GROSS-STADT DORF
Wenn bei Frieda Strunz'te das Licht ausgemacht
W'rd, beginnt bei uns im Dorf der neue Tag. Der
Bürgermeister, dei auch zugleich die größten Kar-
toffeln hat, was einander bedingt, weckt, wenn er
Fiieda Strunzke verlassen hat, seinen Knecht nebst
Frau Die Kühe erheben sich, obwohl nicht der
Bayernpartei zugehörig, mit großem Gebrüll und
verlangen ihre Milch von sich zu geben, was der
Bürgermeister als demokratische Äußerung an-
spricht Hat der Bürgermeister seinen Knecht zum
Dung streuen, seine Frau zur Morgenmesse, sich
selbst zum Frühstück eifrig und erfolgreich er-
mahnt, beginnt er im Büro seine ehren- sowie ver-
dienstvolle Tagesarbeit. Der Schlaf dauert bis ge-
gen 11 Uhr
Inzwischen ist das Dorf, obwohl in wesentlichen
Teilen nicht aufgeweckt, dennoch zu eifriger Tätig-
keit erwacht. Die Ochsen, .vorsorglich, brüllen die
Bauern an, um so eine umgekehrte Tätigkeit klug
zu vermeiden. Und das, obwohl sie, die Ochsen,
entgegen jeder Annahme nicht gewerkschaftlich
oiganisiert sind. Die Angestellten und Arbeiter,
hier gelegentlich auch mit Hausfrau und Gesinde
bezeichnet, beginnen eine Diskussion über den
Achtstundentag, der gewöhnlich sechzehn Stunden
dauert Die Beamten sind noch vom vorigen Mal
müde. Die Flüchtlinge heißen Neubürger, und das
ist so ziemlich alles, was sie dürfen.
In der Schule erzählt d ;r Herr Oberlehrer vom
Krieg und erklärt Dienstgradabzeichen, um in den
Kindern die Friedenssehnsucht zu fördern. Er selbst
ist erfolgreich denazifiziert, wobei er und der Herr
Bürgerme'Ster sich geholfen haben, gegenseitig. Im
Lesebuch dürfen Seite 37—42 nicht aufgeschlagen
werden; dort steht Goethe. Und zwar, wie meist,
ein höchst unanständigei Goethe. Der Herr Pfarrer
ist der Ansicht, daß der Name „Johanna Sebus" als
äußetst bedenklich anzusehen ist. Die lockeren
Knaben könnten „Sus chen" sagen und darauf „Bus-
chen" reimen, was dem Herrn Kultusminister ge-
rade noch gefehlt hätte.
Um nun vom Hund auf den Holzhammer zu kom-
men, muß berichtet werden, daß der Waldbestand
sich merklich lichtet, was nicht nur Liebespaaren
unangenehm auffällt. Schuld daran ist die Militär-
regierung, weil keine in der Nähe ist. Früher je-
denfalls standen die Bäume, die vor lauter Wald
kaum zu erkennen waren, merklich dichter. Dichter
gibt es auch im Dorf, darunter viele, die, obwohl
nicht registriert, am Hunger und Haarschnitt ein-
wandfrei kenntlich sind, was aber ihrer Genialität
nur förderlich sein kann.
Der Heir Doktor, die Frau Doktor und das Fräu-
lein Doktor, letzteres feierte soeben ihren fünften
Geburtstag, essen immer dann gut, wenn es den
Kranken schlecht geht, denn diese zahlen zumeist
in Naturalien Nach der Währungsreform hat sich
das merklich gebessert, und es geht der Familie
Doktor auch dann gut, wenn es den Patienten nicht
mehr ganz so schlecht wie früher geht. Womit be-
wiesen ist, daß die allgemeine Gesundung sich
nicht aufhalten läßt.
Die hygienischen Fortschritte dürfen ebenfalls als
außerordentlich erleichtert bezeichnet werden, wie
das der Postbote überzeugend ausführte. Die ein-
schneidende Erkenntnis, daß eine Rolle Toiletten-
papier genau so viel kostet wie zwei Zeitungen,
aber ungleich ergiebiger ist, hat zur freundlich be-
grüßten Entlastung des oben zitierten Postboten
geführt, da nunmehr also Tageszeitungen weniger
gefragt sind und daher auch nicht ausgetragen zu
werden brauchen, wobei aber natürlich das Mo-
natsgehalt das gleiche bleibt. Nach glaubwürdigen
Berichten des Kaufhauses Niederamsl, des einzigen
und somit ersten Hauses am Platze, kommen auf
je drei Einwohner zwei Rollen in einem Jahr.
Sport jeglicher Art und Abart ist äußerst beliebt.
Den Rekord im Milchpantschen hält nach wie vor
einwandfrei der Bauer Huber, wobei er sich aber
über seine Leistungen nicht im klaren ist, da seine
Frau, das Errungene nahezu verdoppelnd, nach-
hilft Am letzten Samstag gewann überraschend
der Keßler Sepp mit einer Quote von 37 : 1 alle
Wetten über die Länge der Vormittagsmesse. Vor-
sichtig und höchst fair geäußerte Vermutungen, er
habe die Dauer der Zeremonie künstlich, mit Hilfe
seines Chorknaben ausgedehnt, entsprachen nicht
den Tatsachen. Daß im einzelnen erwogen wur-
den: Verlegung der Bibel, Benässung des Weih-
rauches mit Wasser, Trunkenheit des Mesners, das
allein schon spricht für die hohe Verantwortlich-
keit und den sportlichen Geist der Schiedsrichter.
Nahezu jeden Abend finden Schönheitskonkurren-
zen und Prämiierungen verschiedenartigster Lei-
stungen statt. Die zuletzt durchgeführte Ermittlung
der stattlichsten Sau brachte ungewohnte Kompli-
kationen, besonders bei Frau Braatz, da die ihre
nicht in engerer Auswahl stand, obwohl sie, die
Sau, an Stattlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
Schönheitsköniginnen haben wir hier gleich drei
So eine bayrische, namens Zenzi, wobei auf Volks-
tümlichkeit und jodlerische Begabung besonderer
Wert gelegt wurde, ebenfalls auf Stammbuch, Hei-
matsprache und Geburtsurkunde. Die Miss Dorf
1949 wurde im Beisein von zwei GI's einwandfrei
und schnell erkürt, da nur eine in näherer Aus-
wahl stand und sämtliche Prüfungen erfolgreich
über sich ergehen ließ; sie hat beschlossen, ihn
Jonny zu nennen oder, falls es ein Mädchen wird,
Gipsy Dann gibt es noch, vornehmlich zwecks He-
bung des Fremden und sonstigen Verkehrs, eine
preußische Schönheitskönigin Selbige ist Frieda
Strunzke, genau jene Frieda Strunzke, die wir ein-
gangs erwähnten. Womit auch einwandfrei nach-
gewiesen wird, daß das Verhältnis zwischen Ba-
yern und Preußen in unserm Dorf, siehe Bürger-
meister und Schönheitskönigin, liebevoll aufrecht-
erhalten wird, und solches jeglichen Verleumdun-
gen, auch den aus eigenen Reihen, zum Trotz.
Womit wir den heutigen Bericht, beruhigt schließen
können. Kilian
PRAKTISCH
Der Dichter Kurt war von Geburt
ein Meister der Reklame,
doch fehlte jüngst ihm — wie absurd! —
zu einem Buch der Name.
Ein Glück, daß er ihn schließlich fand!
nun kann er weiterdichten:
er nannte den besagten Band
ganz kurz „Kurts Kurzgeschichten".
g. a. m.
PEINLICH
Vor kurzem war ich mit meinem Chef in Augsburg.
