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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Lissauer, Ernst: Aus Theodor Storms kritischen Schriften
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Bab, Julius: Erziehung zur Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0160

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AuS Theodor Storms kritischen Schriften.

zelnes gelungen ist; aber wir haben wenige, die von
schülerhaftem Pathos und Bilderkram frei sind; wenige,
in denen man nirgend auf taube Worte oder auf schlaffe,
puls- und blutlose Verse trifft. Die Kunst, „zu sagen,
was ich leide", ist nur wenigen gegeben, und selbst den
Meistern nur in seltenen Augenblicken. Ganz fleckenloser
und vollendeter Gedichte, wie Goethes „Freudvoll und
leidvoll" oder Mörikes „Früh, wenn die Hähne krahn",
vermag auch diese Sammlung nur eine sehr geringe An-
zahl zu bringen.

(Über Lyrik.) Wie ich in der Musik hören und
empfinden, in den bildenden Künsten schauen und
empfinden will, so will ich in der Poesie womöglich alles
drei zugleich.

Von einem Kunstwerk will ich, wie vom Leben, un-
mittelbar und nicht erst durch die Vermittlung des Den-
kens berührt werden; am vollendetsten erscheint mir daher
das Gedicht, dessen Wirkung zunächst eine sinnliche ist,
aus der sich dann die geistige von selbst ergibt, wie aus
der Blüte die Frucht. — Der bedeutendste Gedanken-
gehalt aber, und sei er in den wohlgebautesten Versen
eingeschlossen, hat in der Poesie keine Berechtigung und
wird als toter Schatz am Wege liegen bleiben, wenn er
nicht zuvor durch das Gemüt und die Phantasie des
Dichters seinen Weg genommen und dort Wärme und
Farbe und womöglich körperliche Gestalt gewonnen hat.
— An solchen toten Schätzen sind wir überreich.

Die Lyrik insbesondere anlangend, so ist nach meiner
Kenntnis unserer Literatur die Kunst, „zu sagen, was ich
leide",nur wenigen, und selbst den Meistern nur in selte-
nen Augenblicken gegeben. Der Grund ist leicht erkennbar.

Nicht allein, daß die Forderung, den Gehalt in knappe
und zutreffende Worte auszuprägen, hier besonders scharf
hervortritt, da bei dem geringen Umfange schon ein
falscher oder pulsloser Ausdruck die Wirkung des Ganzen
zerstören kann; diese Worte müssen auch durch die rhyth-
mische Bewegung und die Klangfarbe des Verses gleich-
sam in Musik gesetzt und solcherweise wieder in die Emp-
findung aufgelöst sein, aus der sie entsprungen sind; in
seiner Wirkung soll das lyrische Gedicht dem Leser —
man gestatte den Ausdruck — zugleich eine Offenbarung
und Erlösung, oder mindestens eine Genugtuung ge-
währen, die er sich selbst nicht hätte geben können, sei
es nun, daß es unfere Anschauung und Empfindung in
ungeahnter Weise erweitert und in die Tiefe führt, oder,
was halb bewußt in Duft und Dammer in uns lag, in
überraschender Klarheit erscheinen läßt.

(Uhland.) Durchweg die klarsten lyrischen Gebilde
erhalten wir durch Uhland, in ihm ist die Sicherheit
des künstlerischen Bewußtseins und der gewissenhaften
Arbeit, verbunden mit einem durchaus naiven Wollen,
am meisten vereinigt, wenn auch von anderen tiefere
Töne (Eichendorff, Mörike) oder bewegtere Melodien
(Heine) angeschlagen sind.

(Claudius.) Es ist in seinen Gedichten eine zu-
trauliche Geradezuheit, die einem fast jedes lieb macht;
es ist, als wären wir liebe Gäste bei ihm in Wandsbeck.
Awar ist dies nicht unbewußt (wie das Lied „Der Sonn-
tag" zeigt); aber es entspricht so ganz seiner Natur,
daß wir nur selten dadurch gestoßen werden.

(Lyrische Form.) Für schöne lyrische Form ist das
Koincidieren von Jnhalt und Wortklang absolut not-

wendig; der geistige Jnhalt, und nur dieser, muß in den
Worten klingen, vor dem bloßen schönen Wortklang habe
ich nicht den mindesten Respekt.

Das Schiff war nicht mehr sichtbar,

Cs dunkelte gar zu sehr. Heine.

Man brauchte die Worte gar nicht zu verstehen, und
man wüßte doch aus ihrem Klange, daß es Abend
wurde. Das allein ist lyrische Form. — Jn der Form-
gebung besteht die Kunst; aber die Form muß sehr tief
gefaßt werden."

rziehung zur Schauspielkunst.

Vor mir liegt ein kleines graues Buch, „Mimik"
von Alfred Auerbach. Es enthält „Übungs-
material für Schauspiel- und Opernschüler", ist sicher
in seiner Art geschickt und gescheit gemacht und hat auch
schon die zweite Auflage erreicht. Und vor diesem
kleinen, unscheinbar freundlich ausschauenden Buch packt
mich ein Grimm, daß ich den großen Fluch aussprechen
möchte, den wildesten, den der große Meister der Polemik
für Geisteskämpfe gepragt hat: „lsHrLsori — Sorss62
l'inkLmo!" Wer für solchen Voltaireschen Zorn das
Qbjekt nicht für zu gering halt, wer die Theaterkunst
einer Ieit und eines Volkes als eine wesentliche Lebens-
sache zu fühlen vermag, die überhaupt der Erregung
lohnt, der kann meinen Anlaß gewiß nicht für zu klein
erachten. Denn hier geht es wahrhaft um Sein oder
Nichtsein des Theaters als Kunst, hier geht es um den
uralten Fluch der Bühne, den Fluch, der jede Kunst
aus dem Theater treiben muß, wenn sie ihn nicht vorher
vertreibt. Hier ist eine Lebensfrage der Schauspielkunst
gestellt und deshalb will ich rufen: „1^orLse2 — öerase?
1'inka.we!"

Was mich so in Harnisch bringt, ist selbstverständlich
nicht die fleißige und gewandte Arbeit des Herrn Auer-
bach. Aber es ist der Geist, aus dem sie entspringt, der
Geist, den sie reprasentiert, der Geist, der den Bühnen-
künstler immer zum Gaukler, den Darsteller immer zum
Versteller, zum Nachahmer herabzieht, dieser infame
Geist ist es, den man zerschmettern sollte. — Da wird
nun Alfred Auerbach mit Entrüstung sagen, wie unrecht
man ihm täte. Auf jeder zweiten Seite beschwört er
den heiligen Geist der Menschendarstellungskunst, eifert
wider äußerliche, mechanische Mimik und schilt die
alte Methode, die einen allein zutreffendenAusdruck
wohlklassifizierter Leidenschaften lehren wollte. Und
wirklich, im gewissen Sinne ist er ein Fortschrittler —
nur nach einer falschen Richtung! Es ist gefährlich, sich
in der Nähe eines Löwenrachens aufzuhalten, und das
hat Auerbach erkannt. Aber nun geradewegs in den
geösfneten Rachen hineinzurennen — ist das die Rettung?

Worin bestand denn die Gefahr dieser alten Lehr-
bücher der Mimik? Jch habe sie selbst noch schaudernd
in der Hand gehabt und gesehen, wie dort in einem
Dutzend Photographien ein alter Komödiant mit kaut-
schukartigenGesichtümuskeln durchimmer aufgcrisseneren
Mund, immer gesperrtere Augen „Entsetzen" machte.
Wenn er dagegen die Lider sukzessive zukniff und die
Lippen in die Breite zog, so war es „Entzücken". Auer-
bach hat nun, wie jeder vernünftige Mensch, erkannt.
 
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