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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Isemann, Bernd: Schirmeck einst und jetzt: Jugend-Erinnerung
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Hemmer, Heinrich: Von den armen kleinen Wäldern
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0439

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Schirmeck einst und jeht.

sammen. Das ist der Wald, dessen ich mich aus meinen
Knabenjahren erinnere, und zwar auch aus der nächsten
Mhe Schirmecks, verlassen, majestätisch, ja grausig,
wenn der Nebel einbricht. Das kann ich heute nur mehr
drüben erleben, und wenn der Nebel mich auf den
Hautk8-6IiÄUM88 einspinnt, so bleibt nur die Orien-
tierung nach der alten Nömerstraße, auf der noch
hier und da die Sandsteinpflasterung dem erobernden
Pflanzenansturm standhält. Sie führt in großartig
strategischer Deckung durch das Labyrinth, in dem es
immer wieder vorgekommen ist, daß ich mich und meine
Begleiter in die Jrre führte.

Ach, wenn man sich so recht verirrt hat, so schlägt
einem erst das Herz in rechter Abenteuerlust. Dann
heißt es zuletzt, aufs Geratewohl abwärts ins Tal hinab,
aber fünfhundert Meter tiefer sieht man sich vielleicht
in einen Kessel eingesperrt, und auf der anderen Seite
geht es ebensoviel Meter wieder in die Höhe durch
Dickicht und Gestrüpp. Am Abend kommt man dann
doch an die erste Sägemühle. Wo bin ich? Aiai, es ist
nicht möglich. Und es ist doch so. Nun heißt es vielleicht,
fünf Stunden durch strömenden Regen marschieren,
denn übernachten kann man mit dem besten Willen nicht,
wenn man nicht auf alles verzichten will. Wie gut
kenne ich diese einsame, gewundene Straße durch die
paar Dörfchen! Brot und Schokolade kann man sich
kaufen, einen Schoppen Rotwein kann man sich durchs
Fenster reichen lassen, länger darf man, durchnäßt wie
man ist, nicht ohne Bewegung bleiben. Eine kleine
Fabrik zieht vorbei, das Herrschaftshaus in wilden
Reben und Efeu versteckt, dahinter der große Gemüse-
garten, der verrät, daß man hier keine Eisenbahn, keine
Aufuhr hat. Und plötzlich wird mir klar, daß ich in meiner
Kindheit wandre. Diese kleinen, strohgedeckten Häuser,
die unrationellen niederen Viehställe, die Crsmaillere
über dem offenen Herdfeuer, an welcher der Kessel
hängt, all dies sind ja Bilder meiner Kindheit. Feierlich,
in dem Wohlbehagen eines unwirklichen Heimwehs
gehe ich diesen langen Weg. Da ist Madame Thoma, da
unser alter Nachtwächter, dort stehen sie bei einem
Hua,rroi am Brunnen (was wissen sie von Wasser-
leitung), und jeder, an dem man vorbeikommt, sagt
sein bon eoir. Das Vieh kommt von der Weide mit den-
selben Glocken, die mich als kleinen Knaben einst am
Morgen geweckt haben, die Tabakspfeifen riechen genau
wie die von inAtre Uorree, der uns die Rindenschisfchen
aushobelte, und das Rauschen in den ungeheuren
Forsten rechts und links weiß nichts von dem gewaltigen
Anlauf, den einige Kilometer jenseits ein in Arbeit
und weitem Blick geeintes Volk auf die Vormachtstellung
der Erde zu unternimmt.

Auf der Höhe des Passes angekommen, versäume ich
nicht, ein Wort mit dem Förster zu reden, mit dem ich
oft seinen guten Wein getrunken habe. Er gleicht mehr
einem kermier als dem, was man in Deutschland einen
Forstbeamten nennt. Er trägt die Leinenbluse, und nur
das Kappi deutet an, was er ist. Mißmutig schiebt er
mir eine Nummer der „Straßburger Post" zu, was
denn das sei. Es ist ein Artikel, der diesen Fleck lobt,
und von der Schönheit Prayös und der Gastlichkeit der
Bewohner erzählt. Der Alte schüttelt den Kopf: „Vozwne,
haben sie noch nicht genug drüben?", und achselzuckend

schiebt er das Blatt wieder in die Schublade. Sie werden
es nie verstehen, dieses Deutschland.

So sieht es drüben aus. Das heutige Vchirmeck
hat nichts von diesen katoie-Iuständen mehr. Es ist
mit der Zeit gegangen, und die Wirkungen offenbaren
sich überall. Waren es anfangs nur eingewanderte
Deutsche, die das Rad ins Rollen brachten, so mischte
sich bald der Unternehmungsgeist der beweglichen Ein-
heimischen unter einer gerechten und pflichtbewußten
Regierung wie im ganzen Elsaß, so auch hier ein, und
im Laufe der Aeit fanden sich mehr und mehr Berührungs-
punkte, die den Ausgleich in zuversichtliche Bahn lenkten.
Noch war das einheitliche Ganze nicht verwirklicht,
aber im Jnnern hatten sie doch wohl alle, alle, aus denen
etwas Rechtes geworden war, Frankreich, das heißt
die französische Herrschaft, zu den Erinnerungen gelegt.
Niemand auch hat ihnen die Erinnerung verwehrt,
ebensowenig wie man mir die Erinnerung verargen
wird, die der petit aileillllllck aus der Aeit gerettet hat,
als er einmal sein Deutsch verlernte.

Nun kommt für Frankreich ein bitteres Erwachen auö
dem vierundvierzigjährigen Schlaf, den es nicht nur hier
im Grenztal geträumt hat, sondern überall. Schirmeck
selbst hat die kriegerische Zeit spüren müssen. Einige
Tage lang wurde es von den Franzosen besetzt gehalten,
und als es wieder erobert war, da zeigte es sich, daß auch
in Schirmeck Leute waren, die die Friedensspanne ver-
schlafen haben. Was ich bisher habe erfahren können,
ist, daß Schirmeck in den Grund geschossen werden sollte
und nur um der vielen Verwundeten willen begnadigt
worden ist. Wer die Franktireurs gewesen sind? Es
ist nicht zu vermeiden, daß schlechte Elemente, im Durch-
einander des Augenblicks und bestochen vom scheinbaren
Erfolg des Feindes, verfehlten Hoffnungen und nieder-
trachtigen Neigungen nachgehen. Um so besser, sagt ihr
Neid, wenn alle für mich mit büßen müssen. Iweifellos
hat die gute und loyale Bevölkerung den milden Ent-
schluß mit doppelter Liebe und Aufopferung für die
armen Verwundeten gelohnt.

on den armen kleinen Wäldern.

Dem Andenken Ernst Stadlerö gewidmet.

Wer an die unmittelbare Naturhaftigkeit monu-
mentaler Gebirgswälder gewöhnt ist, mit ihren Wir-
kungen, die so groß sind wie die des Meeres und eines
Gewitterhimmels, mit ihrer gewaltigen vegetativen
Daseinswucht wie der eines vorzeitlichen Epos oder eines
modernen Stahlwerkes mit seinen Tausenden von
Schreien, der muß sein Waldempfinden umschalten,
besser für ein neues Klima gleichsam voraussetzungslos
machen, wenn er nicht enttäuscht sein will von den
kleinen Waldbeständen im Metzer Land. Denn unsere
Wälder geben aber auch keine Spur von den gewohnten
Emotionen des Hochwaldes. Wer aber die ach so spießige
Vorstellung von dem gemächlich Pfeife dampfenden
grünen Jägersmann neben dem zur Strecke gebrachten
Kapitalhirsch vor der Staffage dunkel starrender Tannen-
gründe für die unbestreitbaren Bestandteile seiner
Waldbegriffe und Ansprüche erklärt, lasse den Fuß aus

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