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OSKAR MARIA GRAF: ANTON SITTINGER

Nun ist es ja ganz schön und recht, wenn ein Mensch
sich in die Politik begibt. Aber das setzt gewöhnlich
voraus, daß er weiß, was er will. Er muß sich dar-
über klar sein, auf welcher Seite er steht, welche
Partei ihm gefühlsmäßig entgegenkommt und seine
ungefähren Interessen verficht. Er tritt gleichsam
aus seiner privaten Vereinsamung heraus, spürt
schon beim ersten, geringen Anlaß, daß er allein
nichts erreichen kann und sucht Verbündete.
Sittinger verfolgte von jetzt ab die Zeitungen noch
viel aufmerksamer. Es handelte sich dabei um jenes
alteingeführte Tagblatt, das jedermann in Stadt und
Land schon deswegen bezog, weil es alle amtlichen
Anzeigen und die meisten Inserate hatte und im
Gegensatz zu den anderen Blättern das beste Ein-
wickelpapier abgab. Sein sonstiger Inhalt war bieder
und neutral, so wie ihn die mit dem derzeitigen
Staat einverstandenen Aktionäre verlangten. Ge-
langten die Aktienpakete in andere Hände, so ver-
änderte sich auch die Richtung, doch das merkten
die Leser nicht, und es interessierte sie wahrschein-
lich auch kaum. Sie waren die Zeitung gewohnt. „Un-
abhängiges, parteiloses Tageblatt" stand nach wie
vor unter dem eigentlichen Titel, und das.war ihnen
genug. Auch Sittinger behagte das. Er haßte die
Parteien.

„Ich bin ein unabhängiger Mensch", pflegte er zu
sagen. „Meine politische Richtung gibt's überhaupt
noch nicht. Mein Standpunkt ist einfach der gesunde
Menschenverstand."

Ihm war auch der Staat nicht recht, die Regierung
genau so wenig, und er schimpfte über die Sozial-
demokraten und die Pfaffen, über die Junker und
Industrieherren, am allergrimmigsten aber über die
Nationalsozialisten.

„Ob Jud', ob Christ, ich dreh die Hand nicht um!"
polterte er. „Der Mensch bleibt, was er ist, ein
dummes, niederträchtiges, neidisches, gieriges, grau-
sames, feiges —"

„Na, na, was hast du denn noch alles?" fiel ihm
Malwine ins Wort.

„Der Mensch steht viel tiefer als das Tier . . . Das
Tier hat wenigstens noch so was wie eine gesunde
Vernunft", meditierte er weiter. „Ein Tier bleibt
friedlich, wenn es nicht angegriffen wird. Es lebt
ruhig neben den anderen Tieren, frißt, pflanzt sich
fort und will über keinen herrschen. Es ist nicht
hinterhältig und gemein und hat keine fixen Ideen.
Es ist von Grund auf natürlich . . . Wird vielleicht
ein Löwe seinen Nachbarn zerfleischen, weil er zu-
fällig lauter brüllen kann? Hast du schon einmal
gelesen, daß eine Elefantenherde, die in ein Reis-
feld einbricht, die anderen Elefanten, die schon drin-
nen sind, angreift? Sie denkt nicht dran! Jeder Ele-
fant wird schauen, daß er noch was erwischt, fertig . ..
Und was machen die Menschen? Einer lauert bloß,
"wie er den anderen überlisten kann . . . Das Geld
haben sie erfunden, Gesetze haben sie ausgetüftelt
gegeneinander, auf einmal haben sie Grenzen ge-
zogen, und wer drüberhalb war, der war ein
schlechter Kerl, ein Feind . . . Und nachher sind die
Kriege gekommen, das raffinierteste Massenmorden,
das es gibt . . . Friedlich, gemütlich, ruhig und recht-
schaffen zusammenleben, das mag kein solches Sub-
jekt . . . Wer heutzutage dafür ist, der kommt in
Verruf . . . Wirklich, wenn man nachdenkt, graust
einem vor den Menschen!" Er hielt inne und schaute
in die Luft: „Wenn's wirklich einen Gott gibt, und
wir sind sozusagen sein Ebenbild, gute Nacht, der
Gott muß ein schönes Monstrum von Boshaftigkeit
und Wahnsinn sein."

„Hm, seltsame Gedanken hast du", sagte Malwine.
„Ganz natürliche! ... Die einfachsten von der Welt!"
widersprach er ihr. „Du kannst bloß nicht denken.
Du willst auch gar nicht!"

„Ich denke schon! Nur anders", gab sie schüchtern
zurück. Da lachte er höhnisch: „Ha, ein Weib und
denken, ha! ... Anders? . . . Das ist kein Denken,
das ist Unsinn!"

Es war ein leicht durchregneter Aprilsonntagnach-
mittag. Drunten am Dorfplatz wurde es auf einmal
lebendig. Aus allen Türen traten die Leute, von
allen Seiten kamen halbuniformierte Burschen und
Knechte zusammen, mit braunen Hemden und eben-
solchen Mützen. Einige trugen blinkende Musik-
instrumente, und ein Trommler stellte i sich breit-
beinig hin. Die .Dorfjugend umzäunte den Haufen.
Von lauten ,,Heil"-Rufen begrüßt, kam der Haupt-
mann Schlicht aus dem Wirtshaus, grüßte lachend
und kommandierte. Der Haufen nahm militärisch-
stramme Aufstellung, eine flammendrote Hakenkreuz-

fahne wurde in die Luft gestoßen, und die voran-
schreitenden Musiker schmetterten in ihre Trom-
peten. „Marsch!" krächzte Schlicht, und der Zug
marschierte nach einer Runde auf dem Platz durch
das erheiterte Dorf. Die Kinder liefen lachend und
schreiend nach, die Dörfler schauten spöttisch zu,
antworteten nicht und blickten gleichgültig bei dem
unausgesetzten „Heil"-Geschrei. Nur einige Mägde
und Bauerntöchter hoben manchmal lässig den Arm
und lachten ermunternd.

„Was ist denn das wieder für ein Rummel?" brummte
Sittinger. Malwine war ans Fenster getreten und
sah in gehobener Stimmung auf die Vorbeimarschie-
renden. „Dieser Schlicht! Der Lump!" zischte Sit-
tinger und fuhr sie an: '„Geh weg! Der meint wo-
möglich noch, wir applaudieren! . .. Weg, sag' ich!
Weg!!"

„Heil! Heil Hitler! Heil!" plärrte es scheppernd
draußen, und Malwine entdeckte gerade noch, wie
Schlicht hämisch dreinblickte, wie etliche mit erhobe-
nen Fäusten gegen die Fenster drohten. Die Tritte
dumpften, und ins Schmettern der Musik mischte
sich rauhes Singen:

„Die Fahne hoch — die Reihen dicht geschlossen —
o—ossen ■—"

Es rann weiter, das Dorfberglein hinunter, Bibloch
zu. Jetzt erst wagte Sittinger aufzustehen und fragte
wiederum: „Was soll denn das zu bedeuten haben?
. . . Da muß doch was Besonderes passiert sein?"
Malwine wußte auch weiter nichts. Sonntags holte
der Gschwendtnerbub die Zeitung vom Sonnabend
auf der Post und brachte sie erst gegen Mittag. Da
stand drinnen, daß der Nationalsozialist Frick in
Thüringen Innenminister geworden war. Aber das
lasen ja nur jene Leute, die so etwas überhaupt
ernst nahmen: Sittinger, Malwine, der Schlicht und
die anderen sogenannten „Zugereisten". Die ein-
gesessenen Bauern und Handwerker im Aubichl-

MÜNCHEN den MÜNCHNERN

Biblocher Geviert interessierten sich nicht dafür, sie
hatten grundandere Interessen und Ansichten. Sie
dachten langsam, waren tief mißtrauisch gegen alles,
was nicht sie direkt betraf, und sie handelten nach
einer eigenen, sehr listigen Logik, die ein Fremder
nie begreifen konnte. Für die Dörfler wurde erst
dann etwas wichtig, wenn sie sahen, hörten und
spürten. Dann schauten sie zu allererst einmal genau
hin, wer denn der Urheber dieses „Etwas" war, und
fragten sich gelassen und nüchtern: „Haben wir
einen Vorteil davon?" Das war bei ihnen seit Ur-
väterzeiten schön so. Ganze Zeiten lang hatten sie
sich neben der. üblichen Religion an die Monarchie
gewöhnt, als aber — wie sie sich ausdrückten —
„die Revolution den König abgeschafft hatte",
trauerten sie ihm nicht sonderlich nach. Es blieb
zwar ein dünner Bodensatz von monarchistischer Ge-
sinnung in ihnen, weiter aber nichts, denn die
Republik hatte immerhin den Krieg beendet und
dem Bauern bis jetzt nicht weh getan. Es ließ sich
halbwegs auskommen mit ihr. Politik war für die
Landleute' seit jeher etwas Weitabliegendes, etwas,
das mit ihrem Leben und Trachten nicht das min-
deste zu tun hatte, etwas Fremdes, ja, sogar Feind-
liches, ein unkontrollierbarer Schwindel der „besse-
ren Leute", die die harte Arbeit nicht kannten und
bloß ab und zu versuchen wollten, die Bauernschaft
für ihre Zwecke auszunützen. Geruhig hörten die
Bauern die verschiedenen Parteiredner, die in Wahl-
zeiten auf die Dörfer kamen, an. Sie gaben ihnen
auch hin und wieder recht, aber sie blieben bei der
Meinung, die ihnen als nützlich erschien. Jedenfalls
aber hatten sie gegen Menschen ohne schwielige
Hände, die weder ihre Sprache redeten, noch ihre
Gewohnheiten hatten, eine verschwiegene, unausrott-
bare Abneigung.

Durch Reden und Zeitungen oder mit so lärmenden
Aufzügen, wie der Schlicht sie inszenierte, war bei
den Aubichl-Biblochcr Bauern nichts zu erreichen.
Im Gegenteil, sie sagten ziemlich herablassend und
spöttisch: „Ah, der abgetakelte Militärschädel, derl
Der kann, halt das Kommandieren nicht lassen und
will sich, scheint's, wieder einen einträglichen Posten
verschaffen, der Windbeutel, der notige! ... Bei uns
hat er da kein Glück! Wir riechen schon, wo er hin-
aus will!" Sie fanden auch weiter nichts Arges daran,
daß die jungen Burschen und Knechte für die „Sol-
datenspielerei" eingenommen waren. Der Gschwendt-
ner meinte: „Naja, wenn die jungen Knöpf bei der
Arbeit genau so schneidig bleiben, alsdann hat's ja
nichts auf sich." Sie beurteilten den Aufmarsch un-
gefähr wie eine lustige, unterhaltsame Gaudi., Das
änderte sich freilich in der darauffolgenden Nacht
ein wenig.

Im Gasthaus zur Post in Bibloch nämlich hatten die
Mannen Schlichts eine laute Feier veranstaltet. Der
Hauptmann hielt dabei eine schneidige Rede und
drohte: „Langsam und zäh schreiten wir mit Hitler
zum Sieg. Wer nicht mit uns ist, der wird weggefegt.
Ich möchte es verschiedenen sagen, jetzt ist's noch
Zeit, sich- unserer nationalen Bewegung anzuschlie-'
ßen!" Spät nachts hatte es im Dorf Spektakel ge-"
geben. Die besoffenen Burschen entdeckten einige
sozialdemokratische Klebezettel an den Telegraphen-
stangen und Hauswänden, die am Nachmittag fremde
Radfahrer angebracht hatten. Die Burschen brüllten
mordsmäßig und rissen unter wilden Drohungen die
Zettel ab, malten große Hakenkreuze an die Wände
und schreckten durch ihr Lärmen die Schläfer auf,
die aus den Fensttrn herausschimpften. Die Au-
bichler waren verärgert. Der Gschwendtner jagte
seinen Knecht aus dem Haus, weil er in der Frühe aus
seinem Rausch nicht heraussah und aufsässig strei-
ten wollte. Sittinger kam zum Wagerer und war blaß.
„Einen doppelten Korn . . . Mir ist's schlecht", sagte
er düster und eingeschüchtert. „Hm, schlafen hab'
ich überhaupt nicht können von dem Radau." Er
schüttete den Schnaps schnell in sich hinein und
verlangte noch einen.

„Ha, die Rotzbuben! ... Ist ja das reinste Fast-
nachtspiel!" meinte der Wagerer unerregt. „Jetzt
hat er halt einmal wieder Geld, der Schlicht ....
Einen Brandrausch soll er gehabt haben."
„Sie", sagte Sittinger eindringlich, „Sie, wann sich
da die rechtschaffene Bürgerschaft nicht rührt, das
wird noch einmal ein ganz gefährlicher Saustall!"
„Ah, vernünftige Leut' machen doch da nicht mit",
erwiderte ^der Krämer gleichmütig. „Wenn sie's zu
bunt treiben, die Lauser, nachher wird ihnen schon
der Riegel vorgeschoben."
„Von wem denn?" fragte Sittinger beunruhigt.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"München den Münchnern"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: Franz Bleyer

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 6, S. 62.
 
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