HOCH DIE VERFASSUNG
T. Ttepte: HAUPTSCHULDIG
KRIEGSVERSEHRT!
Ich hab' meine Beine verloren,
eins liegt im heißen Afrika
und eins
im Krankenhaus in Wien.
Dort brachte man mich hin.
Ich bin aber normal geboren.
Ich wollte auch einmal studieren
das ist schon sehr lang her —
heut kann ich das nicht mehr —
denn —
Ich hab' noch keine Prothesen
man sagt, es gibt kein Leder und Wein Holz
ich hab's auch schon gelesen.
Vom Amt bekomm' ich fünfzig Mark
ich verdien' noch was dazu —
ich versilbre Blumen für ein Sarggeschäft.
Sonst hab ich meine Ruh.
Ich war auch nicht in der Partei!
Bei meinen Beinen war's auch einerlei.
Dann später mal
kauf ich mir einen Wagen mit Moto
Und wenn ich normal Rente kriege,
komm ich mir wie ein König vor.
Ich bin nur immer viel alleine.
Es ist mir auch ganz recht.
Ich hab' kein Mädchen —
denn ich hab doch keine Beins!
Hühs Cvranefe
In Bayern gibt es (seit einiger Zeit schon!) eine
Verfassung. Sie ist bekannt als Kind des der-
zeitigen Justizministers Högner einerseits und des
augenblicklichen stellvertretenden Ministerpräsidenten
Högner andererseits. Einen titulierten stellvertreten-
den Ministerpräsidenten gibt es nach der Verfas-
sung des Schöpfers der Verfassung zwar nicht, aber
das macht nichts. Es gibt ja nach derselben Ver-
fassung auch keine zwei Staatssekretäre im Kultus-
ministerium und trotzdem sind sie drin.
In einem solchen Fall behilft sich der Jurist mit
feineren begrifflichen Schattierungen. Er sagt dann
etwa: de jure gibt es nach der Högner'schcn
Verfassung zwar keinen permanenten stellvertreten-
den Ministerpräsidenten; de facto aber doch.
Und bei den Staatssekretären im Kultusministerium
ist das ebenso. Es gibt sie nicht (de jure); aber
sie sind da (de facto).
Ueberhaupt ist die Verfassung Dr. Högners — (weit
berühmt durch die Wiedereinführung jener Kon-
fessionsschule, die Dr. Högner als Landtags-Ab-
geordneter in den zwanziger Jahren in fulminanten
Reden leidenschaftlich bekämpfte!) — nur für die
Untertanen da. Sie müssen sich an die Verfassung
halten. Das ist Untertanenpflicht. Was die Re-
gierung mit der Verfassung tut, das ist ihre Sache.
Na also!
Davon abgesehen, garantiert die bayerische Ver-
fassung de jure auch noch alles andere Mögliche.
Zum Beispiel die Pressefreiheit, die Meinungsfrei-
heit, die Religionsfreiheit und sonstige Freiheiten.
De facto aber ist das komplizierter. Im Artikel 107
z. B. heißt es: ,,Die Zulassung zu den öffentlichen
Aemtern ist von dem religiösen Bekenntnis unab-
hängig. — Niemand darf zu einer kirchlichen Hand-
lung oder zur Teilnahme an religiösen Uebungen
oder Feierlichkeiten ... gezwungen werden." Ar-
tikel 137: „Die Teilnahme am Religionsunterricht
und an kirchlichen Handlungen und Feierlichkeiten
bleibt der Willenserklärung der Erziehungsberech-
tigten, vom vollendeten 18. Lebensjahr ab der
Willenserklärung der Schüler überlassen."
De jure! De facto aber ist bei uns alles ganz
anders. Praktisch — Verfassung hin, Verfassung
her — enthebt z. B. Kultusminister Hundhammer
(DrDrDr — nach Auswahl!) mit Schreiben vom
21. Februar 1947 den Regierungs-Schulrat Dr. Koller
von der Leitung der Schulabteilung bei der Re-
gierung in Regensburg. Gründe gibt der Kultus-
minister in seinem Schreiben nicht an. Er verschweigt
TIENS, TIENS...
Singen (NZ). — Die französische Militärlegierung
hat in Singen am Hohentwiel mehrere öffent-
liche Gebäude auf die Dauer von vier Wochen
für die deutsche Bevölkerung gesperrt, weil die
privaten Gebäude der Stadt zum Besuch des
Generalinspektors der französischen Armee, Gene-
ral de Lattre de Tassigny, am 25. Juli mangelhaft
beflaggt waren. Zuwiderhandlungen gegen die
Anordnung werden bei der ersten Anzeige mit
48 Stunden Haft bei einem Glas Wasser, bei der
zweiten Anzeige mit Vorladung vor Gericht und
bei der dritten mit Einweisung in ein Internierungs-
lager bestraft. Auch für Kinder unter 12 Jahren
ist bei Zuwiderhandlungen eine zwö'.fslündige
Haft vorgesehen. „Die Neue Zeitung' Nr 64 11.8 47.
sie schamhaft und hartnäckig und trotz mehrfachen
Ersuchens bis heute. Er verfügt! Er verfügt, weil er
keine gesetzlichen Gründe hat. Er hat nur stramm
ultramontan-autoritäre, parteipolitische Gründe.
Dr. Koller ist examensmäßig hochqualifiziert; dienst-
lich auch. Er ist als Pädagoge Methodiker und Re-
former durch seine Lehrbücher in Bayern und dar-
über hinaus hochgeschätzt. 80% der Lehrer seines
Kreises stehen hinter ihm. Das alles interessiert
Herrn Hundhammer nicht. Deshalb übertrug der
Kultusminister Kollers Amt einem Mann, der zwar
sachlich weithin unbekannt ist, als katholischer
Aktivist dagegen — wenigstens in der Oberpfalz
— bekannter ist. Und dieser Umstand ist für den
derzeitigen Kultusminister eben entscheidend.
Kultusminister Hundhammer enthob den Regierungs-
Schulrat Koller von der Leitung der Schulabteilung
in Regensburg deshalb, weil der Sohn des Dr. Kol-
ler nicht am Religionsunterricht seines Gymnasiums
teilnimmt. Das teilte Herr Hundhammer aber bloß
dem Landtagsabgeordneten Ortloph in Regensburg
mit. Dem Regierungs-Schulrat Koller gegenüber
schwieg er sich aus; schweigt er bis heute. Den
enthebt er und damit basta! Stramm autoritär und
natürlich „verfassungsgemäß".
Und darum: Es lebe die bayerische Verfassung des
Dr. Wilhelm Högner! (Mit gedämpfter Stimme):
Hoch! DER SIMPL
DAS GROSSE WEH
V
Zwisclien allen Trümmersteinen
dieser Welt
und am großen Sternenzelt
steht das Weh geschrieben. —
Die ifire Brüder trotzdem noch lieben
sind wenige geworden
über dem Leid.
Und in dieser bitteren Zeit
gibt es keine himmlischen Pforten,
keinen heiligen Hain oder Berg
für den Mensclien;
denn dem Bösen gelang sein Werfe:
Mit der Not
und dem Tod
erschlug er den Glauben an Gott.
Er zerschmetterte der menschlichen
Seelen Leiter,
des Gläubigen rettende
Stufen —
Und wenn der Gottessohn auf Erden weilte,
würde er rufen:
Gottvater! Bist du ein Mensch?
Heinz Schneeklotfc
DIE LIEBEN VERWANDTEN
„Deutsche, die ernstlich krank sind, können sich
jetzt von nahen Verwandten aus dem Auslande be-
suchen lassen." Die Meldung ist irreführend. Ver-
wandte im Ausland, also in der Ferne, sind eigent-
lich niemals „nahe" Verwandte, sondern eben ferne
Verwandte. (Nicht zu verwechseln mit „entfernten"
Verwandten, worunter der Volksmund abgetriebene
Kinder versteht.) Andererseits sind heutzutage alle
ausländischen Verwandten nahe Verwandte. Die
fadenscheinigsten Familienbande sind jetzt armdicke
Seelenstränge geworden, gewaltige Gemüts-Seile, an
denen die Care-Pakete sicher herüberpendcln.
Immerhin: Es bleibt ein Fortschritt, daß sich die
nahen Verwandten jetzt ungehindert nahen können,
Falls ein ärztliches Zeugnis ernstliche Krankheit
bestätigt. Ob Unterernährung als solche gilt? Sie
ist immerhin ein naher Verwandter der Schwind-
sucht. Laßt es uns hoffen. Laßt es uns dreimal be-
niesen. Gesundheit, Onkel! Zum Wohle, Tante!
Prost, Kinder! H. Hartwig
T. Ttepte: HAUPTSCHULDIG
KRIEGSVERSEHRT!
Ich hab' meine Beine verloren,
eins liegt im heißen Afrika
und eins
im Krankenhaus in Wien.
Dort brachte man mich hin.
Ich bin aber normal geboren.
Ich wollte auch einmal studieren
das ist schon sehr lang her —
heut kann ich das nicht mehr —
denn —
Ich hab' noch keine Prothesen
man sagt, es gibt kein Leder und Wein Holz
ich hab's auch schon gelesen.
Vom Amt bekomm' ich fünfzig Mark
ich verdien' noch was dazu —
ich versilbre Blumen für ein Sarggeschäft.
Sonst hab ich meine Ruh.
Ich war auch nicht in der Partei!
Bei meinen Beinen war's auch einerlei.
Dann später mal
kauf ich mir einen Wagen mit Moto
Und wenn ich normal Rente kriege,
komm ich mir wie ein König vor.
Ich bin nur immer viel alleine.
Es ist mir auch ganz recht.
Ich hab' kein Mädchen —
denn ich hab doch keine Beins!
Hühs Cvranefe
In Bayern gibt es (seit einiger Zeit schon!) eine
Verfassung. Sie ist bekannt als Kind des der-
zeitigen Justizministers Högner einerseits und des
augenblicklichen stellvertretenden Ministerpräsidenten
Högner andererseits. Einen titulierten stellvertreten-
den Ministerpräsidenten gibt es nach der Verfas-
sung des Schöpfers der Verfassung zwar nicht, aber
das macht nichts. Es gibt ja nach derselben Ver-
fassung auch keine zwei Staatssekretäre im Kultus-
ministerium und trotzdem sind sie drin.
In einem solchen Fall behilft sich der Jurist mit
feineren begrifflichen Schattierungen. Er sagt dann
etwa: de jure gibt es nach der Högner'schcn
Verfassung zwar keinen permanenten stellvertreten-
den Ministerpräsidenten; de facto aber doch.
Und bei den Staatssekretären im Kultusministerium
ist das ebenso. Es gibt sie nicht (de jure); aber
sie sind da (de facto).
Ueberhaupt ist die Verfassung Dr. Högners — (weit
berühmt durch die Wiedereinführung jener Kon-
fessionsschule, die Dr. Högner als Landtags-Ab-
geordneter in den zwanziger Jahren in fulminanten
Reden leidenschaftlich bekämpfte!) — nur für die
Untertanen da. Sie müssen sich an die Verfassung
halten. Das ist Untertanenpflicht. Was die Re-
gierung mit der Verfassung tut, das ist ihre Sache.
Na also!
Davon abgesehen, garantiert die bayerische Ver-
fassung de jure auch noch alles andere Mögliche.
Zum Beispiel die Pressefreiheit, die Meinungsfrei-
heit, die Religionsfreiheit und sonstige Freiheiten.
De facto aber ist das komplizierter. Im Artikel 107
z. B. heißt es: ,,Die Zulassung zu den öffentlichen
Aemtern ist von dem religiösen Bekenntnis unab-
hängig. — Niemand darf zu einer kirchlichen Hand-
lung oder zur Teilnahme an religiösen Uebungen
oder Feierlichkeiten ... gezwungen werden." Ar-
tikel 137: „Die Teilnahme am Religionsunterricht
und an kirchlichen Handlungen und Feierlichkeiten
bleibt der Willenserklärung der Erziehungsberech-
tigten, vom vollendeten 18. Lebensjahr ab der
Willenserklärung der Schüler überlassen."
De jure! De facto aber ist bei uns alles ganz
anders. Praktisch — Verfassung hin, Verfassung
her — enthebt z. B. Kultusminister Hundhammer
(DrDrDr — nach Auswahl!) mit Schreiben vom
21. Februar 1947 den Regierungs-Schulrat Dr. Koller
von der Leitung der Schulabteilung bei der Re-
gierung in Regensburg. Gründe gibt der Kultus-
minister in seinem Schreiben nicht an. Er verschweigt
TIENS, TIENS...
Singen (NZ). — Die französische Militärlegierung
hat in Singen am Hohentwiel mehrere öffent-
liche Gebäude auf die Dauer von vier Wochen
für die deutsche Bevölkerung gesperrt, weil die
privaten Gebäude der Stadt zum Besuch des
Generalinspektors der französischen Armee, Gene-
ral de Lattre de Tassigny, am 25. Juli mangelhaft
beflaggt waren. Zuwiderhandlungen gegen die
Anordnung werden bei der ersten Anzeige mit
48 Stunden Haft bei einem Glas Wasser, bei der
zweiten Anzeige mit Vorladung vor Gericht und
bei der dritten mit Einweisung in ein Internierungs-
lager bestraft. Auch für Kinder unter 12 Jahren
ist bei Zuwiderhandlungen eine zwö'.fslündige
Haft vorgesehen. „Die Neue Zeitung' Nr 64 11.8 47.
sie schamhaft und hartnäckig und trotz mehrfachen
Ersuchens bis heute. Er verfügt! Er verfügt, weil er
keine gesetzlichen Gründe hat. Er hat nur stramm
ultramontan-autoritäre, parteipolitische Gründe.
Dr. Koller ist examensmäßig hochqualifiziert; dienst-
lich auch. Er ist als Pädagoge Methodiker und Re-
former durch seine Lehrbücher in Bayern und dar-
über hinaus hochgeschätzt. 80% der Lehrer seines
Kreises stehen hinter ihm. Das alles interessiert
Herrn Hundhammer nicht. Deshalb übertrug der
Kultusminister Kollers Amt einem Mann, der zwar
sachlich weithin unbekannt ist, als katholischer
Aktivist dagegen — wenigstens in der Oberpfalz
— bekannter ist. Und dieser Umstand ist für den
derzeitigen Kultusminister eben entscheidend.
Kultusminister Hundhammer enthob den Regierungs-
Schulrat Koller von der Leitung der Schulabteilung
in Regensburg deshalb, weil der Sohn des Dr. Kol-
ler nicht am Religionsunterricht seines Gymnasiums
teilnimmt. Das teilte Herr Hundhammer aber bloß
dem Landtagsabgeordneten Ortloph in Regensburg
mit. Dem Regierungs-Schulrat Koller gegenüber
schwieg er sich aus; schweigt er bis heute. Den
enthebt er und damit basta! Stramm autoritär und
natürlich „verfassungsgemäß".
Und darum: Es lebe die bayerische Verfassung des
Dr. Wilhelm Högner! (Mit gedämpfter Stimme):
Hoch! DER SIMPL
DAS GROSSE WEH
V
Zwisclien allen Trümmersteinen
dieser Welt
und am großen Sternenzelt
steht das Weh geschrieben. —
Die ifire Brüder trotzdem noch lieben
sind wenige geworden
über dem Leid.
Und in dieser bitteren Zeit
gibt es keine himmlischen Pforten,
keinen heiligen Hain oder Berg
für den Mensclien;
denn dem Bösen gelang sein Werfe:
Mit der Not
und dem Tod
erschlug er den Glauben an Gott.
Er zerschmetterte der menschlichen
Seelen Leiter,
des Gläubigen rettende
Stufen —
Und wenn der Gottessohn auf Erden weilte,
würde er rufen:
Gottvater! Bist du ein Mensch?
Heinz Schneeklotfc
DIE LIEBEN VERWANDTEN
„Deutsche, die ernstlich krank sind, können sich
jetzt von nahen Verwandten aus dem Auslande be-
suchen lassen." Die Meldung ist irreführend. Ver-
wandte im Ausland, also in der Ferne, sind eigent-
lich niemals „nahe" Verwandte, sondern eben ferne
Verwandte. (Nicht zu verwechseln mit „entfernten"
Verwandten, worunter der Volksmund abgetriebene
Kinder versteht.) Andererseits sind heutzutage alle
ausländischen Verwandten nahe Verwandte. Die
fadenscheinigsten Familienbande sind jetzt armdicke
Seelenstränge geworden, gewaltige Gemüts-Seile, an
denen die Care-Pakete sicher herüberpendcln.
Immerhin: Es bleibt ein Fortschritt, daß sich die
nahen Verwandten jetzt ungehindert nahen können,
Falls ein ärztliches Zeugnis ernstliche Krankheit
bestätigt. Ob Unterernährung als solche gilt? Sie
ist immerhin ein naher Verwandter der Schwind-
sucht. Laßt es uns hoffen. Laßt es uns dreimal be-
niesen. Gesundheit, Onkel! Zum Wohle, Tante!
Prost, Kinder! H. Hartwig
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Hauptschuldig" "Tiens, tiens ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 16, S. 198.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg