Die Freiheit des guten Herzens.
könnt. Er ist billig und gerecht. Nehntt ihn cm, dann
habt Jhr alles, was Jhr wollt."
„Und wenn ich mich nicht füge?" fragte Louis de
la Gorde nach kurzem Bedenken.
„Dann setzen wir Euch mit Gewalt aus!" sprach
Lambert SoulaS kurz.
„Nun gut!" ergab sich Louis Montarnal. „Jch
nehme den Vorschlag an, vorausgesetzt, daß diese Jnsel
für eine Niederlassung geeignet ist. Und zwar ver-
lasse ich euch dann freiwillig. Wenn auf der Rückreise
einer oder der andere von euch bei mir bleiben will,
er soll mir willkommen sein."
So löste sich alles in Frieden. Die Jnsel wurde
untersucht. Trinkwasser, Kokospalmen und Brotbäume
waren in Fülle vorhanden. Die Lagune, um die sie
sich kreisförmig schloß, wimmelte von Fischen und
Schildkröten. Iiegen, Schweine und Hühner wurden
an den Strand gesetzt. Nach der langen Haft durften
sie sich der Freiheit freuen und verschwanden sofort
in den Büschen. Allerlei Geratschaften, Balken und
Bretter wurden ausgeladen. Einc Hütte wurde auf-
gerichtet. Schießgewehre, Pulver und Blei auf Jahre
hinaus, Brot und Salzfleisch kam von Bord. Alle
griffen an, nur um schnell nach Otahiti zu kommen.
Auletzt brachte Louis de la Gorde seine Bücher
und Schriftstücke, sein Geld und alles, was sich in seiner
Kajüte befand, ins Boot und stieß ab.
„Will kein einziger bei mir bleiben?" fragte er,
als er zehn Bootslängen vom Schiff war.
„Jch!" rief Florence Tardieu und sprang auf die
Reling.
„Dummer Junge!" schrie der Bootsmann und hielt
sie fest. „Du bleibst bei uns. Was willst du da drüben?
Es ist genug, wenn ein Verrückter dort sitzt."
Aber sie riß sich los und schoß mit einem Kopfsprung
in die blaue Flut. Dicht vor dem Boote tauchte sie auf
und griff nach dem Bordrand.
„Wollt Jhr mich haben, Herr?" rief sie, und ihr
Gesicht glühte vor Freude.
Da half er ihr ins Boot, zog sie an sich und küßte sie
immer und immer wieder.
Die andern aber stießen sich an, lachten und machten
ihre Glossen über das seltsame Liebespaar.
„Jch hab mir gleich so was gedacht!" meinte Lambert
Soulas und stieß in die Flöte. „Mögen sie miteinander
glücklich sein und sich nach Gefallen vermehren."
Dann ließ er die Anker heraufholen und brachte
das Schiff vor den Wind.
Es kam niemals in Otahiti an. Schon am nächsten
Abend packte es ein Wirbelsturm, warf es auf ein zackiges
Korallenriff und zerbrach es zu Scheiter, daß alle, die
darauf waren, ohne Ausnahme ertranken.
Iwölf Jahre später legte ein dänisches Schiff an
der Jnsel an, auf der Louis de la Gorde Montarnal
mit Florence Tardieu lebte. Zehn Kinder hatte sie ihm
in dieser Aeit geboren, dreimal war sie mit Awillingen
niedergekommen und keins war gestorben. Sie lebten
glücklich und bezeigten wenig Lust, ihre paradiesische
Jnsel zu verlassen. Da sie aber von den wunderbaren
Umwälzungen, die Frankreich inzwischen durchgemacht
hatte, und von dem Kaiser hörten, vor dem die Welt
zitterte, entschlossen sic sich doch, nach Europa zurück-
zukehren.
Und als die Marquise Florence de la Gorde Montar-
nal jung und blühend unter den Hofdamen der Kaiserin
Josephine saß, sah es ihr keiner an, daß sie zehn höchst
lebendige Kinder zu Hause hatte, und niemand außer
ihrem Gatten wußte, daß sie vor zwölf Jahren aus dem
blauen Kolibri in Brest entsprungen war, und zwar in
der Kleidung eines Schiffsjungen.
Erst 1816 wies der englische Kapitän Dillon nach,
daß die beiden Schiffe der Erpedition Laperouse bei
der Jnsel Vanikoro, der zweitgrößten des Santa Cruz-
Archipels, gescheitert sei und daß die Geretteten aller
Wahrscheinlichkeit nach von den räuberischen Ein-
wohnern erschlagen worden seien. Diesen Befund
bestätigte zwei Jahre später Dumont d'Urville.
us Theodor Storms
kritischen Schriften.
Ausgewählt von Ernst Lissauer.
