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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Benn, Joachim: Robert Walser
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0150

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Robert Wülser.

scheint, aber es ist schlimm und sogar unwahr, wo das
Wunder groß ist. Ein Mensch, der durch die Tiefe und
den Umfang seines Welterlebnisses, seiner Weltahnung,
und durch die unangreifbare Notwendigkeit und All-
gemeingültigkeit seiner doch ganz persönlichen Form
solch ein Wunder ist, will nicht vor einem zeitlichen,
sondern vor einem ewigen Hintergrund als einmaliges
seelisches Ereignis, einmalige Mischung aus Sein und
Nichtsein betrachtet werden, wenn er sich auch historisch
einordnet. Und das will auch Robert Walser, zumal
er noch eines der merkwürdigsten Seelenprobleme dar-
stellt, die man sich denken kann.

Wenn man den Dichter so zu betrachten sucht, wird
man ihn etwa folgendermaßen sehen: Auf einen reinen
und schönen Menschen, Schweizer und Kind aus gutem
Hause, sind — und bis zum Uberfluß — alle Gaben
versammelt, die den Dichter und Künstler machen.
Er hat die Nerven, die pausenlos und mit letzter Differen-
zierung, was an sinnlichen Eindrücken auf seine Sinnen-
wand trifft, auffangen, und seiner besonderen Ver-
anlagung gemäß ist es ein leidenschaftliches Bedürfnis,
sie mit äußerster Pragnanz in Worte umzusetzen. Er hat
den Verstand, der diese einzelnen sinnlichen Eindrücke
nun in ein logisches Verhaltnis zueinander bringt,
vom nächstliegenden und primitivsten bis zum weitesten
und umfassendsten, und kraft seiner gesunden und klaren
Art so ein wahrheitsgemäßes Bild der Gesamtwelt auf-
baut; seiner besonderen Veranlagung nach setzt sich ihm
diese Einsicht in eine Fülle menschlicher Schicksale und
Schicksalskomplere um. Er hat schließlich, und dies erst
macht ihn wirklich zum Dichter, über die logische Erkennt-
nis der Welt hinaus ein intuitives, auf innerer Gemein-
schaft mit dem All beruhendes glaubensmäßiges Wissen
von den letzten Ausammenhängen der Welt, und zwar
ist dieses sein Wissen und Glauben ein ganz harmonisches,
sodaß auch seine Schicksalsdarstellungen trotz der grau-
samsten Dissonanzen, die darein eingeschaltet sind,
noch harmonisch sind.

So scheint alles darauf angelegt, das kostbarste
Material vorbereitet, daß hier ein Dichter auf den land-
läufigen Stufen der Entwicklung zuerst vielleicht ini
Tone lyrischer Erschütterung, dann in der zur Anti-
these drängenden dramatischen Gewalt kraftvoll ent-
wickelten Mannestums, schließlich in der stillen, ahnungs-
vollen Gelassenheit weisen Alters Symbole seines Welt-
erlebnisses gebe, die auch für andere Symbole ihres
Lebens werden können. Und dieser Mensch durchläuft
nun nicht die vorgeschriebenen Stufen; infolge einer
seltsamen Verfassung jener Urwurzel im Menschen, aus
der er blumengleich immer weiter herauswächst, verpuppt
sich dieser Mensch in dem Stadium zwischen Kind und
Jüngling, aber so, daß er alle Männlichkeit und sogar
das Greisenhafte schon in sich hineinzieht. Die Gesamt-
entwicklung des Menschen, die, geistig genommen, ja
von vornherein ganz da ist, wie ein zusammengefaltetes
Tuch in einem Wunderei, zieht sich gleichsam auf die
Stufe des knabenhaften Jünglings zusammen, und dieser
Jüngling produziert nun, wie es als Gabe in ihm liegt,
unter der Erscheinungsform des ganz jungen Menschen,
mit der Reife und der Erfahrenheit des Mannes, ja des
Greises.

Seltsames Schicksal, wundersame, ja bedenkliche
Folge; denn natürlich ist es etwas unauflöslich Wider-
spruchsvolles, ja Bizarres, was da entsteht: Jeder Satz
stammt von einem Kinde und jeder bezeugt zugleich einen
Mann, einen Weisen! Man würde es noch hinnehmen,
daß jedes Wort aus einer ganz persönlichen, sicheren
und neuartigen Anschauung heraus gesetzt, daß jeder
Satz in dem gleichen, leichten und beweglichen Rhyth-
mus gebildet ist, obwohl das eine Reife und Kraft der
tastenden Organe und eine fertige Geschlossenheit des
Dichters in sich selber bedeutet, die zu diesem Alter nicht
passen will. Aber daß das nun auch noch aus einer
Weltanschauung geschieht, die, mit allen Härten und
Herbheiten menschlichen Lebens rechnend, mit einem
kichernden Lächeln über die, die dazu zu schwach sind,
das Leben als ein schönes und heiteres Spiel ansieht,
das bringt doch einen gewissen Zwiespalt in diese Bücher:
So natürlich, so reich der Strom dieser Darstellung im
Schmuck seiner unvergleichlichen Bilder hinfließt: Man
meint von dem, der ihn schuf, immer, hier sei ein
Seelenfunke einem allzu zarten, allzu empfindlichen
Körper einverleibt, so daß man für ihn fürchtet; man
meint, hier sei eine Seele in ihrem pausenlosen Flammen-
tanz in jedem Augenblick in Gefahr, den Körper zu
sprengen und aufzufliegen. Mit dieser allzu direkten,
allzu ungedeckten Seelenflamme brennen auch Robert
Walsers Worte und Sätze stets, und das macht, daß man
sie nie im Übermaß, daß man sie nur als eine ganz
seltene Sonntagsspeise genießen darf.

Das Jugendliche liegt bei Robert Walser zuerst
einmal im Jnhaltlichen: Die zentrale Figur von allen
seinen Büchern ist ein junger Mensch auf der Grenze
zwischen Knabe und Jüngling. Er ist gesund und tut
sich sogar nicht wenig auf seine schnellen und kräftigen
Glieder, auf die Verläßlichkeit seiner guten Natur
zugute, ist dabei aber zugleich von einer wahrhaft be-
ängstigenden seelischen Zartheit und Vergeistigung,
wie sie wohl bei Kindern aus Familien von alter Kultur,
zumeist aber eigentlich nur vorkommt, wo auf die elter-
liche Generation alle Lasten des Lebens geladen waren.
Seinem Charakter nach ist dieser junge Mensch ein ge-
borener Held; als solcher ist er schon in Jahren, wo andere
noch träumend hinter dem elterlichen Ofen sitzen, mit
einer Leidenschaft, die manchmal fast an einen gewissen
geistigen Masochismus grenzt, darauf aus, durch immer
neue und härtere Erfahrungen zu gehen. Darum
wechselt er auch, wofern er nicht noch Jnstitutschüler ist
und sich erst auf die Jahre des Dienstes und Verdienstes
vorbereitet, unaufhörlich Stellung um Stellung und
Beruf um Beruf, um sich nur nirgends zu veredeln und
zu verzärteln, sondern ständig neu zu rüsten und zu
bewähren.

Mehr als in seinem Handeln zeigt sich sein Helden-
tum freilich fast in seinem Denken; denn dieser Knabe,
der immer wieder auf der Stellungsuche und nicht selten
mittellos ist, ist zugleich ein junger Philosoph. Seine
Grundüberzeugung ist die, daß jedes Wesen seine Lebens-
idee verwirklichen müsse, das Schöne seine schöne, und das
Verabscheuungswürdige seinc verabscheuungswürdige,
der Starke seine starke und der Schwache seine schwache.
Er selbst hat als seine Lebensidee dabei die gefunden,

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