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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Benn, Joachim: Robert Walser
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0151

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Robert Walser.

ohne Hinsicht auf Dank, auf Lob oder Freude, still und
geduldig zu dienen, in seiner Knabenhaftigkeit die Dinge
der Welt und so auch die Liebe nicht eigentlich selbst zu
haben, sondern nur zu beobachten und seinen Teil
dienend daran zu haben, weshalb er sich auch oft als
Dritter neben dem starken Manne und der Frau sieht,
die dem verfallen ist. Dieser Diener ist er dann freilich
nicht wie jeder andere, sondern so, daß er aus seinen Be-
trachtungen heraus in seinen Gedanken die ganze Welt
umfaßt in ihren zahllosen Einzelideen und der einen
Grundidee.

Er ist ein kleiner Puritaner, dieser junge Held,
wenn man genau zusieht, aber freilich einer, der die
schönsten Typen dieser Anschauungsweise in sich ver-
einigt: den Märchenprinzen, wobei die Reste altgermani-
schen Heldentums in dieser mittelalterlichen christlichen
Figurenschöpfung noch wohl herauszufühlen sind, und
Kierkegaard, den letzten großen christlichen Philosophen
und neben Dostojewsky tiefsten Mann des neunzehnten
Jahrhunderts. Denn ein Märchen ist dieser Mensch,
der nur Seele ist, und wo er erscheint, wird die Welt
selber zum Märchen; selbst was im Leben hart und grau-
sam ist, hat bei ihm noch einen Schimmer von Schönheit
wie im Märchen die böse Fee, das andere aber liegt im
Glanze einer ganz geistigen und poetischen Welt. Dabei
untersucht er doch, gleich Kierkegaard fiebernd, die Welt
und was er darin findet unaufhörlich auf die geistigen
Mischungsverhältnisse, die allem zugrunde liegen; nur
eben nicht mit dessen abgründiger Schwermut, die nur
im Denken selbst Leichtigkeit gewann, sondern mit der
Heiterkeit des erwählten Kindes, das sich eins weiß mit
der Jdee der Schöpfung: Ein Tänzer der Lebensidee
Gottes ist er.

Dann liegt das Jugendliche bei Robert Walser in der
Form. Es zeigt sich zuerst in der Art seiner Einzel-
anschauung: „Der Mensch ist ein feinfühliges Wesen.
Er hat nur zwei Beine, aber ein Herz, worin sich ein
Heer von Gedanken und Empfindungen wohlgefällt",
heißt es einmal in dem ersten Buche des Dichters, und
an anderer Stelle: „Wir hatten in der Schule einen
alten Lehrer mit großem Kopf, der sagte uns." Die
Aussprüche haben noch etwas von dem leicht Gesuchten,
absichtlich Übersteigerten, wie dieses ganze Buch, weil
sich der Dichter, der nach sich sucht, übertreiben muß,
um sich zu finden; dennoch zeigen sie mit aller Deut-
lichkeit, wie der junge Dichter zu einer Darstellung von
neuer Prägnanz und konzentrierter Sinnfälligkeit zu
kommen sucht, indem er Dinge mit der ans Kari-
kierende grenzenden Naivität des Kindes gibt.

Das Karikierende ist noch zu spüren in manchem Satz
aus der Naturbeschreibung des zweiten Buches, wo
doch die Fähigkeit zur schlagenden Charakteristik, immer
aus einer Anschauung heraus, die die Dinge zum ersten-
mal, mit der tiefen Eindrucksfähigkeit und ohne jede
historische Beeinflussung zu sehen scheint, schon so sehr ge-
stiegen ist, etwa wo von Hügeln gesprochen wird,die„von
schwarzen zerzausten Bäumen besetzt waren, in die der
Himmel hineinkroch. Aber sonst ist dieses zweite Buch
in der Anschauung schon völlig reif und bringt das Neue,
das der Dichter darin überhaupt zu geben hatte, schon
bis ins Letzte: Eine Differenzierung der Sinne, die all

und jedes mit neuer Feinheit, ja mit neuem Raffine-
ment sieht, dabei charakteristischerweise sehr oft an jenes
Buch Georg Büchners erinnert, in dem die Natur immer
aus der nervös erregten Seele des wahnsinnigen Dich-
ters Lenz gesehen ist, schafft Sätze, in denen jedes Wort
neu geschaffen scheint. So liegt die Welt in diesen Er-
zählungen in einem gespenstischen neuen Lichte wie in
den neuen Bildern, die man erpressionistisch nennt, weil
die Seele, durch die das Naturbild bei der Darstellung
gegangen ist, stärker betont ist, als zu den Aeiten des
Klassizismus oder Jmpressionismus: „— wunderbar-
merkwürdige Frauengestalten aufderwandelnden Straße.
Sie trugen übergroße Haarfüllen mit hellgelben und

tiefschwarzen Haaren.Das Herrlichste an ihnen

waren die Beine, die nicht von Schleppen oder Röcken

bedeckt waren, sondern sich zeigten bis zur Kniehöhe-

Die Füße, bis hinauf beinahe zu den biegsamen Knien."

Noch mehr als in dieser Einzelanschauung, die im-
mer auf den Ton scheinbarer Naivität gestellt ist, liegt
das Jugendliche dann in der Art, wie nun die Einzel-
anschauungen zusammengesetzt sind: Der Mann setzt
das Wort nüt einer sparsamen Kraft; Satz, Absatz,
Kapitel folgen in gemessenen Schritten aufeinander,
die den Rhythmus seines Blutes haben, und er verliert
niemals sein Ziel aus den Augen. Robert Walser häuft
Worte und Sätze in einem Orgiasmus, der der jugend-
lichsten Freude an der Fülle des Lebens, der Fülle der
Worte und Begriffe entspringt, mit der man dieser
Lebensfülle begegnen kann: Niemals begnügt er sich
mit einem einzigen Ausdruck, einer einzigen Satzaussage;
dreifach, vierfach reagiert er auf jeden Eindruck, der ihm
wird, und treibt ein kindliches Spiel mit Worten. Seine
Breite grenzt auf jeder Seite an Geschwätzigkeit, nur
daß sie von Anschauung und Weisheit schwer ist; ob
er die Sätze dabei zu langen Satzbändern ausflicht, oder
in kristallener Kürze aneinanderreiht, haben sie alle den
leichtbeschwingten, spielerischen Rhythmus, den Jüng-
lingsblut, Jünglingslaune hat.

Daß das möglich ist, liegt freilich — und damit ist
wohl zum zweitenmal eine Grenze Robert Walsers be-
rührt — daran, daß seine Erzählungen, genau genommen,
selber gar kein Aiel haben: Sie beginnen immer da-
mit, daß der jugendliche Held irgendwo ankommt, und
enden so, daß er wieder abfährt; was dazwischenliegt,
sind Erlebnisse, die tagebuchartig oder in der Form des
Abenteuerbuches aneinandergereiht sind. An das Männ-
lich-Reife, das in den Büchern auch ist und seinerseits
wohl zu Katastrophen treibt, tritt der Held immer nur
als Beobachter heran, und so ist es deshalb auch keines-
wegs ein Aufall, daß ganze Bücher des Dichters geradezu
Aufsätze enthalten, wie auch die anderen Bücher viel-
fach aus Briefen, selbstbiographischen Berichten und
kleinen Essays zusammengestellt sind: Robert Walsers
Darstellung balanciert stets und immer unaufhörlich auf
der Grenze zwischen Gedicht, Aufsatz und Erzählung und
hat in dieser Awitterhaftigkeit echte Form nur von der
echten Natur, die er darstellt.

Von Robert Walsers erstem Buche, „Fritz Kochers
Aufsätzen", ist schon gesagt worden, daß es in der Form
hin und wieder noch in etwas outriert sei, weil sich der
Dichter noch übertreiben müsse, um sich zu finden. So
 
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