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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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leine Prosa von Robert Walser.

Der Blick.

Eines Tages, im Sommsr, es war in der Mittagsstunde,
und ich ging langsam nach Hause, um zum Essen zu gehen, begeg:
nete mir in der Gartenstraße des Mllenquartieres, durch welchss
ich msine Schritte lenkte, in all der Hitze und in all der Stille,
die jauf der menschenleeren, hellen, ja, man muß sagen grellen
Straße herrschts, eine so sonderbare Frau als je eine vor kürzerer
oder längerer Aeit mir konnte begegnet sein. Müde und matt,
so, als sehne sie sich im tiefsten Innern nach einsr Befriedigung
und Sättigung, schritt sie auf der andern Seite der Straße daher
und indem sie mir näher kam, entdcckte ich an der edlen Haltung,
die sie nachlässig und fast vsrächtlich zur Schau trug, eingeborener
Gewohnheit gehorchend, und an den kostbarsn Kleidern, daß sie
von vornehmem Stande sein müsse. Sozusagen träge und eine
halbe Interessiertheit ins Auge lsgend, schaute ich die fremde
Dame kühl und ruhig an; sie jedoch strafte mich, den sis sbsnfalls
anschaute, mit einem langen und tiefen Blick voll Stolz und Klage.
Es wollte mir später vorkommsn, als sei der Blick der schönen,
stolzen, unglücklichen Frau, bevor er mich getroffen habe, in den
Himmel gedrungsn chnd von hoch oben herab auf mich gefallen,
und noch heute sehe ich ihn, dunkelbraun und voll Glut, auf mich
gerichtet, den Blick der Frau.

Der Heidenstein.

' Vn dem Wald, der, wsil er so schän ist, mich immsr wiedsr zu
sich zieht, steht unter den hohen, schlanksn, ernsten Tannen ein
Stein, den die Leute den Hsidenstein nennen, ein schwärzlicher,
moosübsrzogener Granitblock, auf welchen oft die Schulknaben
klettern, ein wundersamer Zeuge aus uralten, wundersamen Ieitsn,
bei dessen sonderbarem Anblick man unwillkürlich stillsteht, um über
das Leben nachzudenken. Still und hart und groß steht er inmitten
des lieben grünen heimeligen Waldes da, gewaschsn von unzähl:
baren Regsngüssen, versteckt im Bereiche der schweigenden treu:
herzigen Tannen, Bild der Vergangenheit, Ausdruck der schier
ewigen Beständigkeit und als ein Beweis vom unausdenklichen
Alter der Crde. Oft schon bin ich vor dem schönen Stein stillge-
standen, den zwei alte wunderliche Tannsnbäume zieren, dis auf
dem ehrwürdigen Gsstein Platz zum kräftigen Wachstum gefunden
haben. Auch heute habe ich ihn wieder gesehen, und indem ich
ihn so sah, sprangen mir folgende leise für mich hingemurmelte
Worte übsr dis Lippen: „Wie schwach und wsich und leichtverletz-
lich ist doch das Menschenleben, vsrglichen mit deinem Leben, du
alter, unzerstörbarsr Stein, der du lebst vom Beginn der Welt
an bis heute, der du leben und stehen wirst bis an das fragwürdige
Cnde alles Lebens. Dich scheint das Alter eher zu festigen und zu
kräftigen, als anzugreifen und zu schwächsn. Rings in der Gegend
stsrben die empfindlichsn Menschen. Gsschlechter folgen auf Ge-
schlechter, die, Träumen ^ähnlich, und dem bloßen, zarten Hauch
verwandt, auftauchen und verschwinden. Dir ist keine Schwäche
bekannt. Ungeduld ist dir fremd. Gedanken rühren dich nicht an
und das Gefühl tritt nichtsbis zu dir. Und doch lebst du, bist lebendig,
führst dein steinern Dasein. Sage mir, lebst du?" — Doller sonder:
barer Fragen, voller Ahnungen entfernte ich mich von dem merk:
würdigen alten, trotzigen, steinharten Gesellen, und ich hatte das
Gefühl, als sei er ein Zauberer, als sei der Wald durch ihn ver:
zaubert.

Der Waldberg.

Jch bin um den einen von den beiden länglichen Waldbergen,
die unserer Stadt nahe liegen, herumgegangen, wobei ich drei bis
vier freundliche, kluge, stille und sehr, sehr liebe Dorfschaften zu
streifen, zu berühren und 'zu passieren hatte. Wie ich mich entsinne,
war das Wetter ein winterlichss:freundliches. Jndessen ließ die
Landstraße da und dort an Sauberkeit und schöner, feiner Glätte
zu wünschen übrig, was als großes Unglück nun auch nicht gerade
bezeichnet werden kann. Gibt es ja doch Schuhputzer, die einem
später das stark in Anspruch genommene Schuhwerk wieder reinigen
und in Ordnung setzen können. Die Welt gewährts einen grünen,
hauchartigen Anblick. Die Farben waren sehr zart, und was die
Formen und Erscheinungen betrifft, so begegneten mir auf der
Straße einige Fuhrleute mit Fuhrwerken, sowie eine alte behäbige,
korbdahertragende Bauersfrau und ein städtischer mürrischer
Händler. Iur linken Seite hatte ich fortlaufend und mit mir, dem
Fußgänger, gleichsam weiter marschierend, den Waldberg, während

