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KLEINER BUMMEL
DURCH DIE ZEITGENOSSEN

EIN HELD

Den kleinen freundlichen Herrn Brandmaier kenne ich seit
vielen Jahren. Wir treffen uns zufällig in großen Ab-
ständen von Jahren, Monaten oder Wochen und reden dann
eine halbe Stunde, manchmal vom Wetter, öfter von der
Familie und am häufigsten von der Politik. Er ist ein
ziemlich ruhiger, kleiner Mann, und ich weiß, daß er

— privat — kein wilder Nazi war. Beruflich freilich hat
er ganz nett mitgetan und sich, da es das Fortkommen
verlangte, mit dem Reichsamtsleiter Dingsda und dem Amts-
walter Sowieso in jeder Hinsicht gut gestellt. Seine un-
brauchbaren Ansichten verbarg er dann jeweils tief im
Busen und das Herz hörte nicht hin, wenn die Zunge
sprach. Der freundliche Herr Brandmaier werkette halt
so mit und kam ganz hübsch vorwärts, ohne besonders
auffällig nutzzunießen, doch auch unter sorgsamster Ver-
meidung jeglichen Anstoßes.

Manches freilich fand er auch gar nicht so ganz schlecht.
Er verdiente gut, fuhr samt seiner Frau mit ,,KdF" nach
Madeira und sagte, die straffere Jugenderziehung schade
den Lausbuben nichts. Sein Ortsgruppenleiter hatte über
ihn nicht zu klagen, ließ ihn seinerseits dafür in Ruhe,
und so sparte er sich, wie er damals sagte den Partei-
beitrag. Im übrigen ließ er jedem seine Meinung, zeigte
keinen an, marschierte nur mit, wo er gesehen werden
mußte, und bildete nur dort. Spalier, wo sich das Schauen
lohnte, also bei Leuten vom Gauleiter aufwärts.
Ein kleiner, nicht bösartiger Mann also, wie man sehen
kann. Ein dankbarer Unbelasteter. Meint man. — Man
irrt. Der kleine Herr Brandmaier ist, so hat sich heraus-
gestellt, ein Held, der seinerseits Dankbarkeit für sein
mutiges Eintreten gegen den Faschismus beanspruchen kann.
Ich habe kein sehr gutes Gedächtnis. Aber mir fällt dabei
plötzlich ein, daß der kleine Herr Brandmaier schon ein-
mal Ansätze zu leichtem Heldentum gezeigt hat. Wie eine
ferne Melodie höre ich die Sätze aus dem Jahre 33, die
von ,,damals im Bürgerbräu" sangen und ..von der Kampf-
zeit, als wir immer mit dem Führer im Hofgarten saßen",
erzählten. Ein noch etwas unerprobtes ängstliches Helden-
tum war es damals, das rasch wieder erlosch, wo es nicht
nötig war.

Diesmal aber, wo die Zeiten, äußerlich gesehen, noch
mulmiger scheinen, ist das Heldentum zielstrebiger ge-
worden. Die Brotkörbe hängen so Kbch. daß ein kleiner
Mann sich nach ihnen schon strecken muß. Also macht er
sich immer noch ein bißchen größer und noch ein bißchen

— so groß es halt geht.

Wie gesagt, als ich ihn nach langer Zeit zum erstenmal
wieder traf, teilte er mir gleich nach dem ,,Wie geht's?"
mit, daß er ein Held sei. Einer der zahlreichen neudeut-
schen Helden, die wie die Pilze aus dem Boden schießen,
denke ich erst — aber allsogleich erfahre ich, daß er ein
alter trutziger Held all die zwölf Jahre durch gewesen ist.
Er hat im Kampf gegen den Faschismus seine Gesundheit
untergraben, berichtet er, indem er trotz seines schwachen
Magens mit den Nazibonzen Dingsda und Sowieso so oft
gesoffen hat. Denn nicht aus Berufsrücksichten ist er mit
diesen Burschen zusammengekommen, wie ich vielleicht
gemeint habe, sondern nur, um diese gewaltigen Träger
der nazistischen Idee auszuhorchen. Und dabei mag er
nicht einmal Wein, Weißwein schon gleich gar nicht.
Ja. und wie hat der Herr Brandmaier seine Forschungs-
ergebnisse kämpferisch ausgewertet? Ich erfahre, daß er
alles dem Krauthäuptler weitergegeben hat. Sie wissen
schon, dem Führer der Gruppe Krauthäuptler.
Nein, ich weiß nicht. Das zieht mir einen aus Mitleid
und Entrüstung gemischten Blick des Helden-Brandmaier
zu. Der Krauthäuptler ist der Führer einer Gruppe von
fünf Mann gewesen, die sich schon Ende 1944 zusammen-
getan haben, um die Nazis zu vertreiben — und diese
auch vertrieben hätten, wenn die Sache noch länger ge-
dauert hätte. Aber es war auch wieder gut, daß die Sache
nicht mehr so lange gedauert hat, denn die Gruppe Kraut-
häuptler, zu der auch Herr Brandmaier gehörte, war von
den Nazis geschlossen auf eine Todesliste gesetzt worden
und wäre mit Sicherheit „umgelegt" worden, wie der Herr
Brandmaier fachmännisch sagt, wenn der Einmarsch sich
nur um drei Tage verzögert hätte. Das hat ihm ein
befreundeter ZeMenleiter gesagt, der auch damals schon
kein Nazi mehr war. Selber sehen kann man so eine Liste
natürlich nicht. Man weiß nur, daß man draufsteht. Viel-
mehr, draufgestanden hat, denn die Listen sind fast alle
verbrannt worden. Nur ein paar hat man wirklich gefunden.
Ich meine, solche Listen müßten ballenweise verbrannt
worden sein, denn ich kenne nur ganz wenige Leute, die
nicht auf so einer Liste gestanden haben. Vielleicht zwei
von hundert, sage ich. Ja, ja, die zwei werden halt die
sein, die diese Listen angelegt haben, versichert mein Held.
Jetzt, sie von der Gruppe Krauthäuptler wären ohne wei-
teres verurteilt word?n. wenn man sie erwischt hätte. So
grimmig ist an ihrem Stammtisch geschimpft worden. Zu-
gegangen ist es daß einmal die Kellnerin gesagt hat:
„Jetzt müssen die Herr n aber leiser reden, sonst kriegen
die Herrn noch einmal Anstände."
Ja, und was haben die Herren da getan?
Na — leiser geredet natürlich. Sie waren ja ohnehin mit
mehr als mit einem Fuß im KZ gestanden, weil außer dem
Krauthäuptler nur zwei von ihnen bei der Partei waren.
Ihn, den Brandmaier, freilich hätten ja keine zehn Pferde
in die Partei gebracht. Er hat diesem furchtbaren Druck
unerbittlich standgehalten. Der Ortsgruprenleiter hat ihm

das Haus eingelaufen, der Kreisleiter hat ihm gedroht,
aber da hätte der Gauleiter, oder sagen wir gleich: der
Hitler selber hätte da kommen können und es hätte ihm
nur ein eisiges „Nein" entgegengeschallt. Nicht ums
Sterben hätte er sich hineinpressen lassen — und das,
meint er, gehört schon irgendwie belohnt. Nicht mit einem'
Orden, nein, er ist kein Militarist, er hat schon im vorigen
Krieg die bayerische Tapferkeitsmedaillc abgelehnt und
sein EK 1 dem Hund umgehängt, nicht wahr, aber eine

besondere Lebensmittelzuteilung oder eine Steuererleich-
terung oder ein schnelleres berufliches Vorwärtskommen —
das, findet er, könne einem Mann von Charakter schon
zugestanden weiden. Denn schließlich hat er ja Glück
gehabt, daß er mit dem Leben davongekommen ist, Mords-
glück!

Hat er. Ein Mcrdsglück. Und vielleicht ist es nur sein
Pech, daß er so >ille zwölf Jahre ein Held werden muß?
Aber Glück und Pech teilt er mit vielen. Wim

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das schwarze Zeitalter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Herrmann, Otto
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 3, S. 27.

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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