinung der ganzen deutschen Geschichte. Nur dem
Künstler gestattet man zuweilen einen tieferen, ahnungs-
reichen Blick. Und dem danken wir Wilhelm Spatzens
Bild von der Feme.

Der Künstler gab schriftliche Erklärungen zu seinem
Werke, darin äußert er sich auch zur Geschichte der Feme.
Er gewahrt, wie die „Femgerichte am längsten und stand-
haftesten die uralte Form des heidnisch-germanischen
Prozeßgerichtes beibehielten, so behielten sie auch die
alten Gerichtsstätten bei". Er teilt mit, wie das Gericht
gehegt wurde, und gibt eine Verurteilungsformel der
Feme wieder, und gewahrt: das sind fraglos Dinge
aus dem greisgrauen germanischen Altertum. Er sieht
auch klar, daß die Femgerichte nicht nur eine auf West-
falen begrenzte Erscheinung waren. Und trotzdem
stockt er dann, wenn es sich darum handelt, zu erkennen,
was die bl. Feme eigentlich war. Er meint noch — er,
der Künstler — die rechtlose, gewalttätige Ieit, in der
jeder Rechtsschutz versagte, in der die Mittel zur Urteils-
vollstreckung gefehlt hätten usw., hätte eben das Fem-
gericht aus sich geboren.
 
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