Fr. Bilek: HARMONIE
UNSERE ROMANECKE
Nach Durchsicht zahlloser Zeitungen und Zeitschriften kamen wir zu der simplen Erkenntnis,
daß die Aufnahme eines Fortsetzungsromans das Patentrezept zu sein scheint, neue Abonnenten
zu werben. Auch DER SlMPL möchte dieses Rezept probieren und legt hiermit seinen Lesern
Proben aus zwei verfügbaren Romanen vor. Möge der Leser sich für einen der Romane entscheiden.
IN DER STEPPE
ROMAN VON G. W BORTH
Iwan Iwanowitsdi Batschmatschkin seufzte schwer.
Ein drückendes Schweigen lag über der Wolga-
steppe. Kein Lüftchen regte sich. Es war unheimlich.
„Heilige Mutter Gottes von Kasan", sprach Iwan
Iwanowitsch, „es wird doch nichts passiert sein
daheim." Er war ein Träumer, er sah und hörte
Dinge, wenn er über die Taiga fuhr, die niemand
sonst sah und hörte. Jene Dinge die es zwischen
Himmel und Erde gibt und von denen wir uns
nichts träumen lassen.
Doch jetzt war er wie verwandelt. Fr bebte inner-
lich. Es war etwas geschehen, etwas Unheimliches.
Auch das Kirgisenpferd hat etwas bemerkt. Un-
ruhig sog es die Luft durch die Nüstern und
scharrte ungeduldig und nervös.
Ich muß nach Hause, duichzuckte es Iwan Iwano-
witsch. Vielleicht kann ich das Unheil noch ver-
hüten. Oder, wenn es eingetroffen ist, so braucht
man meine Hilfe. Heilige Mutter Gottes, das ist
es! Sonja Petrowna braucht mich. Ja, gewiß, sie
braucht mich.
Er trieb das Pferd zu äußerster Schnelligkeit an.
Die Steppe dröhnte vom Hufschlag. In seiner
Gesäßtasche schepperte das Wodkafläschchen
immer schwapp — schwapp — schwapp, bis es —
bei einem Sprung über einen Graben — völlig
herausglitt, auf der schwarzen Erde zerbarst und
sie mit ihrem Naß netzte. Es war unheimlich.
Iwan Iwanowitsch dachte mit keiner Faser seines
Herzens daran, umzukehren und nach den Scher-
ben der Wodkaflasche zu sehen. Wie magisch zog
es ihn nach Hause. Was mochte geschehen sein?
Wenn Sonja Petrowna etwas z igestoßen war —
das Leben wäre sinnlos für ihn. Stille Wehmut
erfüllte ihn.
Das Pferd scheute. Iwan Iwanowitsch bemerkte
nichts, warum das Pferd hätte scheuen können.
Die Steppe schien endlos. Er nahm die letzte Kraft
seines Rosses zusammen und stürmte durch die
Dorfstraße. Beinahe hätte er die alte Natascha
Alexandrowna Krapotkin über den Haufen ge-
rannt. Entsetzt sah sie ihm nach. So ritt das
Schicksal, wild, ungestüm, sinnlos
Das Roß war inzwischen in eine derartige Ge-
schwindigkeit geraten, daß Iwan Iwanowitsch es
nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und ein
Haus zu weit ritt. Er kehrte um. Schlotternd vor
Angst betrat er das Haus.
Da trat ihm Sonja Petrowna entgegen: „Iwan
Iwanowitsch", sagte sie, „was willst du schon
hier? Es ist noch nicht Essenszeit. Steh nicht her-
um. Wenn du nichts zu tun hast, geh auf den Hof
und putz den Samowar."
„Sonja Petrowna, mein Täubchen", antwortete er,
„sprich frei heraus: Was ist geschehen?"
Sie sah ihn groß an. „Was soll geschehen sein?
Nichts ist geschehen, Iwan Iwanowitsch."
Kopfschüttelnd ging er von dannen. Auch das
Pferd schüttelte seinen Kopf. Sie hatten sich beide
geirrt. Wie trostlos! Die Steppe schwieg weiter.
(Ende des ersten Kapitels)
DER AMEISENHAUFEN
ERZÄHLUNG VON GUS EISEN-HARTERMANN
32. Folge
„Hahahahaha!"
Gellend zerreißt sein Auflachen die Dunkelheit
der Nacht, die diesen Breiten eigen ist. Der Rappe
unter ihm stutzt, bleibt stehen und beginnt zu
strahlen. Don Hanswursto blickt nach oben, doch
kein einziger Stern strahlt am tropischen Himmel.
„Verdammte Schweinerei das! Es gibt Regen",
brummt er in seinen brasilianisch zugeschnittenen
Vollbart, während ihm der Sombrero immer tiefer
in die männlich gebräunte Stirn rutscht. Ange-
spannt lauscht der Reiter auf das Brausen, auf das
stößige Sausen hoch in den erregten Bäumen. Der
Wind ist stärker geworden, über dem Waldjen-
seits droht eine Wolkenwand, ja möglicherweise
nahen ihrer zwo . . . Dem feinen Empfinden des
Tieres ist der Lufthauch nicht lange verborgen
geblieben. Kaum hat es sein G'schäftl verrichtet,
setzt es sich wieder in Trab . .
Caramba! Der Rücken des Pferdes hopst auf und
nieder, daß einem Gringo die Knochen durch-
einandergeschüttelt worden wären wie die Würfel
in einem Lederbecher. Don Hanswursto hat jedoch
lange genug bei den Gauchos auf der Pampa ge-
lebt, um sich aus dem Klopsen des Sattels gegen
sein Gesäß nichts zu machen. In solidem, gleich-
bleibendem Trab rast er die Calle (Straße) ent-
lang, mitten durch die geheimnisvolle Wildnis
hindurch, als habe er nicht seinen Hengst Cimar-
ron, sondern einen beliebigen Fiakergaul unter
sich. Sein Wehrgehänge, bestehend aus Patronen-
gürtel, Messer und Pistole klappert und rasselt,
knarzt und ächzt, wie wenn eine Kiste mit kleine-
ren Gebrauchsgegenständen heftig gerüttelt würde.
Von dem erhitzten Tierleib dringt ihm schweißige
Wärme in die angepreßten Schenkel, die Unter-
hosen netzend und einen echten Abenteurergeruch
verbreitend . . .
Plötzlich bremst der Gaul, spitzt die Ohren und
steht mit einem Ruck wie angewurzelt. Don Hans-
wursto hat es glatt h.nuntergerissen, über die
Kruppe, und ehe er sich wieder aufraffen kann,
streut Cimarron Rosen, — ein Zeichen höchster
Erregung. Gran Dios! Was hat das edle Roß?
Richtig, — da liegt etwas Schwarzes auf der
Straße, etwa einen Jaguarsprung entfernt, dort
vorne . . .! ... Mit einem ekligen Gefühl in der
Kehle zieht der Abenteurer seine elektrische
Taschenlampe aus dem Etui, entsichert die Pistole
und nähert sich vorsichtig dem verdächtigen Ob-
jekte . . .
„Bendita sea la Santa Virgen! Der Hl. Jungfrau
sei Dank!", entringt es sich seinen bebenden Lip-
pen. „Es ist nur ein alter Hut! Ich fürchtete schon,
es liege abermals ein Erschossener hier, wie ich
deren bereits sechs auf meinem heutigen Spazier-
ritt angetroffen habe ... O Brasilichen, Brasi-
lichenü Was bist du für ein männlich-rauhes, ver-
wogenes Land!"
Erleichtert schwingt sich Don Hanswursto nach
dieser Feststellung aufs neue in den Sattel. „Mag
den Deckel aufheben, wer einen brauchtl", zischt
er durch die Zähne. „Ich jedenfalls nicht!"
W. F. K. (Fortsetzung folgt.)
Neuen Abonnenten unseres Blattes liefern wir
auf Wunsch die bisher erschienenen Fortsetzungen
gratis, und in praktische Rechtecke perforiert, nach.
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UNSERE ROMANECKE
Nach Durchsicht zahlloser Zeitungen und Zeitschriften kamen wir zu der simplen Erkenntnis,
daß die Aufnahme eines Fortsetzungsromans das Patentrezept zu sein scheint, neue Abonnenten
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Proben aus zwei verfügbaren Romanen vor. Möge der Leser sich für einen der Romane entscheiden.
IN DER STEPPE
ROMAN VON G. W BORTH
Iwan Iwanowitsdi Batschmatschkin seufzte schwer.
Ein drückendes Schweigen lag über der Wolga-
steppe. Kein Lüftchen regte sich. Es war unheimlich.
„Heilige Mutter Gottes von Kasan", sprach Iwan
Iwanowitsch, „es wird doch nichts passiert sein
daheim." Er war ein Träumer, er sah und hörte
Dinge, wenn er über die Taiga fuhr, die niemand
sonst sah und hörte. Jene Dinge die es zwischen
Himmel und Erde gibt und von denen wir uns
nichts träumen lassen.
Doch jetzt war er wie verwandelt. Fr bebte inner-
lich. Es war etwas geschehen, etwas Unheimliches.
Auch das Kirgisenpferd hat etwas bemerkt. Un-
ruhig sog es die Luft durch die Nüstern und
scharrte ungeduldig und nervös.
Ich muß nach Hause, duichzuckte es Iwan Iwano-
witsch. Vielleicht kann ich das Unheil noch ver-
hüten. Oder, wenn es eingetroffen ist, so braucht
man meine Hilfe. Heilige Mutter Gottes, das ist
es! Sonja Petrowna braucht mich. Ja, gewiß, sie
braucht mich.
Er trieb das Pferd zu äußerster Schnelligkeit an.
Die Steppe dröhnte vom Hufschlag. In seiner
Gesäßtasche schepperte das Wodkafläschchen
immer schwapp — schwapp — schwapp, bis es —
bei einem Sprung über einen Graben — völlig
herausglitt, auf der schwarzen Erde zerbarst und
sie mit ihrem Naß netzte. Es war unheimlich.
Iwan Iwanowitsch dachte mit keiner Faser seines
Herzens daran, umzukehren und nach den Scher-
ben der Wodkaflasche zu sehen. Wie magisch zog
es ihn nach Hause. Was mochte geschehen sein?
Wenn Sonja Petrowna etwas z igestoßen war —
das Leben wäre sinnlos für ihn. Stille Wehmut
erfüllte ihn.
Das Pferd scheute. Iwan Iwanowitsch bemerkte
nichts, warum das Pferd hätte scheuen können.
Die Steppe schien endlos. Er nahm die letzte Kraft
seines Rosses zusammen und stürmte durch die
Dorfstraße. Beinahe hätte er die alte Natascha
Alexandrowna Krapotkin über den Haufen ge-
rannt. Entsetzt sah sie ihm nach. So ritt das
Schicksal, wild, ungestüm, sinnlos
Das Roß war inzwischen in eine derartige Ge-
schwindigkeit geraten, daß Iwan Iwanowitsch es
nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und ein
Haus zu weit ritt. Er kehrte um. Schlotternd vor
Angst betrat er das Haus.
Da trat ihm Sonja Petrowna entgegen: „Iwan
Iwanowitsch", sagte sie, „was willst du schon
hier? Es ist noch nicht Essenszeit. Steh nicht her-
um. Wenn du nichts zu tun hast, geh auf den Hof
und putz den Samowar."
„Sonja Petrowna, mein Täubchen", antwortete er,
„sprich frei heraus: Was ist geschehen?"
Sie sah ihn groß an. „Was soll geschehen sein?
Nichts ist geschehen, Iwan Iwanowitsch."
Kopfschüttelnd ging er von dannen. Auch das
Pferd schüttelte seinen Kopf. Sie hatten sich beide
geirrt. Wie trostlos! Die Steppe schwieg weiter.
(Ende des ersten Kapitels)
DER AMEISENHAUFEN
ERZÄHLUNG VON GUS EISEN-HARTERMANN
32. Folge
„Hahahahaha!"
Gellend zerreißt sein Auflachen die Dunkelheit
der Nacht, die diesen Breiten eigen ist. Der Rappe
unter ihm stutzt, bleibt stehen und beginnt zu
strahlen. Don Hanswursto blickt nach oben, doch
kein einziger Stern strahlt am tropischen Himmel.
„Verdammte Schweinerei das! Es gibt Regen",
brummt er in seinen brasilianisch zugeschnittenen
Vollbart, während ihm der Sombrero immer tiefer
in die männlich gebräunte Stirn rutscht. Ange-
spannt lauscht der Reiter auf das Brausen, auf das
stößige Sausen hoch in den erregten Bäumen. Der
Wind ist stärker geworden, über dem Waldjen-
seits droht eine Wolkenwand, ja möglicherweise
nahen ihrer zwo . . . Dem feinen Empfinden des
Tieres ist der Lufthauch nicht lange verborgen
geblieben. Kaum hat es sein G'schäftl verrichtet,
setzt es sich wieder in Trab . .
Caramba! Der Rücken des Pferdes hopst auf und
nieder, daß einem Gringo die Knochen durch-
einandergeschüttelt worden wären wie die Würfel
in einem Lederbecher. Don Hanswursto hat jedoch
lange genug bei den Gauchos auf der Pampa ge-
lebt, um sich aus dem Klopsen des Sattels gegen
sein Gesäß nichts zu machen. In solidem, gleich-
bleibendem Trab rast er die Calle (Straße) ent-
lang, mitten durch die geheimnisvolle Wildnis
hindurch, als habe er nicht seinen Hengst Cimar-
ron, sondern einen beliebigen Fiakergaul unter
sich. Sein Wehrgehänge, bestehend aus Patronen-
gürtel, Messer und Pistole klappert und rasselt,
knarzt und ächzt, wie wenn eine Kiste mit kleine-
ren Gebrauchsgegenständen heftig gerüttelt würde.
Von dem erhitzten Tierleib dringt ihm schweißige
Wärme in die angepreßten Schenkel, die Unter-
hosen netzend und einen echten Abenteurergeruch
verbreitend . . .
Plötzlich bremst der Gaul, spitzt die Ohren und
steht mit einem Ruck wie angewurzelt. Don Hans-
wursto hat es glatt h.nuntergerissen, über die
Kruppe, und ehe er sich wieder aufraffen kann,
streut Cimarron Rosen, — ein Zeichen höchster
Erregung. Gran Dios! Was hat das edle Roß?
Richtig, — da liegt etwas Schwarzes auf der
Straße, etwa einen Jaguarsprung entfernt, dort
vorne . . .! ... Mit einem ekligen Gefühl in der
Kehle zieht der Abenteurer seine elektrische
Taschenlampe aus dem Etui, entsichert die Pistole
und nähert sich vorsichtig dem verdächtigen Ob-
jekte . . .
„Bendita sea la Santa Virgen! Der Hl. Jungfrau
sei Dank!", entringt es sich seinen bebenden Lip-
pen. „Es ist nur ein alter Hut! Ich fürchtete schon,
es liege abermals ein Erschossener hier, wie ich
deren bereits sechs auf meinem heutigen Spazier-
ritt angetroffen habe ... O Brasilichen, Brasi-
lichenü Was bist du für ein männlich-rauhes, ver-
wogenes Land!"
Erleichtert schwingt sich Don Hanswursto nach
dieser Feststellung aufs neue in den Sattel. „Mag
den Deckel aufheben, wer einen brauchtl", zischt
er durch die Zähne. „Ich jedenfalls nicht!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Harmonie"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 1, S. 10.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg