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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Paul Heyse
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Hesse, Hermann: Alte Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0189

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damals zum erstenmal, etwas allzu polternd, allzu
unmanierlich in die urteilslose Menge hineingeschrien
haben. Die Form war nicht urban, die Urteile aber
kaum ungerecht. Denn daß die ungestümen Kritiker
nachher als Bildner vielleicht noch weniger geleistet
haben, hat mit der Berechtigung oder Nichtberechtigung
ihrer Kritik nichts zu tun. Nur die hohe geistige Kultur
des Menschen und Schriftstellers — abgesehen von der
dichterischen Bewältigung des Lebens — hätten sie
spüren müssen. Und für den Wohllaut und rhythmischen
Fluß seiner Prosa hätten sie nicht so dickohrig sein dürfen.

Gewiß steht diese Prosa weit ab von der Sprache
eines Keller, fie ist auch nicht die eines Brentano und
anderer Romantiker, des Hoffmann z. B., wo er sich
über die Trivialität erhebt. Heyses Sprache ist voll
angenehmer Bilder, aber mehr als angenehm sind sie
auch nicht, sie glänzen oft, aber ein inneres Leuchten
geht nicht von ihnen aus, kein Schauer der Mystik
umweht sie je, und niemals zuckt es in ihnen von zün-
denden Blitzen aus den Gewitterschauern einer abgrün-
digen Seele. Und ganz gewiß ist seine Prosa nicht die
Sprache eines, der die Welt im Busen trägt; sie ist oft
schwächlich im Ausdruck, hat allzu weiche weibliche
Formen, und ihr rhythmischer Wellenschlag kann etwas
zu unkräftig und gleichförmig genannt werden. Uber-
haupt nicht als Jnstrument künstlerischen Gestaltens ist
sie hochzustellen, dafür aber gebührt ihr das Verdienst,
daß sie für die nachgoethische Aeit das reinste und höchste,
der bloßen Bildung zugängliche und zuträgliche Muster
darstellt.

Und damit ist das Wort ausgesprochen. Heyse ist
in erster Linie der hervorragendste Repräsentant der-
jenigen höheren und höchsten Bildung, die bis in das
zweitletzte Jahrzehnt des abgelaufenen Jahrhunderts in
Deutschland ausschließlich Geltung hatte. Er ist vor
allem ihr aristokratischer Repräsentant. Hierin erfüllte
er eine Mission, die wir nicht unterschätzen wollen. Jn
seinem Werk spricht sich nicht sowohl die Summe
(mit der genannten Pyramidspitze hat das aber nichts
zu tun) als der aristokratische Gipfel dieser Bildung aus
und das ist inimerhin ein Ruhmestitel.

Au den unumgänglichen Eigenschaften eines guten
Schriftstellers rechnet Nietzsche auch die Ubersetzbarkeit
in die Sprache der Nachbarn. Er hat den philosophischen
Schriftsteller im Auge oder den Gelehrten, und so hat
er recht. Aber das Gegenteil gilt vom Dichter, bei ihm
ist Unübersetzbarkeit (Faust) schon fast ein Zeichen der
Genialität. Heyse aber, der viel (und gut) übersetzt hat,
ist auch viel übersetzt worden. Er hat sich damit das
Ausland erobert, sein Name hatte Klang überall in
Europa, und das ist auch eines der eingangs dieser
Aeilen angedeuteten Erfordernisse; denn nichts impo-
niert uns Deutschen mehr als die Anerkennung eines
der Unsrigen im Ausland. Denn das erleben wir nicht
allzu häufig. Und so wollen wir uns freuen und Heyse
dankbar sein, daß er glücklich all die Erfordernisse erfüllt
hat, um Kaisern und Königen und Kanzlern die Gelegen-
heit zu geben, einen deutschen Dichter öffentlich zu
ehren — ein noch viel selteneres Ereignis als die An-
erkennung eines Deutschen in der Fremde, zwei Selten-
heiten, zwischen denen vielleicht gar ein kausaler Au-
sammenhang besteht. Benno Rüttenauer.

lte Musik.

