Ft.Bilek: STIMMVIEH
ICH Itl SI <HF im:\ I ami I a(.
Ja — äh him. Aura sacra fames — der verfluchte
Hunger nach dem Gold. Alles ist heutzutage schwarz-
weiß wie Preußen — man kauft schwarz bis zum Weiß-
bluten — da muß man jede Arbeit annehmen, die zu-
sätzlich ein paar Pfennige abwirft, erregt doch unsere
Finanzpolitik unentwegt öffentliches Aergernis, indem
sie den kleinen Steuerzahler bis aufs Unterhemd auszieht.
So beschloß ich, Politiker zn werden. Journalistisch
natürlich nur. Ein Herr Chefredakteur, der mich selbst-
verständlich nicht näher kannte, beschloß, sein Zeitungs-
papier mit dem Interview eines prominenten Parlamen-
tariers zu schänden, und so erhielt ich den ehrenvollen
Auftrag, den Herrn Abgeordneten Hinterbichler —. Ich
nahm meinen schwarzen Hut und mein bestes Taschen-
tuch, und dann machte ich mich auf, den Landtag zn
suchen. Der Weg führte mich durch die ganze Stadt,
hin und wieder stieß ich auf Staatsbürger, die freimütig
bekannten, von einem Landtag gehört zu haben, ja, es
gäbe dergleichen zweifellos, aber wo, das wisse Gott
allein. Nachdem mich auch der Pförtner des Staatlichen
Schauspielhauses abgewiesen hatte, der wohl bekannte.
daß der Landtag einstmals in seinen Räumen getagt,
sich letzthin aber als Ensemble doch etwas zu spiel-
schwach erwiesen, gelang es mir endlich, den Volks-
boden der Volksboten in einem Saale des ttt-Ober-
finanzpräsidiums ausfindig zu machen. Bescheiden
mischte ich mich unter das Publikum, das dort hinein-
strömte, bis ich bemerkte, daß ich nicht unter meines-
gleichen wandelte, sondern unter den hochgemuten Män-
nern und Frauen, die den Schlüssel zur Weltgeschichte
in den Händen halten. Ehrfurcht beschlich mich, immer
feierlicher wurde mir zumute.
Im Saale war es weniger feierlich. Ich kam gerade
dazu, wie man den Ministerpräsidenten fragte, wieso er
sich in Frankfurt so schlecht benommen habe, er möge
sich gefälligst erklären. Daraufhin entgegnete der Mi-
nisterpräsident ganz freundlich, er könne zunächst über
jene bewußten — ahal — Vorgänge nur wehig sagen,
nämlich nichts. Aber demnächst würde er mehr darüber
sagen, nämlich daß er dann mehr darüber sagen würde.
Der Mann gefiel mir ausnehmend gut. Wirklich, besser
hätte ich es auch nicht sagen können. Ich beschloß,
mir diese feine Wendung zu merken. Anschließend er-
SCHALTER
Achtundvierzig ist ein Schaltjahr,
weil's so viele Schalter hat.
Sind wir auch auf vieles hungrig:
Unsre Schalter hab'n wir „satt".
Zugegeben: Auf dem Postamt
geht's verhältnismäßig schnell,
doch die vielen andern Schalter
sind real — doch nicht reell.
Ach, wie lange wird man schalten
mit uns Armen, wie man will?
Stillgestanden! Maulgehalten!
Immer noch der alte Drill.
Alle Schalter sollt' man schließen,
nur fürs Licht, die laßt bestch'n.
Wir woll'n unsre Zeit genießen
und verstehen — nicht: ver-stehnl
lebte ich noch ein paar spannende Nummern: Eine ver-
fassungsrechtliche Debatte und ein Gutachten des Fi-
nanzausschusses über die Besteuerung schwanzloser
Schaukelpferde. Es kann auch etwas anders gewesen
sein — ja, ich vermute es geradezu! —, aber man
konnte im Lokal kein Wort verstehen, worum es sich
eigentlich handelte, so ein Krach wurde gemacht. Plötz-
lich war Abstimmung, und da einige Abgeordnete „Ja"
sagten, „Nein" meinten, sich verbesserten und hinterher
„Nein" riefen, dann auf die Frage des Präsidenten, ob
sie nun „Nein" meinten, „Ja" sagten, worauf —. Die
Stimmung stieg auf den Höhepunkt. Niemals, so wahr
ich als Normalverbraucher noch einmal tot umfalle,
habe ich in Kabarett und Bühne mit so verblüffend ein-
fachen Mitteln solche Heiterkeitserfolge erzielt — und
ich verstehe es doch weiß Gott, dem Publikum die
Achilles-Sohle zu kitzeln. Eine Bombenstimmung —
und das alles bei freiem Eintritt. Dann begann wieder
die Verfassungsdebatte, ob Gesetze, die der Landtag
nicht beschlossen, verfassungsrechtlich —. Es wurde
dann doch wieder recht ledern. Ich sah mich nach
einem Spielgefährten um. Da erblickte ich ein nettes
junges Mädchen. Sie sagte mir später, daß sie zu Hause
auch keine Heizung hätte. Ich lud sie Ins Cafe ein
Der zu interviewende Abgeordnete —.
Später, als mich meine Frau erwischte, versuchte sie
auch in Opposition zu machen, aber an mir altem Paf-
lamentshasen stieß sie auf Granit. Und als sie gar be-
hauptete, ich hätte gegen das sechste Gebot verstoßen,
wies ich ihr überzeugend nach, daß dieses überhaupt
verfassungswidrig sei, da darüber nicht ordnungsgemäß
im Landtag abgestimmt worden wäre und überhaupt —
so erklärte ich höflich — könnte ich im Augenblick
über jene bewußten — ahal — Vorgänge nur wenig
sagen, nämlich nichts, aber später würde ich mehr
sagen, nämlich daß ich dann darüber mehr sagen —.
Hingerissen starrte meine Frau mich an. Und da sagt
man immer, wir paar Lamentierer — pardon: Parla-
mentarier — richteten nichts ausl Oder an.
Und das ist in dieser Geschichte der blut-wurschtige
Ernst. G. W. Borth
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ICH Itl SI <HF im:\ I ami I a(.
Ja — äh him. Aura sacra fames — der verfluchte
Hunger nach dem Gold. Alles ist heutzutage schwarz-
weiß wie Preußen — man kauft schwarz bis zum Weiß-
bluten — da muß man jede Arbeit annehmen, die zu-
sätzlich ein paar Pfennige abwirft, erregt doch unsere
Finanzpolitik unentwegt öffentliches Aergernis, indem
sie den kleinen Steuerzahler bis aufs Unterhemd auszieht.
So beschloß ich, Politiker zn werden. Journalistisch
natürlich nur. Ein Herr Chefredakteur, der mich selbst-
verständlich nicht näher kannte, beschloß, sein Zeitungs-
papier mit dem Interview eines prominenten Parlamen-
tariers zu schänden, und so erhielt ich den ehrenvollen
Auftrag, den Herrn Abgeordneten Hinterbichler —. Ich
nahm meinen schwarzen Hut und mein bestes Taschen-
tuch, und dann machte ich mich auf, den Landtag zn
suchen. Der Weg führte mich durch die ganze Stadt,
hin und wieder stieß ich auf Staatsbürger, die freimütig
bekannten, von einem Landtag gehört zu haben, ja, es
gäbe dergleichen zweifellos, aber wo, das wisse Gott
allein. Nachdem mich auch der Pförtner des Staatlichen
Schauspielhauses abgewiesen hatte, der wohl bekannte.
daß der Landtag einstmals in seinen Räumen getagt,
sich letzthin aber als Ensemble doch etwas zu spiel-
schwach erwiesen, gelang es mir endlich, den Volks-
boden der Volksboten in einem Saale des ttt-Ober-
finanzpräsidiums ausfindig zu machen. Bescheiden
mischte ich mich unter das Publikum, das dort hinein-
strömte, bis ich bemerkte, daß ich nicht unter meines-
gleichen wandelte, sondern unter den hochgemuten Män-
nern und Frauen, die den Schlüssel zur Weltgeschichte
in den Händen halten. Ehrfurcht beschlich mich, immer
feierlicher wurde mir zumute.
