O Straßburg, o Straßburg,
du wunderschöne Stadt,
darinnen residiert in Zukunft der Europa-Rat!
Ja, liebe Mitgucker und Mitesser, so ist es. Das
eben erst im Werden begriffene (und von so
vielen überhaupt noch nicht begriffene) Europa
hat eher eine Hauptstadt als der alte Bund deut-
scher Länder. Straßburg wird voraussichtlich Sitz
des soeben in London gebildeten Europa-Rates
werden, und da eine Hauptstadt gemeinhin in
der Mitte des zu verwaltenden Territoriums liegt,
berechtigt dies zu den schönsten Hoffnungen für
das östliche Hinterland. Und das wären immer-
hin wir. ,
Apropos: Hauptstadt, apropos: östliches Hinter-
land. Der alte Ulbricht hat erklärt, daß die
SED Berlin niemals als eine Stadt der russischen
Zone, sondern immer nur als Hauptstadt Deutsch-
lands ansehen wird! Na also. — SED Ihr im
Osten das Morgenrot? Will sagen, die Morgen-
röte einer neuen Politik? Schön wär's ja. Auch
Tulpanows aggressive Rede gegen die Westmächte
wurde von Moskau totgeschwiegen. Sie war dem
Kreml zu peinlich. Peinlich. Sollte der rote Kurs-
KOSTPRO BE
Wie verlautet, sind beim Parlamentarischen Rat in Bonn
bereits Textvorschläge zu vier neuen National-
hymnen für den geplanten Weststaat eingegangen
Die größte Aussicht, die Mehrheit der Stimmen auf sich
zu vereinigen und daher eines Tages gesungen zu wer-
den, hat der Vorschlag „Ohne Deutschland". Der Text
soll dem Vernehmen nach wie folgt lauten:
Ohne Deutschland macht man alles,
Für die Welt sind wir der Knecht,
Sie gewährt uns besten Falles
Das papier'ne Menschenrecht.
Unsre Kohlen schwimmen leise
Westwärts auf der Ruhr davon,
Ostwärts führt nur ein Geleise,
Doch auch das genügt uns schon.
Kann aus fremdem Zank und Hader
Glück für Deutschland je erblüh'n?
Unsere Hoffnung sind die Kader — —
Heil: teils Truman, teils Stalin! Leonidas
Wechsel jetzt eingelöst werden oder handelt es
sich wieder nur um eine neue Wechselreiterei, um
eine Attacke auf den Luft-Brückenkopf Berlin?
So wenig wir wünschen, daß sie sich dort zu
nahe kommen, so sehr wünschen wir, daß sie sich
nahekommen! Nun, man wird sehen.
Inzwischen befahl der Sicherheitsrat die Einstel-
lung der Feindseligkeiten in Indonesien. Jedoch
steht zu befürchten, daß sich die Streitenden nicht
daran kehren werden und den wirklich guten
Rat nicht annehmen.
Da sind die Juden doch bessere Menschen. Setzten
sich endlich mit den Aegyptern an einen Tisch,
um reinen Tisch zu machen. Auf Rhodos. Die
Briten schlugen dazu ein paar politische Saltos,
um ebenfalls den Frieden mit Israel zu wahren.
Hic rhodos — hic salto!
Apropos salto: Die englische Artistenloge hat
völlig unlogischerweise beschlossen, 50 Jahre lang
keine deutschen Artisten mehr in England auf-
treten zu lassen. Selbst die pazifistischsten Degen-
und Feuerfresser fallen darunter. Die armen
Schlucker. Unter eine jahrhundertealte Tradition
des Austausches wollen diese geistigen Parterre-
Akrobaten einen Schlußstrich ziehen. Einen Saldo
mortale. Nun, vielleicht wird sich das noch ein-
mal ein-Ranken, sonst wäre es zum boykott-zen.
Inzwischen ist Peking gefallen. Zum achten Male
in seiner 2000jährigen Geschichte. Alle 250 Jahre
also kapituliert sie einmal, die Alte. Eine ruhige
Stadt. Im jüngeren Europa gibt es Orte, die schon
in 100 Jahren achtmal den Besitzer wechselten.
In Griechenland sogar solche, die in 100 Tagen
achtmal „fallen". Die Regierung dort wurde
sogar „gestürzt". Es geht demnach . . . abwärts.
Und das ist keineswegs so unwichtig, wie es
manchem erscheint. Wir werden darüber noch zu
berichten haben. Geduld, Geduld.
Was wir noch gesehen haben am mageren Mast-
Korb unseres schwankenden Floßes? Einen von
Dänen, die Grenzberichtigungen in Südschleswig
fordern. Herrn Knud Christensen. Mehr Knute
als Christ. Legt's zu den übrigen.
Was wir dagegen nicht gesehen haben, sind die
letzten Kriegsgefangenen, die bis Ende 1948 aus
Rußland heimgekehrt sein sollten. Ein gebro-
chenes Versprechen ist ein gesprochenes Ver-
brechen! Wir warten auf diese Männer, die uns
so nötig gebrauchen, wie wir sie. Man schätzt ihre
Zahl auf IV2 Millionen! Deutscherseits! Die Zahl
wird natürlich angezweifelt, wie alles, was wir
heute tun und sagen. Denn wir stehen ja nur am
Astloch der Welt. — Was uns nicht hindert, alle
diejenigen weiter zu löchern, die uns den letzten
Ast absägen wollen, auf dem wir sitzen: Die
Hoffnung. Wir werden sie scharf beobachten.
Atomis und Atheisten, Christensens und falsche
Christen, angelsächsische Artisten und die lieben
Stalinisten!
Auf - Wiedersehen im Monat der Märzgefallenen.
Croissant
„Dazu gehe ich als argentinischer Gaucho, um mich
überall mit ,Heil Hitler!' begrüßen zu lassen!"
Kuppel: l>ie alte drescJiiclite
Sie an ihn:
„Ob wir uns am nächsten Sonntag sehen können?
Mit nichten, mein Herr! Das ist jetzt in acht Mo-
naten der vierte Brief von Dir. Von den beiden
ersten hatte jeder fünf Zeilen, der dritte sogar
acht (!) und der letzte genau zweieinhalb. Groß-
artig! Aber ich folge nicht wie ein Hund, dem
man nur zu pfeifen braucht. Es ist das beste, wir
sehen uns nie mehr. Das hat ja alles keinen Zweck.
Einmal muß ja Schluß sein. Igh habe es kommen
sehen. Du bist nun mal so. Ich habe resigniert.
Immerhin könntest Du mir wenigstens einmal im
Monat einen netten Brief schreiben. Fang nur
nicht wieder damit an, daß Du ,nichts erlebst'.
Ich weiß genau, Du gehst mit anderen Frauen
zum Tanzen und bist sogar zärtlich zu ihnen.
Das wirst Du natürlich ableugnen. Wie immer.
Wie alles. Aber ich habe Beweise in der Hand.
Untrügliche! Du kannst sehr nette Briefe schrei-
ben. Gestern abend hab ich im Bett wieder Deine
ersten Briefe an mich gelesen. Ich kenne sie fast
alle auswendig. Du liebst mich eben nicht mehr.
Ich habe noch ein größeres Stück Lammfell.
Wenn Du willst, mach ich Dir ein Paar Hütten-
schuhe draus. Die Arbeit ist nicht der Rede wert.
Deine Schuhgröße kenne ich ja. Auch Deine
Fußform. Es war einmal, da hast Du im Strand-
bad vor allen Leuten meinen Fuß geküßt.
Aber vielleicht interessiert Dich das Lammfell gar
nicht. Ich bin oft nahe am Weinen. Wer weiß, mit
wem Du die Abende verbringst. Die blöden
Gänse. Renate hat mir einen hübschen Stoff ge-
schickt. Sie ist seit einem halben Jahr drüben bei
ihrem Jonny. Stell Dir nur vor, ich habe den
Jungen gern, wirklich und wahrhaftig, schreibt
sie. Fliederfarben. Aber ich weiß noch nicht, ob
ich mir einen Mantel oder ein Kostüm machen
lasse. Du mußt dreimal läuten. Einmal ist die
Vermieterin. Wenn man einmal läutet und es ist
nicht für sie, macht sie Krach, die alte Hexe.
Zweimal ist meine Zimmernachbarin. Die kleine
Tänzerin. Vorhin hat sie sich mit ihrem Freund
laut gestritten. Jetzt ist es ganz ruhig. Wie
immer danach. I love you. Dreimal läuten."
Paula Wimmer: VORSTADT
43
du wunderschöne Stadt,
darinnen residiert in Zukunft der Europa-Rat!
Ja, liebe Mitgucker und Mitesser, so ist es. Das
eben erst im Werden begriffene (und von so
vielen überhaupt noch nicht begriffene) Europa
hat eher eine Hauptstadt als der alte Bund deut-
scher Länder. Straßburg wird voraussichtlich Sitz
des soeben in London gebildeten Europa-Rates
werden, und da eine Hauptstadt gemeinhin in
der Mitte des zu verwaltenden Territoriums liegt,
berechtigt dies zu den schönsten Hoffnungen für
das östliche Hinterland. Und das wären immer-
hin wir. ,
Apropos: Hauptstadt, apropos: östliches Hinter-
land. Der alte Ulbricht hat erklärt, daß die
SED Berlin niemals als eine Stadt der russischen
Zone, sondern immer nur als Hauptstadt Deutsch-
lands ansehen wird! Na also. — SED Ihr im
Osten das Morgenrot? Will sagen, die Morgen-
röte einer neuen Politik? Schön wär's ja. Auch
Tulpanows aggressive Rede gegen die Westmächte
wurde von Moskau totgeschwiegen. Sie war dem
Kreml zu peinlich. Peinlich. Sollte der rote Kurs-
KOSTPRO BE
Wie verlautet, sind beim Parlamentarischen Rat in Bonn
bereits Textvorschläge zu vier neuen National-
hymnen für den geplanten Weststaat eingegangen
Die größte Aussicht, die Mehrheit der Stimmen auf sich
zu vereinigen und daher eines Tages gesungen zu wer-
den, hat der Vorschlag „Ohne Deutschland". Der Text
soll dem Vernehmen nach wie folgt lauten:
Ohne Deutschland macht man alles,
Für die Welt sind wir der Knecht,
Sie gewährt uns besten Falles
Das papier'ne Menschenrecht.
Unsre Kohlen schwimmen leise
Westwärts auf der Ruhr davon,
Ostwärts führt nur ein Geleise,
Doch auch das genügt uns schon.
Kann aus fremdem Zank und Hader
Glück für Deutschland je erblüh'n?
Unsere Hoffnung sind die Kader — —
Heil: teils Truman, teils Stalin! Leonidas
Wechsel jetzt eingelöst werden oder handelt es
sich wieder nur um eine neue Wechselreiterei, um
eine Attacke auf den Luft-Brückenkopf Berlin?
So wenig wir wünschen, daß sie sich dort zu
nahe kommen, so sehr wünschen wir, daß sie sich
nahekommen! Nun, man wird sehen.
Inzwischen befahl der Sicherheitsrat die Einstel-
lung der Feindseligkeiten in Indonesien. Jedoch
steht zu befürchten, daß sich die Streitenden nicht
daran kehren werden und den wirklich guten
Rat nicht annehmen.
Da sind die Juden doch bessere Menschen. Setzten
sich endlich mit den Aegyptern an einen Tisch,
um reinen Tisch zu machen. Auf Rhodos. Die
Briten schlugen dazu ein paar politische Saltos,
um ebenfalls den Frieden mit Israel zu wahren.
Hic rhodos — hic salto!
Apropos salto: Die englische Artistenloge hat
völlig unlogischerweise beschlossen, 50 Jahre lang
keine deutschen Artisten mehr in England auf-
treten zu lassen. Selbst die pazifistischsten Degen-
und Feuerfresser fallen darunter. Die armen
Schlucker. Unter eine jahrhundertealte Tradition
des Austausches wollen diese geistigen Parterre-
Akrobaten einen Schlußstrich ziehen. Einen Saldo
mortale. Nun, vielleicht wird sich das noch ein-
mal ein-Ranken, sonst wäre es zum boykott-zen.
Inzwischen ist Peking gefallen. Zum achten Male
in seiner 2000jährigen Geschichte. Alle 250 Jahre
also kapituliert sie einmal, die Alte. Eine ruhige
Stadt. Im jüngeren Europa gibt es Orte, die schon
in 100 Jahren achtmal den Besitzer wechselten.
In Griechenland sogar solche, die in 100 Tagen
achtmal „fallen". Die Regierung dort wurde
sogar „gestürzt". Es geht demnach . . . abwärts.
Und das ist keineswegs so unwichtig, wie es
manchem erscheint. Wir werden darüber noch zu
berichten haben. Geduld, Geduld.
Was wir noch gesehen haben am mageren Mast-
Korb unseres schwankenden Floßes? Einen von
Dänen, die Grenzberichtigungen in Südschleswig
fordern. Herrn Knud Christensen. Mehr Knute
als Christ. Legt's zu den übrigen.
Was wir dagegen nicht gesehen haben, sind die
letzten Kriegsgefangenen, die bis Ende 1948 aus
Rußland heimgekehrt sein sollten. Ein gebro-
chenes Versprechen ist ein gesprochenes Ver-
brechen! Wir warten auf diese Männer, die uns
so nötig gebrauchen, wie wir sie. Man schätzt ihre
Zahl auf IV2 Millionen! Deutscherseits! Die Zahl
wird natürlich angezweifelt, wie alles, was wir
heute tun und sagen. Denn wir stehen ja nur am
Astloch der Welt. — Was uns nicht hindert, alle
diejenigen weiter zu löchern, die uns den letzten
Ast absägen wollen, auf dem wir sitzen: Die
Hoffnung. Wir werden sie scharf beobachten.
Atomis und Atheisten, Christensens und falsche
Christen, angelsächsische Artisten und die lieben
Stalinisten!
Auf - Wiedersehen im Monat der Märzgefallenen.
Croissant
„Dazu gehe ich als argentinischer Gaucho, um mich
überall mit ,Heil Hitler!' begrüßen zu lassen!"
Kuppel: l>ie alte drescJiiclite
Sie an ihn:
„Ob wir uns am nächsten Sonntag sehen können?
Mit nichten, mein Herr! Das ist jetzt in acht Mo-
naten der vierte Brief von Dir. Von den beiden
ersten hatte jeder fünf Zeilen, der dritte sogar
acht (!) und der letzte genau zweieinhalb. Groß-
artig! Aber ich folge nicht wie ein Hund, dem
man nur zu pfeifen braucht. Es ist das beste, wir
sehen uns nie mehr. Das hat ja alles keinen Zweck.
Einmal muß ja Schluß sein. Igh habe es kommen
sehen. Du bist nun mal so. Ich habe resigniert.
Immerhin könntest Du mir wenigstens einmal im
Monat einen netten Brief schreiben. Fang nur
nicht wieder damit an, daß Du ,nichts erlebst'.
Ich weiß genau, Du gehst mit anderen Frauen
zum Tanzen und bist sogar zärtlich zu ihnen.
Das wirst Du natürlich ableugnen. Wie immer.
Wie alles. Aber ich habe Beweise in der Hand.
Untrügliche! Du kannst sehr nette Briefe schrei-
ben. Gestern abend hab ich im Bett wieder Deine
ersten Briefe an mich gelesen. Ich kenne sie fast
alle auswendig. Du liebst mich eben nicht mehr.
Ich habe noch ein größeres Stück Lammfell.
Wenn Du willst, mach ich Dir ein Paar Hütten-
schuhe draus. Die Arbeit ist nicht der Rede wert.
Deine Schuhgröße kenne ich ja. Auch Deine
Fußform. Es war einmal, da hast Du im Strand-
bad vor allen Leuten meinen Fuß geküßt.
Aber vielleicht interessiert Dich das Lammfell gar
nicht. Ich bin oft nahe am Weinen. Wer weiß, mit
wem Du die Abende verbringst. Die blöden
Gänse. Renate hat mir einen hübschen Stoff ge-
schickt. Sie ist seit einem halben Jahr drüben bei
ihrem Jonny. Stell Dir nur vor, ich habe den
Jungen gern, wirklich und wahrhaftig, schreibt
sie. Fliederfarben. Aber ich weiß noch nicht, ob
ich mir einen Mantel oder ein Kostüm machen
lasse. Du mußt dreimal läuten. Einmal ist die
Vermieterin. Wenn man einmal läutet und es ist
nicht für sie, macht sie Krach, die alte Hexe.
Zweimal ist meine Zimmernachbarin. Die kleine
Tänzerin. Vorhin hat sie sich mit ihrem Freund
laut gestritten. Jetzt ist es ganz ruhig. Wie
immer danach. I love you. Dreimal läuten."
Paula Wimmer: VORSTADT
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Vorstadt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
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Künstler/Urheber (GND)
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Der Simpl, 4.1949, Nr. 4, S. 43.
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Universitätsbibliothek Heidelberg