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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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Bab, Julius: Dramaturgisches Jahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0242

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Dramaturgisches Jahr.

kulturen ein vielleicht lebhaftes, aber doch durchaus
entferntes Jnteresse hat. Aus dieser erperimentieren-
den Kühle stammt es denn wohl auch, daß die Verse
dieses bedeutenden Lyrikers in diesem Drama zuweilen
eine erstaunlich musiklose Prosa sind. Jch glaube, daß
vielmehr ein psychologisches und draniaturgisches Jnter-
esse als Scholzens Seele bei den Kämpfern dieser
gefährlichen Liebe geweilt hat. Und deshalb gibt es,
wie sich für einen Dichter am Ende versteht, zwar stark
gefühlte Einzelheiten, aber doch kein einheitlich starkes
Gefühl. Und nachdem Scholz in diesem Schauspiel
sich und uns gezeigt hat, wie er seine Klinge zu führen
versteht, muß man nun wünschen, daß er sie bald für
eine Sache führe, die auch wirklich ganz und gar seine
eigene Sache ist.

So stecken Künstler, die schon seit einem Jahrzehnt
uns durch den Ausdruck ihrer Persönlichkeit beschäftigen,
noch im Erperiment, wo es die Eroberung des Theaters
gilt, so opfern sie, um dieHerrschaft der lebendigen Bühne
zu erringen, vielfach noch geistig Unentbehrliches auf.
Aber wenn dies (man muß das Sprichwort umkehren)
am reifen Stamm geschieht, was für Gebilde muß da
erst der grüne Sproß treiben? Wie wirr und wild sieht
es noch in der Welt der paar jungen, echten Talente
aus, die eine Leidenschaft zur theatralischen Forni hin-
reißt! Da ist Fritz von Unruh, dessen zweites Werk
„Prinz Louis Ferdinand von Preußen"* eine
überaus ernst gemeinte preußisch - nationale Dichtung
ist, und deshalb durch ein Königlich Preußisches Polizei-
verbot dem Talent des Dichters die Anerkennung ver-
schafft hat, die Einsichtigere schon seinem Erstling
„Offiziere" bezeigten. Jn Louis Ferdinand trägt der
stärkere Stoff den jungen Dichter wohl zu noch leb-
hasteren Wirkungen: Tumultuarisches Leben zuckt auf,
gespenstert in nervöser Hast vorbei und hinterläßt sein
Bild großartig und ungewiß, wie auffliegende Schatten
im eilenden Laternenlicht. Aber wenn Unruhs Dialog
in nervösen Anakoluten springend und flatternd Kleists
ganze Lebendigkeit hat, er hat nichts von der ordnenden
Wucht, der mächtig ausrollenden Periode, die Heinrich
von Kleists anderes Werkzeug war. Und daß diesem
jungen Dichter jener ganz selbständige dialektische Welt-
blick fehlt, in dessen Dienst Kleists großes Talent erst zu
wirklich genialen Werken berufen war, das zeigt gerade
die äußerlich abhängige Art, in der Unruh sein stark
erfaßtes und im Grunde ganz anderes Thema von der
Gebanntheit eines genialen Spatlings in eine über-
lebte morsche Welt, wieder auf die Prinz von Homburg-
Formel einer Disziplintragödie bringt.

Noch verkrampfter, wilder, ungeklarter sieht es in
dem Geist aus, der dem großen Talent von Hermann
Essig gebietet. Dieser Autor hat in den letzten Jahren
einen ganzen Schwarm von Tragödien, Schauspielen,
Komödien und Lustspielen ausgeschüttet, von denen nur
eines, „DerFrauen m ut"**, zur Aufführung gelangt ist.
Fast überall spürt man bei ihm die Pranke des Löwen;
einen jah packenden Blick für die Wurzeln des Leben-
digen, und eine Kraft, die ebenso groß ist, den Dialog
im epigrammatischen Gegenschlag zu bewegen, wie

* Buch im Derlag Crich Reiß.

** Bücher im Dreimaskenverlag. Uraufführung am Düssel-
dorfer Schauspielhaus.

szenische Situationen von epigrammatischer Wirkung zu
erfinden. Aber überall finden wir auch ein dumpfes,
unerlöstes Haften an der Materie und ihrer O.ual. Der
Dialog, in dem die Menschen mit Wedekindscher Ver-
ranntheit aneinander vorbei und übereinander wegreden,
ist oft so schwer zu verfolgen, die tragischen Situationen
überschärfen sich so ins Groteske, die komischen verdichten
sich so ins unheimlich Verzerrte, daß kaum je eine reine
und volle Empfindung einem Essigschen Akt zu folgen
vermag. Ob einmal geistiges Licht diese dumpf brauende
Nebelwelt klären und Gebilde von theatermöglicher
Rundheit hinstellen wird, das steht dahin.

Näher scheint es John von Gorsleben zum
lebendigen Theater zu haben, der in seinem Erstling
„Der Rastaquär"* eine Figur, die in ihrer moral-
losen Lebenskraft und grotesken Sachlichkeit anWedekind
erinnert, durch eine einstweilen noch etwas grobschlächtige
Handlung in Bewegung setzt. Ganz erhebliche Energien
sind in der Charakterfügung und in der Szenenführung
dieser „ernsthaften Komödie" zu spüren. Eine zynisch
junge Kraft schlägt auf den Tisch. Wofür sich dieser
Trotz einmal einsetzen wird, ob sie im Dienste einer
wirklich großen Leidenschaft reifen oder sich theatralisch
selbstgefällig verpuffen wird, kann heute natürlich noch
niemand sagen. — Mehr Haltung, wenn auch nicht
mehr „Talent", zeigt der „Herzog Utz", mit dem sich
Hermann Burte (auf anderem Gebiete zum Ruhm
gelangt) durchaus hoffnungsvoll auf der Bühne ein-
führt**. Das Thema ist dem Gorslebenschen nicht so
ganz entfernt, wie es scheinen möchte; denn der wilde
Ulrich von Württemberg steht dem Leben mit denselben
Ansprüchen ungebundener Genußgier gegenüber, wie
der „Rastaquär". Abcr während den alle Konflikte nur
zu einer fröhlichen Verwunderung führen, daß er „immer
noch lebt", kommt der herrscherliche Herzog Utz zu einer
trotzend tragenden Einordnung in die Welt. Er kommt
dahin durch eine Katastrophe, die Burte mit feiner
Kunst aus der bekannten Anekdote von der Ermordung
Hans von Huttens herausspinnt. Die Frau, die er
begehrt, lehrt ihn das Herrenrecht seines Adels auch als
Pflicht der Selbstbeherrschung zu empfinden — belehrt
ihn so tief, daß sie selber ihn nicht mehr erschüttern
kann, wie sie später vom Trieb hingerissen wird. Auf
diesem Wege einer stolz trotzenden Selbstbewahrung
liegt nun der Mord, den Herzog Utz an Hutten, dem
Mann jener Frau, begeht. Hutten ist ein Mensch, den
feige flache Eitelkeit gegen jeden wahrhaft Leiden-
schaftlichen, aus der Tiefe Lebenden ins Unrecht setzen
muß, und da er die Ausbrüche von Ulrichs naiver Wild-
heit tückisch mißbraucht oder schlimmer kramerisch miß-
brauchen laßt, da er eidbrüchig den Kniefall, den Ull-
rich vor dem Gatten um die eigene Frau getan hat,
ausplaudert, begeht er einen wirklich todeswürdigen
Verrat an Menschenhoheit und läßt zugleich dem Herzog
nur die Wahl: elend verachtet oder wenigstens grausend
gefürchtet zu werden. Und da er, der oberste Richter,
in dieser seiner innersten Sache nicht selbst zu Gericht
sitzen kann, muß Ullrich an Hutten das begehen, was die

* llraufführung am Deutschen Schauspielhaus in Köln. Buch
bei Kurt Wolf.

** Uraufführung am Mannheimer Nationaltheater. Buch
bei Sarrasin, Leipzig.
 
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