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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Stauff, Philipp: Heilige Feme und Justitia
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Lissauer, Ernst: Über Goethe: Betrachtungen beim Lesen Goethischer Urkunden und Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0363

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Heilige Feme und Justitia.

spät einsetzenden schriftlichen Rechtsaufzeichnung des
Germanentums aus Sitte, Brauch und mündlicher
Überlieferung geholt, selbst aus Sage und Märchen.
Und was er uns aufzeigt mit einer Fülle autonomer
Beweise, das ist ein Recht von großartiger Durch-
gebildetheit und von einer Durchgeistigung, wie sie sich
dem römischen Rechte nicht entfernt nachrühmen läßt.
Organisch war das germanische, mechanisch ist das
römische Recht. Nüchtern ist das römische; das ger-
manische aber war so voll edler sinndeutlicher Beziehungen,
daß das ganze Leben davon durchwirkt war und selbst
auf unsere Aeiten noch manches ungewollt gekommen
ist. Daß der Generalstaatsanwalt eine rote Robe trägt,
hat im römischen Rechte keinen Sinn; auch das Schöffen-
tum ist heute etwas ganz anderes, als es im altgermani-
schen Rechte war, und wenn wir die Ausdrücke der
Alten vernehmen vom Stabbrechen, von Iops und Brust,
von der Aeugenschaft der Tiere und lebloser Dinge,
vom weißen Stab oder weisenden Stabe, von Strang
und Wyd usw. usw., so kennen wir dabei die alten Be-
ziehungen in diesen Worten nicht und haben vielleicht
nur das dunkle Empfinden einer pathetischen Art, des
Rechts zu walten, während das Tun der Feme eben
heilig war und aus den Untergründen des vorchristlichen
germanischen Glaubenstums floß. Desselben Glaubens-
tums, das auch in der Bausymbolik durch alle unsere
Münster und Dome seine Bekenntnisse schuf, als es für
dieAllgemeinheit langstbeseitigtwar;desselbenGlaubens-
tums, dessen wenigstens innertümlicher Erhaltung durch
lange Jahrhunderte die Kalandsgilden und Kalands-
brüderschaften dienten, aus dem heraus die hochchristlichen
Ritter der mittelalterlichen Orden auszogen aus ihren
Heimatlanden, in denen das römische Recht wirksam
geworden war, um im fernen Osten große germanische
Kolonien auf Grund des germanischen Rechts zu
gründen (heute noch haben große Teile von Russisch-
Polen das magdeburgische Recht, auch Bodenrecht
des Sachsenspiegels), endlich: desselben Glaubenstums,
dessen armanische Gesellschaftsordnung unsere Jnnungen
bis zu ihrem Erlöschen forthegten, ungesehen und unver-
standen von denen, die spater die große Auflösung des
alten Volkskörpers politisch vorbereiteten...

Was ist es doch Großes um die Vergangenheit des
Deutschtums und um die hl. Feme! Gewiß ist der Jnhalt
der Feme, das germanische Recht, nichts was man Hals
über Kopf auf unsere Zeit übertragen könnte, nachdem
wir lange Jahrhunderte unter dem fremden Rechte
gestanden haben. Vielleicht ließe es sich gar nicht mehr
in seinem Kernbilde durchführen ohne gleichzeitige
Wiedergewinnung der altgermanischen Gauverfassung,
die ja allerdings die süddeutschen Demokraten vor
hundert Jahren, wie Uhland, soweit sie deutschen Blutes
waren, eigentlich erstrebten. Aber der Geist, von dem das
alte Recht der Feme getragen war, hat wohl im Grunde
auch das Verdienst, daß unser Volk noch heute nicht
ganz entkräftet und entwertet ist, daß sich immer wieder
der Jdealismus erhebt in seinen Reihen, obwohl unter
dem fremden Rechte alles, was der tiefsten Treue der
germanischen Seele entstammt, nur durch ein Martyrium
siegreich werden kann; obwohl da als Verbrechen gegen
die jeweils herrschenden Jnstanzen gilt, was aus der

Fülle des deutschen Blutes und der deutschen Geschichte
und der deutschen Seele auf Verbesserung unserer
herrschenden Verhältnisse dringt.

Ein Freigraf der Feme lud den Kaiser Friedrich III.
und sein Kammergericht vor den Freistuhl, bemerkt
Wilhelm Spatz. Warum ist das geschehen? Weil der
Kaiser und sein Kammergericht das deutsche Recht ver-
rieten, deshalb geschah es. Wir wollen sie endlich ver-
stehen, die alten getreuen Mannen der Fem, und uns nicht
mehr mit dem Ammenmärchen graulich machen lassen,
das diese wertigsten deutschen Männer einer kampf-
hilden Aeit als staatsgefährliche, lichtscheue Elemente
erklart. „Scheint die Sonne? Jst es Ieit zu tagen?" so
fragte der Stuhler den Schöppen zum Beginne des
Gerichts. Und so war das Gericht zu Ende, daß jeder
Teilnehmer noch nach Hause gelangen konnte, bevor
die Sonne gesunken war. Aber freilich, als die wirkliche
Tagung nicht mehr möglich war, da nahmen die alten
Femanen auch die Nächtung in Kauf, um Recht zu
sprechen nach dem alten Recht. Bis die Feme endgültig
erschlagen wurde, und das fremde Recht siegreich war.
Aber heute noch leben Überlieferungen aus dem alten
Rechte, sogar vereinzelt unter behördlichem Schutze,
ohne daß jemand ihre Wesenheit erkennt. Und diese
Uberlieferungen sind es, welche unser Volk in ländlichen
Gegenden noch bei Kraft und Gemeinsinn hielten.
Vielleicht wird der Rabenkaiser im Berge doch noch ein-
mal erwachen, wenngleich er nicht der Wallonenkarl
und nicht der alte Barbarossa ist, sondern das deutsche
Recht der Fem, das Recht, das seine Ausprägung im
Sachsenspiegel und Schwabenspiegel fand, das auf den
all-ariogermanischen Götterahnherrn zurückgeht, den
Mannus (in Jndien Manu, in Ägypten Manes), und
unter dem auf die Dauer allein arische Volksreiser ihr
Gedeihen finden können. Nach Verlust dieses Rechtes
ist unser Volk wie ein entarteter Asing, unfähig, seine
eigene Aukunft zu gestalten, und die römisch-byzantinische
Gerechtigkeit, die in unseren Gauen trotz ihrer ver-
bundenen Augen noch immer dem Erfolge nachgelaufen
ist, sieht unter ihrer Binde nicht in unseres Volkes Aukunft
und kümmert sich nicht um sie. Ph. Stauff.

ber Goethe.

Bett-achtungen beim Lesen Goethischer
Urkunden und Werke. Von Ernst Lissauer.

Die durchdringende Erquickung, die von der Be-
schäftigung mit Goethe ausgeht, ist unbeschreiblich;
man meint, selbst teilzunehmen an dem ungeheuren
Tagewerk und fühlt sich mit befriedigt von seiner Leistung,
seinem Ergebnis.

-r- H

Goethes Leben ist nicht dramatisch; so sicher es ihm
an dramatischen Elementen nicht gefehlt hat: so wenig
seine Dramen eigentlich Dramen sind, wiewohl es ihnen
nicht an dramatischen Elementen mangelt. Jn Goethes
Leben gibt es keine „Szenen". Er entflieht; allein:
ohne Aussprache, Unterredung; ohne Kampf von

Z4I
 
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