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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Benn, Joachim: Kalewala und die Entwicklung der Poesie
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Becker, Franz Karl: Rebundus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0357

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Rebundus.

Kinderzeichnung mit ihrer frappierenden Charakteri-
sierung ist. Was immer wir an früher Dichtung be-
wundern, die Kühnheit der einzelnen Metapher —
nirgends vielleicht so schön wie in gewissen japanischen
Gedichten — die seelenvolle Geschlossenheit und Symbol-
kraft mittelalterlicher Kunst, die großartig schlveifende
Phantasie eigentlich mythischer Gestaltung, dies alles
vereinigt es in einem mächtigen Handlungskreis.
Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß dieses Epos
in irgendeinem äußeren Sinne als Beispiel zu gelten
habe, das nachgeahmt werden will. Eine Entwicklung,
die zu Sophokles und Shakespeare, Dante und Cervantes,
Goethe und Flaubert geführt hat, kann nicht vergessen
werden und enthält Werte, die in jeder neuen Dichtung
mit vorhanden sein werden; die kommende mythische
Dichtung wird um ihre neuen Helden andere Symbole
zu versammeln haben als das Kalewala, obwohl manche
Elemente dieselben werden. Aber eine Mahnung, ein
Halt, ein inneres Beispiel darf es doch sein. — Es ist
eine andere Menschheit, die in ihrem Gesichtskreis nur
die Kunst seit den achtziger, seit den fünfziger Jahren,
die nur die seit Goethe oder auch die seit dem Mittelalter,
seit der Frühzeit hat; die, die die Frühzeitkunst liebt,
ist nicht die schwächste. Sie bekommt in diesem Kalewala
gewichtige Lektüre. Joachim Benn.

ebundus.

Von Franz Karl Becker.

Friedrich der Rotbart ritt den Königsritt. Eine Land-
schaft gab es, blühend und voll der guten Gaben, in der
ein reichgebautes Kloster lag. Dorthin kam der ernste
Mann.

Tief beugte sich der Abt vor ihm und bot ihm Will-
komm. Die Mönche sangen zu seiner Ehre.

Als sie alle beim Mahle saßen, flüsterte Nainald,
König Rotbarts Erzkaplan, dem schweigsamen Volks-
beherrscher ins Ohr. Da hob König Rotbart sein ehernes
Antlitz, sah mit merksamer Uberraschung auf den Flüsiern-
den zu seiner Seite und bedachte sich. Dann aber fragte
er den Abt:

„Sind das alle Mönche?"

„Herr," sagte der Abt, „es sind alle. Unsere Heim-
statt ist gesund. Die Lüfte sind mild. Wir kranken nicht.
Wir sterben an nichts anderem, denn am Alter."

Er lachte froh.

Wieder flüsterte der Erzkaplan dem König zu. Wieder
lauschte dieser, bedachte sich eine Weile und fragte:

„Habt ihr Reklusen?"

Der Abt erbleichte und zuckte jäh, wie von einer
Schmähung getroffen. Dann, als Stille war, sagte er
leise, „ja, einen, Herr!"

König Rotbart und Rainald, der Erzkaplan, sahen
sich an ohne Regung, dann stand plötzlich der König auf,
rückte am Wehrgehenk und sagte scharf:

„Jch will ihn sehen!"

Der Abt blieb stumm und sah hilflos umher, wie
einer, der Strafe erwartet. Aber der ihm zunächst saß,
der Dekan, ein weltfroher Mann und nicht scheu von
Art, erhob sich höflich und sagte:

„Herr, nehmt erst Speise und Trank. Brecht unsere
Regel nicht. Jhr sollt ihn sehen!"

Er sagte es so ohne alle Wirrung, daß der König
sich beruhigte und niedersetzte. Schweigsam nahmen sie
Speise und Trank, selten erhob sich laute Rede. Sie
sprachen die Gebete und gingen von ihren Plätzen fort.
Doch der Dekan hieß Mönche mit Fackeln kommen.

Sie schritten vor König Rotbart her. Dem folgte
der Abt, der Dekan und die Vornehmsten vom Königs-
gefolge. Sie kamen durch viele lichtlose Gänge und
hielten an neben der Kirche, in einem dumpfen Grab-
gewölbe, wo ein Kreuz in das Gestein gehauen und eine
schmale Luke war, wie in ein Verließ.

Der Dekan trat näher heran, hob sich an das kopf-
große Loch und rief durch das Gitter hinein:

„Bruder Rebundus!"

Eine Stimme wie ein -Röcheln antwortete, doch
zeigte sich nichts.

Wiederum rief der Dekan.

„Bruder Rebundus," rief er, „komm hervor, der
König will dich sehen!"

Aber niemand kam. Pestgeruch schlug aus dem
Gitter her.

Da alle still standen und den Atem anhielten, sagte
plötzlich der König:

„Offnet. Räumt die Wand weg. Laßt ihn hervor!"

Niemand widersprach. Sie regten sich alle, sahen sich
irrig an und standen lauernd. Der Dekan winkte. Mönche
gingen eilig fort und brachten Gerät herbei: „Brecheisen,
Bickel und Karst. Bald flog der Staub, die Wand ward
aufgerissen. Mörtel spritzte herab, Gestein fiel.

Als es ein Loch war so groß als eines Fuchses Bau,
hörten sie Gewimmer lauter darin, und Stöhnen hervor-
schallen und ein Schluchzen und Bellen wie vor Freude.
Aber als es groß und ganz offen war, sahen sie den
Vermauerten sitzen, er war nackt und deckte zitternd
seine Blöße.

„Steh auf, Bruder Rebundus," sagte der Abt, „komm
hervor!"

Er folgte, stand gebückt und kümmerlich vor Alter.
Behaart war er und schmutzig wie ein Tier. Er lallte
und krümmte sich vor Scham.

„Wascht und bekleidet ihn," befahl König Rotbart.
Sie hüllten ihn in einen Mantel, den ein Folgsmann
reichte, und führten ihn fort.

Der König wartete auf ihn in einem kleinen schmuck-
losen Gemach. Bald brachten sie ihn, der Abt und der
Dekan führten ihn selbst. Er taumelte und das Licht
blendete seine Augen.

„Wer bist du?" fragte der König.

„Bruder Rebundus bin ich, ich habe gemordet."

„Wen hast du gemordet? Wen? Sage es."

„Drei meiner Brüder."

„Warum tatest du es?"

„Jch tat es nicht!"

Er schrie es verzweifelt auf und funkelte den Fragen-
den an. Schwer fiel ihm die Rede, wie einem Kranken.
Wie ein Jrrsinniger bewegte er sich.

Der Dekan beugte sich dem König zu und sagte ver-
söhnlich: „Herr, er ist einer aus alter Aeit. Aus uralten
Jahren, da wir noch nicht lebten."
 
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