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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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(Lür einen Toten.

Cs sei mir vergönnt, einige Worte über ein kaum geschlossenes
Grab zu sagen, das den Leib eines Gelehrten, Soldaten und Dichters
umfaßt, von dessen Zukunft ein heller Schein heraufschwankte
aus dem Clsaß, das seine Heimat war und Stätte seiner Arbeit
und große Liebe seines Lebens und seines Gedichts. Es ist für den
Fremden ein Gefühl allgemeiner und unendlicher Rührung: zu
HLren, daß ein feiner Mensch, gleich wertvoll als solcher wie als
Wissenschaftler und Künstler, an der Schwelle hinweggerissen ward,
von der er in das Feld großen Wirkens treten wollte. Für den,
der die Umstände, unter denen eine Existenz wie diese sich ent-
wickelt, wohl weiß und der glaubt, haarscharf die Perspektiven
dieses Lebens berechnen zu können, ist dieser Tod viel mehr: ein
grausames Schluchzen und ein Schmerz in das letzte Gefühl.

Unbegreiflich, daß es die besten sind, die fallen.

Cs sei mir vergönnt, einige wenige Worte über sein Lußeres
Leben zu sagen, die wichtig sind, um zu begreifen, was daraus
hätte werden können, und die zu jedem Denkmal gehören, sei es
nun so oder so.

Crnst Stadler habilitierte sich vor sechs Jahren in Straßburg
für Germanistik. Cr war, einer Wissenschaftlerfamilie entstammend,
in Kolmar geboren, in Straßburg erzogen, hatte dort studiert und
in Oxford und München. Er ist einunddreißig Jahre alt geworden.
Sein Name trat mit einem seltsam vornehmen Klingen in diesem
Jahre in die weiteren Kreise unserer guten Dichtung ein. Cr be-
schloß gerade eine germanistische Professur in Brüssel, die ihn drei
Jahre gefesselt, für den September war seine Abreise nach Kanada
bestimmt, wo er ebenfalls eine Professur übernommen hatte. Den
Sommer las er in Straßburg. Seine wissenschaftliche Ärbeit war
reich für sein Alter. Am dreißigsten Oktober fiel er im Norden
Frankreichs: Leutnant in einem Feldartillerieregiment, das feine
vornehme Gesicht umrahmt von Helm und Sturmband, das Eiserne
Kreuz auf der Brust.

Der Schmerz ist unser. Cs traf viele entsetzlich.

Sein Leben lief die letzten Jahre hin und her zwischen Brüssel
und Straßburg, sein Herz aber umfaßte die ganze Welt. Seine
suggestive Ausstrahlung war ungeheuer. Die Dinge legten sich
um ihn herum und er verarbeitete sie. Jn seinen Gedichten findet
sich alles: Meer, Liebe, Landschaft, Amsterdam, Sturm, Straßburg
vor allem und die klingende grenzenlose Musik der Cwigkeit — stets
aber ist es ein geistiger Prozeß als Jnnerstes und Crstes, der diese
Dinge faßt, aufwirbelt und in allen schwankenden Flutungen fort-
trägt, von seltsamen Lichtern beschienen, gedrängter Vorbei-
schwung ergreifender Bilder im Rhythmus langhinhallenden Ge-
schehens. Cinige haben von ästhetischem Mystizismus gesprochen.
Das ist tLricht und Verlegenheit. Ernst Stadler war allem ferner
als unfruchtbarer Nur-SchLnheitssucherei. Seine Strophen sind
berstend voll gebändigter Dramatik und Konfession. Die Knaben-
seele ist erschütternd, wie er sie gibt. Aber Darstellung allein genügt
ihm nicht. Jn allen Dingen sucht und faßt er den Aufschwung und
die Derbindung zum Metaphysischen und darum gehen seine Ge-
dichte in Breite und Tiefe an die letzten Grenzen unserer Endlich-
keit. Sein Gedicht „Meer" sagt alles: Das unfaßbare Wunder des
Meeres steigert sich aus den Erlebnissen der wicgend-wühlenden
Kräfte zum letzten Erfassen des Lebens: Beziehungen zur Umwelt,
Erinnerung an Freundschaft und Liebe, Intuition der Zukunft,
also die ganze Seelenskala des menschlichen Erkenntniskreises.
Gewiß ist Stadler mnstisch gewesen. Das ist der Einfluß seit
ahrhunderten her des Elsaß auf seine Dichter. Die Wirkung der
irchen und Kathedralen zeigt sich in jeder Jnbrunst. Aber es ist
seltsam zu sehen, wie diese Dämmerungen des Gefühls sich hin- und
herwogend streiten mit dem anderen Pol seines Schaffens: dem
Eros, einer herrlichen, kristallklaren Sinnlichkeit. Es gibt in ihrer
Sicherheit und männlichen Frische voll Cigenart von anderen
Dichtern vLllig abseitsstehende Gedichte:

Jch will

dich in die Kissen tragen so wie Garben jungen Älees

in aufgelockert Land.

Bilder von erstaunlich feiner Kraft schweifen nach, wo sich die
sinnliche Anschauung auf das Allgemeine verbreitert: Der wilde
Atem einer Maschine, das erzitternde Bett der BahnhLfe oder
wütend ineinander verbissene Straßenmassen. Der Gedanke an den
Tod wirkt lähmend und erschreckend vor solcher Vitalität. Linde
Schilderung der Landschaft folgt, alles aber überschwebt vom tiefen

Sinn einer großen Geistigkeit. Auch die Form der Verse ist weit-
hinausgezogen, gotisch, die Struktur gewohnter Maße durch-
stoßend, in großen Wellen farbig hinausschwankend wie ein Ahren-
feld auf den Himmel. Es sollen noch seine Nachdichtungen des
Franzosen Francis Iammes (Die Gebete der Demut, 1913 bei Kurt
Wolff) erwähnt sein, edle ganz gefaßte und verklärte Strophen,
deren ergebener Glanz oft den des Originals überstrahlt.

Ich habe halb in Absicht, halb unbewußt länger über die Verse
gesprochen. Denn es ist wohl so, daß man bei einem Denkmal die
Taten ehrt. Ich habe aber auch darum bei den Gedichten lange
geweilt, weil gerade in diesem Dreispiel von Mensch, Gelehrtem
und Künstler, gerade dies es ist, was uns die Unbcgreiflichkeit des
Todcs rührender macht: daß es ein Dichter war.

Cs gibt eine wundersame Beziehung zwischen diesem Tod
und seiner Kunst. Es ist ein schmerzlicher, ganz plLhlich herein-
schrillender Klang in seinem Gedicht „der Aufbruch", der wieder
seltsamerweise seinem letztcn im Verlag der Weißen Bücher 1914
erschienenen Buche den Namen gab:

Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig
gerissen,

daß es, aufsteigend wie ein Pferd, sich wütend ins Gezäum verbissen.
Damals schlug Tambourmarsch dcn Sturm auf allen Wegen
und herrlichste Musik der Erde hieß uns Kugelregen.

Dann, plLtzlich stand Leben stille. Wege führten zwischen alten

Bäumen.

Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich zu versäumen,
von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu entketten,
wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten.

Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von Signalcn,
hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Cs war wie wenn im
Dunkel plLhlich Lichter aufstrahlen.
Es war, wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße klirren,
die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen und die Pferde

schirren.

Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen, Feuer

übec Helm und Bügel,

vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem Zügel.
Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen,
vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen.

Aber vor dcm Erraffen und vor dem Versinken
würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend
trinkcn.

Das Gedicht ist lange vor dcm Krieg geschrieben.

Sehet, wie ahnungsvoll der Tod ist und wie schLn er sein kann.

Wir trauern nm eine abgerissene Iukunft von SchLnheit und
ein Wirken von Ernst und Bedeutung, das vielen wertvoll geworden
wäre. Wir wollen nicht vergessen, wie schwer an eigner Arbeit und
eignem Heldentum wir tragen müssen, um solcher Opfer, deren
viele sind, wert zu sein.

Es ist die Ieit, daß die ersten Schneetage langsam und traurig
sich entflocken. Crnst Stadler dachte in den lehten Wochen des
Friedens noch freudig an die dunkle Lockung des Meeres und das
Abenteuerliche seiner Fahrt für den Herbst nach Kanada: das unge-
heuer Fremde, das auf ihn wartete und ihn erregte. Aber die
größere Grenzenlosigkeit des Sterbens ist zu ihm herabgekvmmen.

er philosophische Dichter.

Die innige Berührung von Dichtung und Philosophie ist
zu allen Ieiten vorhanden, wenn man auch vielleicht nicht immer
darüber so klar sah, wie wir es vielleicht heute tun. Wenigstens
große Dichtung schloß immer ein religiöses oder ein philosophisches
Durchflutetsein ein. — Ieiten, in denen die Dichtung hochstand,
sind auch meist Ieiten bedeutender Philosophie gewesen. Aber
abgesehen davon — die großen Dichter fast aller Ieiten haben nicht
nur Dichter, nur Sänger sein wollen, die den Menschen die SchLn-
heit ihrer Klänge und Bilder brachten — haben vielmehr ein ganz
tiefes Sehnen in sich gehabt, das Geheimnis der Dinge und der Welt
zu finden, haben sich gesehnt, die Metaphysik des Seins auszu-
schöpfen und in ihre Dichtungen hineinzuzwingen; da bricht reli-
giöses Welt- oder Gottgefühl durch die SchLnheit der Gesichte oder
Gedichte strahlend hindurch oder da sucht das philosophische Crlebnis
nach klarem Ausdruck, wie ihn abstrakte Philosophie nicht immer
haben konnte; da kristallisieren sich Ieit- und Raumprobleme in über-
raschenden Bildern, Worten und Formulierungen wie in Schillers

4ro
 
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