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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Hemmer, Heinrich: Von den armen kleinen Wäldern
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Reinacher, Eduard: Der Tod zum Knaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0441

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Der Tod zum Knaben.

Realitat befreien. Aber das verwirrende Geheimnis des
Waldes wirkt nach. Auf Halm und Gras tanzt das Feuer
eines wolkenlosen Nachmittags, oben stehen Pappeln
senkrecht, Straßen weisen in die Ferne, Bienen und
Schmetterlinge und Drosseln bewegen die Lust, weiße
Flecken in den Weinbergen sind Menschen, verzückt
dusten Erde und Blumen. Du schaust, und die Stofflich-
keit fallt ab. Aber du möchtest deine Empsindung in
einer höheren Formung besiegen und das „Bild" in
einer höheren Wirklichkeit leben lassen. Du ringst und
weißt doch, daß die Synthese dieses Augenblicks, Wald
und Landschaft und Himmel und Duft, nur ein Klang ist,
ein zwischentoniger Akkord, der nicht traurig und freudig
ist, sondern leidenschaftSlos unendliche Daseinstatsache,
leidenschaftslos unendliches Erlösungsbedürfnis.

Heinrich Hemmer-Metz.

er Tod zum Knaben.

Von Eduard Reinacher.

Awei MLdchen am Haustor.

Die Braune:

Sieh nur, wie der wieder hergeht!

Die Blonde:

Wie adlig er die Hüfte dreht,
seine Stirn einem Gott gleich.

Die Braune:

Seine Wangen sind sammetweich.

Die Blonde:

Er zieht die Lippen, sieh! allchlächeln mit!

Die Braune:

Wie stolz wirft ihn der fürstlich schlanke Tritt!
Iugleich:

Du liebst ihn! — nein! — Deine Wangen flammen

— nein!

— Sie liebt und lügt. Jhr brennen Mark und

Bein.

Die Blonde:

Er kommt, er sieht uns lachen!

Die Braune:

Wie verlegen er ist.

Die Blonde:

Komm ins Tor, du machst Sachen!

Die Braune:

Du auch gar allzu ängstlich bist.

Der Knabe:

Mir ist nicht hart, mir ist nicht weich,
nicht uneben und auch nicht gleich.

Schwimme in Wellen einem luftigen Strom,
fühle mich wider meinen Willen fromm,
Manchmal möchte ich toben.

O daß ich arm bin! Starke muß ich loben,
einen Fürsten, der nach seiner Macht Willen
seine sehnende Brust ersüllen
und den Leib tosen lassen darf.

O wär ich stark, o wär ich scharf,

mich dürstet ein Heldenleben,

aller Welt Kräfte zu verschleudern und zu vergeben,

und bin doch müde, bin doch schwach,

meine Schultern hängen schmal und brach,

meine Seele! Mir ekelt Haus und Bett,

zu einem Weib bin ich gesunken.

Einst war ich stark doch, war ich hart und breit,
als ein Bube lust- und schlagbereit,
auf den Bergen lufttrunken!

Im Traume stand ich oft auf dem großen Welt-

brett,

auf dem Ende der Lebensschaukel,

dem zehenäußersten Wagetritt,

flog mit der Welt Lust und Leid auf und mit,

O! Und das Farbengegaukel!

Jch stampfte, stieg, da war mir wohl,

Brust, Herz, Glieder, Leib und Seele voll der Kraft,
welche niemals ruht, und niemals sklavt noch schafft,
möchte am liebsten dem Vater beichten,
aber ich schame mich (M).

Der Tod (bezaubert ihn):

Als ein rechter Vater liebe ich dich.

So rede nun. Was quälet, Sohn, dich denn?
Träume, träume nur! Vergiß „doch", „aber",

„wenn!"

Der Knabe:

Rennen möchte ich, küssen.

Jch sehe sich Götter tauchen in den Glanzflüssen,
die Mädchen nackt.

Ha! Wie der Blonde die Großäugige packt!

Er zwingt sie, ringt, er trägt sie fort,

ein Faun flötet dort,

vor dem Busche, und sie, und sie!

Jch erfasse dich! du mußt!

Singe doch, dein Liebster ist wieder hie.

Der Tod:

Das träumtest du, der mächt'gen Lüge Blust.
Bleibe ruhig!

Der Knabe:

Winde dich nur!

Fliehe nur! dich kenn ich, kenne deine Spur,
her an mich, Kind, du Kind, du Weib,
her du warmer, du heißer weißer Leib!

O Schmerzen!

Der Tod:

Sei nun ganz still. Sei müde. Schlafe völlig ein!
Der Knabe:

Jch gehe spielend zwischen reifem Wein.

Der Tod:

Flieh vor dem Ekel. Schlafe, ruhe, wachse.

Der Knabe:

Die Blumen brennen! Sterne! Demantachse!
Der Tod:

Du wirst nun frei. Gleich schlafen Licht und Not.
Sprich nun dein Letztes! Welches war dein letzter

treuer Lebensfreund?

Der Knabe:

Der Tod.
 
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