Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
Imes, Gertrud: Irrlichter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0367

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
O^rrlichter.

Von Gertrud Jmes.

Es war einmal ein Mensch, der war sensibel, aber
nicht tief. So konnte er nichts in sich versenken und das
nannte er Entwicklung.

Es war einmal ein Mensch, der sehnte sich nach Seelen,
aber er verlor sie alle wieder, wenn er sich gerade ihrer
freuen wollte. Als er verstimmt in die Einsamkeit ging,
merkte er, daß er auch seine'Seele verloren hatte.

Es war mal ein junger Mensch, für den alle begeistert
waren, und das nahm er als Beweis für seine Größe. Als
er trotzdem groß wurde, stand er allein.

Es gibt kaum eine härtere Dissonanz, als wenn alte,
bitterharte Leute sich bemühen, nett zu sein.

Es war mal einer, der konnte nur im Sturm atmen;
die dicke Luft des kleinen Tages erschlaffte ihn. Aber er
zwang sich zur Gewohnheit. Als er starb, sah er, daß
er die schlechte Luft bloß verschlechtert hatte.

schielten beiseite. Als er älter war, da war es ihm zur
Gewohnheit geworden, immer mit dem Kopf zu nicken,
als sei er zu schwer für den Hals, und da fürchteten sie
sich vor ihm.

-i-

Es war einmal ein Mensch, der war ruhig. Da steckte
man ihn in ein Wanzennest und wunderte sich, daß er
unruhig wurde.

Einer schwärmte für die Sonne; als er den Mut
fand, ihr ins Auge zu sehen, fand er, daß sie Flecken
hatte; da liebte er sie.

Einer, der hatte eine Glocke in sich. Aber er merkte
nie, wenn Sonntag war. Bloß der Sturm machte sie
erklingen. Da kamen die lieben Verwandten gerannt
und schmolzen Kochtöpse daraus.

Einer, der war anders als die Gerechten, folglich war
er ungerecht.

Einer ließ sich nicht mit der Masse verarbeiten
so wurde er von ihr bearbeitet.

Mit 40 Jahren lächelte er über seine ehrliche Jugend,
mit 70 weinte er über sein unnützes Leben.

Es war mal einer, der wollte alles auf das aller-
lobenswerteste machen und wurde zur Wetterfahne.
Als der große Sturm kam, brach er und konnte den klei-
nen nicht mal die Richtung zeigen.

Es war mal eine arme Fliege in einem Tintenfaß
ertrunken, und da schalt man sie.

Es war mal ein Mensch, der wollte bloß das lernen,
was er von selbst konnte, und da gab er garnichts und
fühlte sich als Übermensch.

Einer war zu froh, um gut und gütig zusein; da mußte
man halt mit ihm froh sein. Der Gerechte war darob
unzufrieden und sorgte, daß er nicht mehr froh sein
konnte, und das nannte er die Schule des Leids. Aber
daraus ging eine Nähmaschine hervor.

Kinder erzählten ihrer Mutter, wie sie ein totes
Vögelchen begraben hätten und einer habe dazu den
Trauermarsch gepfiffen. Gut, daß ich es nicht zu hören
brauchte! Sagte sie.

Eine Wetterfahne liebte einen Maulwurf. — Sie
konnten zueinander nicht kommen, bis sie abgerostet war.

-i- -i-

-i-

Manche steigern ihr Leben nicht, sie sterben es.

Einer meinte, er habe ein tiefes Meer in sich, aber
er maß die hohen Wellen mit.

Einer wunderte sich immer, aber er hatte auch ein
schlechtes Gedächtnis.

Es war einmal ein Mensch, bei dem fand man alles
lächerlich, und da fand er es zuletzt auch — aber er
bildete sich viel darauf ein.

Ein Mädchen scheute sich, der Reinheit ihrer Seele
zu leben und verschloß sie. Als ihre heilige Aeit kam,
war sie arm. So mußten ihre Kinder verhungern.

Es war mal einer, der hatte ein lustiges Lachen und
nickte allen fröhlich zu, aber sie waren engbrüstig und

Ein Kleiner erkannte die ganze Nichtigkeit seines
Lebens, aber er fand nicht die Kraft, ihm ein Ende

Z45
 
Annotationen