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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 7
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Bab, Julius: Theatralisches Jahr
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Klein, Rudolf: Umbau und Neuordnung in der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0277

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Theatralisches Jahr.

naturalistischen Dekoration gerichteten Aufführung nichts
zu retten. — Einen sehr wesentlichen Schritt näher zum
Iiel kam die Aufsührung des gleichen bedeutsamsten
Werkes am Düsseldorfer Schauspielhaus. Hier
hatte man das unnaturalistische Prinzip wenigstens
mit großer Energie und Klarheit ergriffen. Die untiefe
Szene war von einer goldenen Wand abgeschlossen
und zeigte neben sehr stilisierten Tempelsäulen einen
neutralen Hochsitz, der den Mittelpunkt für eine nach
Möglichkeit ununterbrochene Reihe monumentaler Bild-
wirkungen in der Gruppierung der Personen abgab. Der
Eindruck des Awanglosen war freilich in dieser patheti-
schen Szenenführung noch nicht immer erreicht, und noch
weniger wurde die Darstellung dem stilistischen Willen,
lebendige Natur in geistig bedeutenden Formen fest-
zuhalten, völlig gerecht. Selbst Luise Dumont, die in
der Schwere der Bewegung, der edlen Größe des Tons
der Hoheit der Goetheschen Gestalt sehr nahe kommt,
zerriß durch ein allzu hastig hingleitendes Tempo vielfach
die ersirebte Würde der Aufführung. Und bei den
jüngeren Kräften mußte man noch weit öfter die Absicht
für die Tat nehmen. Aber trotzdem: hier war ein Aiel
gesehen und ein Weg begonnen. Jn der Berliner Auf-
führung hatte man blind und planlos zugegriffen.

So wäre zu fragen, ob denn nicht die stilistische Er-
neuerung des Deutschen Theaters überhaupt außerhalb
Berlins beginnen kann und ob damit die seit einem
viertel Jahrhundert von Berlin mit Grund geübte
Vorherrschaft deutscher Theaterkunst zum Falle reif
ist? Aber noch scheint an keiner Stelle des Theater-
lebens im Deutschen Reich persönliche Kraft so gewaltig
offenbart, daß sie als ausreichendes Gewicht gegen den
gewaltigen Vorsprung gelten könnte, den Berlin durch
die materielle Übermacht, durch die von seiner riesigen
und beweglichen Menschenmasse bedingten Mittel besitzt.
Eine von hohem Streben und vielen guten Kräften
erfüllte Bühne, wie eben das Düsseldorfer Schauspiel-
haus, hat, wie hier geschilderte Ereignisse des letzten
Jahres erst bewiesen, noch so schwer um die materielle
Eristenz zu kämpfen, daß sie zu voller, weithin wirkender
Kraftentfaltung noch kaum gelangt. Die anderen,
irgendwie künstlerisch in Betracht kommenden deutschen
Privattheater in Königsberg, in Dresden, in Köln,
stürzen von einer materiellen Krise in die andere. Seit
ich das letzte Mal hier in einer Jahresschau die soziale
Untergrundlosigkeit der deutschen Bühnen beklagte,
hat sich nichts gebessert. Jm Gegenteil: Die Stadt-
theater werden zwischen den Geldsorgen der Besitzer
und dem Kunstwillen der Leiter hin und her gerissen;
die Bühnen in Leipzig, in Halle, in Frankfurt a. M. in
Mannheim und anderwärts sind daher durch beständige
Jntendanturkrisen gezeichnet und also kein gesunder
Arbeitsplatz. Die Hoftheater endlich — Das Berliner
hat in diesem Winter sogar eine gewisse Betriebsamkeit
entfaltet, aber nur um zu beweisen, daß gegenüber den
eingewurzelten, lebensfeindlich akademischen Traditionen
dieses Hauses alle Versuche, zu lebendiger Kunst zu kom-
men, hofsnungslos sind: man spielt hier Strindberg als
Kindertheater, Jbsen als Ausstattungsballett und Eulen-
berg wie einen verrückt gewordenen Kotzebue. Man hat
hier statt aller Probleme und aller Lösungen immer
nur die fir und fertigen Arrangements fest überlieferter

^//

Formeln und versteht es, noch die wildeste dichterische
Masse in diese Blechgefäße zu zwängen. Von dem
Wiener Hostheater versichern Kenner, daß es dem
Berlinischen immer ähnlicher wird. Das Deutsche Schau-
spielhaus in Hamburg, das als Hoftheater des Hanse-
atischen Patriziats wohl in diesen Ausammenhang
gehört, ist unter dem gegenwärtigen Regie des großen
kühlen Routiniers Mar Grube allem lebendigen Wagnis
auf lange entrückt. Die Tätigkeit der Münchner Hof-
bühne scheint auf die Dauer mehr lebhaft als zielbewußt
zu sein. Und Dresden — Dresden hat heute den technisch
vollkommensten Theaterapparat für das königliche Schau-
spiel, hat ein höchst mannigfaltiges, lebendiges, fast
alle anderen deutschen Bühnen übertreffendes Repertoir
und ein großes, an interessanten Kräften reiches En-
semble. Aber es hat, wie mir ein paar Vorstellungen
im neuen Hause bewiesen, nicht den Regisseur, der diese
vortrefslichen Mittel zu eigenem und neuem Aiel richtet.
Daß dagegen das Stuttgarter Hoftheater, dessen tech-
nische Mittel freilich viel geringer sind, jetzt durch die
Berufung von Wilhelm von Scholz einen solchen Mann
gefunden hat, wäre immerhin möglich, und man wird den
praktischen Leistungen dieses hervorragenden Drama-
turgen mit großem Jnteresse entgegensehen müssen. —
Jnzwischen aber wird das größte Schauspielhaus Ber-
lins, ein Bau für zweitausend Menschen, von Oskar
Kaufmann im Nordosten, am Bülowplatz für die
„Neue Freie Volksbühne" errichtet. Dieser Verein wird
nach seinem Kartell mit der „Freien Volksbühne" über
etwa 80000 zu ernsthaftem Kunstgenuß vereinte,zahlende
Mitglieder verfügen, und damit ist dieser Bühne eine
soziale Grundlage geschaffen, die an Tragkraft allen
bisher stehenden deutschen Bühnen weit überlegen
ist. Freilich auch das ist eben nur eine Grundlage, und
so wesentlich, so unentbehrlich ein gutes Fundament
ist, was darauf zustande kommt, entscheidet erst der
Künstler, der da seinen Bau beginnt. Aber immerhin,
ein Recht zu hoffen ist hier in reichem Maße gegeben.

Julius Bab.

H Ombau und Neuordnung
^ in der Nationalgalerie.

Als Hugo von Tschudi von der Leitung der National-
galerie gegen seinen Wunsch und Willen zurücktrat,
ging durch die Reihen der Freunde seiner Schöpfung,
zu denen wir uns unbedingt rechnen, das Gefühl der
bangen Besorgnis, ob sein Werk auch nicht gefährdet
sei, und man schaute mit einiger Erwartung auf seinen
Nachfolger. Als Prätendenten kamen naturgemäß
wenige in Betracht, im Grunde hätte man gern nur
einen einzigen auf dem Posten gesehen, und den hätte
uns das Schicksal nur allzubald wieder entrissen: Licht-
warck; ganz abgesehen davon, daß er das Berliner Amt
wohl schwerlich gegen seinen Hamburger Wirkungskreis,
der identisch war mit seinem Herzschlag, eingetauscht
haben würde. Bald nannte man den Namen Ludwig
Justi, von dessen Träger die meisten nicht mehr wußten,
als daß er für eine derartig verantwortungsvolle Stellung
auffallend jung sei und mit Erfolg in Frankfurt a. Main
gewirkt habe. Witzbolde meinten: wer den Papst zum

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