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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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Bab, Julius: Dramaturgisches Jahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0241

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Dmmaturgisches Jahr.

dem gespielten Paul Ernst bedeutende Anregungen aus-
gehen, wenn vielleicht auch in ganz anderer Richtung,
als er es glaubt. Und vielleicht wird er noch einmal
eine — hoffentlich freiere — neuklassische Schule der
jüngeren Generation hinter sich sehen. Seine Freunde
von früher aber sind andere Wege gegangen.

Von denen, die man damals zur neuklassischen Ge-
folgsthaft von Paul Ernst zählen mochte, legt heute
Leo Greiner eine Dichtung „Arbaces und Pan-
thea oder die Geschwister"* vor. Ein Werk, in dem es
ganz gewiß viel Schönes gibt, in dem ich mich aber
bisher vergeblich bemüht habe, einen inneren Lebens-
kern zu fassen. Arbaces ist ein junger, siegreicher König
von vollkommener Maßlosigkeit des Selbstgefühls. Die
Art, wie er auf die kleinsten Jmpulse ungeheuerstes und
unsachlichstes Pathos entfesselt, macht ihn beinahe zu
einem Hjalmar Ekdal in Casarischem Format (wie ihn
übrigens schon Jbsen als Julian gezeichnet hat). Sein
erziehendes Schicksal nun wird ihm dadurch zuteil, daß
er sich bis zum Wahnsinn in die eigene Schwester ver-
liebt, in Panthea. Alles scheint schwärzeste Farben zu
gewinnen, da stellt sich plötzlich heraus, daß Arbaces
nur ein untergeschobenes Kind und also zwar garnicht
König aber auch nicht Pantheas Bruder ist. Er wird
nun Pantheas Gatte und König als ihr Mann, und
alles ist gut. Wenn ich irgendwo die Forderung vom
„sichselbstsetzenden Konflikt", von der innerlich notwen-
digen Verkettung aller Vorgänge, wie sie die Grund-
forderung der Neuklassiker war, nicht erfüllt finde, so
ist es in dieser Fabel. Die inneren Ausammenhänge
zwischen der Maßlosigkeit des jungen Arbaces und seinem
Märchenschicksal sind mir ganz verborgen. Jch empfinde
hier Willkür, — aber nicht jene glücklich spielende Willkür
der Seele, die im Märchen alles lösen darf, dazu ist der
Grund doch mit zu realen Psychologien gelegt.—Greiner
ist nicht der Urschöpfer dieses Gebildes, er bearbeitet
ein altes Stück von Francis Beaumont, und ich glaube,
er hat, wie so viele schon vor ihm, den geistigen Belang
dieser Elisabethanischen Dichter überschätzt. Das völlig
Einzige in der Stellung William Shakespeares stammt
ja daher, daß all diese Poeten ihm an Reichtum sinn-
lichen Lebens nicht sehr viel, aber an geistiger Organi-
sationskraft so unendlich nachstehen, daß kaum eine
Bearbeitung in ihre bunte Fabel einen geschlossenen,
höherweisenden Sinn zu tragen vermag. („Der Graf
von Charolais" und „Das gerettete Venedig" zeigen
diese Not nicht weniger.) Wenn bei Shakespeare ein
Narr auftritt — und es braucht garnicht jener tragisch-
tiefe aus dem „Lear" zu sein, man kann auch an Schal
und Stille, selbst an Holzapfel und Schlehwein denken —
so ist er (zum wenigsten in des Dichters reifer Ieit)
niemals Arabeske, sondern auch eine Feder der kleinen
dramatischen Welt, ein unbedingt notwendiges Glied
des äußeren Fortgangs, der inneren Ausbreitung.
Beaumont aber belastet Greiner mit einer vollkommenen
komischen „Nebenhandlung": der Schwankgeschichte von
einem furchtbar feigen Hauptmann. Die ist zwar
mehrfach zu äußerer und einmal sogar (das ist wohl
Greiners Werk), als des Königs verwüstende Begier
sich in der Gemeinheit dieses Kerls spiegeln muß, zu

** Gespielt im Stadttheater Frankfurt a. M. Buch bei
Crich Reiß.

innerer Berührung mit der Haupthandlung gebracht, im
ganzen aber klettert die Posse doch an dem Helden-
drama herum wie eine Ranke am Baumstamm: ein
Griff könnte sie abreißen, und niemand würde etwas
vermissen. Und also ist sie überflüssig! So wirkt dieser
Dichtung großes ausgebreitetes Geflecht auf mich nicht
wie der Anblick eines organisch Notwendigen; und ich
bedaure das um so mehr, als es in fast allen Einzelheiten
wieder untrügliche Proben von Greiners dichterischer
Kraft gibt. Des jungen Königs Reden glühen und
dampfen, Pantheas Worte sind von einer schmelzenden
Aartheit, und viele szenische Erfindungen sind von
großartiger Energie. Die naive theatralische Wirksam-
keit dieser Szenenfolge ist mir deshalb auch sehr wahr-
scheinlich. Aber im Namen seiner eigenen geistigen
vornehmen Herkunft muß man fordern, daß Greiners
großes Talent bald ein Motiv befruchte, dessen einheit-
liche Größe auch auf Geister von freierer Übersich zu
wirken vermag.

Noch entschiedenere Theaterqualitäten stecken in der
Arbeit eines dritten Mannes, der damals neben Paul
Ernst vor allem zu den Neuklassikern gezählt werden
mußte: Wilhelm von Scholz. Er hat neuerdings
den berühmten Roman aus dem sterbenden Rokoko:
Die „IÜW0N8 ckanMrouses" dramatisiert in einem
Theaterstück, dem bei guter Aufführung ganz fabelhafte
Momentwirkungen sicher sein müssen: „Gefährliche
Liebe"*. Der Liebeskampf der beiden allzu bewußten
Geister, die unter dem Schlagwort:

„Das Schöne ist im Leben alles Kunst,

Natur ist plurnp/ bewußtlos, ohne Rausch"

fremde Menschenleben als angenehm spannende Hem-
mung zwischen sich stellen, und die bei diesem gefähr-
lichen Erperiment mit dem Unberechenbaren schließlich
mitsamt ihren Opfern in die Luft fliegen, — dieser
Kampf bietet so viele spannende, erregende, erschreckende
Momente, daß dies Schauspiel (eine starke Zahl mir
nötig scheinender Striche vorausgesetzt) sicherlich einen
rechtschaffenen Bühnenerfolg haben muß. Wilhelm von
Scholz ist ja einer unserer scharfäugigsten Dramaturgen,
und er hat hier eine ausgezeichnete Waffenübung ge-
leistet. Viel mehr kann ich in dem Schauspiel allerdings
nicht sehen. Die schicksalhaften Linien, das notwendige
Verhängnis solcher auf die Spiele des nackten Bewußt-
seins gestellten Eristenzen, das wird in diesem Tumult
von Psychologien und Handlungen nicht deutlich genug.
Wohl ist die Götterdämmerung der französischen Revo-
lution hinter dieser überreifen Kulturwelt angedeutet:
aber ein schurkiger Spion von Flötenspieler, ein braver
Arzt mit dem bedeutsamen Namen Guillotin und ge-
legentliche Erzählungen von Straßenaufläufen, das ist
nicht genug für ein geistiges Gegenspiel. Jn Schnitzlers
Einakter: „Der grüne Kakadu" ist für den gleichen
geschichtlichen Moment die Tragödie des verbrecherischen
Bewußtseins mit ganz anderer Energie umrissen. Aber
das liegt eben wohl daran, daß Schnitzler bei der Dar-
stellung solch eines lebensgefährlichen Spieles seine
allereigenste Sache zu behandeln hatte, während Scholz
der Ergründer deutscher Mystik, der Meister des klar
eingrenzenden Spruchgedichtes für solche fallreifen Über-

* Uraufführung am Stuttgarter Hoftheater. Buch^bei Georg
Müller L Co.

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