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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Bab, Julius: Erziehung zur Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0162

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Crziehung zur Schauspielkunst.

O, ich sehe sie auf hundert deutschen Bühnen, diese
Naiven, die mit schalkhaftem Ausdruck „Nein, nein"
sagen, und diese Charakterspieler, die Entschluß und
Enttäuschung machen! Hier ist die Wurzel alles Übels.

Nun aber geht Auerbach mit wahrhaftem Mamelucken-
mut zu Dialogen und Ensembleszenen über. Man sollte
meinen, das heißt dichten. Aber anderseits will ja
Auerbach nur Typisches, Allgemeingültiges geben, will
alles Jndividuelle, sinnlich Farbige vermeiden. Und
das heißt zu deutsch alles Dichterische. Denn ein Dichter
ist ja wohl, wer uns vom Leben statt in der Sprache
begrifflicher Abstraktionen mit sinnlichen Gestalten zu
reden weiß. Was in diesem Dilemma entstehen muß,
ist ziemlich klar: ganz einfach schlechteDichtung. Farben-
lose, phantasieschwache Situationsumrisse, Theaterhand-
werk.

Daß kleine Entgleisungen passieren, wie „Du malst
Dir immer gleich das Schrecklichste vor Augen", das ist
nicht das Schlimmste; falsches Deutsch erkennen am
Ende viele, aber falsche Kunst nur wenige. Wenn
Auerbach aber eine ernsthafte Situation vornimmt, so
bleibt ihm (er ist ja kein Dichter und behauptet es auch
nicht zu sein) nichts übrig, als Anschluß an die fadeste
literarische Tradition zu suchen. — A liest in der Aeitung:
„nun ist alles aus" und B bemerkt: „Bankkrach". Ob Ä
der Sohn oder die Frau von A ist, bleibt unklar, aber
jedenfalls bemerkt B: „ich will Dich aufrichten" und A
erwidert: „treue, gute Seele". -- A beschwört Geister
und sagt zu dem widerspenstigen Gespenst: „ElenderTrug!
Phantom, das mir Erfüllung erst auf dem Pfad des
Todes zeigt"! — B (die folgende Replik beweist immer-
hin, daß sie eine Mutter ist) bekommt einen üblen Brief
und bemerkt; „meine Kraft ist gebrochen", worauf A
schlagfertig versetzt: „laß mich für alle Kraft haben,
Mutter". — Jst das nun etwas anderes, als eine Brocken-
sammlung aus unser schlechtesten Theaterliteratur? Diese
Wendungen sind seit Generationen von Unkünstlern
gepragt, die, ohne Gefühl für das individuelle Wesen
der Dinge, sich eben auch mit jenem ganz abstrakten,
vag-typischen Ausdruck für menschliche Erlebnisse be-
gnügten. (Daß Herrn Auerbach in dieser Art Lustspiel-
szenen gelingen, die wegen ihres leichteren Stoffes
weniger peinlich sind, von denen aber nur der Kenner
entscheiden kann, ob sie nicht irgendwo von Benedir,
Schönthan oder Blumenthal einfach übernommen sind,
sei nebenher erwahnt.) Wenn aber Beispiele von dieser
Art aus der eristierenden schlechtenTheaterliteratur leicht
zu Tausenden hätten beschafft werden können, so ist zu
sagen,daß sie durch dieseJsolierung an schauspielerischem
Wert nicht gewinnen, sondern noch unendlich verlieren.
Denn das Geheimnis der dramatischen Form ist, daß sie
noch in ihren schwächsten Erfüllungen aus einer irgendwie
bedentsamen Folge zahlreicherMomente das Gesamt-
bild einer menschlichen Person andeutet. Jn der
Welt eines Dramas eristieren Menschen, die Erlebnisse
haben. Jn diese Menschen soll sich der Schauspieler
hineinfühlen, das ist seine eigentliche Leistung, und aus
der folgt, daß er den individuellen Auüdruck für die ein-
malige Situation dann ganz von allein findet.

Diese aufgespießten Momente der Herren A und B
aber wahrhaft darzustellen, ist überhaupt unmöglich,weil
A und B eben keine Personen, keine Menschen sind und

Erlebnisse nur an wirklichen Menschen geschehen können.
Der Künstler nimmt von einem organischen Mittelpunkt
aus sein Werk in Angriff, alle einzelnen Teile sind ihm
notwendige Fclge; ist er der Mensch und erhält er die
Situation, so reagiert er, wie eben ein lebendiges
Jndividuum reagieren muß. Die Auerbachsche Methode
erzieht zu dem Gefühl, daß die Szene vor dem Drama,
der Moment vor der Gestalt, der schauspielerische Aus-
druck vor der völligen Umwandlung des Schauspielers
in die Gestalt da sein könne. Diese Methode nährt
offenbar den Glauben, es könne eine Gestalt mosaik-
artig aus einzelnen Momenten zusammengesetzt werden
— sie erzieht zur Nuancenspielerei und damit trotz
allen guten Glaubens zum Schematismus, zur Unnatur.

Auerbach meint in seinem Schlußwort, daß die
Klassiker für das Stellenstudium zu schade wären, und
deshalb habe er seine Lehrstücke angefertigt. Wiederunr
ein Fortschritt, aber in falscher Richtung! Gewiß ist
es eine Jnfamie, dem Schauspieleleven die lebendige
Gestalt des Dichters in einen Haufen von Momenten
auseinanderzurupfen, die einer ohne den anderen ja
ganz sinnlos wären. Aber statt der naheliegenden Ein-
sicht, die Rollen also schön im ganzen zu lassen, kommt
Auerbach zu dem achtungswerten aber törichten Ent-
schluß, solches neutrale Herelwerk eigens anzufertigen.
Nun tragen aber Dichterstellen selbst in ihrer blödesten
Jsolierung doch ini Sprachlichen noch irgendeinen Hauch
von der Gesamtheit des Werkes, dem sie entnommen
sind. Auch das fällt bei Auerbach weg, weil das Werk
garnicht eristiert! Und so macht seine Methode das
Übel nur schlimmer. Statt zum Erleben eines Menschen,
das hundertfache Entladungen mit sich bringt, werden
die Schauspieler zur Anfertigung abstrakter Affekte an-
geleitet, die auch bei subtilster Ausführung und sorg-
fältigfker Iusammensetzung niemals einen lebendigen
Menschen ergeben können. Für die schöpferische Kraft
innerer Verwandlung wird eine im Grunde begriffliche,
höchstens von kleinen nervösen Momentaffekten genährte
Fertigkeit der Vortäuschung großgezogen. Das ist der
heillose Schaden, den es zu zerschmettern gilt.

Jch weiß, daß in irgendeiner Variation die Auer-
bachsche Methode heute allgemein üblich ist, beinahe
alle „Lehrer der Schauspielkunst" eristieren von der Bei-
bringung solcher Affektkunststückchen, die in ihrer un-
individuellen Art doch höchstens im Erperimentiersaal
eines psychophysischen Jnstituts, niemals in einem
Theater interessieren sollten. Aber in Wahrheit sollte
es nur drei Lehrer der Schauspielkunst geben: den Turn-
meister, den Dramaturgen und den Regisseur. Die
beiden ersten als Vorbildner: der Meister des „Turnens"
im weitesten und modernen Sinne soll Gelenk und Kehle
unbedingt gefügig und geschmeidig machen; der Dra-
maturg soll in ganz ähnlicher Weise die Phantasie lösen,
nicht etwa „literarhistorische Aufklärungen" bringen, son-
dern den organischen Iusammenhang eines dramatischen
Kunstwerkes aufdecken, den Blick für das Wurzeln und
Wachsen einer Gestalt im dramatischen Gebilde schulen.
Der eigentliche Bildner aber kann nur der Regisseur
sein, der beider Kräfte mit schauspielerischer Energie
zusammenfaßt und den jungen Schauspieler in der
Arbeit an einer ganz wirklichen Rolle stützt und vorwärts
führt. Alles andere ist vom Übel! ' Jene alten Schul-

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