Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE LOKALREDAKTION: GLEICHKLANG DES SCHICKSALS

Münchener Zwillingspaar feiert seinen 80. Geburtstag

M.
R
A
D
L
E
R

(Eigener Bericht) — Heute, am...... 1948, feiern die

Zwillingsbrüder Kilian und Korbinian Schlumpprecht In
vollkommener geistiger Frische und körperlicher Rüstig-
keit ihren 80. Geburtstag. Der eine der beiden, der erst-
geborene Kilian, kam zwar eigentlich als außereheliches
Kind zur Welt und führte als solches zunächst den
Familiennamen der Mutter, Stöpsl. Durch nachfolgende
Heirat derselben trat jedoch eine Namensänderung ein,
so daß er sich heute mit Stolz als einen echten
Schlumpprecht bezeichnen darf.

Seit die beiden 1868 als die jüngsten von den 28 Kin-
dern eines Seifensieders und späteren Vertragsangcstcll-
ten am städtischen Katasteramt geboren wurden, verlief
Ihr Leben in einem seltsam harmonischen, ja geheimnis-
vollen Zweiklang. Nachdem sie 14 Jahre auf derselben
Schulbank gesessen und stets gemeinsam sitzen geblie-
ben waren, ergriffen sie, nach Verbüßung ihrer Militär-
dienstzeit beim 2. Infanterieregiment „König", den Be-
ruf eines Hutschcnschleudcrers. Durch Fleiß und Gewis-
senhaftigkeit brachten sie es bald so weit, daß sie ihren
Platz an der Schiffsschaukcl verlassen und als selbstän-
dige Besitzer ein Etablissement „Haut den Lukas auf
die Nase!" eröffnen konnten. 1886, als der Märchen-
könig Ludwig II. — ach! — die Augen für immer
schloß, weilten die Brüder gerade zu Zorneding, wo sie
als Aushilfsschenkkeilner in der dortigen Brauerei tätig
waren. „Des vergiß' i nia, wia d' Leut damals um insern
Iiab'n Kini g'woant harn", berichtet Kilian, indem er
eine Prise Ersatz-Schmalzler in das linke Nasenloch
einschiebt, und dem Korbinian laufen die hellen Zähren
Ober die Wangen, während er sich aufrichtet und schlicht
iu unserem Spezialberichtcrstatter sagt: „Auf a Dcmo-
grazieh, wia ma's jetz ham, sch... . i! An Kini sollt
ma wiada ham, decs mecht' i no derleb'n . . .!"

Beide Männer ließen sich am gleichen Tage tätowieren
und zur gleichen Zeit lernten sie auch ihre späteren Ge-
mahlinnen kennen, die, wie sie, Im Schank- und Gast-
wirtsgewerbc Vertrauensstellungen innehatten. Im Jahre
1890 führten sie am gleichen Tage (Petri Stuhlfeier)
ihre Bräute zum Altar. Auch weiterhin hielt die Schick-
salsparallcle im Leben der Zwillinge an. Während
Kilians Weib ihrem Manne 12 Kinder gebar, brachte es
Korbinians Gattin auf ein Dutzend. Unzählige Beispiele
für die frappierende Duplizität der Marksteine ihres
Wallens ließen sich anführen — wie der eine meistens
gerade dann einen Suff hatte, wenn der andere auch
angedudelt war, wie sich beide zur gleichen Leibspeise
bekannten (Schlachtschüssel mit Wammerl) und wie ihr
Geschmack in Literatur, bildender Kunst und Musik
stets derselben Linienführung folgte.
Fast 50 Jahre lebten die Zwillinge auf der Schwanthaler
Höhe in unmittelbarer Nachbarschaft beisammen, bis sie
der Bombenkrieg des Schreckensjahres 44 zwang ihre
komfortablen Appartements zu verlassen und Zuflucht
in der Stille einer Weichkäserei des Karwendelgebietcs
zu suchen. Nach Bayerns Befreiung durch die westlichen
Demokratien zurückgekehrt, verbringen sie nun ihren
Lebensabend in bescheidener Zurückgezogenheit, um-
geben von der Liebe ihrer Kinder und Kindeskinder, die
sich fast ausschließlich dem Käsehandel widmen.
,,A bißl a Starkbier sollt ma halt ham!" seufzte Kor-
binian, als er unserem Spezialberichtcrstatter zum Ab-
schied die Hand reichte. Und Kilian nickte dazu. In der
Tat, es wäre den Zwillingsbrüdern zu vergönnen, daß
ein wenig Sonnenschein nun endlich ihre ergrauten
Schläfen umflutct. Namentlich in den letzten Jahren
haben sie viel Schweres durchgemacht. Seit dem Erschei-
nen der ersten Nummer waren sie regelmäßig Leser
und Abonnenten unseres Blattes . . . V/alter F. Klocck

DER KLEINE EINFALL

Die ältere Frau, die an der Eingangstür des
Waggons stand, sagte mit einem Unterton von
Unabänderlichkeit in der Stimme in das Men-
schengewühl hinein: „Bitte — ich hab' eine ge-
brochene Rippe!" Die Plattform war erstaunlich
leer. Niemand hätte dort auf die verletzte Rippe
gedrückt. Eine Stimme aus dem Wageninnern
wies nicht ohne Schärfe darauf hin. Die Frau
erwiderte der Stimme hoheitsvoll, man sollte
nicht glauben, wie dumm manche Menschen da-
herredeten. In der Kälte draußen gefriere doch
ihre Rippe. Ein gebrochener Knochen hätte doch
keine richtige Durchblutung mehr. Und sie könne
sich doch nicht fürs Leben verderben, nur weil
ein paar Büffeln sich nicht vom Fleck rühren
wollten. Die medizinische Belehrung wirkte. Das
am Eingang gestaute Menschenbündel drückte
sich enger zusammen, die Frau mit der verletz-
ten Rippe schob sich einen Schritt weit herein.
„Au", sagte jemand, der ihren Ellbogen ziemlich
unsanft in seinen bis dahin noch ganzen Rippen
spürte. Ein Mann, der einigermaßen plattgewalzt
an der Wand des Kabinettchens stand, schnappte
schwer schnaufend nach Luft. Die Frau schüt-
telte über soviel männliche Empfindlichkeit miß-
billigend den Kopf und bohrte sich in ihn hin-
ein. Der Mann kämpfte in der vielgepriesenen
Stellung heldenhafter Verteidigung, nämlich mit
dem Rücken gegen die Wand. Es muß leider ge-

sagt werden, daß auch diese Wand, wie die
meisten derartigen Wände, nachgab, denn es war
die Wand der Tür ins Kabinett, und der Mann
sank rückwärts in aufgestapelte Rucksäcke, Kof-
fer und Taschen.

„Na also, warum geht's denn jetzt", sagte die
Frau befriedigt und sah mit Genugtuung seinem
nibelungenhaften Untergang zu. Dann schraubte
sie sich mit den zielstrebigen Windungen einer
Raupe aus dem Eingangsbündel heraus dem
Wageninnern zu. Ein Arm aus Eisen, der sich an
einen Gepäckträger anklammerte, sperrte ihren
Weg. Die Frau hob stillschweigend ihr Köffer-
chen und stieß mit der Kante gegen den eisernen
Ellbogen. Der Arm zuckte, aber er hielt fest.
„Ist sowas möglich", sagte die Frau verweisend
zu dem Arm. „Muß ich hier stehen, bis ich um-
falle, wo ich sowieso schon ein paar Rippen ge-
brochen habe ..."

Der Arm hob sich gehorsam weit nach oben,
bildete ein kleines Tor, durch das die Frau hin-
durchschlüpfte. Da stand vor ihr ein Koffer, auf
dem eine junge Frau mit zwei schlafenden Kin-
dern kauerte. Die Frau mit der Rippe stellte
ihren Koffer auf den Kopf des einen Kindes und
hob den Fuß, um über das zweite hinwegzustei-
gen oder es notfalls zu zertreten. Die junge Frau
schüttelte erschrocken die Kinder vom Schoß,
stand auf und krümmte sich mit ihnen zu einem

winzigen Häuflein zusammen. Die Vordringend..-
stieg auf den leergewordenen Koffer, sprang auf
der anderen Seite jemanden auf die Füße und
sagte, den Vorwürfen des Füßebesitzei s rasch
zuvorkommend, stöhnend: „Ah — das sticht,
wenn man die halben Rippen gebrochen hat."
Wohlwollende Reisende nickten. Abgehärtete
rührten sich nicht. Man war an soviel Verluste
gewöhnt, Heber Gott, was sind schon ein paar
Rippen!

Die Frau sah sich die abgehärteten Mitreisen-
den eine kurze Zeit lang an, dann beugte sie
sich über eine Bank und legte sich wie ver-
sehentlich auf den unter ihr Sitzenden. Sie sagte
dazu nur halblaut „Ohhh" und deutete in die
Rippengegend. Nach einigen Minuten stand der
Sitzende auf, da er für seine eigenen Rippen
fürchtete. Die Frau setzte sich zufrieden.
„Das Durchkommen ist immer so schwer", sagte
sie mit leisem Vorwurf. „Meistens steig ich ja
durchs Fenster... mein Mann hat mir eigens
eine kleine Strickleiter mit zwei Haken dafür
gemacht..."

„Und das alles mit so einer schweren Rippen-
Verletzung", sagte jemand und kicherte. „Wie-
viele Rippen haben sie eigentlich gebrochen?"
Die Frau schaute ihn streng an: „Genug", sagte
sie, „genug daß ich das nächste Mal einen Aus-
weis für das Krankenabteil haben werde".
Niemand sagte etwas dagegen. Ein Hauch von
Optimismus, ansteigender Arbeitsmoral und jener
so oft von ausländischen Besuchern vermißten
Initiative wehte würzig um die Frau. Auch
kleine Einfälle muß man — haben. Effi Horn

Aus Briefen an das Ernährungsamt

. . . und leide ich schon seit 14 Tagen an chronischem
Darmkatarrh, wodurch mein Körper den Normal-
verbraucher-Rationen nicht mehr den nötigen Widerstand
entgegenzusetzen vermag. Ich bitte deshalb, eine Schoko-
lade-Sonderzuteilung zu genehmigen ...

. . . jeden Tag stehe ich drei Stunden Schlange, was für
mich einen großen Verlust an körperlicher Fett-Substanz
bedeutet. Ich ersuche, mir monatlich zwei Pfund Fett
sonderzuzuteilcn . ..

... An uns Prostituierte denkt aber keine Behörde. Wie
sollen wir weiter unsere anstrengende Tätigkeit mit Er-
folg ausüben, wenn wir nicht ab sofort die nötigen Eier
zugeteilt erhalten? . . .

. . . Jawohl, ich gebe es zu, ich bin Schwarzhändler, ich
kann aber eine brauchbare Arbeit nur dann leisten, wenn
ich täglich mindestens 3000 Kalorien erhalte . ..

... Ich bin vor acht Tagen aus dem Intcrnierungslager
entlassen worden, und habe in dieser Zeit — nicht
ahnend, daß Nichtintcrniertc sowenig zu essen bekommen
— eine ganze Lebensmittelkarte aufgegessen. Da mein
Körper sich nach langjährig gewohnter regelmäßiger Sätti-
gung unmöglich auf derartige Rationen umstellen kann,
erhebe ich Anspruch auf sofort zu gewährende Sonder-
zuteilungen .. .

... Ich bitte bei mir in Zukunft von der Aushändigung
einer Lebensmittelkarte abzusehen, dt ich als Fabrikant
elektrischer Heizöfen dieselbe nicht benötige, und gerne
dem Roten Kreuz zur Verfügung stellen will . . .

. . . Wenn nicht bald eine Aenderung in der Ernährung
eintritt, bin ich nicht mehr in der Lage, am Aufbau
Deutschlands mitzuwirken . . .

... als CSU-Ortsgruppenleiter stehe ich an exponierter
politischer Stelle, woraus sich eine Tagesmenge von
2400 Kalorien wohl von selber versteht . . .

. . . Spaten Sic sich ab nächste Periode das Papier für
Ihre Lebensmittelkarten und geben Sie uns lieber jedem
aus Lagerbeständen eine Flasche Schnaps, durch die wir
uns bedeutend mehr zu essen verschaffen können . . . !

U. Schramm

0. Dluhosch

28
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Münchener Zwillingspaar feiert seinen 80. Geburtstag"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Schramm, Ulrik
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 3, S. 28.

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen