DER ALLERORTEN ERHOBENE ZEIGEFINGER von effi horn
i.
Kaum haben wir etwas gemischt-gelaunten Kino-
besucher uns aus dem halbdunklen Zuschauer-
raum ins Freie durchgearbeitet, stürzen mit ge-
zücktem Bleistift junge Damen und Herren
zwecks Erforschung unserer kulturellen Volks-
meinung auf uns zu. „Wollen Sie gerne Trüm-
merfilme sehen? Wenn ,Nein' — warum? Wenn
,Ja' solche wie diesen oder andere?" Die Film-
besucher, altgediente Fragebogenausfüller und
mit müder Resignation dem „Speisekammerge-
setz" entgegensehend — sagen teils „Ja", teils
„Nein" — und ich möchte wissen, was ein
„Trümmerfilm" ist. Hat das was mit einem
Trumm Film oder einem Filmtrumm zu tun?
Aber nein, nein, das ist ein Film, der in Trüm-
mern spielt, ein ganz ganz gegenwartsnaher, so
einer wie der, den ich soeben gesehen habe, der
mit dem Titel „Zwischen gestern und
m o r g e n", der erste Nachkriegsfilm der ameri-
kanischen Zone, ein unerhört zeitnaher Film, so
ganz echt aus dem Leben unserer Tage gegrif-
fen, sogar mit Trittbrettfahrern ...
Moment mal, nicht so' schnell, meine Lieben,
hämmert nicht neue Schlagworte in die Gehirne,
gönnt erst mal den alten Phrasen die Heimkehr
ins NS-Vaterhaus. Es handelt sich um gute oder
schlechte Filme, nicht um gute oder schlechte
Trümmer. Wir brauchen gute Filme, Filme, die
an irgendwelche Saiten rühren, deren Klang für
uns erlösend oder wohltuend oder klärend oder
zumindest erträglich ist. Filme wie diesen brau-
chen wir nicht. Nicht mit, nicht ohne Trümmer.
Ich möchte freilich sagen: ganz besonders nicht
mit Trümmern. Denn diese Trümmer haben uns
immerhin zu viel gekostet, als daß wir sie billig
als Kulisse geschäftstüchtiger Trivialitäten ver-
kaufen möchten.
II.
Da ist nun also dieser Film „Zwischen gestern
und morgen", ein Gewebe geschickt verflochte-
ner Handlungen, an dem auch nicht e i n echter
Faden ist. Er bringt alles, was man nach Mei-
nung seiner Väter im Dritten Reich nicht brin-
gen konnte: die Tragödie einer Mischehe, die
Unterdrückung jeder Kritik, die Hemmung
künstlerischer Eigenart und das „wahre Gesicht
des Krieges" im Bombenkeller. Jedes Thema für
sich Stoff genug für ein Epos, alles zusammen
die garantiert antifaschistischen Mixed pickles
neudeutscher Filmkunst.
Hier legt uns beispielsweise Willy Birgel, ein
gewiß sympathischer, aber ziemlich wandlungs-
1
unfähiger Darsteller einen großen Schauspieler
hin, dem mit einmal die ihm zugesagten großen
klassischen Rollen versagt werden, weil er „nicht
dem erotisch erwünschten Typ des Dritten Rei-
ches entspräche". Schön — aber nun wissen alle,
die je im Kino waren, daß Herr Birgel und sein
Typ ganz außerordentlich entsprochen haben,
daß er prächtige Offiziere zu spielen hatte, als
der Wehrgeist zu stärken war, daß er in Spio-
nage-Abwehr-Lehrfilmen zeigen durfte, wie man's
machen mußte, daß er zur Zeit der deutsch-
polnischen Freundschaft als polnischer Edel-
mann den „Ritt in die Freiheit" tat, ehe er
später „für Deutschland ritt" Das soll ihm kei-
neswegs als „Belastung" im politischen Sinn vor-
gehalten werden, denn er hat sich all dieser
Aufgaben durchaus mit Takt entledigt — aber
wo blieb sein künstlerisches Taktgefühl,
als er nach all diesen Glanzrollen plötzlich die
Rolle des im Dritten Reich unterdrückten Hel-
denspielers übernahm? Noch nicht genug aber
damit, daß er — oder der, den er darzustellen
hat — als „untragbar" gekennzeichnet wird,
eilt er daraufhin ins Nebenzimmer, wo, recht
ohne sein Zutun, seine geschiedene jüdische
Frau auf ihn wartet, der er ausbrechend erklärt:
man könne als künstlerischer Mensch doch nur
aus dem eigenen Wesen heraus und nicht auf
Befehl arbeiten! Da möchte man ihm die ganze
Zeit über zurufen: Mensch, bei Ihrer Berühmt-
heit und dieser reizenden Frau — gehen Sie
doch ins Ausland wie Kollege Bassermann! Das
tut er aber nicht, sondern wir treffen ihn nach
Jahren, sichtbar gealtert, wieder während eines
Bombenangriffes, bei dem trotz „Gauleiter-Tack-
Tack", Sirenen und Krachen auch nicht eine
Spur der grauenhaften Spannung jener Stunden
eingefangen ist. Diese — gar nicht seltene —
Gelegenheit benutzt der große unterdrückte
Schauspieler, um ebenso edel wie ungezwungen
den Tod zu suchen, da es ihn anscheinend nicht
mehr reizt, das Dritte Reich zu überleben. So
schreitet er überaus ruhigen Schrittes, Hand
leger in der Hosentasche, aus, dem Luftschutz-
keller rauf ins Vestibül des Regina-Hotels, aus
dessen Dach schon vielsagend der Kalk rieselt.
Gerade wo's am meisten rieselt, setzt er sich,
in einen Fauteuil, schön im Profil und sehr wir-
kungsvoll und blickt nach oben, immer nach
oben, bis das Obere erwartungsgemäß runter-
kommt und ihm die gesamte Hotelhalle auf den
gebleichten Scheitel fällt. So, wie man's halt ge-
macht hat, seinerzeit. Ohne Schrei, ohne Qual,
ohne Zittern — ganz Held, wie ihn — leider —
auch das Propagandaministerium selig sehr ge-
schätzt hat.
Ganz anders dagegen, aber auch mit stark gei-
stigen Waffen kämpft ein berühmter und eben-
falls mißliebiger Karikaturist. Er hat leichtfertig
und versehentlich die Karikatur eines unter der
„Nazisonne" schwitzenden NS-Ministcrialdirck-
tors unter einige aufbauwillige Zeichnungen ge-
mischt, worauf ihn dieser gefährliche Herr per-
sönlich mit zwei weithin als Gangster kennt-
lichen Gestapobullen verhaften möchte. Die Ka-
rikatur ist, nebenbei, so traurig, daß höchstens
ein Blockleiter sie für „staatsgefährlich" gehal-
ten hätte. Ein bißchen mehr mußte man schon
riskieren, auch im Dritten Reich! Seine Propa-
ganda-Ministerialräte waren gefährlich vor allem
durch ihre konziliante Glätte, durch ihre schein-
bare Toleranz „einem guteri Witz" gegenüber,
mit der sie manchen guten Mann zu sich hin-
überzogen und die schmerzliche Verwirrung der
Geister vollendeten. Wenn aber gar die Gestapo
so ausgesehen hätte wie hier, hätte sie wohl bald
eher der Volksbelustigung als dem Terror ge-
dient, dessen grausamstes Instrument sie in
Wahrheit war.
III.
Dies sind nur einige Rosinen aus dem weichen
Teig dieses Films, der sich nach all diesen Wür-
fen mit sämtlichen Würsten nach sämtlichen
Speckseiten zuletzt nochmals anmaßt, den Zeige-
finger zu erheben und belehrend also zu sprechen:
Ehrlich währt am längsten (z. B. ehrliche Armut,
siehe das Mädchen Katt!), Du sollst nicht schwarz-
handeln wider Deinen Nächsten (sonst findest
Du keinen frisch aus der Schweiz importierten
Liebhaber), Du mußt optimistisch und aufbau-
willig sein und auch sowas wie einen kleinen
Spaziergang an der Sonne genießen, auch wenn
Du nur ein armes Flüchtlingsmädchen mit klei-
nem Bruder bist (es ist doch der Bruder hoffent-
lich, oder?) Du mußt Deinen Mann lieben wie
einst den Freund, auch wenn er Dir alle Briefe
Deines Ehemaligen unterschlagen hat, sonst aber
ein aufrechter Mann war, Du mußt das Herz am
rechten Fleck haben und es muß stets beteiligt
sein (was Du am besten durch häufiges Daran-
j. Wisbeck: VERSPÄTETER FASCHINGSSCHERZ
34
i.
Kaum haben wir etwas gemischt-gelaunten Kino-
besucher uns aus dem halbdunklen Zuschauer-
raum ins Freie durchgearbeitet, stürzen mit ge-
zücktem Bleistift junge Damen und Herren
zwecks Erforschung unserer kulturellen Volks-
meinung auf uns zu. „Wollen Sie gerne Trüm-
merfilme sehen? Wenn ,Nein' — warum? Wenn
,Ja' solche wie diesen oder andere?" Die Film-
besucher, altgediente Fragebogenausfüller und
mit müder Resignation dem „Speisekammerge-
setz" entgegensehend — sagen teils „Ja", teils
„Nein" — und ich möchte wissen, was ein
„Trümmerfilm" ist. Hat das was mit einem
Trumm Film oder einem Filmtrumm zu tun?
Aber nein, nein, das ist ein Film, der in Trüm-
mern spielt, ein ganz ganz gegenwartsnaher, so
einer wie der, den ich soeben gesehen habe, der
mit dem Titel „Zwischen gestern und
m o r g e n", der erste Nachkriegsfilm der ameri-
kanischen Zone, ein unerhört zeitnaher Film, so
ganz echt aus dem Leben unserer Tage gegrif-
fen, sogar mit Trittbrettfahrern ...
Moment mal, nicht so' schnell, meine Lieben,
hämmert nicht neue Schlagworte in die Gehirne,
gönnt erst mal den alten Phrasen die Heimkehr
ins NS-Vaterhaus. Es handelt sich um gute oder
schlechte Filme, nicht um gute oder schlechte
Trümmer. Wir brauchen gute Filme, Filme, die
an irgendwelche Saiten rühren, deren Klang für
uns erlösend oder wohltuend oder klärend oder
zumindest erträglich ist. Filme wie diesen brau-
chen wir nicht. Nicht mit, nicht ohne Trümmer.
Ich möchte freilich sagen: ganz besonders nicht
mit Trümmern. Denn diese Trümmer haben uns
immerhin zu viel gekostet, als daß wir sie billig
als Kulisse geschäftstüchtiger Trivialitäten ver-
kaufen möchten.
II.
Da ist nun also dieser Film „Zwischen gestern
und morgen", ein Gewebe geschickt verflochte-
ner Handlungen, an dem auch nicht e i n echter
Faden ist. Er bringt alles, was man nach Mei-
nung seiner Väter im Dritten Reich nicht brin-
gen konnte: die Tragödie einer Mischehe, die
Unterdrückung jeder Kritik, die Hemmung
künstlerischer Eigenart und das „wahre Gesicht
des Krieges" im Bombenkeller. Jedes Thema für
sich Stoff genug für ein Epos, alles zusammen
die garantiert antifaschistischen Mixed pickles
neudeutscher Filmkunst.
Hier legt uns beispielsweise Willy Birgel, ein
gewiß sympathischer, aber ziemlich wandlungs-
1
unfähiger Darsteller einen großen Schauspieler
hin, dem mit einmal die ihm zugesagten großen
klassischen Rollen versagt werden, weil er „nicht
dem erotisch erwünschten Typ des Dritten Rei-
ches entspräche". Schön — aber nun wissen alle,
die je im Kino waren, daß Herr Birgel und sein
Typ ganz außerordentlich entsprochen haben,
daß er prächtige Offiziere zu spielen hatte, als
der Wehrgeist zu stärken war, daß er in Spio-
nage-Abwehr-Lehrfilmen zeigen durfte, wie man's
machen mußte, daß er zur Zeit der deutsch-
polnischen Freundschaft als polnischer Edel-
mann den „Ritt in die Freiheit" tat, ehe er
später „für Deutschland ritt" Das soll ihm kei-
neswegs als „Belastung" im politischen Sinn vor-
gehalten werden, denn er hat sich all dieser
Aufgaben durchaus mit Takt entledigt — aber
wo blieb sein künstlerisches Taktgefühl,
als er nach all diesen Glanzrollen plötzlich die
Rolle des im Dritten Reich unterdrückten Hel-
denspielers übernahm? Noch nicht genug aber
damit, daß er — oder der, den er darzustellen
hat — als „untragbar" gekennzeichnet wird,
eilt er daraufhin ins Nebenzimmer, wo, recht
ohne sein Zutun, seine geschiedene jüdische
Frau auf ihn wartet, der er ausbrechend erklärt:
man könne als künstlerischer Mensch doch nur
aus dem eigenen Wesen heraus und nicht auf
Befehl arbeiten! Da möchte man ihm die ganze
Zeit über zurufen: Mensch, bei Ihrer Berühmt-
heit und dieser reizenden Frau — gehen Sie
doch ins Ausland wie Kollege Bassermann! Das
tut er aber nicht, sondern wir treffen ihn nach
Jahren, sichtbar gealtert, wieder während eines
Bombenangriffes, bei dem trotz „Gauleiter-Tack-
Tack", Sirenen und Krachen auch nicht eine
Spur der grauenhaften Spannung jener Stunden
eingefangen ist. Diese — gar nicht seltene —
Gelegenheit benutzt der große unterdrückte
Schauspieler, um ebenso edel wie ungezwungen
den Tod zu suchen, da es ihn anscheinend nicht
mehr reizt, das Dritte Reich zu überleben. So
schreitet er überaus ruhigen Schrittes, Hand
leger in der Hosentasche, aus, dem Luftschutz-
keller rauf ins Vestibül des Regina-Hotels, aus
dessen Dach schon vielsagend der Kalk rieselt.
