DER DICHTER LIEST AUS EIGENEN WERKEN
o. m. graf: ERFAHRUNG MACHT KLUG
B. Schlichter
Sogar bis nach New York und ein bißl darüber hinaus
ist es Jetzt schon ruchbar geworden, daß ich etliche Bücher
geschrieben habe. Wer sich mit einem so wenig ein-
träglichen Geschäft befaßt, von dem meinen die Leute
gleich, er muß ein ganz sonderbarer Mensch sein. Jeden-
falls hat mich neulich ein offenbar sehr gebildeter Herr
angeredet und hat gefragt: ,,Wie ist ihre innere Einstel-
lung, Herr Graf?" Ich muß sagen, das war für mich noch
sonderbarer, denn ich hab' gemeint, er weiß mir eine
Stellung.
Schließlich aber, wie der Herr mir alles genau erklärt
hat, habe ich gesagt: „Herr, was wollen Sie eigentlich? ..
Ich bin mißtrauisch von Kind auf, und Respekt hab' ich
noch nie vor was gehabt. ."
„Ach, das ist interessant!" hat der Herr gesagt und hat
was notiert. Da bin ich noch mißtrauischer geworden,
weil ich gemeint habe, er ist ein Kriminaler, Und erzählt
hab' ich ihm nur noch, daß ich noch nicht Englisch kann,
nicht einmal richtig Deutsch — nur Bayrisch. Da ist er
endlich abgezogen, weil er wahrscheinlich gemeint hat,
diese Sprache wird höchstenfalls in einem unentdeckten
Landstrich gesprochen. Vielleicht hat er auch an meiner
geistigen Zurechnungsfähigkeit gezweifelt, weil ich ihm
nachgeschrien habe: ,,Gut Ihnen bei, Herr Doktor...
Salon!" '~>iescs letzte Wort, hat man mir gesagt, heißt
ungefähr „Auf Wiedersehen", aber ich denke immer an
Salon, weil das ganz was Feines ist.
Ihnen, meine lieben Herrschaften und Landsleute, aber
will ich gerne erzählen, warum ich schon von "Kind auf
mißtrauisch bin.
Nämlich, bevor ich aus der Schule gekommen bin, waren
bei uns gerade königlich bayrische Manöver. Das ist sehr
schön gewesen, w4e soviel Soldaten dahermarschiert sind.
Sie waren ja um und um staubig, aber recht farbig. Und
vor den Soldaten hat die Musik gespielt. Das Aller-
schönste aber, ja, das Gewaltigste waren die zwei oder
drei blitzblanken, betreßten und ordensgeschmückten Offi-
ziere, die vornean geritten sind.
Ein solcher Offizier ist dann zu uns ins Quartier gekom-
men. Ich weiß nicht mehr genau, ist er ein Major oder
ein Hauptmann gewesen. Diese Rangbezeichnungen und
Unterschiede habe ich auch noch als Soldat im Weitkrieg
Nr. 1 nicht gelernt, was natürlicherweise zu allerhand
Arrestierungen Anlaß gegeben hat. Vielleicht ist wegen
meiner Unkenntnis sogar der damalige Weltkrieg verloren
gegangen — ich meine natürlich, für den Kaiser Wilhelm!
Aber damit ich dabeibleibe: Also der Offizier ist zu
uns ins Haus gekommen, und ich hab' ihn angeschaut wie
etwas Uberirdisches! Lange Lackstiefel hat er gehabt,
vernickelte Sporen, einen langen Säbel, einen wunderbar
glänzenden Helm und Orden .. . Orden, sag' ich Ihnen,
ganz schwummelig ist mir geworden, wie ich auf die ge-
polsterte Brust von dem Herrn geschaut hab'! Kurz und
laut hat er geredet, daß einem schier Angst hat werden
können. Wirklich in allem: Eine gebieterische Erscheinung!
Damals habe ich schon manchmal nachts in der Bäckerei
mithelfen müssen. So um zwölf Uhr herum ist auf ein-
mal der Herr Offizier mit verschlafenem Gesicht und un-
ordentlichem Haar, im Trikothemd, bloß notdürftig in
seiner schönen, diesmal aber sehr faltigen Biesenhose und
in latschigen Pantoffeln über die Stiege heruntergekom-
men. Ganz verdattert war er und hat ziemlich dringlich
nach dem Abtritt gefragt.
Ich habe es ihm wirklich nicht gleich sagen können und
habe bloß auf die Brusthaare geschaut, die aus seinem
offenen Trikothemd hervorgelugt haben, und auch auf
seinen komisch runden Bauch.
„Na! Na, wo ist denn da-das Häuschen? Wo denn?" hat
er noch verstörter, ja fast wehleidig gefragt, und geschlot-
tert hat er dabei.
„Da hinten, da draußen ist das Häusl, da. . !'•' hab' ich
endlich gesagt und er ist wie der Wind an mir vorüber-
geschossen und hinaus bei der hinteren Türe. Das ist
für mich gewesen, als wie wenn mich wer mit dem Bier-
schlegel auf den Kopf gebaut hätte — der glanzvolle
Held in Pantoffeln, und er muß dahin gehen, wo wir
alle hinmüssen, ich, die Gesellen, der Wirt, kurzum jeder!
Aus war es, ganz und gar aus mit jedem Respekt von
da ab...
Dem Hitler sein etwas gescheiterer Vorgänger, dem Bis-
marck, welchem sonderbarerweise viele, die ihn nicht er-
lebt haben, innig nachtrauern — dem sollen einmal, sa
habe ich später einmal gelesen, zwei oder drei Landes-
fürsten in Badehosen unter die Augen gekommen sein,
und da hat auch d e r an nichts Hohes und Hehres mehr
glauben können. Das hat mich seinerzeit gefreut und
erleichtert, denn mir ist dabei mein Offizier eingefallen...
Und Nummero zwei — wegen meinem Mißtrauen?
In der Gegend, wo ich daheim bin oder — sagen wir —
gewesen bin, da haben wir lange, lange Jahre eine Wun-
derdokterin gehabt, die Kohlhäuslertraudl von • Walch-
statt. Zu der sind die leidenden Leute von weitum ge-
kommen. Fast jedem hat sie geholfen, alle redeten über
ihre Kuren, und abgöttisch ist sie von jedem Mensch.-!
verehrt worden. Geheißen hat es auch: Die stirbt über-
haupt nie, denn die hat jedes Mittel dagegen in der Hani.
Und was passiert da — auf einmal hat sie der Schlag
getroffen und tot ist sie gewesen, maustot!
Selbstredend — wenn ich mich schon hochdeutsch aus-
drücken muß — hat dieses Ereignis in unserer Pfarrei
die allergrößte Bestürzung hervorgerufen. Aber gilei :h
haben die Leute zu zweifeln angefangen und haben recht
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o. m. graf: ERFAHRUNG MACHT KLUG
B. Schlichter
Sogar bis nach New York und ein bißl darüber hinaus
ist es Jetzt schon ruchbar geworden, daß ich etliche Bücher
geschrieben habe. Wer sich mit einem so wenig ein-
träglichen Geschäft befaßt, von dem meinen die Leute
gleich, er muß ein ganz sonderbarer Mensch sein. Jeden-
falls hat mich neulich ein offenbar sehr gebildeter Herr
angeredet und hat gefragt: ,,Wie ist ihre innere Einstel-
lung, Herr Graf?" Ich muß sagen, das war für mich noch
sonderbarer, denn ich hab' gemeint, er weiß mir eine
Stellung.
Schließlich aber, wie der Herr mir alles genau erklärt
hat, habe ich gesagt: „Herr, was wollen Sie eigentlich? ..
Ich bin mißtrauisch von Kind auf, und Respekt hab' ich
noch nie vor was gehabt. ."
„Ach, das ist interessant!" hat der Herr gesagt und hat
was notiert. Da bin ich noch mißtrauischer geworden,
weil ich gemeint habe, er ist ein Kriminaler, Und erzählt
hab' ich ihm nur noch, daß ich noch nicht Englisch kann,
nicht einmal richtig Deutsch — nur Bayrisch. Da ist er
endlich abgezogen, weil er wahrscheinlich gemeint hat,
diese Sprache wird höchstenfalls in einem unentdeckten
Landstrich gesprochen. Vielleicht hat er auch an meiner
geistigen Zurechnungsfähigkeit gezweifelt, weil ich ihm
nachgeschrien habe: ,,Gut Ihnen bei, Herr Doktor...
Salon!" '~>iescs letzte Wort, hat man mir gesagt, heißt
ungefähr „Auf Wiedersehen", aber ich denke immer an
Salon, weil das ganz was Feines ist.
Ihnen, meine lieben Herrschaften und Landsleute, aber
will ich gerne erzählen, warum ich schon von "Kind auf
mißtrauisch bin.
Nämlich, bevor ich aus der Schule gekommen bin, waren
bei uns gerade königlich bayrische Manöver. Das ist sehr
schön gewesen, w4e soviel Soldaten dahermarschiert sind.
Sie waren ja um und um staubig, aber recht farbig. Und
vor den Soldaten hat die Musik gespielt. Das Aller-
schönste aber, ja, das Gewaltigste waren die zwei oder
drei blitzblanken, betreßten und ordensgeschmückten Offi-
ziere, die vornean geritten sind.
Ein solcher Offizier ist dann zu uns ins Quartier gekom-
men. Ich weiß nicht mehr genau, ist er ein Major oder
ein Hauptmann gewesen. Diese Rangbezeichnungen und
Unterschiede habe ich auch noch als Soldat im Weitkrieg
Nr. 1 nicht gelernt, was natürlicherweise zu allerhand
Arrestierungen Anlaß gegeben hat. Vielleicht ist wegen
meiner Unkenntnis sogar der damalige Weltkrieg verloren
gegangen — ich meine natürlich, für den Kaiser Wilhelm!
Aber damit ich dabeibleibe: Also der Offizier ist zu
uns ins Haus gekommen, und ich hab' ihn angeschaut wie
etwas Uberirdisches! Lange Lackstiefel hat er gehabt,
vernickelte Sporen, einen langen Säbel, einen wunderbar
glänzenden Helm und Orden .. . Orden, sag' ich Ihnen,
ganz schwummelig ist mir geworden, wie ich auf die ge-
polsterte Brust von dem Herrn geschaut hab'! Kurz und
laut hat er geredet, daß einem schier Angst hat werden
können. Wirklich in allem: Eine gebieterische Erscheinung!
Damals habe ich schon manchmal nachts in der Bäckerei
mithelfen müssen. So um zwölf Uhr herum ist auf ein-
mal der Herr Offizier mit verschlafenem Gesicht und un-
ordentlichem Haar, im Trikothemd, bloß notdürftig in
seiner schönen, diesmal aber sehr faltigen Biesenhose und
in latschigen Pantoffeln über die Stiege heruntergekom-
men. Ganz verdattert war er und hat ziemlich dringlich
nach dem Abtritt gefragt.
Ich habe es ihm wirklich nicht gleich sagen können und
habe bloß auf die Brusthaare geschaut, die aus seinem
offenen Trikothemd hervorgelugt haben, und auch auf
seinen komisch runden Bauch.
„Na! Na, wo ist denn da-das Häuschen? Wo denn?" hat
er noch verstörter, ja fast wehleidig gefragt, und geschlot-
tert hat er dabei.
„Da hinten, da draußen ist das Häusl, da. . !'•' hab' ich
endlich gesagt und er ist wie der Wind an mir vorüber-
geschossen und hinaus bei der hinteren Türe. Das ist
für mich gewesen, als wie wenn mich wer mit dem Bier-
schlegel auf den Kopf gebaut hätte — der glanzvolle
Held in Pantoffeln, und er muß dahin gehen, wo wir
alle hinmüssen, ich, die Gesellen, der Wirt, kurzum jeder!
Aus war es, ganz und gar aus mit jedem Respekt von
da ab...
Dem Hitler sein etwas gescheiterer Vorgänger, dem Bis-
marck, welchem sonderbarerweise viele, die ihn nicht er-
lebt haben, innig nachtrauern — dem sollen einmal, sa
habe ich später einmal gelesen, zwei oder drei Landes-
fürsten in Badehosen unter die Augen gekommen sein,
und da hat auch d e r an nichts Hohes und Hehres mehr
glauben können. Das hat mich seinerzeit gefreut und
erleichtert, denn mir ist dabei mein Offizier eingefallen...
Und Nummero zwei — wegen meinem Mißtrauen?
In der Gegend, wo ich daheim bin oder — sagen wir —
gewesen bin, da haben wir lange, lange Jahre eine Wun-
derdokterin gehabt, die Kohlhäuslertraudl von • Walch-
statt. Zu der sind die leidenden Leute von weitum ge-
kommen. Fast jedem hat sie geholfen, alle redeten über
ihre Kuren, und abgöttisch ist sie von jedem Mensch.-!
verehrt worden. Geheißen hat es auch: Die stirbt über-
haupt nie, denn die hat jedes Mittel dagegen in der Hani.
Und was passiert da — auf einmal hat sie der Schlag
getroffen und tot ist sie gewesen, maustot!
Selbstredend — wenn ich mich schon hochdeutsch aus-
drücken muß — hat dieses Ereignis in unserer Pfarrei
die allergrößte Bestürzung hervorgerufen. Aber gilei :h
haben die Leute zu zweifeln angefangen und haben recht
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der Dichter liest aus eigenen Werken"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 4, S. 43.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg