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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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Bab, Julius: Dramaturgisches Jahr
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Steiger, Hans: Jungfräulichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0243

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Dramaturgisches Jahr.

Welt einen Mord nennt. Wie Burte diesen Mord, der
immer ein Mord bleibt,zu einersittlichen Notwendig-
keit für den Täter macht, das ist von wirklich tiefer,
tragischer Kraft. Nur daß mit dieser Tat (wie es übrigens
auch ungefähr der Geschichte entsprechen würde) Ullrichs
Verzweiflungskampf wider das Schicksal erst recht an-
hebt. Huttens Ermordung gehörte also etwa an den
dritten Aktschluß einer fünfaktigen Tragödie. Hier bildet
sie den Stückschluß; sie beschließt freilich Ullrichs Ent-
wicklung zu gefaßter, dem Schicksal gewachsener Mann-
heit, aber was wir so schwer und knapp werden sahen,
das müßte sich im ausbrechenden Schicksalssturm nun
erst vor uns bewähren, wenn wir ein klares Gefühl
endgültig errungener Menschenwürde mitnehmen sollen.
Da die Schwache des Burteschen Stückes, das sonst in
einer durchaus lebenskräftigen Reimsprache hervor-
schreitet, ohnedies in einer zu großen Breite, in red-
nerischen Ausbuchtungen und szenischen Wiederholungen
liegt, so möchte ich es noch heute für möglich halten,
daß diese fünf Akte, auf drei verkürzt, noch einmal die
erste Hälfte eines wirklich bedeutenden Dramas, einer
wahren Tragödie großen Stils bilden werden.

Von der tiefen Wegsicherheit, die Herzog Utz in
wildem Kampf erringt, ist von Anfang an der Held
einer „Tragödie" erfüllt, die deshalb gar keine Tragödie,
sondern ein seltsam schönes Ding: eine im tiefsten Ernst,
in todestrauriger Wendung noch immer hell schimmernde
Komödie ist. Das ist Walter Harlans mit Recht
preisgekrönte Dichtung: „Das Nürnbergisch Ei"*.
Dieses Spiel geschieht dem ersten Uhrenmacher Peter
Hähnlein. Der wird vor die Wahl gestellt, sein Werk
durch eine lebensgefährliche Operation aufs Spiel zu
setzen, oder den Menschen den neuen allgegenwärtigen
Zeitmesser um den Preis seines sicheren Todes am
Kehlkopfkrebs zu schenken; und da schreitet er — garnicht
„freudig" — aber doch klar und sicher in den Tod, frucht-
willig zum Ende bereit, wie die Ahren auf dem Feld.
Dies szenische Geschehen ist wirklich preiswürdig. Denn
hier wächst wieder einmal dramatische Kraft nicht aus
dem Aufruhr der Sinne, sondern aus der Entzückung
des gläubig begreifenden Geistes. — Walter Harlans
dichterisches Talent ist humoristisch von Grund aus, denn
seine erzieherische Leidenschaft wird dadurch zur Kunst,
daß er immer wieder lächelnd begreift, wie sich die
großen Dinge, die ihn bewegen, am Allerkleinsten
und Alltäglichsten offenbaren. So hat er um seinen
Nürnberger Ührmacher einen ganzen Kranz von Ge-
stalten geflochten, in denen sich der selbstopfernde Wille
zum Werk tausendfach verkündet. Von der Himmels-
braut, der irdische Liebe sich als mächtiger offenbart, bis
zur Köchin, die nicht für einen geschmacklosen Griesgram
kochen will; vom kühnen Arzt, dem „Heiland der Leiber"
bis zum Krämer, den am listigen Geschäft nicht nur der
Gewinn beseligt. Weil aber die (leicht altfränkisch ge-
wandete) Sprache Harlans dies tiefinnerliche Durch-
leuchten größter Jdee mit kleinsten Wirklichkeiten in
jedem Satz spiegelt, so kommt in uns eigentlich keine
tragische Angstspannung auf, und jene lächelnde Sicher-
heit entsteht, in der des Uhrenmachers Todesopfer uns

* Gespielt bisher noch in Bonn a. Rh. Buch bei Egon Fleischel
L Co.

wohl erschüttert, aber mehr wie die frohe Botschaft
des Steinklopferhans, denn wie des zu spät gebeugten
Odipus schreckliche Verkündung. Daß dies Werk, das
zwischen den Gattungen steht, und dessen sittliche Ein-
fachheit und Größe in unserer Zeit fast wie etwas ganz
Neues berührt, daß diese Harlansche Tragödie ihre selt-
same Uraufführung in der Aula eines Gymnasiums
hatte — der Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums
in Templin ließ es von seinen Primanern zum Weih-
nachtsfest spielen — das möchte ich gern als ein Sinn-
bild nehmen. Jst es nicht ein düsteres Zeichen unseres
Aeitalters, daß die Literatur unserer Erwachsenen
für Kinder unmöglich scheint, während wir doch mit
den „klassischen" Werken die Jugend aufziehen? Jch
glaube, wenn eine ethische Gewalt den Lebensstofs
wieder formt (nicht diktatorisch finster wie bei Paul
Ernst, sondern mit liebendem Gefühl wie bei Harlan),
wird jene große Vereinsachung folgen niüssen, die vieles
von dem, was die Freude der Erwachsenen ausmacht,
auch der Jugend zugänglich macht. Und eben diese
Vereinfachung ist zugleich die Voraussetzung jeder wirk-
lich großen dramatischen Wirkung! Wenn der Weg
von Wedekind zu Harlan, den unsere Betrachtung ge-
gangen ist, den Weg der dramatischen Entwicklung in
Deutschland andeutete, wir hätten zu großer Hoffnung
Grund. Julius Bab.

O^ungftäulichkeit.

^ » Von Hans Steiger.

Jch bin die Klage vor der Tür,
die Klage, die wir beide tun:

O, könnten wir zusammen ruhn!

Man weiß nicht, was ich Leides spür . . .

Du meinst, es wär die Abendluft,
vom Firmamente laut bewegt,
die sich im Fensterholze regt;
o, horch, es ist mein Blut, das ruft.

Jch goß mich in die Straßen hin,
mein Leib ist nun die ganze Stadt;
ich leide Not, bin übersatt,
in alle Frauen quillt mein Sinn.

Dann bin ich flüchtig, nur wie Staub,
es rührt mich jäh mit Macht empor.

Die Sterne schießen grell hervor,
dann falle ich wie dürres Laub.

Jch brenne wundersam im Leib:
ich bin zur Aeugung fromm erglüht;
o, spür den Lenz, der in mir blüht!

Voll Demut sei du nun, mein Weib.

Doch ach, die Sterne werden blaß!

Der Morgen kommt wie ein Geschwür.
Ich bin ein Jammer vor der Tür
zu deinem züchtigen Gelaß.
 
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