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RADIO-SPORTBERICHT

„Liebe Schburtfreunde! — Der überwältigende Sieg von Grischperl II — im
großen Herbstpreis der Dreijährigen zu Daglfing — am letzten Samstag-
nachmittag — war ein Ereignis, liebe Schburtfreunde, — wie es die Trab-
rennschburtler der Nachkriegszeit noch selten — tätigen konnten.

Wir bringen Ihnen jetzt ein Gespräch — mit dem Mann, liebe Schburt-
freunde, — auf den heute die ganze Schburtwelt mit Bewunderung, — ja,
ich möchte sagen mit vollberechtigter, — uneingeschränkter Anerkennung —
betrachtet und dem gerade wir Schburtler — ja, ich möchte sagen wir
Schburtler — dieses einzigartige Schburtereignis des vergangenen Samstages

— zu Daglfing vor zirka 120 000 Zuschauern — zu verdanken veranlassen:
Dem erfolgreichen Trainer von Grischperl II — Herrn Ludwig Höllriegel!"

(Im Hintergrund Volksgemurmel: Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber .. .)

„Herr Höllriegel, darf ich Sie bitten sich — etwas näher ans Mikrophon zu
treten ..." ... (Man hört Hufgetrappel).. . „Wir begrüßen in Ihnen den
Sieger im Herbstpreis 1948 der Dreijährigen — letzten Samstag vor etwa
120 000 Zuschauern . . ." (Unterbrechung durch heftiges Pferdegewieher) . . .
„Jawoi..."

„Herr Höllriegel, es ist uns bekannt, daß Sie sich früher auch auf anderen
Schburtgebieten ausgezeichnet haben. Am Anfang Ihrer schburtlichen Lauf-
bahn waren Sie nicht beim Turf?"

„Naa. Zerscht war ich Ordnungsmann in der Schwabinger Brauerei. Dann
bin ich zu die Berufsathleten gangen. Und später war ich dann Ringer im
Zirkus Sarrassani.. ."

„Ihr Sieg über den damaligen Meister im Freihandstil, den Schwergewichtler
und gleichzeitigen Neger Bamboula, ist uns allen noch in lebhafter Er-
innerung."

„Jawoi. Und dann hab ich mich verheiratt — und bin als solcher in den
Besitz der Schweinsmetzgerei kommen, — aus wessen Grund ich nachher
mit meinem eigentlichen Fach, — dem Trabrennschburt, — also, mich widmen
konnte."

„Herr Höllriegel, wie verläuft denn so ein Arbeitstag bei Ihnen? Sie fangen
wahrsdieinlich schon recht früh an . .."

„No ja, — im Sommer steh ich um sexe auf — und im Winter um simme

— und nachher geh ich halt gleich amal in Stall, — wo ich Nachschau halt,
ob die Roß ordentli g'apfelt hamm, — und dann schau ich mir des halt
so a bissei an . .."

„Die Aepfel?"

„Naa, die Roß. Nachher geht's an d' Arbat. Nachher werd trainiert bis
umma oans ..."

„Ich verstehe, ich verstehe. Und der Nachmittag ist dann wohl Dispositionen
für kommende Rennen, Buchungsarbeiten und organisatorischen Fragen ge-
widmet?"

„Jawoi, — also, wia ma so sagt, — der Vormittag geht mit dem Praktischen
drauf — und der Nachmittag mehra mit der theologischen, objektiven
Seiten ..."

„Sehr richtig, Herr Höllriegel, sehr richtig! — Sie haben da, wie ich sehe,
zwei Flaschen unterm Arm . .. Darf man fragen, Herr Höllriegel, ob Sie
damit Ihren einzigartigen Sieg im Herbstrennen der Dreijährigen — letzten
Samstag zu Daglfing — vor über 120 000 Zuschauern..."
„Jawoi, — höhöhö! A bissei feiern tun mir heut abend, ich und meine
Freund. Die oane da, des is eine Flaschen 1947er Cröver Nacktarsch, natur-

Fr. Bilele

„Iii« riechst wieder mal nach ScJinaps, ekelhafter Kerl!"

rein, und die andere a echter Affenthaler Spätburgunder, rot — die müssen
heut no dran glauben . . ."

„Hähähä. — Was halten Herr Höllriegel übrigens von der allgemeinen Lage?"
„Ja mei, wie ma's nimmt. I sag halt immer, — wenn irgendwas die Welt
retten kann, — nachher is des der Schburt, — i mein hauptsächlich der
Trabrennschburt. Denn selbiger stellt eine Brücke der Völkerverständigung
dar und bringt die Schburtler — und damit in erster Linie die verschiedenen
Völker der Welt — einander näher. Renna tuat oiß . . ."

„Wir danken Ihnen, Herr Höllnegel, und wünschen Ihnen weiterhin solche
Siege, wie den am letzten Samstag zu Daglfing — vor 125 000 Zuschauern
— im Dreijährigen Herbst . . ."

(Pferdegewieher, Hufgetrappel, eine Stimme im Hintergrund: „Oha!" Radio
München wird schwächer und immer schwächer . . . und verklingt schließ-
lich ganz.) W.F.K.

Viele werden ihnen in diesen Tagen die Hand —
wenige nur den Kopf schütteln, und eigentlich
müßte man ihnen kondolieren, statt gratulieren.
Denn sie sind Hinterbliebene. Leid-Tragende!
Leute, die unser aller Leid (mit Humor!) durch die
Lande tragen und aus den unzähligen Grübchen
der Heiterkeit, die sie verbreiten, jene Grube
schaufeln, in die Dummheit und Unioleranz, Träg-
heit und Aberwitz, Hochmut und tierischer Ernst
seit je gehören.

Drei Jahre bestehen sie nun: Die „Hinterbliebenen".
Ein Kabarett — nicht mehr. Aber auch nicht we-
niger! Am 4. Dezember 1945 traten sie zum
ersten Male an die Rampe und ins Fettnäpfchen.
Mit Leichenbittermiene, Bahrtuch und Zylinder.
Und trotzdem nicht als Weh-Klagende, sondern als
An-Klagende; keine Trauergemeinde, aber eine
Gemeinde, die sich traut; lachende Erben, die mit
der nach tausendjähriger Kunstatmung noch vor-
handenen Puste der zehnten Muse neuen Odem
einhauchten und mit der verbliebenen literarisch-
politischen Erbmasse unser Zwerchfell erschütter-
ten. Erbmasseure sozusagen. Wedekinder, Morgen-
sterne, Ringelnätzer unserer Zeit.
Daher auch nicht seßhaft — sondern wandernd,
von Kiel bis Konstanz durch alle Zonen. Trotz der
tausend Kilo, die sie an Kostümen, Requisiten und
privatem Haushalt mit sich herumschleppen, Rei-
sende ohne Gepäck. Unbelastet. In jeder Hinsicht.
Was die „Hinterbliebenen" so verdächtig macht,
ist, daß sie sich nicht einordnen lassen. Das ist

WIR GRATULIEREN

ungewöhnlich in Deutschland. 1946 pfiffen ihnen
die Nazis die Vorstellungen aus und warfen ihnen
Bierseidel in die Kulissen; in Berchtesgaden und
anderswo. Heute trampeln sie vor Vergnügen.
Damals waren die Offiziere a. D. schockiert, weil
sie so antimilitaristisch waren. Jetzt ist die
deutsche Friedensgesellschaft böse, weil sie ihr
neues Programm „Auf in den Kampf" nennen. Mal
das eine, mal das andere Deutschland. Einst be-
förderten die Amerikaner sie mit Militärzug nach
Berlin zur Eröffnung des Cabarets „Ulenspiegel"
als Repräsentanten westlicher Kleinkunst. Vor
zwei Monaten wurden sie (auch durch Amerikaner)
kurzfristig verboten. Oder kurzsichtig, wie man
will. Dem einen sind sie zu nationalistisch, dem
anderen allzu demokratisch. Söldlinge Moskaus
oder verkappte Nazis nennt sie manche Zuschrift.
Haben die „Hinterbliebenen" schuld an solcherlei
geistiger Wirrnis? Gewiß nicht. Sie waien und sind
nichts als Satiriker, Karikaturisten, Ironiseure, die
der Zeit ins Gesicht und ins Gegenteil schauen und
einen lustigen Zerrspiegel aufrichten, in dem alle
sich erkennen können, die zur Selbsterkenntnis
den guten Willen haben. Es liegt an uns, *venn
das Bild das da herausschaut, kein freundlich

lächelndes ist, sondern mehr eine Grimasse. Es
liegt nicht am Spiegel. Und wenn es poltert, weil
die drei Hände Erde, die sie allabendlich auf den
imaginrren Sarg dessen werfen, was eingegangen
ist oder absterben soll, so liegt das daran, weil,
der Sand, auf dem wir bauen, aus schwankendem,
moorigem, sumpfigem Untergrund kommt. So sind
sie „Himorsoldaten", diese Hinterbliebenen, diese
„durch die Zeit Getriebenen, die aach den unge-
schriebenen Gesetzen freier Kunst sich trau'n, dem
Zahn der Zeit aufs Maul zu hau'n."
Sie sind Geist von unserem Geiste, und deshalb
freut sich der „Simpl" über ihr Jubiläum, das in
der Geschichte des deutschen Brettls einmalig ist.
Freut sich, daß diese sieben fröhlichen Mund-
werker gerade jetzt in München zeigen, was wirk-
liches politisches Kabarett ist.
Kabarett, das niemand verschont, weder auf die
Freunde noch auf die Feinde im Parkett Rücksicht
nimmt und laut sagt, was wir alle denken, aber
nicht aussprechen und jedenfalls nicht so witzig,
charmant und treffsicher aussprechen könnten.
Und wenn wir gratulieren, so gratulieren wir we-
niger den „Hinterbliebenen" selber, als all denen,
die Mut plus Humor haben, die künstlerischen
Wagemut lieben und die Freiheit der Meinungs-
äußerung über alles stellen, weil sie in diesem
Hinterbliebenen-Ensemble Für- und Vorsprecher
haben, deren literarisches Niveau auch ihre (so
oft wechselnden) Gegner nicht abstreiten können.
Fröhliche Leichenschau(bude) weiterhin. DER SIMPL

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Du riechst wieder mal nach Schnaps"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Du riechst wieder mal nach Schnaps, ekelhafter Kerl!"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bilek, Franziska
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 23, S. 269.

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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