PANEM ET CIRCENSES
Die alten Römer — Klio hab sie selig — waren gebildete Leute. Von ihren
Weisheiten zehrt die Nachwelt bis auf den heutigen Tag. Außerdem sind
diese Weisheiten in jedem Regierungssystem unverdächtig zu zitieren. Die
Römer waren sowohl Republik als auch Diktatur, Monarchie und Kaiserreich.
Treffend und für alle Zeiten gültig ist wohl der Leitsatz der alten Römer,
Jen sie zur Behandlung des Volkes aufgestellt haben. Mit „Brot und Spielen"
st es noch immer bei guter Laune gehalten worden. Jede Staatsform handelt
larnach. Weil es auch das beste Mittel ist, wirksam zu verschleiern: in der
Diktatur, was tatsächlich geschieht, in der Demokratie, was nicht geschieht.
Die neue deutsche Demokratie bat wenig Brot zu vergeben; sie verlegt das
Schwergewicht deshalb auf die Spiele. Sie läßt den ersten drei Jahre nach
Kriegsschluß gebauten Güterwagen vom Stapel laufen. Sie tauft die erste
Rotationsmaschine. Sie weiht eine wiederhergestellte Autobahnbrücke. Sie
feiert einen wieder gutgemachten Konsumverein, das einjährige Bestehen
einer Exportschau, das fünfzigjährige Bestehen einer Landesstelle für Ge-
wässerkunde und noch vieles andere. Was Rang und Namen hat, feiert und
spielt mit: Die Besatzungsmacht, die Kirche, die Minister, das Volk natürlich
auch. Als Statisten.
Die Prominenten sind zufrieden. Nur die böse Plebs ist immer noch unzu-
frieden. Sie will noch immer Wohnungen, bessere Löhne, billigere Preise,
mehr zu essen. Also muß noch weitaus mehr gefeiert werden. Nur durch ein
Mehr an Spielen kann das Weniger an Brot ausgeglichen werden. Einfach
wie in einer algebraischen Gleichung.
Damit kann gleichzeitig eine wichtige verv, altungstechnische Frage gelöst
werden: Ein Sonderministerium für Feste und Feiern k=mn die Beamten des
bisherigen Entnazifizierungssonderministerums übernehmen, die schon eine
gewisse Routine im „Inszenieren" erworben haben, und den drohenden Be-
amtenabbau verhindern. Eine Abteilung des neuen Ministeriums stöbert in
allen Archiven nach historischen und somit feierbaren Anlässen, der Außen-
dienst sucht landauf, landab nach Festgelegenheiten der Gegenwart. Dem
Sonderminister obliegt die Entscheidung über die Teilnahme von Besatzungs-
behörden, Kirche und Staatsregierung und die Weiterleitung der entsprechen-
den Einladungen. Was ließe sich da nicht alles allein für Bayern finden:
Dritter Geburtstag des ersten bayerischen Negerbabys. Feierliche Einsegnung
durch mindestens einen Weihbischof. Anschließend Festansprache des Staats-
kommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte über Völkerverbrüde-
rung und Verständigung. Ueberreichung eines Geschenkes an die Mutter durch
den Vertreter der Besatzungsmacht. Uebertragung durch Radio München.
Presseveröffentlichungen aus den Tagebuchnotizen der Geburtstagskinds-
mutter.
Fertigstellung der ersten auf legalem Weg ausgebauten Wohnung in Mün-
chen. Stadtkommandant Oberst Kelly überreicht dem künftigen Mieter feier-
lich die Schlüssel. Oberbürgermeister Wimmer bestreitet die Festrede unter
Berücksichtigung des Wohnungsbauprogramms der SPD. „Welt im Bild" dreht
200 Meter Streifen.
Der zehnte evakuierte Münchner zieht mit behördlicher Rückkehrbewilligung
in seine Heimalstadt ein. Offizieller Empfang und Begrüßung durch ein
Münchner Kindl am Holzkirchener Bahnhof. Feierlicher Zug durch die Stadt
zum Rathaus, dazu Bläserchor vom Rathausturm.'
Einweihung des neugeschaffenen Verbindungswegs Unterkraglfink — Hinter-
kröpfling. Feierliches Pontifikalamt in der Filialkirche Unterkraglfink. Prozes-
sion unter Beteiligung der Staatsregierung nach Hinterkröpfling. Daselbst
erster Spatenstich des Verkehrsministers zur Errichtung des Wegweisers.
75. Geburtstag des bekannten fränkischen Föderalisten Hieronymus Meier, der
sich vor fünfundzwanzig Jahren als Bürgermeister der Gemeinde Klem-Mesch-
witz erfolgreich einer Zusammenlegung mit der Gemeinde Groß-Meschwitz
erwehrte. Der Militärgouverneur von Bayern überreicht zusammen mit dem
stellvertretenden Ministerpräsidenten eine Miniatur der Freiheitsstatue.
Einjähriges Jubiläum der Lockerung der Zwangswirtschaft. Festakt in der
Aula der Universität. Der bekannte Zoologe Prof. Dr. v. Hahn entreißt in
einem Vortrag die Bedeutung des Hühnereies für die menschliche Ernährung
der Vergessenheit. Der Wirtschaftsminister erläutert anschließend, in einer
durch den Rundfunk verbreiteten Ansprache zum Thema „Schwarzmarkt oder
hohe Preise?" die Vorteile der freien Wirtschaft.
Vielleicht gelingt es unseren demokratischen Häuptern, mit Feiern solcher Art
am laufenden Band den Ruhm der römischen Staatskunst zu verdunkeln und
den ihrer eigenen ins Rampenlicht der Geschichte zu rücken. Der Fortschritt
läßt sich nicht leugnen: Wo die Alten noch Brot und Spiele benötigten, um
das Volk von Revolutionsgedanken fernzuhalten, kann es nunmehr durch
Brot oder Spiele geschehen. Möge dem neuen Verfahren zum Segen der
deutschen Demokratie ein voller Erfolg beschieden sein. m—
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Die alten Römer — Klio hab sie selig — waren gebildete Leute. Von ihren
Weisheiten zehrt die Nachwelt bis auf den heutigen Tag. Außerdem sind
diese Weisheiten in jedem Regierungssystem unverdächtig zu zitieren. Die
Römer waren sowohl Republik als auch Diktatur, Monarchie und Kaiserreich.
Treffend und für alle Zeiten gültig ist wohl der Leitsatz der alten Römer,
Jen sie zur Behandlung des Volkes aufgestellt haben. Mit „Brot und Spielen"
st es noch immer bei guter Laune gehalten worden. Jede Staatsform handelt
larnach. Weil es auch das beste Mittel ist, wirksam zu verschleiern: in der
Diktatur, was tatsächlich geschieht, in der Demokratie, was nicht geschieht.
Die neue deutsche Demokratie bat wenig Brot zu vergeben; sie verlegt das
Schwergewicht deshalb auf die Spiele. Sie läßt den ersten drei Jahre nach
Kriegsschluß gebauten Güterwagen vom Stapel laufen. Sie tauft die erste
Rotationsmaschine. Sie weiht eine wiederhergestellte Autobahnbrücke. Sie
feiert einen wieder gutgemachten Konsumverein, das einjährige Bestehen
einer Exportschau, das fünfzigjährige Bestehen einer Landesstelle für Ge-
wässerkunde und noch vieles andere. Was Rang und Namen hat, feiert und
spielt mit: Die Besatzungsmacht, die Kirche, die Minister, das Volk natürlich
auch. Als Statisten.
Die Prominenten sind zufrieden. Nur die böse Plebs ist immer noch unzu-
frieden. Sie will noch immer Wohnungen, bessere Löhne, billigere Preise,
mehr zu essen. Also muß noch weitaus mehr gefeiert werden. Nur durch ein
Mehr an Spielen kann das Weniger an Brot ausgeglichen werden. Einfach
wie in einer algebraischen Gleichung.
Damit kann gleichzeitig eine wichtige verv, altungstechnische Frage gelöst
werden: Ein Sonderministerium für Feste und Feiern k=mn die Beamten des
bisherigen Entnazifizierungssonderministerums übernehmen, die schon eine
gewisse Routine im „Inszenieren" erworben haben, und den drohenden Be-
amtenabbau verhindern. Eine Abteilung des neuen Ministeriums stöbert in
allen Archiven nach historischen und somit feierbaren Anlässen, der Außen-
dienst sucht landauf, landab nach Festgelegenheiten der Gegenwart. Dem
Sonderminister obliegt die Entscheidung über die Teilnahme von Besatzungs-
behörden, Kirche und Staatsregierung und die Weiterleitung der entsprechen-
den Einladungen. Was ließe sich da nicht alles allein für Bayern finden:
Dritter Geburtstag des ersten bayerischen Negerbabys. Feierliche Einsegnung
durch mindestens einen Weihbischof. Anschließend Festansprache des Staats-
kommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte über Völkerverbrüde-
rung und Verständigung. Ueberreichung eines Geschenkes an die Mutter durch
den Vertreter der Besatzungsmacht. Uebertragung durch Radio München.
Presseveröffentlichungen aus den Tagebuchnotizen der Geburtstagskinds-
mutter.
Fertigstellung der ersten auf legalem Weg ausgebauten Wohnung in Mün-
chen. Stadtkommandant Oberst Kelly überreicht dem künftigen Mieter feier-
lich die Schlüssel. Oberbürgermeister Wimmer bestreitet die Festrede unter
Berücksichtigung des Wohnungsbauprogramms der SPD. „Welt im Bild" dreht
200 Meter Streifen.
Der zehnte evakuierte Münchner zieht mit behördlicher Rückkehrbewilligung
in seine Heimalstadt ein. Offizieller Empfang und Begrüßung durch ein
Münchner Kindl am Holzkirchener Bahnhof. Feierlicher Zug durch die Stadt
zum Rathaus, dazu Bläserchor vom Rathausturm.'
Einweihung des neugeschaffenen Verbindungswegs Unterkraglfink — Hinter-
kröpfling. Feierliches Pontifikalamt in der Filialkirche Unterkraglfink. Prozes-
sion unter Beteiligung der Staatsregierung nach Hinterkröpfling. Daselbst
erster Spatenstich des Verkehrsministers zur Errichtung des Wegweisers.
75. Geburtstag des bekannten fränkischen Föderalisten Hieronymus Meier, der
sich vor fünfundzwanzig Jahren als Bürgermeister der Gemeinde Klem-Mesch-
witz erfolgreich einer Zusammenlegung mit der Gemeinde Groß-Meschwitz
erwehrte. Der Militärgouverneur von Bayern überreicht zusammen mit dem
stellvertretenden Ministerpräsidenten eine Miniatur der Freiheitsstatue.
Einjähriges Jubiläum der Lockerung der Zwangswirtschaft. Festakt in der
Aula der Universität. Der bekannte Zoologe Prof. Dr. v. Hahn entreißt in
einem Vortrag die Bedeutung des Hühnereies für die menschliche Ernährung
der Vergessenheit. Der Wirtschaftsminister erläutert anschließend, in einer
durch den Rundfunk verbreiteten Ansprache zum Thema „Schwarzmarkt oder
hohe Preise?" die Vorteile der freien Wirtschaft.
Vielleicht gelingt es unseren demokratischen Häuptern, mit Feiern solcher Art
am laufenden Band den Ruhm der römischen Staatskunst zu verdunkeln und
den ihrer eigenen ins Rampenlicht der Geschichte zu rücken. Der Fortschritt
läßt sich nicht leugnen: Wo die Alten noch Brot und Spiele benötigten, um
das Volk von Revolutionsgedanken fernzuhalten, kann es nunmehr durch
Brot oder Spiele geschehen. Möge dem neuen Verfahren zum Segen der
deutschen Demokratie ein voller Erfolg beschieden sein. m—
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der Jockeyball"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 2, S. 23.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg