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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0154
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Er dient zur Aufnahme des Volksrechtes und ist aus
(frei Teilen zusammengesetzt. Teil I ist Artikel 72 (1):

Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk
(Volksentscheid) beschlossen.

Das ist gewissermaßen der Köder für die Wählcrschar.
Mit Rücksicht auf die unter dem Volk weitverbreitete
Meinung, daß es mehr als genug Gesetze gibt, besieht
der Teil II aus Artikel 74 (1):

Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein
Zehnte! der stimmberechtigten Staatsbürger das
Begehren nach Schaffung eines Gesetzes stellt.

Für den Fall, daß das Volk aber andere Wünsche hat
ocjer Staat und Verfassung als unzulänglich erkennt,
wurde der Käfig durch Teil III Art. 15 (1) verstärkt:

Wählergruppen, deren Mitglieder
oder Förderer darauf ausgehen,
die staatsbürgerlidken Freiheiten zu
unterdrücken oder gegen Volk,
Staat oder Verfassung Gewalt anzu-
wenden, dürfen sich an Wahlen und
Abstimmungen nicht beteiligen.

Innerhalb dieses soliden Rahmens können sich der
Volkswille und die Volksseele frei erheben.

Der Artikel 147 kommt gerade diesen Regungen beson-
ders entgegen:

Die Sonntage und die staatlich anerkannten
Feiertage bleiben als Tage der seelischen
Erhebung und der Arbeitsruhe gesetzlich geschützt.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende
unseres Rundganges angelangt. Die Ausstellung hatte
vor allem die Aufgabe, Ihnen zu zeigen, daß man sich
ehrlich bemüht hat, die „bayerische Ruhe" nach altera

Muster und unter Berücksichtigung moderner staatstech-
nischer Errungenschaften wieder aufzubauen.

In Anbetracht der Fülle der nichtkommentierten Artikel
von gangbarer Qualität, die Sie im Vorbeigehen besich-
tigen konnten, entsprach dieser Rundgang gleichzeitig
einer Unterrichtsstunde in Demokratie.

Die Ausstellungsleitung erlaubt sich, Sie abschließend
daran zu erinnern, daß die kommenden Wahlen im ge-
wissen Sinne auch eine kleine Reifeprüfung sind, deren
Ergebnis das Ausland mit Interesse erwartet, und daß
es Ihnen freisteht, die Verfassung in ihrer augenblick-
lichen Form anzunehmen oder sie (nach dem Beispiel
Frankreichs) abändern zu lassen. M. Schrimpf

Zeichnungen: M. Radler

AUS EINER ALTEN CHRONIK

Seit den frühesten Tagen durfte sich Bayern seiner fort-
schrittlichen, in freiheitlichem Geiste erlassenen Gesetze
rühmen, und wer sie genauestens befolgte, auch jener
Nachsätze wohl achtete, die mit „insoferne nicht" be-
gannen, der konnte fast stets damit rechnen, straffrei zu
bleiben. Dieser erfreuliche Zustand herrschte allerdings
nicht zu allen Zei'en, sondern entwickelte sich erst im
Laufe der Jahrhunderte zum Segen unseres geliebten
Bayeinlandes. Ein besonders schönes Beispiel findet sich
in der Chronik des Matthias Hugendubel, eines Mönches,
der von 1142 bis 1185 im Kloster Tegernsee lebte und
dort in säuberlich gemalter Schrift gewissenhaft alle Er-
eignisse niederschrieb, die ihm einer Ueberlicferung an
die Nachwelt würdig erschienen. Den vergilbten Perga-
menten entnehmen wir den folgenden, aus dem Latei-
nischen frei übertragenen Bericht:
Am Tage des heiligen Laurentius anno domini 1178,
Gelobt sei Gott, der Herr, in aller Ewigkeit! •
In diesen Tagen aber, da unser allergnädigster Herzog
Heinrich, geninnt der Löwe, über das Land Bayern
herrschte, geschah es, daß sich ein Wandergcsell auf einen
Kahn begab und in selbem über den See schiffte. Dieweil
aber der Bursche gar erbärmlich vom Hunger gequä'et
ward, und seine trockene Kehle auch nach einer Er-
frischung gelüstete, ließ er es sich einfallen, in ein Wäld-
lein zu gehen, um sich alldort am Genüsse wildwachsender
Beeren zu erlaben. Und also füllte er sich den Magen so
lange mit Heidelbeeren, bis sein Hunger und Durst ge-
stillet war. Da er aber auch gedachte, sich ein leckeres
Nachtmahl zu bereiten, vermaß er es sich, Pilze zu sam-
meln und selbige in seinem Ränzlcin zu bergen. Als der
Wanderbursch nun müde war, legte er sich am Rand des
Wäldlcins nieder, um alldort der Ruhe zu pflegen. Es ge-
fiel ihm gar wohl, wie der Mond über dem See aufstieg
und die Sterniein am Himmelszelt zu erglänzen begannen.
Oh, wie schön ist doch diese Welt! dachte sich der Ge-
selle. Doch da geschah es, daß ein Gewaffnetcr neben ihm
stund, die Spitze seines Schwertes gegen ihn richtete und
gar grober Weis' also sprach: „Gestehe, eleifder Wicht,
was tuest du allhier? Antworte rasch, auf daß dich nicht
mein Schwert durchbohre!" — „Ich sehe nach Mond und
Sternelein", erwiderte angstvoll der Wandergesell. —
„Weißt du denn nicht," schrie ihn voll Zornes der Ge-
waffnete an, „daß es unser allergnädigster Herr und
Herzog Heinrich der Löwe bei Todesstrafe verboten hat,
an SüDne, Mond und Sterniein, an Wald und Weide Ge-

fallen zu empfinden? Somit bist du denn mein Gefangener
und wirst mir vor den Richter folgen, denn wie du an
dieser Kette zu erkennen vermagst, bin ich als Knecht des
Herzogs dazu befugt, deinesgleichen in Haff zu nehmen."
So mußte also der Gesell dem Gewaffneten folgen und
wurde vor den Richter gebracht. „Du hast dein Leben
nach dem Gesetz verwirkt!" sprach dieser zornig, „denn
dein Gefallen an Mond und Sternlein, Wald und Weide,
sind des Todes würdig. Zudem aber sehe ich auch noch,
daß dein Maul geschwärzt ist. Gestehe es, du hast dich
an wildwachsenden Beeren gelabt!" — „Ich gestehe es",
antwortete der Geselle, „doch waren es nur sechs Hände
voll." — „Um eine zu viel!" schrie der Richter, „denn
du mußtest wissen, daß diesen Ortes nur ein Maß von
fünf Händen dem Worte des Gesetzes entspricht. So du
es aber nicht wußtest, ward dir d?c Pflicht, dies sorglich
beim Vorsteher unserer Gemeinde zu erfragen und darnach
zu tun. Dieweilen du aber zu alledem auch noch ein Ge-
wässer befahren und drei Täublinge übet dem ortsüblichen
Maße gepflückt hast, sollst du in einem Kessel siedenden
Peches dein elendes Leben lassen! Also verfüge ich im
Namen unseres allergnädigsten Herrn und Herzoges von
Bayern Heinrich des Löwen." So ward denn der Wander-
geselle in den Hof des Gerichtsgebäudes gebracht, und
schon wollten ihn die Henkersknechte in das brodelnde
Pech werfen, da sprengte ein Herold des Herzogs in den
Hof, schwenkte eine weiß-blau bemalete Pcrgamentrolle
in der Hand und rief: „fm Namen Herzog Heinrich des
Löwen, haltet ein!" Der Reiter entfaltete das Pergament
und verlas:

„Ich, Herzog Heinerich, der Löwe, durch Gottes Gnade
Herr von Bayern, tue allen Bewohnern meines Landes zu
Kund und Wissen und verbiete im Rahmen der bestehen-
den Gesetze jede Zuwiderhandlung, insoferne nicht andere
Gesetze diesen entgegenstehen, den Artikel 141 Ab-
satz 3 der Verfassung des Herzogtumes Bayern, also
verfügt am Tage des heiligen Aegidius anno domini 1178:
Der Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der
freien Natur, insbesondere das Betreten ven Wald und
Weide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung
wildwachsender Beeren, Pilze und dergleichen in ortsüb-
lichem Umfange ist jedermann gestattet."
„Die herzogliche Verfügung kann auf den Fall dieses Ver-
brechers keine Anwendung finden", sprach der Richter,
„denn der Bursche hat bei der Aneignung wildwachsender
Beeren den ortsüblichen Umfang um eins Hand über-

schritten. Doch mag ihm so lange ein Strafaufschub zu-
gebilligt sein, bis die Weisheit unseres allergnädigsten
Herzogs und Herrn eine Entscheidung über Tod oder
Leben getroffen hat." So büßte denn also der Wander-
gesclle seine Untat durch die Gnade des Herzogs nur mit
acht Jahren Kerker, dieweilen er vor Erlaß des Gesetzes
sein Leben hätte verwirkt.

Gelobt sei Gott, der Herr, in aller Ewigkeit Amen.

A. Wisbecfe

DER UNTERSCHIED

Laut Rundfunkmeldung hatte die bayerische Verfassung-
gebende Versammlung die von Prof. Dr. Nawiasky vor-
geschlagene Bestimmung: „Die Presse hat das Recht,
auch an Maßnahmen der Regierung Kritik zu üben" ab-
geändert in: ........ das Recht, sachlich Stellung zu

nehmen."

Das Dritte Reich hatte die Kritik kastriert und aus ihr
eine „Besprechung" und „Stellungnahme" gemacht, denn
es sah bald ein, daß Kritik und Diktatur unvereinbar
sind. Unsere neuen Landesväter halten diesmal Kritik
für unvereinbar mit Demokratie.

Der Unterschied ist augenfällig. Während die Nazis ihr
Gewissen beim Regieren belasteten, hat unsere demo-
kratische Regierung offenbar schon ein schlechtes Ge-
wissen, bevor sie richtig zum Regieren kommt.

J. Erbo

Der arme Gaul wurde inzwischen auf Verlangen der Amerikaner
aus der kläglichen Lage befreit, die ihm die VerfassunggetKnc's
Versammlung in Bayern zugemutet hatte.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine Führung durch die Bayerische Verfassung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur J. Erbe

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 13, S. 154.

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