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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Imes, Gertrud: Irrlichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0368

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Irrlichtcr.

zu setzen, denn er fühlte sich frei. So verwuchs er sich
in schleppende Pslichten. Da kam die Trauer der
großen Liebe zu ihm und bot ihm jauchzende Todeskraft.
Doch nun mußte er erst seine Pflichten ableben.

Nach langer Trennung trafen sich zwei Freunde
wieder. Aber sie fühlten, daß sie sich fortan meiden
würden, denn sie hatten keine Aeit mehr für sich,

-i- -jr

ri-

Es war einmal ein Menschenkind, an dem fiel jedem
zuerst seine Nase auf. Keck und frech schien sie den einen,
den andern todtraurig: so einsam ragte dieser kleine
Kegel aus den glatten Flachen eines allrunden Gesichts
und schaute gen Himmel. Mochten die Augen sich müde
senken, die Mundwinkel hängen, die Nase schaute gen
Himmel.

* -!-

-I-

Ein Verlassener stürmte hinaus zur Natur und rief
es hinaus: Einsamste, nun komm ich zu dir! Da fühlte
er, wie alles um ihn her ein wenig zurückwich.

Einer, der fand sein Bild in einem anderen, also,
daß die höchste Liebe in ihm erwachte, und alle Welten
durchlebten sie in ihrer Harmonie. Aber aus seiner
Einsamkeit wollte sie ihn zur Freude reißen. Also, daß
er an seiner tiefsten Liebe seine Einsamkeit ermaß.

-i- -i-

Mona Lisa ging an ihrem Lächeln zugrunde.

-r-

Ein südländischer Faulpelz kam in ein Land, wo die
Leute immer zu tun hatten. Er vereinsamte bald. Da
ging er auf die Friedhöfe und brachte den Gräbern Blu-
men und sprach mit ihnen, denn sie hatten alle Aeit, die
da ist; und er wurde des Nordens gefeiertster Philosoph.

-i- ->-

Lachensmüde gurgeln die Wellen an stillen Ufern und
begleiten zwei Menschen in klangreiner Nacht. Er zer-
schlägt das Schweigen: Hast du mir nichts zu erzählen?

„Du hörst ja nicht."

An der nächsten Laterne schieden sie ihre Wege.

ch -!-

rs-

Ein Mensch verlor alles Vertrauen, allen Ersolg,
alle Macht. Nur den Glauben an den Fortschritt der
Menschheit behielt er bis zu seinem dürftigen Tod. Und
damit narrte er manche Generation.

->- *

Eine Frau, die viel erlebt hatte, verlor im Alter ihren
Mann, und die Kinder zogen fort. Da setzte sie sich in die
Ofenecke und hatte Sorgen.

* -I-

*

Eine Frau klagte ihr Leben lang über ihren Mann.
Als er endlich starb, war ste traurig, daß sie nichts mehr
zu klagen habe, und das vergab sie ihm nie.

wei Frauen. Von Robert Walser.

