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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Fontana, Oskar Maurus: Das Landhaus
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Zenz, Franz Reinhold: Kintopp: eine Filmphantasie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0198

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Das Landhaus.

flogen junge Damen auf und nieder. Jndes verfiel
das Haus. Aus trüben Fenstern sah es auf die Straße,
die Treppen waren abgetreten, die Brustwehr des
Turmes bröckelte ab, der Taubenschlag zerfiel, morsch.
Die Schwester sah es, aber sie hatte nichts, um irgend
etwas bessern zu lassen, die Handwerker borgten
nicht, sie haßten die Generalstochter, die mit keinem
sprach. Ein regenreicher Sommer ließ das Haus leer
stehen. Sie wartete Tag um Tag, Woche um Woche,
Monat um Monat. Regen fiel, niemand kam, immer
kleiner wurde das Geld, das sie für den Tag aus dem
Kasten holte. Der Kasten war leer. Der schwarze Mann
mit den Koteletts drohte. Ein Brief vom Gericht kam.
Vom General hing noch ein großer Reiterrevolver an der
Wand. Sie nahm ihn, spielte einen Chopinschen Walzer
und drückte los.

Der Mann mit den Koteletts ließ das Haus ver-
steigern. Niemand mochte recht den alten verfallenen
Bau, der wie ein Greis störrisch, mißtrauisch, verdrossen
mit zusammengezogenen Schultern vor sich hinsah. Jn
der Nacht stiegen Vaganten durch die Veranda ein,
schliefen. Zum Wegtragen fanden sie nichts.

Schließlich erstand ein Fuhrmann das Haus. Es
wurde häßlich. Magere Pferde, deren Rippen durch-
dringen wollten, zogen zweiraderige hohe Wagen. Die
wurden hinten aufgestellt. Kutscher trappten über die
Stiegen. Die Gartenerde trug breite Striemen von den
Radern. Die Kanten des Hauses zerbröckelten, abge-
schürft von anfahrenden Wagen. Niemand kümmerte
sich darum. Der Schmutz machte sich breit. Hühner
wühlten im Kot der Pferde. Die gelbe Farbe war grau
geworden. Vor einem Fenster hob sich eine Sonnen-
blume, sehnsüchtig. Die kleine Tochter des Fuhrwerkers
hatte sie gepflanzt. Oft stand sie auf dem Turm und sah
einsam hinaus. Niemand mochte mit der Tochter aus
dem lumpigen Fuhrmannshause spielen. Der Fuhr-
mann fluchte. Es ging ihm schlecht. Er hieb auf die
Pferde, daß sie hochsprangen, nur mit den Hinterbeinen
sich festhielten. So rachte er sich. Er ließ das Haus ver-
sichern, er kaufte eine neue Kalesche für erborgtes Geld.
Es nützte nichts. Bergab fuhr der Wagen des Fuhr-
manns. Er stierte vor sich, dumpf glosend. Die Kleine
streichelte ihm über die Borsten. Er fuhr mit einem
Fluche auf. Sie floh erschreckt. Er lockte sie hervor,
schenkte ihr Barenzucker, schaukelte sie auf den Knieen
und verfiel wieder ins Stiere, vergaß das Kind.

Jn der Nacht einmal fing das Haus zu brennen an.
Es prasselte und zuckte. Flammen liefen wie Katzen,
streckten die spitzen, leckenden, gewundenen Aungen.
Der Fuhrwerker trug, was er tragen konnte. Das
Kind stand, ein Hemd um, und fror im Tau. Die
Pferde wieherten, bäumten sich, mußten gehalten
werden. Nun sprang der Wind wie ein großer schwarzer
Hund unter die roten, weißen und gelben Flammen-
katzen. Heulend, mit gekrümmten Buckeln stoben sie
auseinander. Eine Lohe schoß auf und fraß. Wasser
kam aus Kübeln und Spritzen. Gegen Morgen zog nur
noch nasser, stickiger Rauch aus schwarzen Trümmern.
Der Fuhrwerker wollte die Versicherung beheben.
Aber man fand eine Lunte und Holzwolle, petroleum-
getränkt. Er wurde ins Gefängnis geführt.

Jm Oden lag die Brandstätte. Die Grundmauern
standen noch, geschwärzt. Holz wirrte sich mit Eisen.
Verbrannte Tücher hingen in Fetzen. Ein Faß, zer-
sprungen, streckte wie ein totes Tier seine Bohlen und
Reifen. Der Wind trug vom Mauerwerk harten roten
Staub fort. Die Sonnenblume reckte ein paar Blätter
von sich, ohne Kopf, den hatten die Feuerkatzen abge-
bissen. Gras kletterte über das Landhaus von ehedem.

Eine Filmphantasie.

Von Franz Reinhold Aenz.

Aerwühlte Kissen brüten Fiebergluten
ins schlaflos weiter rasende Gehirn.

Mit kleingehackten Ewigkeitsminuten
bewirft die Uhr beharrlich meine Stirn.

Vom nahen Turm entfaltet eine Glocke
wie reife Blüten ihren Stundenschlag.

Die Finsternis, gewalzt zu einem Blocke,
hält mich umrnauert, wie ein Sarkophag.

Ein Iug quert prustend über eine Brücke.

Mit schrillem Schrei zerspaltet er die Nacht.

Ein Hofhund winselt in gepreßter Tücke,
und eine rohe Männerstimme lacht.

Nun geht es schon stundenlang so fort, schlaflos,
brütend. Ein Gedanke hakt sich in den andern, wird
mitgeschleift, vorbeigerissen. Die Pulse hämmern in
den Schläfen. Meine Nerven drohen zu zerreißen.
Und mein Körper zerfällt in sich vor krampfhafter Müdig-
keit. Das halte ich nicht mehr aus. Jch springe aus dem
Bette, werfe das Fenster auf. Kälte fällt dampfend ins
Iimmer, rieselt über meine Nacktheit. Jch lege mich
weit ausgestreckt über die Kissen, atme tief, sauge die
Luft. Bis die Kälte sich über mich gelagert hat und
alle meine Fibern eisig schwingen.

Durchs Fenster quert ein Mondstrahl, schießt durch
die Dunkelheit, wirft sich breit gegen die Wand. Flimmert
und flittert, wie der Lichtkegel auf der Leinwand eines
Kinematographen.

Achtung! Hallo! Jrgendwer ist in mein Hirn ge-
sprungen, kurbelt an meiner Phantasie! Buchstaben
zittern aus der Wand, groß, gespensterhaft: Rache:
Drama. Wer hat mir das eingeblasen? Wer will aus
mir eine alte Erinnerung hervorzerren, einen vergessenen
Ieitungsschnitzel wieder lebendig machen?

Die Buchstaben sind verschwunden. Ein Dorf:
Kreidige grelle Landschaft. Und eine Jtalienerin, braun
und tangoschlank. Wie sie geht! Das raffinierte Wiegen
ihrer Hüften könnte einen Mormonen zur Monogamie
verleiten. Sie kommt ganz nahe. Jhre Gestalt wächst
sich im Lichtrahmen aus. Jetzt entblößt sie ihre Iähne.
Lacht. Dieses Lachen! Jch sehne mich, die Orange in
ihrer Hand zu sein, möchte mit schwellendem Frucht-
fleisch einen Biß dieser perlweißen Haifischzähne er-
warten. Dann tritt sie zurück, setzt sich an den Schöpf-
brunnen, spielt mit dem niederhängenden Seile. Ein
geschmeidiger Bursche schleicht heran, knotet hinterwärts

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