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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Röttger, Karl: Maria: ein Zyklus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0192

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Maria.

Wenn Maria in die Ferne sieht,
deckt die Sonne ihre Augen blendend zu.

Daß sie sinnt und lächelt, daß sie spricht:
„Warum steh ich nur im Glanze so?

Jesus kam doch noch nicht —

Warum steh ich doch so selig froh?

Hat mich wieder in der Nacht
Engelwort zur Braut gemacht?"

7.

Da kam Jesus den Hügel herab,
den Weg, den er fortgegangen war,
und war allein. Die Seinen standen drüben und
warteten.

Sie sah ihn kommen und war gelähmt von der Freude.
Sein Geleit waren die roten Strahlen der Abendsonne,
die trugen leuchtend: den Dunkeln.

Und als er eintrat, lächelte er.

Sie sprach: Was bringst du mit dir? Was ist so hell?

Die Brüder sprachen: Er kommt so arni als er ging.

Maria 'sprach: Dann ist er reich gewesen schon als er
gmg.

Sie sprachen: Er blickt wie ein Fremder und lächelt
verstört.

Maria sprach: Darum bereitet ihm freund ein Mahl
und ein Lager. —

Sie stand aber auf in der Nacht und ging in seine Kammer,
nah vor Morgen —

da lag er wach und lächelte ihr zu durch die Dämmerung.
Sie setzte sich zu ihm und sprach:

Du kannst im Feuer gehn — wie ist das?

Bist du mehr als wir?

„Kann ich?" sprach er, „ich weiß nicht, Mutter. — Kam
ich im Feuer?

Jch weiß nicht." — Sie blickte voll Angst:

Du weißt es nicht? Jch meine — ich sah doch —

„Es wird schon sein, Mutter." — Sie aber klammerte
ihn und sagte in Trauer —: Du bist der meine;
willst du uns ganz fremd werden?

Er spricht: „Jch diene Gott, und bin in die Welt ge-
sandt . . .

.Und als er fortging,

schliesen sie alle noch . . . Und die Stube war fröstelnd
grau

in einsamer Dämmerung. Da sprach er:

„Lebwohl, Mutter, das letzte Lebewohl
sage ich nicht, dessen warten wir ....

Sie stand am Fenster und sah dem Dunkeln nach,
und als er auf den Hügel kam, ging die Sonne auf.
Da sah sie ihn hingehn im Feuer,
so wie er kam, gestern, im Feuer ....
und dann sog ihn das Licht des Morgens ganz auf
und er war nicht mehr ....

Maria aber lächelte in den erwachten Tag.

8.

Marias Gesicht.

Und als er nun erschien (wie er gesagt, da er zum zweiten
Male ging),

erstaunte sie, wie groß er sei und dann:
wie sie in Stille und so leisbewegten Herzens
hinschauen konnte. — So, als sei
das Große und das Wunderbare eine Selbstverständ-
lichkeit

und langgewohnter Umgang und Umgebung ihr.

Und nur die Freude läutete an ihrem Herzen.

Das schlug so selig als in jenen Nächten,
da ihr das Wort geschah —

So aber stand Jesus da: hochweit und nah vor ihr.
Sie sah ihn auf dem Hügel stehn, sehr groß, sehr dunkel
vorm blasser werdenden dunkelnden Abendhimmel.

Er blickte nieder auf die stille Stadt,

er blickte nieder aus ihr stilles Haus —

dann tat er seinen Mantel auseinander,

den faßte der Wind, und dehnte ihn, dehnte ihn — mehr

und immer mehr .... und überzog

den ganzen Himmel, den ganzen großen Bogen,

den ganzen Kreis, die ganze Kugel

mit seinem Mantel — und schwand ....

Nur seine Augen blieben stehn und leuchteten
(die ersten Sterne) und mehrten sich . . . . Da war es
Nacht.

Und da erschauerte Maria und sah

den Sternenhimmel stehn und Sterne leuchten

und leise hauchte sie: Jch grüße dich!

Er stand die ganze Nacht so aufgetan,

so weiter Mantel — Sterne fielen

ein paarmal hin und rollten in das Dunkel. —

Sie saß die ganze Nacht und sah ihn an
mit Seel und Auge weit und aufgetan
und in sich saugend Atmen aller kühlen
Welthauche, — aller Augensterne Funkeln —

Und da geschah die Wandlung, kam das scheue
Aufleuchten (wie ein Lächeln im Gesicht
und ein Erröten) — denn die Nacht war alt
geworden .... Wandelnd die Gestalt
des Dunkels in ein erst begonnenes Licht, —
stand er und sprach den Gruß: Jch bin das Neue,
das aus den reif gewordnen Nächten bricht.

Und breitete zum andern Mal den Mantel weit:
Jch bin die Klarheit einer späten Zeit ....

Und vor der Glut des Auges übers Land
Legte Maria aufs Gesicht die Hand.

*

-i-

Der Tag war schön. Wie aufgetaner Himniel,
wie aller Seligkeiten Wiederkehr. —

Sie sprach: wie bist du schön — wie leuchtet
wie unter leiser Hand weiß-gold dein Haar . . . .
ich kenne dich, Verwandelter, du bist
aus mir — und mehr als ich. Jch grüße dich. —
Und Jesus lächelte und neigte sich ....
 
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