„Aber Mausi, ich hab' doch nur
gemeint---"
Fr. Bilek
DER SIMPL SINNIERT
Wie hatte doch der Semler gesagt? „Die Importe, die wir damals hätten be-
kommen können, durften wir nicht kaufen. Man hat den Mais geschickt und
das Hühnerfutter. Geschenkt wird es nicht. Wir haben es zu zahlen in Dollars
aus deutscher Arbeit und deutschen Exporten und sollen uns noch dafür
bedanken. Es wird Zeit, daß deutsche Politiker darauf verzichten, sich zu
bedanken." Und die CDU-Männer riefen laut „Bravo"!
Wenn ich nur jetzt wüßte, was den nüchternen Fachmann zu dieser Sprache
verleitet hat! Die „Neue Zeitung" tippte auf die Bravorufe. Das glaub' ich
nicht. Andere Blätter halten es für Wahlpropaganda. Das wäre beinahe Grund
genug, so g'schert daherzureden. Oder war der Fachmann gerade nicht nüchtern?
Dann müßte ihm das aber so häufig passieren, daß es ihm fast nichts mehr
ausmachen kann. Steht doch da im „Spiegel", daß der Semler nach etlichen
Reibereien mit den Nazis für zwei Jahre nach Paris ging, wo er durch seinen
Vater, der mit Belgiern und Franzosen am Kongo operiert hatte, gut eingeführt
war. „In Paris bekam ich aber plötzlich die starke Wut", erzählte er dem
Reporter. „Ich fragte mich, warum ich eigentlich nicht in Deutschland wäre,
ärgerte mich über die Emigranten und darüber, daß es in Paris kein Wasser
wie an der Elbe gab und reiste zurück." Ein Angebot, in Brasilien eine Fabrik
zu übernehmen, schlug er aus.
So, so, die Emigranten und das Wasser waren daran schuld. Aber wenn er
sich schon an den Nazis gerieben hat, wäre er doch besser in Paris geblieben.
Warum hat-er sich wohl plötzlich über die Emigranten geärgert und ist zu den
Nazis zurückgefahren, wo er eine Fabrik in Brasilien hätte übernehmen
können? So etwas nimmt man doch auch in nicht nüchternem Zustand.
Wenn er diese Gelegenheit ausgeschlagen hat, mußte er bei den Nazis also
auch etwas Brauchbares gefunden haben. Liquidationsspezialisten von seinem
F'ormat sind immer rar, und er gilt seit der Entwirrung des F'aragskandals als
Kanone auf diesem Gebiet. Das ist dem Josef Müller offenbar auch nicht
entgangen. Semler wurde in die „Verfassungsgebende Landes-
versammlung Bayerns" und später in das „Wirtschaftsdirektorat"
berufen. Als Liquidationsspezialist? Aber an der Nüchternheit
Dr. Müllers kann doch wahrhaftig niemand zweifeln.
A propos Müller, da fällt mir gerade der Gaßner Anton ein,
der auf der Massenversammlung der Bayernpartei vom Müller
gesagt hat: „Das ist der Mann, der mit den Kommunisten
paktiert und nach Berlin fährt, um vom Oberst Tulpanow
Befehle zu empfangen." Der Ochsensepp — Befehle empfangen?
Und zu gleicher Zeit unter den Augen der Amis alleiniger
Landesvorsitzender der CSU werden? Hier war wohl der Anton
nicht ganz nüchtern? Aber in Berlin war der Ochsensepp, das stimmt. Und
wenn er zur Rettung der Ostzonen-CDU sich darauf eingelassen hatte, in
der Westzone etwas zu lancieren, das die CSU in den Augen der Russen
rehabilitiert? Zum Beispiel: „Hühnerfutter"?
Sicher, der Tulpanow wußte nichts von dem Hühnerfutter, Aber angenommen,
der Ochsensepp hätte so spekuliert: Ein offenes Wort gegen die Wirtschafts-
hilfe der Amis in diesem Äugenblick würde mehrere Fliegen auf einen Schlag
treffen:
1. würde sich der Tulpanow vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen,
2. würde der Ami noch vor dem ersten Marshallplantransport erfahren, was
sich der Normalverbraucher an Lieferungen erwartet,
3. könnte das "offene Wort kurz vor der Frankfurter Konferenz vielleicht doch
verhindern, daß die Tür zwischen Ost- und Westdeutschland versehentlich
ganz zuschnappt,
4. gibt es demnächst Gemeindewahlen, und die CSU hat Popularität nötiger
denn je, nachdem ihr das Regieren so schlecht von der Hand geht,
5. steht die Ernährungskrise vor der Türe; und warum soll die Bevölkerung
ausschließlich auf die deutschen Regierungen schimpfen?
Das wäre doch zu nüchtern gedacht.
Brauchte man also nur noch den Sprecher für das offene Wort. Am besten
wäre dazu ein glaubhafter Fachmann geeignet, dessen Amtstage sowieso schon
gezählt sind. Nachdem es dem Semler unter den Nazis nicht übermäßig schlecht
gegangen zu sein scheint und er auch geschäftlich in letzter Zeit durch die
Presse angegriffen wurde, könnte man fast meinen, daß sich die Amis eines
Tages dafür interessieren. Bestünde also die Gefahr, daß er fliegt. Läßt man
ihn aber das „offene Wort" sprechen, verschafft er sich einen guten Abgang;
denn falls die Amis ihn hinterher wegen sachlicher Einwände hinauswerfen
wollen, glaubt ihnen die Öffentlichkeit kein Wort davon und hält den Sprecher
für das Opfer seiner „mutigen Rede". —- Hm, damit ließe sich
notfalls auch erklären, warum der Sprecher der Amis bedauerte,
daß die Militärregierung nicht in der Lage sei, etwas zu Semlers
Amtsenthebung zu tun, wo sie doch sogar Atombomben haben.
Aber diese Lösung wäre zu simpel. Angenommen, der Ochsensepp
hätte nichts damit zu tun, dann wäre der Semler, als er das
Hühnerfutter in den Mund nahm, nicht ganz nüchtern gewesen.
War der Semler aber trotzdem dabei nüchtern, dann möchte ich
nur wissen, was ihn zu dieser Sprache verleitet hat. Vielleicht sollte
man es aber besser beim Zeitungslesen lassen und nicht unnötig
sinnieren, — es führt so leicht bis vor den Kacli. DER SIMPL
I
18
gemeint---"
Fr. Bilek
DER SIMPL SINNIERT
Wie hatte doch der Semler gesagt? „Die Importe, die wir damals hätten be-
kommen können, durften wir nicht kaufen. Man hat den Mais geschickt und
das Hühnerfutter. Geschenkt wird es nicht. Wir haben es zu zahlen in Dollars
aus deutscher Arbeit und deutschen Exporten und sollen uns noch dafür
bedanken. Es wird Zeit, daß deutsche Politiker darauf verzichten, sich zu
bedanken." Und die CDU-Männer riefen laut „Bravo"!
Wenn ich nur jetzt wüßte, was den nüchternen Fachmann zu dieser Sprache
verleitet hat! Die „Neue Zeitung" tippte auf die Bravorufe. Das glaub' ich
nicht. Andere Blätter halten es für Wahlpropaganda. Das wäre beinahe Grund
genug, so g'schert daherzureden. Oder war der Fachmann gerade nicht nüchtern?
Dann müßte ihm das aber so häufig passieren, daß es ihm fast nichts mehr
ausmachen kann. Steht doch da im „Spiegel", daß der Semler nach etlichen
Reibereien mit den Nazis für zwei Jahre nach Paris ging, wo er durch seinen
Vater, der mit Belgiern und Franzosen am Kongo operiert hatte, gut eingeführt
war. „In Paris bekam ich aber plötzlich die starke Wut", erzählte er dem
Reporter. „Ich fragte mich, warum ich eigentlich nicht in Deutschland wäre,
ärgerte mich über die Emigranten und darüber, daß es in Paris kein Wasser
wie an der Elbe gab und reiste zurück." Ein Angebot, in Brasilien eine Fabrik
zu übernehmen, schlug er aus.
So, so, die Emigranten und das Wasser waren daran schuld. Aber wenn er
sich schon an den Nazis gerieben hat, wäre er doch besser in Paris geblieben.
Warum hat-er sich wohl plötzlich über die Emigranten geärgert und ist zu den
Nazis zurückgefahren, wo er eine Fabrik in Brasilien hätte übernehmen
können? So etwas nimmt man doch auch in nicht nüchternem Zustand.
Wenn er diese Gelegenheit ausgeschlagen hat, mußte er bei den Nazis also
auch etwas Brauchbares gefunden haben. Liquidationsspezialisten von seinem
F'ormat sind immer rar, und er gilt seit der Entwirrung des F'aragskandals als
Kanone auf diesem Gebiet. Das ist dem Josef Müller offenbar auch nicht
entgangen. Semler wurde in die „Verfassungsgebende Landes-
versammlung Bayerns" und später in das „Wirtschaftsdirektorat"
berufen. Als Liquidationsspezialist? Aber an der Nüchternheit
Dr. Müllers kann doch wahrhaftig niemand zweifeln.
A propos Müller, da fällt mir gerade der Gaßner Anton ein,
der auf der Massenversammlung der Bayernpartei vom Müller
gesagt hat: „Das ist der Mann, der mit den Kommunisten
paktiert und nach Berlin fährt, um vom Oberst Tulpanow
Befehle zu empfangen." Der Ochsensepp — Befehle empfangen?
Und zu gleicher Zeit unter den Augen der Amis alleiniger
Landesvorsitzender der CSU werden? Hier war wohl der Anton
nicht ganz nüchtern? Aber in Berlin war der Ochsensepp, das stimmt. Und
wenn er zur Rettung der Ostzonen-CDU sich darauf eingelassen hatte, in
der Westzone etwas zu lancieren, das die CSU in den Augen der Russen
rehabilitiert? Zum Beispiel: „Hühnerfutter"?
Sicher, der Tulpanow wußte nichts von dem Hühnerfutter, Aber angenommen,
der Ochsensepp hätte so spekuliert: Ein offenes Wort gegen die Wirtschafts-
hilfe der Amis in diesem Äugenblick würde mehrere Fliegen auf einen Schlag
treffen:
1. würde sich der Tulpanow vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen,
2. würde der Ami noch vor dem ersten Marshallplantransport erfahren, was
sich der Normalverbraucher an Lieferungen erwartet,
3. könnte das "offene Wort kurz vor der Frankfurter Konferenz vielleicht doch
verhindern, daß die Tür zwischen Ost- und Westdeutschland versehentlich
ganz zuschnappt,
4. gibt es demnächst Gemeindewahlen, und die CSU hat Popularität nötiger
denn je, nachdem ihr das Regieren so schlecht von der Hand geht,
5. steht die Ernährungskrise vor der Türe; und warum soll die Bevölkerung
ausschließlich auf die deutschen Regierungen schimpfen?
Das wäre doch zu nüchtern gedacht.
Brauchte man also nur noch den Sprecher für das offene Wort. Am besten
wäre dazu ein glaubhafter Fachmann geeignet, dessen Amtstage sowieso schon
gezählt sind. Nachdem es dem Semler unter den Nazis nicht übermäßig schlecht
gegangen zu sein scheint und er auch geschäftlich in letzter Zeit durch die
Presse angegriffen wurde, könnte man fast meinen, daß sich die Amis eines
Tages dafür interessieren. Bestünde also die Gefahr, daß er fliegt. Läßt man
ihn aber das „offene Wort" sprechen, verschafft er sich einen guten Abgang;
denn falls die Amis ihn hinterher wegen sachlicher Einwände hinauswerfen
wollen, glaubt ihnen die Öffentlichkeit kein Wort davon und hält den Sprecher
für das Opfer seiner „mutigen Rede". —- Hm, damit ließe sich
notfalls auch erklären, warum der Sprecher der Amis bedauerte,
daß die Militärregierung nicht in der Lage sei, etwas zu Semlers
Amtsenthebung zu tun, wo sie doch sogar Atombomben haben.
Aber diese Lösung wäre zu simpel. Angenommen, der Ochsensepp
hätte nichts damit zu tun, dann wäre der Semler, als er das
Hühnerfutter in den Mund nahm, nicht ganz nüchtern gewesen.
War der Semler aber trotzdem dabei nüchtern, dann möchte ich
nur wissen, was ihn zu dieser Sprache verleitet hat. Vielleicht sollte
man es aber besser beim Zeitungslesen lassen und nicht unnötig
sinnieren, — es führt so leicht bis vor den Kacli. DER SIMPL
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der Simpl sinniert", "Aber Mausi"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildbeschriftung: "Aber Mausi, ich hab' doch nur gemeint ---"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 2, S. 18.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg