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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Hemmer, Heinrich: Von den armen kleinen Wäldern
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0440

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Von dcn armen kleinen Wäldern.

solchen Wäldern heraus, die ihm keine Forsthausromantik
zu bieten haben und wo die Freischützsage unmöglich ist.

Was sind die Wälder im Metzer Land? Der Gattungs-
name ist viel zu anspruchsvoll, die Bauern nennen sie
bescheiden „bois". Es sind kleine, nicht sehr hohe Laub-
gehölze, mitten in die Ebene hineingestellt oder über
hügeliges Gelände gestreckt. Man durchquert sie in einer
kleinen Stunde, wenn man nicht vorzieht, sich in ihnen
zu verlieren. Jn dichtem Unterholz verstecken sich die
dünnen Stämme, Laub wölbt sich dicht über dem Pfad.
Der Boden ist der der Felder, es fehlt jede sichtbare
geogenetische Spur, jede fossile Jnteressantheit. Statt
die Landschaft zu beherrschen, wie es Tannenwälder
bis zum^Eindruck von Forts kraft- und willenssicher
tun, stehen unsere Gehölze verloren inmitten einsamen
Geländes, fest an die Scholle geduckt, als fürchteten
sie, ihre-Wesenheit preiszugeben. Von organisiertem
Wanderbetrieb, von / bequemen Wegen und Weisern
wissen sie nichts. Es sind mehr Parks als Wälder, die
Kultur hat bedeutend größeren Anteil an ihrem Wesen
wie die Natur. Von dem Sturm jugendlichen Ent-
wicklungsfeuers sind sie verschont geblieben, von jeher
waren sie reif und ihr Leben nach innen geschlagen,
zu Traum und Wissen. Jhre Seele ist von so verfeinerter
Mystik, daß vor ihr das Naturnaive oder Heroische zu
einer Farce wird. Nicht Siegsrieds Schmiedelieder, des
Grals Geläute ist ihr Stil.

Man fährt ein paar Stationen mit der Bahn. Die
Fahrt ist ein rhythmisches Fest. Jch stehe auf dem
hinteren Perron des Triebwagens, und die Landschaft
öffnet sich in großen, gleitenden Kreisen. Jch genieße
die Schönheit der Gleisbiegungen, den Elan der Über-
windung, das Wachsen des Landschaftsgebildes, die
Rundungen der Hügel und die Gefälle der Wiesen und
Felder und Weinberge, die Schnitte der Straßen und
Wege, das geschlossene Leben eines Dorfes. Jch emp-
finde die Hingegebenheit des Schauens und das Dahin-
gleiten und die Entfernung von den Dingen, die mir
ihre Seelen gibt. Jede Signalstange ist eine Jndividuali-
tät, eingebettet in die selige Trostlosigkeit eines ae-
bundenen Daseins, und die offene Wunde eines dämmern-
den Hohlweges fängt an zu fließen bei der Berührung
mit meinem tastenden Jch. Alles ist und dämmert
seinem Bewußtsein, und ich bin nicht mehr als ein Stein
der Böschung, der seinen Kreis hat, oder eine Rinne,
durch die das Wasser abfließt, oder ein Stück Erde auf
der Straße, durch das die Räder gehen...

Längs wogender Felder und bunter Charfreitags-
wiesen gehe ich durch blühende Schwarzdornhecken zum
Wald, der weit hinter dem Dorf liegt. Viele Pfade
verlieren sich vor dem Wald. Man bückt sich, dann
schließt der Wald die Türe hinter dir zu, und durch alle
Poren dringt seine Stimmung, sein Fluidum in dich ein.

Licht, Licht durchflutet dich, gedämpftes Hellgrün,
von solcher Jntensität, daß es künstlichen Ursprungs zu
sein scheint, so dicht und durchlässig ist das Laubdach.
Man geht in einer Halle mit grünblauem Oberlicht. Aber
das Grün ist so klingend wie ein raffinierter Orchester-
effekt, durchsichtig und leicht, die Aste behalten ihre
Verflechtung, die Blätter ihre Aeichnung, das Laubwerk
seine Plastik, die Blumen des Grundes ihren Duft.
Du wirst heiter und schweigsam und gehst wie unter

Bildern und alten Stilmöbein. Das Geheimnis des
Lichtes und der Farbe und die gleichmäßige Verteilung
befreit dich hier, während die großen Wälder wie Keller
sind, durch deren Luken Glanzstreifen fallen. Deine
seelische Haltung ist das ruhige Gleichgewicht bewußten
geistigen Genießens, angesichts dieses Lichtzustandes,
der frei ist von den dramatischen Aufälligkeiten des
Sonnen- und Schattenspiels. Weiche Erde trägt dich
lautlos, langsam wie ein Teppich, und der ferne Ruf
eines Knechtes auf dem Felde, ein Rollen von der fernen
Bahnlinie vermag dein städtisches Bewußtsein nicht mehr
zu zwecklosem Fernweh zu reizen, wenn es mit dieser
Lichtstimmung verwachsen ist.

Morgens hat der Wald die Lyrik von Minnesangs
Frühling, die unsentimentale Iärtlichkeit von Aucassin
und Nicolette. Es ist taufrisch und weißgrün durchlichtet.
Jrgendwann bricht eine neue Sage in ihm auf, da,
wo ein kleiner laubversteckter Pfad in den Weg tritt.
Etwas Jungfräuliches klingt mit, die Unberührtheit einer
Liebessehnsucht, ein frisches Wort, ein Degen, der locker
sitzt. Wenn es abenddämmert, verdichtet sich die Atmo-
sphäre vitriolblau, wie in gefährlichem Gifthauch steht
das Buschwerk: eine Bühne, bereit für das Spiel der
Gespenster. An Krümmungen und Kreuzungen der Wege
sitzt die Frage nach dem Geheimnis des Kommenden.
Man schlendert in der Spannung, die im Traum durch
fremde Straßen und dunkle, gewundene Treppen-
häuser und Speicherstiegen trägt. Kein Drohen ist,
stumm, ängstlich und lockend schweifen die Ahnungen
um die Ecken und verschwinden schwarz vor dem rausch-
losen Blick, unerlöst.

Wie eine klingende Kathedralenglocke schwingt sich
der Mittag durch den Wald, und die Schwingungen
des Lichts sind fühlbar wie bewegtes laues Wasser.
Starr steht der Wald in dem Zwang seiner Heiligkeit,
in dem Bewußtsein seiner Tiefe, in dem Vollklang
seines Duftes, seiner Farbe — Jdee geworden.

Seine Erinnerungen brechen auf, geheimnisvoll wie
tropische Blumen. Sie sind reich und ritterlich. Kaiser
und Mönche sind in seinem Bann. Abteien bauen sich
auf und entwickeln ihr Wunderwirken. Quellen springen
unter dem Huf der Jagdpferde. Brüder in braunen
Kutten füllen die Wege mit Lamentationen und Halle-
lujas. Ritter in schweren Panzern, aus edlem Sagen-
kreis, klirren den Wald entlang, und Raubgesellen
schwingen den Morgenstern, wo die Kaufmannswagen
in feuchten Straßen versinken. Spanische und schwedische
Soldaten nisten lärmend in den kleinen Tälcrn, während
die Dörfer in der Runde rauchen. Das Marionetten-
theater verliebter Marquisen und Herzöge spielt einen
Akt im Wald. Kranke Pagen seufzen zu Unserer lieben
Frau, und die Volkslieder öffnen ihre Bilderbücher.

Die Luft glüht von erstarrter Gegenwart. Jn tiefste
Wesenheit gedrängt enthüllt der Wald, einsam wie der
Mittag, seine Seele, seine stille, fiebernde Seele. Jeder
Laut ist verstummt, die Jdylle mit Vogelgezwitscher
und Käfergesumm versinkt in der Mystik der liturgischen
Suggestion, die der Wald ausstrahlt und die alles Leben
zum Schweigen bringt.-

Du gehst und stehst im Traum, und plötzlich bist du
auf eine Wiese getreten, vor dir, in freier Aussicht, Tal
und Feld und weinbebaute Höhe. Du willst dich an der
 
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