Dienstlich. Ausstellung besuchen. War eine sehr
schöne Ausstellung und unser Besuch hat sich ge-
lohnt. Wenn nur nicht dann die politische Sache
passiert wäre, die Sache mit — unangenehm die
Sache, direkt peinlich . .
War auch ein Verkaufsst md von so einer Radio-
Firma da. Ließen Schallplatten spielen und sorg-
ten für dezente Musik, wie es sich für eine richtige
Ausstellung gehört. Doch da — kann mich noch
genau erinnern, es war gerade dreiviertel Sieben
und mein Chef sagte, es würde langsam Zeit, sonst
kämen wir zu spät nach Hause — da spielten sie
auf einmal einen Marsch, einen richtigen Marsch.
Nicht mehr leise, so wie vorher, nein, mit äußer-
ster Lautstärke. Stramm, sage ich euch, richtig
zackig. Wie das vielleicht in den Beinen gekribbelt
hat! Und wißt ihr, was das für ein Marsch war?
Der Badenweiler! Ja, der Lieblingsmarsch unseres
seligen Führers! War das ein Spaß! Mein Chef
hob den Kopf, streckte die Brust heraus und schlug
mir krachend auf die Schulte -. Ich glaube, da habe
ich Grundstellung eingenommen. War wohl einen
i/oment der Meinung, mein Sturmfühier stände
vor mir. Irrtum, aber verzeihlich in einem solchen
Augenblick. Hoffentlich stellen sie die Platte
nicht ab. Nein, haben anscheinend nichts gemerkt.
Doch als dann der Marsch zu Ende war und ich aus
dem Rauschzustand erwachte, da sagte der Mann
am Mikrofon: „Ich mache das werte Publikum dar-
auf aufmerksam, daß das Abspielen solcher oder
ähnlicher Platten verboten ist . ." Aha, also irgend-
eine Propaganda. Eigentlich schade. Mein Chef
zog die Brust wieder ein: „Aber warum haben sie
denn dann..." Da dröhnte der Lautsprecher wie-
der: „Sie hören jetzt die amerikanische Platte des
Jahres 1949 .Amerika über alles' .." Das war das
.Deutschlandlied'! Ja, .Deutschland, Deutschland
über alles'! Die ganze Platte! Und danach: ,Die
Fahne hoch . . .' Mein Chef hat einen ganz roten
Kopf bekommen und mich angestarrt, als ob ich
was dafür könnte. Ich wußte nicht recht, wie ich
mich verhalten sollte und sah nach den anderen
Besuchern, was die wohl machten. Da waren
welche, die grinsten ganz unverhohlen wie durnme
Jungen. Aber mein Chef lachte nicht Ganz recht
hat er, die Leute haben keine Würde mehr Und
ich sah wie er verächtlich -'ach oben. Dann kam der
Mann am Mikrofon wieder: „Ich weiß nicht, bin ich
rückständig oder weitblickend auf besonderen
Wunsch wiid die Sendung wiederholt." Ob der
wohl zu viel getrunken hat? Einige lachten laut,
wie über einen guten Witz. Mein Chef strafte sie
mit Verachtung. Ich auch. Was hätte ich wohl
sonst tun sollen? Und dann ist es ja auch mein
Chef! Peinlich, wirklich peinlich Als die Platten
zum zweitenmal abgespielt waren und wir eben
die Ausstellung verlassen wollten da kam wieder
die Stimme aus dem Lautsprecher- „Es war der be-
sondere Wunsch eines Mitläufers . "
Und das war das Peinlichste bei der ganzen Sache
Jetzt schaut mich mein Chjf immer so eigenartig
an, so, als ob ich die Platten nicht ungern gehört
hätte. Ich bin nämlich Mitläufer . .. Kagezi
W.Schäfer: WIE LANGE NOCH?
118
Wenn bei Frieda Strunz'te das Licht ausgemacht
W'rd, beginnt bei uns im Dorf der neue Tag. Der
Bürgermeister, dei auch zugleich die größten Kar-
toffeln hat, was einander bedingt, weckt, wenn er
Fiieda Strunzke verlassen hat, seinen Knecht nebst
Frau Die Kühe erheben sich, obwohl nicht der
Bayernpartei zugehörig, mit großem Gebrüll und
verlangen ihre Milch von sich zu geben, was der
Bürgermeister als demokratische Äußerung an-
spricht Hat der Bürgermeister seinen Knecht zum
Dung streuen, seine Frau zur Morgenmesse, sich
selbst zum Frühstück eifrig und erfolgreich er-
mahnt, beginnt er im Büro seine ehren- sowie ver-
dienstvolle Tagesarbeit. Der Schlaf dauert bis ge-
gen 11 Uhr
Inzwischen ist das Dorf, obwohl in wesentlichen
Teilen nicht aufgeweckt, dennoch zu eifriger Tätig-
keit erwacht. Die Ochsen, .vorsorglich, brüllen die
Bauern an, um so eine umgekehrte Tätigkeit klug
zu vermeiden. Und das, obwohl sie, die Ochsen,
entgegen jeder Annahme nicht gewerkschaftlich
oiganisiert sind. Die Angestellten und Arbeiter,
hier gelegentlich auch mit Hausfrau und Gesinde
bezeichnet, beginnen eine Diskussion über den
Achtstundentag, der gewöhnlich sechzehn Stunden
dauert Die Beamten sind noch vom vorigen Mal
müde. Die Flüchtlinge heißen Neubürger, und das
ist so ziemlich alles, was sie dürfen.
In der Schule erzählt d ;r Herr Oberlehrer vom
Krieg und erklärt Dienstgradabzeichen, um in den
Kindern die Friedenssehnsucht zu fördern. Er selbst
ist erfolgreich denazifiziert, wobei er und der Herr
Bürgerme'Ster sich geholfen haben, gegenseitig. Im
Lesebuch dürfen Seite 37—42 nicht aufgeschlagen
werden; dort steht Goethe. Und zwar, wie meist,
ein höchst unanständigei Goethe. Der Herr Pfarrer
ist der Ansicht, daß der Name „Johanna Sebus" als
äußetst bedenklich anzusehen ist. Die lockeren
Knaben könnten „Sus chen" sagen und darauf „Bus-
chen" reimen, was dem Herrn Kultusminister ge-
rade noch gefehlt hätte.
Um nun vom Hund auf den Holzhammer zu kom-
men, muß berichtet werden, daß der Waldbestand
sich merklich lichtet, was nicht nur Liebespaaren
unangenehm auffällt. Schuld daran ist die Militär-
regierung, weil keine in der Nähe ist. Früher je-
denfalls standen die Bäume, die vor lauter Wald
kaum zu erkennen waren, merklich dichter. Dichter
gibt es auch im Dorf, darunter viele, die, obwohl
nicht registriert, am Hunger und Haarschnitt ein-
wandfrei kenntlich sind, was aber ihrer Genialität
nur förderlich sein kann.
Der Heir Doktor, die Frau Doktor und das Fräu-
lein Doktor, letzteres feierte soeben ihren fünften
Geburtstag, essen immer dann gut, wenn es den
Kranken schlecht geht, denn diese zahlen zumeist
in Naturalien Nach der Währungsreform hat sich
das merklich gebessert, und es geht der Familie
Doktor auch dann gut, wenn es den Patienten nicht
mehr ganz so schlecht wie früher geht. Womit be-
wiesen ist, daß die allgemeine Gesundung sich
nicht aufhalten läßt.
Die hygienischen Fortschritte dürfen ebenfalls als
außerordentlich erleichtert bezeichnet werden, wie
das der Postbote überzeugend ausführte. Die ein-
schneidende Erkenntnis, daß eine Rolle Toiletten-
papier genau so viel kostet wie zwei Zeitungen,
aber ungleich ergiebiger ist, hat zur freundlich be-
grüßten Entlastung des oben zitierten Postboten
geführt, da nunmehr also Tageszeitungen weniger
gefragt sind und daher auch nicht ausgetragen zu
werden brauchen, wobei aber natürlich das Mo-
natsgehalt das gleiche bleibt. Nach glaubwürdigen
Berichten des Kaufhauses Niederamsl, des einzigen
und somit ersten Hauses am Platze, kommen auf
je drei Einwohner zwei Rollen in einem Jahr.
Sport jeglicher Art und Abart ist äußerst beliebt.
Den Rekord im Milchpantschen hält nach wie vor
einwandfrei der Bauer Huber, wobei er sich aber
über seine Leistungen nicht im klaren ist, da seine
Frau, das Errungene nahezu verdoppelnd, nach-
hilft Am letzten Samstag gewann überraschend
der Keßler Sepp mit einer Quote von 37 : 1 alle
Wetten über die Länge der Vormittagsmesse. Vor-
sichtig und höchst fair geäußerte Vermutungen, er
habe die Dauer der Zeremonie künstlich, mit Hilfe
seines Chorknaben ausgedehnt, entsprachen nicht
den Tatsachen. Daß im einzelnen erwogen wur-
den: Verlegung der Bibel, Benässung des Weih-
rauches mit Wasser, Trunkenheit des Mesners, das
allein schon spricht für die hohe Verantwortlich-
keit und den sportlichen Geist der Schiedsrichter.
Nahezu jeden Abend finden Schönheitskonkurren-
zen und Prämiierungen verschiedenartigster Lei-
stungen statt. Die zuletzt durchgeführte Ermittlung
der stattlichsten Sau brachte ungewohnte Kompli-
kationen, besonders bei Frau Braatz, da die ihre
nicht in engerer Auswahl stand, obwohl sie, die
Sau, an Stattlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
Schönheitsköniginnen haben wir hier gleich drei
So eine bayrische, namens Zenzi, wobei auf Volks-
tümlichkeit und jodlerische Begabung besonderer
Wert gelegt wurde, ebenfalls auf Stammbuch, Hei-
matsprache und Geburtsurkunde. Die Miss Dorf
1949 wurde im Beisein von zwei GI's einwandfrei
und schnell erkürt, da nur eine in näherer Aus-
wahl stand und sämtliche Prüfungen erfolgreich
über sich ergehen ließ; sie hat beschlossen, ihn
Jonny zu nennen oder, falls es ein Mädchen wird,
Gipsy Dann gibt es noch, vornehmlich zwecks He-
bung des Fremden und sonstigen Verkehrs, eine
preußische Schönheitskönigin Selbige ist Frieda
Strunzke, genau jene Frieda Strunzke, die wir ein-
gangs erwähnten. Womit auch einwandfrei nach-
gewiesen wird, daß das Verhältnis zwischen Ba-
yern und Preußen in unserm Dorf, siehe Bürger-
meister und Schönheitskönigin, liebevoll aufrecht-
erhalten wird, und solches jeglichen Verleumdun-
gen, auch den aus eigenen Reihen, zum Trotz.
Womit wir den heutigen Bericht, beruhigt schließen
können. Kilian
PRAKTISCH
Der Dichter Kurt war von Geburt
ein Meister der Reklame,
doch fehlte jüngst ihm — wie absurd! —
zu einem Buch der Name.
Ein Glück, daß er ihn schließlich fand!
nun kann er weiterdichten:
er nannte den besagten Band
ganz kurz „Kurts Kurzgeschichten".
g. a. m.
PEINLICH
Vor kurzem war ich mit meinem Chef in Augsburg.
Dienstlich. Ausstellung besuchen. War eine sehr
schöne Ausstellung und unser Besuch hat sich ge-
lohnt. Wenn nur nicht dann die politische Sache
passiert wäre, die Sache mit — unangenehm die
Sache, direkt peinlich . .
War auch ein Verkaufsst md von so einer Radio-
Firma da. Ließen Schallplatten spielen und sorg-
ten für dezente Musik, wie es sich für eine richtige
Ausstellung gehört. Doch da — kann mich noch
genau erinnern, es war gerade dreiviertel Sieben
und mein Chef sagte, es würde langsam Zeit, sonst
kämen wir zu spät nach Hause — da spielten sie
auf einmal einen Marsch, einen richtigen Marsch.
Nicht mehr leise, so wie vorher, nein, mit äußer-
ster Lautstärke. Stramm, sage ich euch, richtig
zackig. Wie das vielleicht in den Beinen gekribbelt
hat! Und wißt ihr, was das für ein Marsch war?
Der Badenweiler! Ja, der Lieblingsmarsch unseres
seligen Führers! War das ein Spaß! Mein Chef
hob den Kopf, streckte die Brust heraus und schlug
mir krachend auf die Schulte -. Ich glaube, da habe
ich Grundstellung eingenommen. War wohl einen
i/oment der Meinung, mein Sturmfühier stände
vor mir. Irrtum, aber verzeihlich in einem solchen
Augenblick. Hoffentlich stellen sie die Platte
nicht ab. Nein, haben anscheinend nichts gemerkt.
Doch als dann der Marsch zu Ende war und ich aus
dem Rauschzustand erwachte, da sagte der Mann
am Mikrofon: „Ich mache das werte Publikum dar-
auf aufmerksam, daß das Abspielen solcher oder
ähnlicher Platten verboten ist . ." Aha, also irgend-
eine Propaganda. Eigentlich schade. Mein Chef
zog die Brust wieder ein: „Aber warum haben sie
denn dann..." Da dröhnte der Lautsprecher wie-
der: „Sie hören jetzt die amerikanische Platte des
Jahres 1949 .Amerika über alles' .." Das war das
.Deutschlandlied'! Ja, .Deutschland, Deutschland
über alles'! Die ganze Platte! Und danach: ,Die
Fahne hoch . . .' Mein Chef hat einen ganz roten
Kopf bekommen und mich angestarrt, als ob ich
was dafür könnte. Ich wußte nicht recht, wie ich
mich verhalten sollte und sah nach den anderen
Besuchern, was die wohl machten. Da waren
welche, die grinsten ganz unverhohlen wie durnme
Jungen. Aber mein Chef lachte nicht Ganz recht
hat er, die Leute haben keine Würde mehr Und
ich sah wie er verächtlich -'ach oben. Dann kam der
Mann am Mikrofon wieder: „Ich weiß nicht, bin ich
rückständig oder weitblickend auf besonderen
Wunsch wiid die Sendung wiederholt." Ob der
wohl zu viel getrunken hat? Einige lachten laut,
wie über einen guten Witz. Mein Chef strafte sie
mit Verachtung. Ich auch. Was hätte ich wohl
sonst tun sollen? Und dann ist es ja auch mein
Chef! Peinlich, wirklich peinlich Als die Platten
zum zweitenmal abgespielt waren und wir eben
die Ausstellung verlassen wollten da kam wieder
die Stimme aus dem Lautsprecher- „Es war der be-
sondere Wunsch eines Mitläufers . "
Und das war das Peinlichste bei der ganzen Sache
Jetzt schaut mich mein Chjf immer so eigenartig
an, so, als ob ich die Platten nicht ungern gehört
hätte. Ich bin nämlich Mitläufer . .. Kagezi
W.Schäfer: WIE LANGE NOCH?
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Wie lange noch?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
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Literaturangabe
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Künstler/Urheber (GND)
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Der Simpl, 4.1949, Nr. 10, S. 118.
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Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg