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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Brieger, Lothar: Bildung
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Röttger, Karl: Wunder: eine Legende
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0436

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Bildung.

keit das Organ mangelt, nicht folgen dürfen, so wurden
wir reif für das fröhliche Goethewort: „Lasset uns recht
vielseitig sein!" Bildung heißt eben die größtmögliche
Vielseitigkeit erlangen, welche unsere Persönlichkeit
uns gestattet. Gewiß, hierin liegt eine nicht zu unter-
schätzende Gefahr. Man denkt leicht an die Typen
unserer Aeit, die gerade ein Aufgeben der Persönlichkeit
bedeutet, an die Allesbesserwisser, den über jedes Ding
mit gleicher Gemütsruhe schreibenden Journalisten, den
hirnlosen professionellen Schwätzer. Aber solches sind
Klippen, die für den selbstkritischen Menschen — und nur
dieser kann ein gebildeter Mensch sein — gar nicht in
Frage kommen. Er ist Aeit seines Lebens mehr Iuhörer
als Redender. Wie langweilig sind die ewig Sprechenden!
Wie wiegt ein kurzes, aus unserer Tiefe steigendes Wort
hundert oberflächliche Sätze reichlich auf!

Die Welt ist besät mit Blüten und Blumen über
und über, du selbst bist die glückseligste Biene, für die
sie alle, soweit dein Blick zu reichen vermag, ihren Honig
zubereiten! Sammle, soviel du kannst, berge es in deinem
Heim und mache es dir zu eigen, dann kehre immer und
immer wieder zurück, du darfst dessen nicht müde werden!
Je voller und süßer die Waben deiner Bildung sind,
desto größer wird auch dein Nutzen für alle anderen
Menschen sein! Jede Wissenschaft, jede Kunst strotzt
von Säften, die du am Ende für deinen Organismus
fortbauend verwerten kannst, jeder Mensch, der dir be-
gegnet, jedes Tier, jede Straße und jedes Feld, die du
betrittst, halten Bildungsstoffe für dich in Bereitschaft!
Begnüge dich nicht damit, hier und da ein wenig zu
naschen; wenn der Winter kommt, und du hast dein
Heim nicht bestellt, wovon willst du dann leben? Täg-
lich und stündlich begegnen dir Menschen, die sich ihr
Leben unnötig leicht machten und hierauf vergaßen,
daß dein Mitleid staunt, wie schlecht ihr Geist genährt
ist und wie sie, ohne es einzugestehen, nun darunter
leiden.

Man darf sich nicht verschweigen, wie fruchtbar der
Egoismus ist und wieunfruchtbar da oft der vielgerühmte
brave und gute Mensch. Wer an seine Bildung denkt,
läßt gewiß manche zu offensichtlich gerühmte Sentimen-
talität verkümmern; wer ein Aiel zu erreichen hat,
darf sich unterwegs nicht durch jede Kleinigkeit ablenken
lassen. Nicht die Einzelheit ohne Ausammenhang mit
dem Gesamten entscheidet, sondern das Endresultat.
Und das soll ein voller, vielseitiger und dabei einheit-
licher Mensch sein, der dadurch, daß er eben ganz er
selbst ist, im Ausammenhange mit der Welt, Bereicherung
für alle anderen bedeutet. Nur brav sein, ist wenig
genug; es bedeutet nur allzuoft verschämte Armut.

Je stärker sich unsere Bildung abrundet, desto mehr
entwickelt sich auch unsere Fähigkeit des Selbstdenkens.
Selbstdenken ist das einzig sichere Aeichen dafür, daß
wir mit uns vorwärts kommen. Der Ungebildete ist
gedankenlos (sofern die Denkkraft nicht etwa in ihm noch
ungeweckt ist), der Halbgebildete verrät sich schnell durch
die Unbekümmertheit, mit der er fremde Gedanken sür
sich annektiert und als die eigenen geruhig weitergibt
(naturgemäß aber in mißverstehender Form). Schopen-
hauer unterscheidet einmal — im zweiten Band der
Parerga und Paralipomena glaube ich — zwischen
dreierlei Schriftstellern: solchen, die erst schreiben und

dann denken oder garnicht denken (die häufigsten),
solchen, die denken, während sie schreiben (häufig genug),
und der dritten seltenen Klasse derjenigen, die erst
denken und dann schreiben, d. h. die schreiben, weil sie
gedacht haben. Man kann, unter Ausschaltung der
Schreibtätigkeit, diese Dreiteilung geruhig für alle
Menschen überhaupt adoptieren. Wissen, welches das
Selbstdenken tötet, ist selbst tot; Erfahrung, die sich nicht
in Selbstdenken umsetzt, ist unfruchtbare Erfahrung.
Es gibt genug Menschen, die treiben sich jahrzehntelang
in der Welt herum und haben zum Schluß überhaupt
nichts erfahren. Unser Selbstdenken ist die uns eigene,
über die tierische hinausgewachsene Kraft, die Bildungs-
masse ist der Stoff. Daraus soll sie dann neben der Welt
da draußen eine uns eigene selbständige und persönliche
Welt in uns bauen; wo dann die beiden Welten sich auch
je berühren mögen, es wird für keine von ihnen unfrucht-
bar bleiben. Das Selbstdenken läßt alles Erfahrene
einen Prozeß durchmachen, der im Geistigen nicht un-
vergleichbar dem Wabenbildungsprozesse der Bienen ist:
Das Erfahrene geht daraus hervor, nicht verändert
im Substantiellen, aber konzentriert, verarbeitet, unser
eigen geworden.

Und solcher Art sind denn die letzten und endlichen
Aiele jedes menschlichen Strebens nach Bildung, eben
das ist Bildung. Alles andere ist nur Schein, Firlefanz
und Selbsttäuschung. Lothar Brieger.

under.

Eine Legende von Karl Röttger.

Und Jesus kam mit seinen Leuten in ein Dorf am
Abend. Da kamen die Leute aus ihren Häusern hervor
und sahen ihn. Und die Kinder hörten mit Spielen auf
und sagten leise einer zum andern: Das ist der Meister,
der die Wunder tut. Und da war ein Kind, das sagte:
ich möchte wohl zu ihm gehn, trat vor Jesus und sah
zu ihm auf. Da stand Jesus still mit seinen Leuten
und sah das Kind an und lächelte.

Das Kind sprach: Herr, bist du der große Meister
und kannst Wunder tun und segnest die Kinder? Dann
schenk mir einen goldenen Ball, da kann ich schön spielen.

Da lachte Jesus leise, griff in den Himmel und gab
dem Kinde die goldene Kugel. Das schrie vor Freude
und lief fort.

Dann stand er noch eine Weile und sah die Kinder
an im Kreis. Und viele wurden rot im Gesicht und
schämten sich ein wenig vor der Liebe seiner Augen
und senkten die Köpfe. Da lächelte er und sprach: gebt
acht! Und faßte noch einmal hoch in den Himmel und
rauschte mit seiner Hand durch die beginnende Nacht
und die beginnenden Sterne, und da fielen die goldenen
Bälle herab wie reife Apfel. Und fand jedes Kind im
Suchen einen, und liefen alle jubelnd fort.

Jesus wandte sich zu den Seinen und sprach: Nun
haben sie alle. Auch die, so zum Bitten zu schamvoll
waren; die aber lieb ich am meisten.

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