Cin zartes schönes Mädchen, das Olga hieß, bewunderte einen
Mann. eine Art sonderbaren Kerh der viel zu eitel und viel zu
stolz auf sich selber war, als daß er sich nicht gern hätte wollen
bewundern lassen. Hätte das Mädchen Witz und Scharfsinn be-
sessen, so wäre ihr die Gelassenheitz mit welcher dcr Gegenstand
ihres Staunens eben dieses zärtliche Staunen duldete, bald auf-
gefallen, und sie würde in ein Meer von männlicher Eigenliebe haben
blicken können. Leider aber besaß sie die Gabe hellen Witzes so
wenig, wie ihr die Eigenschaft fehlte, sich selbst ein Urteil zu bilden,
und so kam es, daß sie zugunsten eines stolzen und kalten Sonder-
lings eine Reihe von ehrlichen und aufrichtigen Anträgen ablehnte.
Sie glaubte sich berechtigt, ja fast verpflichtet, manicrliche Männer
zu verachten, weil der, den sie ehrte, keincrlei Manieren hatte,
was in ihren Augen schön und groß war. Eigentüniliche Der-
blendung! Er war ein grober Bursche, ein Schauspieler, einer
der insofern Theater spielte, als jede landläufige Gebärde ihin
fremd, dagegen aber jedes absonderliche Gehaben und Gebaren
ihm geläufig war. Kurz, er bezauberte ein zartes schüchternes
Wesen durch effektreiche Rauheit und ein junges unerfahrenes
Mädchen durch dickaufgetragenes Männischtun. Wie theatralisch
war der Räuberhauptmannsbart, der sein stets romanhaft bleiches
Gesicht schmückte, und wie stolz trug er einen samtenen Künstler-
kittel. Sein Hut war der Ausdruck der Kühnheit, und im Augen-
rollen und Mienenmachen war er groß, wenn es in diesen leeren,
nichtssagenden Dingen eine Größe geben kann. Das arme Mädchen
sah sich denn auch eines Tages, da endlich Frau Einsicht ihr leise
die Augen öffnete, in allen ihren schönen Gedanken und Gefühlen
betrogen. Sie sah den Trug so dick vor sich, daß sie ihn meinte
mit der Hand anfassen zu können. Das wäre für sie weiter kein
großes Unglück gewesen, wenn sie sich nicht hätte sagen müssen,
daß sie den besten Teil ihrer Iahre ohne Gewinn zugebracht habe.

Sie war, bis sie sich eine Aufklärung errungen hatte, älter geworden.
„Das war der Mühe nicht wert," seufzte sie und ließ das ent-
täuschte Köpfchen hängen.

Laß mich dir, lieber Leser, einen Mann zeigen, der, wenn
ich nicht fehl gehe, seiner Frau zu der Zeit, da sie noch Braut war,
die edelsten und zärtlichsten Briefe schrieb, als wenn er weiß Wunder
für ein Verehrer der Weiblichkeit sei. Hinterher aber, da die holde
Braut und süße Freundin seine Gattin geworden war, hatte er
für die Gute eine ganz andere Art von Behandlung. Cr wies
ihr gleichsam das bescheidene Hausfrauenplätzchen an, das ihr
nach solch landläufigcr, hergebrachter Eheherren-Meinung gebührte.
WLHrend er sich selbst samt all seiner Herrlichkeit und Dortrefflichkeit
auf das höchste innere und äußere Postament stellte, geruhte er
seine Lebensgefährtin hinabzudrücken in die wundcrvolle Lage
der demütigen Dienerin, wodurch er ohne Frage glaubte den
Beweis gegeben zu haben, daß er ein echt deutscher Mann wäre,
ein Irrtum, der allgemein ist wie die Kieselsteine am Boden.
Wo war nun der Duft und der Klang der Verehrung hingekommen?
Wie stand cs jetzt mit der Poesie der Ritterlichkeit gegenüber
zarten, schwachen Frauen? Wie ein Gott las der Herr seine Leib:
zeitung und schlief nach dem üppigen, Gedanken so schön ein-
schläfernden Cssen sein prächtig löbliches Mittagsschläfchen. Seine
reizende Frau war bald nur noch die alberne Alte, sic sank in des
einstigen glühenden Anbeters Wertschätzung von Stufe zu Stufe,
sie sah ihn das Wirtshaus mit seiner vierschrötigen Gesellschaft
der Unterhaltung, die sie ihm darbot, fröhlich und echt deutsch-
mannschaftlich vorziehen, und sie mußte sich sagen, daß es für sie
noch am hesten sei, wenn sie zu all diesen Demütigungen schwiege.
Sanft und schön fügte sie sich in ihr Los. Jst es nicht das Los
gar so mancher Frau, die die beste Partis glaubte zu machen, da
sie eines feinen und gebildeten Mannes Frau wurde?

Verantwvrtlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Diifseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann-Stcinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannovcr).

Alle redaktionellen Sendungcn sind an den Hcrausgeher Wilhclm Schäfer in Dallendar a. Nh. crbetcn.

Fiir unverlangte Manuskriptc und Rezcnsionscremplarc wird kcine Vcrpflichtnng übernommen. Nückporto ist bcizulegen.
 
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