Vorbemerkung. Die folgenden Sätze sind, mit
freundlicher Erlaubnis des Herausgebers Fritz Böhme
und des Verlegers George Westermann in Braunschweig,
entnommen dem Nachtragsbande zu Theodor Storms
sämtlichen Werken, der vor kurzem erschienen ist und
als neunter die acht vorhandenen Bände des Storm-
schen Werkes aufs beste ergänzt. Der genaue Titel
heißt „Spukgeschichten und andere Nachträge zu seinen
Werken", doch der Wert dieses Buches beruht durchaus
nicht auf den recht hübschen, ganz gruselig erzählten,
aber nicht bedeutenden Spukgeschichten, die 1862 ent-
standen, aber seither verschollen sind, sondern auf kriti-
schen Arbeiten, den Vorreden zu den Anthologien und
den Rezensionen, die zum erstenmal hier gesammelt
werden. Der Herausgeber, Fritz Böhme, hat eine
reiche Fülle von Anmerkungen beigefügt, und unter
anderem auch die Entwürfe Storms zu seinen Vorreden
abgedruckt, die vielfach weit bedeutender und inter-
essanter sind, als der schließlich gedruckte Tert. Ver-
schiedene der weiter unten ausgehobenen Sätze stammen
aus diesen Entwürfen, die Äußerung über lyrische
Form einem Briefe an Erich Schmidt, der gleichfalls
in den Anmerkungen zitiert ist. Die in Klammern ge-
setzten Titel sind nicht von Storm. Fritz Böhme hat
auch den Jnhalt der Stormschen Anthologien, die heute
nicht mehr im Handel sind, der „Deutschen Liebeslieder
seit Johann Christian Günther", von 1859, und des
„Hausbuchs aus deutschen Dichtern seit Claudius", von
1870, abgedruckt. Jndem er ferner verschiedene Storm
betreffende Rezensionen, von Kuh, Gottschall, Fontane,
Hebbel, zum Abdruck brachte, ergänzte er das Material
für die bedeutende Erscheinung: Theodor Storm als
Kritiker, vortrefflich. Seine überaus reichen, nach vielen
Seiten ausgreifenden Anmerkungen sind mit wirk-
lichem Dank zu begrüßen: über die Bedeutung für Storm
hinaus birgt der Band in ihnen vielfältige Materialien
zu einer Geschichte der deutschen Kritik. Jndem die be-
sprochenen Gedichte von neuem abgedruckt werden,
könnt. Er ist billig und gerecht. Nehntt ihn cm, dann
habt Jhr alles, was Jhr wollt."
„Und wenn ich mich nicht füge?" fragte Louis de
la Gorde nach kurzem Bedenken.
„Dann setzen wir Euch mit Gewalt aus!" sprach
Lambert SoulaS kurz.
„Nun gut!" ergab sich Louis Montarnal. „Jch
nehme den Vorschlag an, vorausgesetzt, daß diese Jnsel
für eine Niederlassung geeignet ist. Und zwar ver-
lasse ich euch dann freiwillig. Wenn auf der Rückreise
einer oder der andere von euch bei mir bleiben will,
er soll mir willkommen sein."
So löste sich alles in Frieden. Die Jnsel wurde
untersucht. Trinkwasser, Kokospalmen und Brotbäume
waren in Fülle vorhanden. Die Lagune, um die sie
sich kreisförmig schloß, wimmelte von Fischen und
Schildkröten. Iiegen, Schweine und Hühner wurden
an den Strand gesetzt. Nach der langen Haft durften
sie sich der Freiheit freuen und verschwanden sofort
in den Büschen. Allerlei Geratschaften, Balken und
Bretter wurden ausgeladen. Einc Hütte wurde auf-
gerichtet. Schießgewehre, Pulver und Blei auf Jahre
hinaus, Brot und Salzfleisch kam von Bord. Alle
griffen an, nur um schnell nach Otahiti zu kommen.
Auletzt brachte Louis de la Gorde seine Bücher
und Schriftstücke, sein Geld und alles, was sich in seiner
Kajüte befand, ins Boot und stieß ab.
„Will kein einziger bei mir bleiben?" fragte er,
als er zehn Bootslängen vom Schiff war.
„Jch!" rief Florence Tardieu und sprang auf die
Reling.
„Dummer Junge!" schrie der Bootsmann und hielt
sie fest. „Du bleibst bei uns. Was willst du da drüben?
Es ist genug, wenn ein Verrückter dort sitzt."
Aber sie riß sich los und schoß mit einem Kopfsprung
in die blaue Flut. Dicht vor dem Boote tauchte sie auf
und griff nach dem Bordrand.
„Wollt Jhr mich haben, Herr?" rief sie, und ihr
Gesicht glühte vor Freude.
Da half er ihr ins Boot, zog sie an sich und küßte sie
immer und immer wieder.
Die andern aber stießen sich an, lachten und machten
ihre Glossen über das seltsame Liebespaar.
„Jch hab mir gleich so was gedacht!" meinte Lambert
Soulas und stieß in die Flöte. „Mögen sie miteinander
glücklich sein und sich nach Gefallen vermehren."
Dann ließ er die Anker heraufholen und brachte
das Schiff vor den Wind.
Es kam niemals in Otahiti an. Schon am nächsten
Abend packte es ein Wirbelsturm, warf es auf ein zackiges
Korallenriff und zerbrach es zu Scheiter, daß alle, die
darauf waren, ohne Ausnahme ertranken.
Iwölf Jahre später legte ein dänisches Schiff an
der Jnsel an, auf der Louis de la Gorde Montarnal
mit Florence Tardieu lebte. Zehn Kinder hatte sie ihm
in dieser Aeit geboren, dreimal war sie mit Awillingen
niedergekommen und keins war gestorben. Sie lebten
glücklich und bezeigten wenig Lust, ihre paradiesische
Jnsel zu verlassen. Da sie aber von den wunderbaren
Umwälzungen, die Frankreich inzwischen durchgemacht
hatte, und von dem Kaiser hörten, vor dem die Welt
zitterte, entschlossen sic sich doch, nach Europa zurück-
zukehren.
Und als die Marquise Florence de la Gorde Montar-
nal jung und blühend unter den Hofdamen der Kaiserin
Josephine saß, sah es ihr keiner an, daß sie zehn höchst
lebendige Kinder zu Hause hatte, und niemand außer
ihrem Gatten wußte, daß sie vor zwölf Jahren aus dem
blauen Kolibri in Brest entsprungen war, und zwar in
der Kleidung eines Schiffsjungen.
Erst 1816 wies der englische Kapitän Dillon nach,
daß die beiden Schiffe der Erpedition Laperouse bei
der Jnsel Vanikoro, der zweitgrößten des Santa Cruz-
Archipels, gescheitert sei und daß die Geretteten aller
Wahrscheinlichkeit nach von den räuberischen Ein-
wohnern erschlagen worden seien. Diesen Befund
bestätigte zwei Jahre später Dumont d'Urville.
us Theodor Storms
kritischen Schriften.
Ausgewählt von Ernst Lissauer.
Vorbemerkung. Die folgenden Sätze sind, mit
freundlicher Erlaubnis des Herausgebers Fritz Böhme
und des Verlegers George Westermann in Braunschweig,
entnommen dem Nachtragsbande zu Theodor Storms
sämtlichen Werken, der vor kurzem erschienen ist und
als neunter die acht vorhandenen Bände des Storm-
schen Werkes aufs beste ergänzt. Der genaue Titel
heißt „Spukgeschichten und andere Nachträge zu seinen
Werken", doch der Wert dieses Buches beruht durchaus
nicht auf den recht hübschen, ganz gruselig erzählten,
aber nicht bedeutenden Spukgeschichten, die 1862 ent-
standen, aber seither verschollen sind, sondern auf kriti-
schen Arbeiten, den Vorreden zu den Anthologien und
den Rezensionen, die zum erstenmal hier gesammelt
werden. Der Herausgeber, Fritz Böhme, hat eine
reiche Fülle von Anmerkungen beigefügt, und unter
anderem auch die Entwürfe Storms zu seinen Vorreden
abgedruckt, die vielfach weit bedeutender und inter-
essanter sind, als der schließlich gedruckte Tert. Ver-
schiedene der weiter unten ausgehobenen Sätze stammen
aus diesen Entwürfen, die Äußerung über lyrische
Form einem Briefe an Erich Schmidt, der gleichfalls
in den Anmerkungen zitiert ist. Die in Klammern ge-
setzten Titel sind nicht von Storm. Fritz Böhme hat
auch den Jnhalt der Stormschen Anthologien, die heute
nicht mehr im Handel sind, der „Deutschen Liebeslieder
seit Johann Christian Günther", von 1859, und des
„Hausbuchs aus deutschen Dichtern seit Claudius", von
1870, abgedruckt. Jndem er ferner verschiedene Storm
betreffende Rezensionen, von Kuh, Gottschall, Fontane,
Hebbel, zum Abdruck brachte, ergänzte er das Material
für die bedeutende Erscheinung: Theodor Storm als
Kritiker, vortrefflich. Seine überaus reichen, nach vielen
Seiten ausgreifenden Anmerkungen sind mit wirk-
lichem Dank zu begrüßen: über die Bedeutung für Storm
hinaus birgt der Band in ihnen vielfältige Materialien
zu einer Geschichte der deutschen Kritik. Jndem die be-
sprochenen Gedichte von neuem abgedruckt werden,