Von Hermann Hesse.

Vor den Fenstern meines einsamen Landhauses fiel
zäh und hoffnungslos der graue Regen, und ich hatte
wenig Lust, noch einmal die Stiefel anzuziehen und den
weiten schmutzigen Weg in die Stadt zu machen. Aber
ich war allein und meine Augen schmerzten von langer
Arbeit, und von allen Wänden meines Studierzimmers
sahen mich die goldenen Bücherreihen mit ihren schweren
Fragen und Pflichten unleidlich an, die Kinder lagen
schon schlafend in ihren Betten und mein kleines Kamin-
feuer war ausgegangen. Jch entschloß mich also zu gehen,
suchte das Konzertbillett hervor, zog die Stiefel an,
legte den Hund an die Kette und machte mich im Regen-
mantel auf den Weg durch Schmutz und Nässe.

Die Luft war frisch und dustete bitter, schwarz kroch
der Feldweg zwischen den hohen krummen Eichen in
launigen Bogen um die Nachbargüter. Aus einem
Portierhäuschen schimmerte Licht. Ein Hund schlug an,
kam ins Aürnen, bellte höher und höher hinauf und
mußte, sich überschlagend, plötzlich aufhören. Aus
einem Landhause hinter schwarzen Gebüschen hervor
tönte Klavierspiel. Nichts Schöneres und Sehnsüchti-
geres, als so am Abend allein im Feld zu gehen und
aus einem einsamen Hause Musik zu hören; eine Ahnung
von allem Guten und Liebenswerten wacht da auf,
von Heimat und Lampenlicht, Abendfeierlichkeit in
stillen Räumen, von Frauenhänden und feiner häus-
licher Kultur.

Da war schon die erste Laterne, stiller bleicher Vor-
posten der Stadt, und wieder eine, und nahe schimmernde
Vorstadtgiebel, und dann plötzlich hinter der Mauerecke
blendend in grellem Bogenlicht die Tramstation, war-
tende Menschen in langen Mänteln, plaudernde Kon-
dukteure mit nassen, triefenden Mützen und matt auf
feuchten Röcken schimmernden Uniformknöpfen. Ein
Wagen knatterte heran, blaue Blitze unter sich, hell und
warm mit breiten Glasscheiben. Jch steige auf, wir
fahren, aus dem erleuchteten Glasgehäuse sehe ich
nächtige Straßen breit und öde, an der Ecke da und dort
eine Frau, die unterm Regenschirm auf unsern Wagen
wartet, und jetzt hellere und lebendigere Straßen, und
plötzlich strahlend jenseits der hohen Brücke die ganze
Stadt im Abendglanz der Fenster und Laternen, und
unter der Brücke tief und fern das Flußtal mit dem
dunkel heraufspiegelnden Wasser und den weißschau-
migen Wehren.

Jch steige aus und gehe durch die Arkaden einer
schmalen Gasse dem Münster entgegen. Auf dem kleinen
Münsterplatz funkelt ein Laternenlicht schwach und kühl
im nassen Steinpflaster, auf der Terrasse wehen die
Kastanienbäume, über dem rötlich erleuchteten Portal
verschwindet schmal in unendlicher Höhe der gotische
Turm in die nasse Nacht. Jch warte ein wenig im Regen,
werfe endlich die Zigarre weg, trete in den hohen Spitz-
bogen. Menschen in feuchten Kleidern stehen gedrängt,
hinter seiner hellen Scheibe sitzt der Kassierer, ein Mann
fordert meine Karte, ich trete in den Dom, den Hut
in der Hand, und alsbald weht aus schwach erhellten
Riesengewölben mir erwartungsvolle heilige Luft ent-
 
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