zur Rechten sich eine zarte, schöne Ebens erstreckte, nut Feldern
und Ackern und Moorlandschaft. Ein kleines Landstädtchen mit
Kirchturm in der Ferne und ein Stück Fluß, und in einiger Nähe
drei Frauen, die im Feldweg arbeiteten. Sie lachten und redeten
miteinander, als sie den einzelnen Wanderer so wacker und fleißig
dahermarschieren sahen. Zch muß und will gerne gestehen, daß
ich, wenn ich schon einmal marschiere, es mit einem gewissen sicht:
lichen Eifer und Ernst tus, daß mir jedermann anmerkt, wie ich
dabei genieße, eine Offenherzigkeit, für die ich mich nicht schelten
möchte. Jch kam nun in ein Dorf und trat ohne viel Besinnen
ins heimeligs, einladende Dorfwirtshaus, wo ich mir ein Glas
Bier geben ließ. Nicht lange und so traten zwei der schönsten
Bauerntypen herein, der eine langnasig und mittelalt, der andere
so alt und dabei so fröhlich wie nur ein alter, steinalter Landmann
sein kann, der auf ein Leben voller Arbeit und Mühsal gütig und
heiter zurückblickt und fast — herabblickt. Der Langnasige hatte
eine Tabakspfeife im Mund so vortrefflich eingeklemmt, daß es aus:
sah, als sei dis Pfeife ein Teil des Gesichtes. Sein Gesicht war das
schönste Tabakspfeifengesicht, das ich je sah, und es war unmöglich,
sich das Gesicht ohne Pfeife vorzustellen. Die beiden wackeren
kernigen Erscheinungen setzten sich, nicht ohne vorher ein wenig
sich zu besinnen, zu mir an den Wirtstisch und verlangten vom
MLdchsn ein Bäzzi: oder sogenanntes Drusenwasser. Ich erkun:
digte mich sogleich nach der Beschaffenheit ihres Schnapses oder
Branntwsines, und beide Leute beeilten sich, mit mir zu konver:
sieren, was eine gar freundliche und erquickliche Unterhaltung ab:
gab. O es ist so ernst, so schön, mit Msnschen zu reden, die es hart
haben im Leben. Der alte Bausr war niemand anders als der
Dorfälteste. Wie rührend erschien er mir. Ihm zu Chren trank
ich zwei Gläser über den eigentlichen Durst hinaus und verweilte
länger im Gasthaus als ich zuerst wollte. Dann ging ich. Ich zog
den Hut vor den beiden, und sie beide lüpften oder besser lüfteten
die Kappen, und so zog ich hinaus, gleich einem kecken, gutgelaunten
Wanderburschen, auf die Straße, auf welcher es bereits Abend
war, und nun ging es leise, still und schön in die Welt und nachher
in die Nacht hinein. Diele liebe, rötlich-blasse Dorfkindergesichter
sah ich noch, und immer war der gute herzlichs waldige Berg so
warm und so heimatanmutig mir zur Seite. Cndlich kam ich auf
einer feinen runden Straßenwindung um ihn herum. So hatts
ich ihn dsnn umgangen und umlaufen und voller Stolz langte ich
rechtzeitig zu Hause an.

eue Lyrik.

In einer nicht ausschließlich literarischen oder kritischcn
Zwecksn bestimmten Zeitschrift genügt es, manche lyrische Bücher
mit einsm Satze zu charakterisieren, die an einer anderen Stelle
einer besonderen Anzeige bedürften. Ich verkürze den Raum hierfür,
um mir auch für andere Stoffe Plah zu schaffen, wie sie in den
lehten Hsften mehrfach behandelt wurdsn. Wenn also Dichter hier
kürzer behandelt werden, als früher andere, so ist dies kein Ieichen
gsringersr Schähung, sondern nur veränderter Methode.

1.

Bei vielsn modernen Lyrikern kann eine genauere Betrachtung
die Landschaft erkennen, der sis entstammen. Die Vitalität Dauthen:
deys blüht am reichsten, wo fränkische Helligkeit aus seinen Dersen
lsuchtet, und vielleicht erkennt man in Dehmsls Dersen Sprödigkeit
und Kargheit märkischer Natur; aber: dies ist kein tragendes Ele-
ment, sondern eine Beimischung. Hingegen schlägt aus den Strophen
mancher Dichter ein spezifischer Duft und Glanz heraus, so stark,
daß man eher spürt als weiß, woher der Dichter stammt. Land-
schaftlich bestimmte Lyrik solcher Art kommt heute vornehmlich
aus Wien, überhaupt Osterreich, aus Schwaben und der Schweiz.
Landschaftlich bestimmt: nicht immer in dem Sinne, daß nun
auch die Landschaft selbst abgebildet sei; vielmehr ist oft die Natur
selbst nicht spezifisch geschildert, aber die seelische Haltunq ist land-
schaftlich bestimmt.

So ist in den Gsdichten Felix Brauns, die unter dem Titel
„Das neue Leben" bei Crich Reiß in Berlin erschienen sind, die
Wiener Landschaft nicht abgespiegelt, aber seine Verse sind Wiener
Blut: sanft, gedämpft, durchaus maßvoll. Sie sprengen niemals
oder erdehnen kraft innerer Spannung die Formen, sondern
fügen sich.klingend zu „Klinggedichten", „Sonetten". Aber diese
Jnnigkeit quillt aus einem leidenschaftlichen Herzen. In vielen
seiner Ieilen und Strophen ist Seele gleichsam pure Materie
geworden, daß sie mit seelischer Hand getastet werden kann:

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