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Die immer bedrohlicher werdenden Meldungen über die
Not und .das Elend, welches seit der Währungsreform
unserem Landvolk würgend an die Gurgel greift, ver-
anlaßten das Parlament in seiner letzten Sitzung, wieder
einmal der Gefahr rechtzeitig ins Auge zu sehen und
scharfe Abrechnung mit ihr zu halten. Vot allem die
Abgeordneten der Regierungspartei hatten während der
stürmischen Veranstaltung das Wort auf dem rechten
Fleck, indem sie nacheinander der Erklärung ihres ersten
Vorredners zustimmten, der ausrief: Wenn der Bauer
stirbt, stirbt das ganze Volk!

Nachdem sogleich zu Beginn jeglicher Zweifel über den
Ernst der Lage hinweggefegt und die Opposition im
Keime erstickt worden war, folgten unter dem allgemei-
nen Beifall des Hauses die erschütterndsten Berichte
über die Zustände, welche auf dem flachen Lande Um-
sichgreifen. Zum Beispiel sind in einem niederbayeri-
schen Dorfe vor kurzem während einer Woche zwei Öko-
nomen nacheinander verschieden, obwohl keine Flücht-
linge vorangegangen waren, was allen Erfahrungen der
letzten Jahre geradezu Hohn spricht und beweist, daß
jener Bevölkerungsteil, auf den allein es ankommt, ins
Mark getroffen eine leichte Beute des Todes wird.
Einesteils mag das eine Folge der schlechten Ernährung
sein, weil die Bauern schon wieder, wie in jener schlimm-
sten Zeit des deutschen Volkes vor dem Kriege, an-
fangen, die Butter restlos zu verkaufen und Margarine
zu fressen (in seiner Erregung gebrauchte der Abgeord-
nete Knöferl tatsächlich den Ausdruck „fressen"), aber

DIE NOTSITZUNG

hauptsächlich dürfte das sensationelle Ansteigen dar
Sterblichkeitsziffer doch wohl auf den moralischen Zu-
sammenbruch der Volkscrnährer zurückzuführen sein.
Noch vor einem Vierteljahr konnte , jeder, den seine.
Hamsterwege aufs Land führten, auf Schritt und Trift
die glänzendsten Beweise und Zeugnisse einer überschäu-
mend lebensstarken, daseinsbejahenden Einstellung unse-
rer Bauern beobachten. Uberall flatterten lustig auf
frisch errichteten Firsten die bunten Bänder zahlreicher
Richtbäume. Das hat sich aufgehört, öd und tot liegen
die Stätten einstigen Werkeins da. Nicht einmal Ham-
sterer kommen mehr an diesen ehemaligen Wallfahrts-
orten fast sämtlicher Handwerker des "Volkes vorbei, so
daß die bayerische Landwirtschaft teilweise schon ge-
zwungen ist, selber, mit schweren Taschen und Körben
beladen, in die Stadt zu kommen und in Wind und Wet-
ter, Regen und Schnee auf den Marktplätzen auszuhar-
ren. Das - sind alarmierende Anzeichen einer nationalen
Katastrophe, die vor der Tür steht. Es kann gar nicht
früh und scharf genug davor gewarnt werden. Ein Volk,
welches seinen Bauern das antut, verdient den Unter-
gang.

Gesundheitsoffiziere der Militärregierung, die kürzlich die
Einwohner von Wurzelsbach untersuchten, stellten zwar
noch keine Fälle wesentlichen Untergewichts fest, aber

die Ergebnisse einiger anderer Umfragen gaben ihnen doch
sehr zu denken. Zum Beispiel ergab sich, daß von den
30 Schulkindern des Ortes weit über 95°/o zu HauseN keine
Zahnbürste besitzen. Außerdem wurde in der Mädchen-
klasse festgestellt, daß alle zwar bis zu ihrem sechzehn-
ten Lebensjahr ein eigenes Bett hätten, aber von da ab
schliefen sie häufig mit Knechten und sonstigen Erwach-
senen zusammen, wob6i jegliches sittliche Empfinden mit
Füßen getreten und frühzeitig in den ■ Kindern abge-
stumpft wird. (Pfui!!)

Lähmendes Entsetzen spiegelte sich in den Gesichtern
aller Anwesenden wider, als der Landwirtschaftsminister
bekanntgab, daß in Bremen der Sack Getreide um die
Hälfte des Preises, für den ihn unsere Bauern produ-
zieren können, ausgeladen wird. Nachdem schon durch
die Überschwemmung des Marktes mit billigerem Ge-
müse und Obst aus Italien die einheimische Erzeugung
an den Rand des Abgrundes gebracht wurde, versetzt ihr
das den endgültigen Todesstoß, wenn nicht augenblicklich
eingegriffen wird.

Ohne noch länger zü zögern, verabschiedete das Haus
ein Gesetz, wonach die Bewirtschaftung der Lebensmittel
unter allen Umständen auf unbeschränkte Zeit aufrecht-
erhalten werden muß, damit unser Landvolk nicht ganz
der Verzweiflung anheimfällt.

Über einen Vorschlag des Abgeordneten Wammerl, an
die Militärregierung eine Resolution zu richten, in der
die umgehende Wiederaufnahme der Blockade Deutsch-
lands gefordert wird, vertagte sich das Haus vorläufig.

H. Putz

203
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Notsitzung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bilek, Franziska
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Der Simpl, 3.1948, Nr. 17, S. 203.

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