Gerade wo's am meisten rieselt, setzt er sich,
in einen Fauteuil, schön im Profil und sehr wir-
kungsvoll und blickt nach oben, immer nach
oben, bis das Obere erwartungsgemäß runter-
kommt und ihm die gesamte Hotelhalle auf den
gebleichten Scheitel fällt. So, wie man's halt ge-
macht hat, seinerzeit. Ohne Schrei, ohne Qual,
ohne Zittern — ganz Held, wie ihn — leider —
auch das Propagandaministerium selig sehr ge-
schätzt hat.
Ganz anders dagegen, aber auch mit stark gei-
stigen Waffen kämpft ein berühmter und eben-
falls mißliebiger Karikaturist. Er hat leichtfertig
und versehentlich die Karikatur eines unter der
„Nazisonne" schwitzenden NS-Ministcrialdirck-
tors unter einige aufbauwillige Zeichnungen ge-
mischt, worauf ihn dieser gefährliche Herr per-
sönlich mit zwei weithin als Gangster kennt-
lichen Gestapobullen verhaften möchte. Die Ka-
rikatur ist, nebenbei, so traurig, daß höchstens
ein Blockleiter sie für „staatsgefährlich" gehal-
ten hätte. Ein bißchen mehr mußte man schon
riskieren, auch im Dritten Reich! Seine Propa-
ganda-Ministerialräte waren gefährlich vor allem
durch ihre konziliante Glätte, durch ihre schein-
bare Toleranz „einem guteri Witz" gegenüber,
mit der sie manchen guten Mann zu sich hin-
überzogen und die schmerzliche Verwirrung der
Geister vollendeten. Wenn aber gar die Gestapo
so ausgesehen hätte wie hier, hätte sie wohl bald
eher der Volksbelustigung als dem Terror ge-
dient, dessen grausamstes Instrument sie in
Wahrheit war.
III.
Dies sind nur einige Rosinen aus dem weichen
Teig dieses Films, der sich nach all diesen Wür-
fen mit sämtlichen Würsten nach sämtlichen
Speckseiten zuletzt nochmals anmaßt, den Zeige-
finger zu erheben und belehrend also zu sprechen:
Ehrlich währt am längsten (z. B. ehrliche Armut,
siehe das Mädchen Katt!), Du sollst nicht schwarz-
handeln wider Deinen Nächsten (sonst findest
Du keinen frisch aus der Schweiz importierten
Liebhaber), Du mußt optimistisch und aufbau-
willig sein und auch sowas wie einen kleinen
Spaziergang an der Sonne genießen, auch wenn
Du nur ein armes Flüchtlingsmädchen mit klei-
nem Bruder bist (es ist doch der Bruder hoffent-
lich, oder?) Du mußt Deinen Mann lieben wie
einst den Freund, auch wenn er Dir alle Briefe
Deines Ehemaligen unterschlagen hat, sonst aber
ein aufrechter Mann war, Du mußt das Herz am
rechten Fleck haben und es muß stets beteiligt
sein (was Du am besten durch häufiges Daran-
j. Wisbeck: VERSPÄTETER FASCHINGSSCHERZ
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Verspäteter Faschingsscherz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 3, S. 34.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg