EINBLICK IN DEN GUTEN MENSCHEN
An Tagen schlichter Selbsterkenntnis, an Tagen,
wo man seinem eigenen ehrenfesten Charakter auf
die Sprünge gekommen ist, denkt man in ernst-
hafter Sehnsucht manchmal, wie schön es sein
müßte, ein guter Mensch zu sein. Ganz einfach
ein liebenswürdiger, freundlicher, hilfsbereiter, von
allen hochgeschätzter und geliebter Mensch, der
nur edler Liebe und ernster Arbeit zugetan ist.
Ein Mensch, dem nicht so leicht ein boshaftes Wort
auf die Zunge springt, den es nicht gelüstet, einem
andern eine runterzuhauen oder vom ersten Stock
aus auf den Hut zu spucken, der nicht dran denkt,
zum Ärger seiner Mitmenschen mit Türen zu
knallen, anderleuts Braut zu verführen oder Stel-
lung zu erschleichen oder sich durch Not, gemeine
oder statistisch belegte Lügen Vorteile zu verschaf-
fen. So ein guter Normalmensch möchte man dann
sein. Aber wie schaut es in diesen Leuten aus! Gott
sei Dank bekommt man einen aufschlußreichen
Einblick in den guten Menschen durch den Film
„Arzt und Dämon". Der bekannten Novelle von
Stevenson „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde" nach-
erzählt, bringt er die Geschichte eines Arztes, der
ein Mittel gefunden hat, um sich in „den bösen
Teil seines Wesens" zu verwandeln, wobei dann
das Böse allerdings mit der Zeit selbständig wird
K. Heiligenstaedt
und sich nicht mehr nach Wunsch regieren und ins
Normal-Gute zurückverwandeln läßt.
Nun, bei Stevenson tut der also entfesselte Böse-
wicht, der sich aus dem freundlichen Menschen
löste, allerlei Schändliches, gibt häßliche Antwor-
ten, zettelt Händel an und erschlägt, wenn ich
mich recht erinnere, in der Wut freundliche ältere
Herren. Wie aber sieht es in dem guten, großen,
freundlichen und heißgeliebten Arzt des Filmes
aus! Ich muß sagen, man ist baff darüber, was
so alles in einem guten Menschen nach DIN-For-
mat schlummert. Sie geben sich nicht mit so harm-
losen Dingen ab wie etwa andere Leute beschimp-
fen und ärgern, sie stehlen nicht und verführen
nicht, sie rauben nicht und erschlagen nicht aus
ehrlicher Niedertracht — nein, sie sind nette,
runde, gut ausgebildete Sadisten. Der Sadismus ist,
wie bekannt, neuerdings für den englisch-ameri-
kanischen Film entdeckt worden. Er ist der see-
lische New Look der Leinwand, man trägt ihn
sehr viel, besonders in feineren Kreisen. Er ist
an Stelle des früher üblichen gebrochenen Herzens
getreten. Man stirbt selten am Liebeskummer, häu-
fig am Lustmord. Also eilt auch der entfesselte
gute Mensch, der Dämon im "Arzt, lustmordend
durch die eleganten Nächte.
IjPäIHSp
„Wie kommt man eigentlich darauf, daß Ameisen einen richtigen Staat bilden?"
„Weil sie alle- so planlos umeinander rennen —."
Es fällt ihm viel Böses ein. Er schielt vor Sadismus
und mit der Bosheit wachsen seine Augenbrauen.
Erst mit der Rückverwandlung in den guten Men-
schen kehrt jedesmal auch die Ondulation zurück.
An ihrer Wasserwelle könnt ihr sie erkennen, die
guten Menschen, meine ich. Ein lehrhafter, tief-
gründiger, aufschlußreicher Gruselfilm.
Wenn man, mit dem Gefühl, im nächsten Augen-
blick in den Rücken gebissen oder geschlagen, er-
drosselt oder gestochen zu werden, das Kino ver-
läßt, hat man ein tiefes, wohlbegründetes Miß-
trauen gegen gute, freundliche hilfsbereite Men-
schen. Freunde, euch kennt man, euch hat man in
Großaufnahme Schicht um Schicht auf- und ab-
blättern sehen, man weiß, was für Abgründe in
euch verborgen sind. Euch steht gleich unter der
Epidermis der Lustmord auf der Stirn geschrieben,
sobald euer Gesicht in bösem Schweiß erglänzt,
wird es ganz offenbar werden. Und nur in ganz
ganz seltenen Fällen werdet ihr eure durch Güte
und Liebe wohlzugedeckte Schändlichkeit dem
durch Filme aufgeklärten Kenner dadurch ver-
raten, daß ihr, wie dieser dämonische Arzt, eurer
schönen Braut beim Abschied scherzhaft wie ein
junger Hund beim Handkuß nach den Fingern
schnappt. Wenn ihr es aber tut — dann wird es
Zeit fürs Uberfallkommando, dessen rechtzeitiges
Eingreifen bei diesem ersten Schnapperer, wie der
Film zeigt, viel Unheil verhütet hätte! Efji Horn
Kurzgeschichte 1950
von Jo Hanns Rösler
Der Ruhm der Filmvorspannreiter hat die VEBE-
KAWEDE (Vereinigung bester Kurzgeschichten-
schreiber West-Deutschlands) nicht schlafen lassen
und sie beehrt sich, künftig Kurzgeschichten nur
noch mit einem Vorspann darzubieten:
DER EHEMANN
eine VEBEKADEWE-Produktion
im Verleih der Einmarkzeilenautoren
Idee: Fritz Frisch
Voridee: Marlitts Erben
Ausführung: Hans Hauber
Dialoge: Melitta Moll
Pointe: Treff Troger
Moral: Pina Kotek
Stilistische Bearbeitung: Fred Frank
Grammatische Bearbeitung: Herbert Haff
Orthographische Bearbeitung: Keudermann
Für die Zeitungsveröffentlichung durchgesehen von
C. C. W. Braun.
Das Manuscript wurde geschrieben auf Remington
Portable.
Das Manuscript wurde geschrieben mit Farbband
Pelikan.
Das Manuscript wurde geschrieben auf M. K.
Papier, Überseepost.
Das Falten des Manuscriptes besorgte Edith Komi-
nik, das Kuvertieren besorgte Frieda Feiler, den
Postversand erledigte Katharina Kaulbach.
Manuscript verkauf für die Westzonen: Feuilleton-
dienst Feilscher, Frankfurt am Main, Kolb-
gewichtstraße 18.
„DER EHEMANN"
Sie saßen auf dem Sofa und im Salon.
Selbdritt. Der Mann. Die Frau. Der Unwider-
stehliche.
Sie knabberten süßes Holz.
Plötzlich —
„Feurio! Feurio!"
— das Haus brannte lichterloh.
Der Unwiderstehliche sprang auf.
Schleuderte die Geliebte von seinen Knien.
Stürzte zur Tür.
„Armand!" schrie das Weib auf.
Der Unwiderstehliche zischte:
„Je m'en fiche! Mein Leben ist wichtig!"
Der Ehemann hingegen hob die so unsanft zu
Boden Geschleuderte sanft hoch, berieselte sie mit
den Zähren seines Mitleides und trug die so mit
Tränen Benetzte durch die Brunst des grimmigen
Feuers.
„Dein Leben ist wichtig!" sagte er schlicht.
ENDE
142
An Tagen schlichter Selbsterkenntnis, an Tagen,
wo man seinem eigenen ehrenfesten Charakter auf
die Sprünge gekommen ist, denkt man in ernst-
hafter Sehnsucht manchmal, wie schön es sein
müßte, ein guter Mensch zu sein. Ganz einfach
ein liebenswürdiger, freundlicher, hilfsbereiter, von
allen hochgeschätzter und geliebter Mensch, der
nur edler Liebe und ernster Arbeit zugetan ist.
Ein Mensch, dem nicht so leicht ein boshaftes Wort
auf die Zunge springt, den es nicht gelüstet, einem
andern eine runterzuhauen oder vom ersten Stock
aus auf den Hut zu spucken, der nicht dran denkt,
zum Ärger seiner Mitmenschen mit Türen zu
knallen, anderleuts Braut zu verführen oder Stel-
lung zu erschleichen oder sich durch Not, gemeine
oder statistisch belegte Lügen Vorteile zu verschaf-
fen. So ein guter Normalmensch möchte man dann
sein. Aber wie schaut es in diesen Leuten aus! Gott
sei Dank bekommt man einen aufschlußreichen
Einblick in den guten Menschen durch den Film
„Arzt und Dämon". Der bekannten Novelle von
Stevenson „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde" nach-
erzählt, bringt er die Geschichte eines Arztes, der
ein Mittel gefunden hat, um sich in „den bösen
Teil seines Wesens" zu verwandeln, wobei dann
das Böse allerdings mit der Zeit selbständig wird
K. Heiligenstaedt
und sich nicht mehr nach Wunsch regieren und ins
Normal-Gute zurückverwandeln läßt.
Nun, bei Stevenson tut der also entfesselte Böse-
wicht, der sich aus dem freundlichen Menschen
löste, allerlei Schändliches, gibt häßliche Antwor-
ten, zettelt Händel an und erschlägt, wenn ich
mich recht erinnere, in der Wut freundliche ältere
Herren. Wie aber sieht es in dem guten, großen,
freundlichen und heißgeliebten Arzt des Filmes
aus! Ich muß sagen, man ist baff darüber, was
so alles in einem guten Menschen nach DIN-For-
mat schlummert. Sie geben sich nicht mit so harm-
losen Dingen ab wie etwa andere Leute beschimp-
fen und ärgern, sie stehlen nicht und verführen
nicht, sie rauben nicht und erschlagen nicht aus
ehrlicher Niedertracht — nein, sie sind nette,
runde, gut ausgebildete Sadisten. Der Sadismus ist,
wie bekannt, neuerdings für den englisch-ameri-
kanischen Film entdeckt worden. Er ist der see-
lische New Look der Leinwand, man trägt ihn
sehr viel, besonders in feineren Kreisen. Er ist
an Stelle des früher üblichen gebrochenen Herzens
getreten. Man stirbt selten am Liebeskummer, häu-
fig am Lustmord. Also eilt auch der entfesselte
gute Mensch, der Dämon im "Arzt, lustmordend
durch die eleganten Nächte.
IjPäIHSp
„Wie kommt man eigentlich darauf, daß Ameisen einen richtigen Staat bilden?"
„Weil sie alle- so planlos umeinander rennen —."
Es fällt ihm viel Böses ein. Er schielt vor Sadismus
und mit der Bosheit wachsen seine Augenbrauen.
Erst mit der Rückverwandlung in den guten Men-
schen kehrt jedesmal auch die Ondulation zurück.
An ihrer Wasserwelle könnt ihr sie erkennen, die
guten Menschen, meine ich. Ein lehrhafter, tief-
gründiger, aufschlußreicher Gruselfilm.
Wenn man, mit dem Gefühl, im nächsten Augen-
blick in den Rücken gebissen oder geschlagen, er-
drosselt oder gestochen zu werden, das Kino ver-
läßt, hat man ein tiefes, wohlbegründetes Miß-
trauen gegen gute, freundliche hilfsbereite Men-
schen. Freunde, euch kennt man, euch hat man in
Großaufnahme Schicht um Schicht auf- und ab-
blättern sehen, man weiß, was für Abgründe in
euch verborgen sind. Euch steht gleich unter der
Epidermis der Lustmord auf der Stirn geschrieben,
sobald euer Gesicht in bösem Schweiß erglänzt,
wird es ganz offenbar werden. Und nur in ganz
ganz seltenen Fällen werdet ihr eure durch Güte
und Liebe wohlzugedeckte Schändlichkeit dem
durch Filme aufgeklärten Kenner dadurch ver-
raten, daß ihr, wie dieser dämonische Arzt, eurer
schönen Braut beim Abschied scherzhaft wie ein
junger Hund beim Handkuß nach den Fingern
schnappt. Wenn ihr es aber tut — dann wird es
Zeit fürs Uberfallkommando, dessen rechtzeitiges
Eingreifen bei diesem ersten Schnapperer, wie der
Film zeigt, viel Unheil verhütet hätte! Efji Horn
Kurzgeschichte 1950
von Jo Hanns Rösler
Der Ruhm der Filmvorspannreiter hat die VEBE-
KAWEDE (Vereinigung bester Kurzgeschichten-
schreiber West-Deutschlands) nicht schlafen lassen
und sie beehrt sich, künftig Kurzgeschichten nur
noch mit einem Vorspann darzubieten:
DER EHEMANN
eine VEBEKADEWE-Produktion
im Verleih der Einmarkzeilenautoren
Idee: Fritz Frisch
Voridee: Marlitts Erben
Ausführung: Hans Hauber
Dialoge: Melitta Moll
Pointe: Treff Troger
Moral: Pina Kotek
Stilistische Bearbeitung: Fred Frank
Grammatische Bearbeitung: Herbert Haff
Orthographische Bearbeitung: Keudermann
Für die Zeitungsveröffentlichung durchgesehen von
C. C. W. Braun.
Das Manuscript wurde geschrieben auf Remington
Portable.
Das Manuscript wurde geschrieben mit Farbband
Pelikan.
Das Manuscript wurde geschrieben auf M. K.
Papier, Überseepost.
Das Falten des Manuscriptes besorgte Edith Komi-
nik, das Kuvertieren besorgte Frieda Feiler, den
Postversand erledigte Katharina Kaulbach.
Manuscript verkauf für die Westzonen: Feuilleton-
dienst Feilscher, Frankfurt am Main, Kolb-
gewichtstraße 18.
„DER EHEMANN"
Sie saßen auf dem Sofa und im Salon.
Selbdritt. Der Mann. Die Frau. Der Unwider-
stehliche.
Sie knabberten süßes Holz.
Plötzlich —
„Feurio! Feurio!"
— das Haus brannte lichterloh.
Der Unwiderstehliche sprang auf.
Schleuderte die Geliebte von seinen Knien.
Stürzte zur Tür.
„Armand!" schrie das Weib auf.
Der Unwiderstehliche zischte:
„Je m'en fiche! Mein Leben ist wichtig!"
Der Ehemann hingegen hob die so unsanft zu
Boden Geschleuderte sanft hoch, berieselte sie mit
den Zähren seines Mitleides und trug die so mit
Tränen Benetzte durch die Brunst des grimmigen
Feuers.
„Dein Leben ist wichtig!" sagte er schlicht.
ENDE
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Wie kommt man eigentlich darauf, daß Ameisen einen richtigen Staat bilden?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Wie kommt man eigentlich darauf, daß Ameisen einen richtigen Staat bilden?" / "Weil sie alle so planlos umeinander rennen -."
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 12, S. 142.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg