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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Halm, August Otto: Kleine Aufsätze über Musik: der Stolz der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0200

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Kleine Aufsätze über Musik.

also daß der Parvenu entsteht, den die Sucht, den Besitz
zu zeigen, verhindert, ihn zu nützen und seiner zu walten.

Dem Grundsätzlichen dieser Frage nachzugehen
gab mir eine Aufführung des Parsifal den vollends
entscheidenden Antrieb, nachdem mich freilich schon
manche Wahrnehmung beunruhigt hatte.

Da ist, vor Amsortas Worten: „dürft ich den Tod
ihn nennen!", eine merkwürdige, schöne Akkordfolge,
die, vom Orchester vorgetragen, mich enttäuschte, ja
die ich eben als Folge aufzufassen kaum mehr imstande
war. Das Klangliche nämlich erlitt da eine Cäsur,
jener seltsame 6l-mo11-Akkord kam so sehr aus anderer
Region, daß er unverbunden erschien, die Relation
durchschnitt; und so fand ich die von Wagner vermutlich
als verdoppelt erhoffte Wirkung stark reduziert, fast
zerstört.

Solches Jnstrumentieren heiße ich schlecht, auch
wenn ich ganz überzeugt bin, daß der Autor es mit der
gewollten Klangfarbe genau getroffen hat.

Am kleinen Bild erkennen wir hier schon den Unter-
schied zwischen Farbenkunst und Farbenreibkunst.

Die letztere freilich haben wir erworben; sie meint
man ganz oder fast ausschließlich, wenn man von den
Fortschritten in der Orchesterbehandlung redet; über
sie instruieren Jnstrumentationslehren wie die von
Berlioz-Strauß. Der ersteren aber, der eigentlichen
Kunst des Jnstrumentierens, dürfen wir uns nur mit
sehr bescheidener Iuversicht rühmen, in geringem Maß
wissen wir um ihren Besitz, vermissen wir die fehlende.

(Sei meines freudigen DankS versichert, wer mir
eine Jnstrumentationslehre nennte, deren Verfasser

eine Aesthetik des Jnstrumentierens sucht und gar
findet oder doch als erstrebenswert anerkennt, der den
Blick auf Kunst richtet oder wenigstens das Künstlerische
erheblich berücksichtigt).

Dem kleinen entspricht das große Bild. Sahen
wir das Geistige schon der kurzen Akkordfolge gefährdet:
wie leicht wird dann erst ein langer Ausammenhang
unvorsichtigem Jnstrumentieren zum Opfer fallen!
So geschehen denn auch in den Gralsszenen, von deren
grandioser Konzeption, wie sie der Klavierauszug be-
wundern lehrt, ich durch die Aufführung allein kaum
Erhebliches wahrgenommen hätte.

Einmal auf solche Dinge aufmerksam, entdeckt man
und gesteht sich ihrer mehrere, erklärt sich frühere Ent-
täuschungen. Wer denn hat wohl die erste Szene des
Rheingold schon so aufgeführt gehört, daß er die pracht-
volle motorische Oekonomie zu fühlen bekam? Jch
glaube, daß nur ein guter und gut gespielter Klavier-
auszug den Eindruck davon vermittelt.

Was man nun seit Wagner zugelernt hat, sind allem
Anschein nach eben Erfahrungen im Farbenfinden,
Farbenmischen, nicht aber in der Kunst des Malens.
Ja: weist nicht schon der Gebrauch dieses Worts im Sinn
von Schildern, Charakterisieren darauf hin, daß man
der künstlerischen Aufgabe gar nicht einmal näher ge-
rückt ist? Und wenn wir so häufig lesen, gutes Jnstru-
mentieren dürfe man heutzutage als Selbstverständlich-
keit voraussetzen, so können wir daraus schließen, daß
nur wenige überhaupt daran denken, mehr als ein ABC-
Können zu fordern. Kunst nämlich ist nicht selbstver-
ständlich. A. Halm.

ugust Halm: Die Spmphonie Anton Brucknerö.

(Georg Müller, Verlag, München)

An Bruckner, dem lehten Musiker von überragender Größe,
hat die Welt — und nicht zuleht die vom Fach — eine große Schuld
wieder gutzumachen. Nicht allem, daß bei seinen Lebzeiten ein
irgendwie durchschlagender Erfolg seiner kolossalen, jedes gewöhn-
liche Maß übersteigenden Werke durch die gemeinsten Jntrigen
unterbunden wurde, bis heute hat man, von Einzelerfolgen ab-
gesehen, im allgememen sein Werk mit einer solchen Zurückhaltung,
ja Mißtrauen aufgenommen, daß man über diese Tatsache, wäre sie
nicht anderseits ein sicheres Aeichen der Echtheit seiner Schöpfungen
und der Fülle des Neuen, das darin enthalten ist, aufs tiefste empört
und entrüstet sein müßte. Angesichts dieser Umstünde und der ab-
solut noch „ungeklärten Lage" in Sachen Bruckners muß man es
denn mit um so größerer Freude begrüßen, wenn endlich ein Be-
rufener seine Stimme erhebt, um mit seinem hellen Kampfruf
luftreinigend wie ein frischer Wind dazwischenzufahren, die
Stimmen kleinlicher Kritelei und schamloser Unterstellung zu er-
sticken und mit den alten, allmählich recht morsch und gebrechlich
gewordenen Vorurteilen gründlich aufzuräumen (zumal da dic
seit zehn Jahren angekündigte Biographie von August Göllerich
den Entschluß, zu erscheinen, anscheinend endgültig aufgegeben
hat). August Halms Werk ist — das muß man bei aller Sympathie
für Rudolf Louis' mehr biographisch orientiertes Brucknerbuch
bekennen — das erste, das Bruckners Musik vollauf gerecht wird
und in dem seine umfassende Bedeutung, wenn auch nicht in jeder
Hinsicht, so doch in ihrer ganzen Größe gewürdigt wird. Denn
nicht als eine große Potenz mit diesen Vorzügen und jenen Fehlern
wird er genommen, sondern als ein absolutes Genie schlechthin,
das eine Welt, einen Kosmos für sich darstellt, nicht geringer als
die größten unserer Klassiker. Eigentlich solltc man ja meinen,
diese Ansicht müßte für jcden, der sich einmal ernstlich und gründ-
lich (d. h. in diesem Fall durch mehrere Jahre hindurch) mit Bruckner
beschäftigt hat, den Charakter der Selbstverständlichkeit an sich tragen;

aber die Tatsachen sprechen leider dawider: noch immer wird man
mit dieser Meinung in Musiker- und Laienkreisen auf ebenso großes
Staunen wie äußerst heftigen Widerspruch stoßen, und so muß
es denn als eine mutige Tat anerkannt werden, daß Halm dieses
sein Bekenntnis so offen ablegt, um so mehr, als er dies mit einer
Schärfe tut, die selbst eingefleischten Brucknerverehrern zuerst
ein wenig bange machen mag. Denn der Zweifel, ob Bruckner
so groß sei, wie Bach und Beethoven, wird von Halm gar nicht
mehr zugelassen, nur die Frage wird diskutiert, ob Bach und
Beethoven so groß seien wie Bruckner, und diese wird, im ganzen
genommen, eher im verneinenden als im bejahenden Sinne be-
antwortet. Man sieht, genug Anlaß, um bei einer völlig anders
gerichteten Zeit, insbesondere bei den dem Lebendigen meist recht
abholden Zunftgelehrten, den größten Anstoß zu erregen und den
heftigsten Angriffen sich auszusetzen. Aber nichts ist gerade heute für
eine weitere Erkenntnis Bruckners und ein breiteres Durchdringen
seiner Musik notwendiger als dieses Bekenntnis bedingungs-
joser Bejahung, das wie eine Bombe wirkt und wirken muß,
hineingeworfen in eine saumselige Welt, die den Sonnenflügen
dieses Genius nicht zu folgen vermag. Daß diese überzeugung
lebendig aus jeder Seite des Buches spricht, dies danken wir
August Halm aufs aufrichtigste.

Fragen wir nun nach der Begründung dieser Anschauung,
so ist sie im wesentlichen nur nach einer Seite hin ausgeführt,
nämlich der formalen, auch nur, wie das Vorwort bemerkt, nach
dieser hin beabsichtigt. Zwar sind nebenbei eine Fülle von treff-
licben Bemerkungen, Hinweisen und Perspektiven, auch über den
Gehalt und die Weltanschauung Bruckners, eingestreut, so daß der
Leser auch in dieser Hinsicht wesentliche Bereicherungen^erfährt,
aber der eigentliche Jnhalt des Buches ist doch die Analyse der
Form. Ob Bruckner Form im HLchsten Sinne hat, oder nicht,
„ob diese dem Geist der Musik zu- oder von ihm abführt", diese
Frage will Halm beantworten. Nun ist ja bekanntlich als stärkster
Einwand gegen Bruckner schon immer der Vorwurf erhoben worden,
er wäre formlos, und dieser Vorwurf hat, je ungerechtfertigter

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