Im Saale war es weniger feierlich. Ich kam gerade
dazu, wie man den Ministerpräsidenten fragte, wieso er
sich in Frankfurt so schlecht benommen habe, er möge
sich gefälligst erklären. Daraufhin entgegnete der Mi-
nisterpräsident ganz freundlich, er könne zunächst über
jene bewußten — ahal — Vorgänge nur wehig sagen,
nämlich nichts. Aber demnächst würde er mehr darüber
sagen, nämlich daß er dann mehr darüber sagen würde.
Der Mann gefiel mir ausnehmend gut. Wirklich, besser
hätte ich es auch nicht sagen können. Ich beschloß,
mir diese feine Wendung zu merken. Anschließend er-
SCHALTER
Achtundvierzig ist ein Schaltjahr,
weil's so viele Schalter hat.
Sind wir auch auf vieles hungrig:
Unsre Schalter hab'n wir „satt".
Zugegeben: Auf dem Postamt
geht's verhältnismäßig schnell,
doch die vielen andern Schalter
sind real — doch nicht reell.
Ach, wie lange wird man schalten
mit uns Armen, wie man will?
Stillgestanden! Maulgehalten!
Immer noch der alte Drill.
Alle Schalter sollt' man schließen,
nur fürs Licht, die laßt bestch'n.
Wir woll'n unsre Zeit genießen
und verstehen — nicht: ver-stehnl
lebte ich noch ein paar spannende Nummern: Eine ver-
fassungsrechtliche Debatte und ein Gutachten des Fi-
nanzausschusses über die Besteuerung schwanzloser
Schaukelpferde. Es kann auch etwas anders gewesen
sein — ja, ich vermute es geradezu! —, aber man
konnte im Lokal kein Wort verstehen, worum es sich
eigentlich handelte, so ein Krach wurde gemacht. Plötz-
lich war Abstimmung, und da einige Abgeordnete „Ja"
sagten, „Nein" meinten, sich verbesserten und hinterher
„Nein" riefen, dann auf die Frage des Präsidenten, ob
sie nun „Nein" meinten, „Ja" sagten, worauf —. Die
Stimmung stieg auf den Höhepunkt. Niemals, so wahr
ich als Normalverbraucher noch einmal tot umfalle,
habe ich in Kabarett und Bühne mit so verblüffend ein-
fachen Mitteln solche Heiterkeitserfolge erzielt — und
ich verstehe es doch weiß Gott, dem Publikum die
Achilles-Sohle zu kitzeln. Eine Bombenstimmung —
und das alles bei freiem Eintritt. Dann begann wieder
die Verfassungsdebatte, ob Gesetze, die der Landtag
nicht beschlossen, verfassungsrechtlich —. Es wurde
dann doch wieder recht ledern. Ich sah mich nach
einem Spielgefährten um. Da erblickte ich ein nettes
junges Mädchen. Sie sagte mir später, daß sie zu Hause
auch keine Heizung hätte. Ich lud sie Ins Cafe ein
Der zu interviewende Abgeordnete —.
Später, als mich meine Frau erwischte, versuchte sie
auch in Opposition zu machen, aber an mir altem Paf-
lamentshasen stieß sie auf Granit. Und als sie gar be-
hauptete, ich hätte gegen das sechste Gebot verstoßen,
wies ich ihr überzeugend nach, daß dieses überhaupt
verfassungswidrig sei, da darüber nicht ordnungsgemäß
im Landtag abgestimmt worden wäre und überhaupt —
so erklärte ich höflich — könnte ich im Augenblick
über jene bewußten — ahal — Vorgänge nur wenig
sagen, nämlich nichts, aber später würde ich mehr
sagen, nämlich daß ich dann darüber mehr sagen —.
Hingerissen starrte meine Frau mich an. Und da sagt
man immer, wir paar Lamentierer — pardon: Parla-
mentarier — richteten nichts ausl Oder an.
Und das ist in dieser Geschichte der blut-wurschtige
Ernst. G. W. Borth
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Stimmvieh"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 4, S. 39.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg