DEUTSCHER WÄHLER, DEIN WILLE ENTSCHEIDET
i
(Versammlungssaal: Husten, Hüsteln, Niesen, Gäh-
nen GelangweiUe Uninteressiertheit. Bierkrügerl-
scheppern Ab und zu ein Zwischenruf.)
Der Redner: Jeder einzelne hat die unabdingbare
Pflicht, bei der kommenden Wahl seine Stimme als
Staatsbürger zu gebrauchen. Denn das ist das Fas-
zinierende an der Demokratie, die unsere altbe-
währten Politiker von 1932 auf den Trümmern des
Hitler-Regimes wiedei errichten konnten, daß nicht
mehr aufoktroyierte Führer aller Grade willenlos
akzeptiert werden müssen, daß im Gegenteil jeder
den Mann wählt, der ihm zusagt und der seine In-
teressen zu wahren verspricht.
II
(Im Büro der Parteileitung: Durch die geschlossene
Tür dringt Schreibmaschinenklappern. Telefonklin-
geln. Eine leere Kasse tönt blechern, da die Anwei-
sung französischer Kreise noch nicht eingetroffen
ist. Schnapsgläser klirren dezent.)
Der Vorsitzende: Schulze muß auf die Kandidaten-
liste
Der Generalsekretär: Sehr richtig, Schulze muß
drauf. Warum eigentlich?
Der stellv. Vorsitzende: Red keen kalten Kaffee.
Wer ist Schulze? Was will Schulze? Schulze kennt
keen Mensch.
Der Jugendvertreter: Man sollte doch eigentlich
mehr auf die Belange der Wähler . ..
Der stellv. Vorsitzende: Paperlapappl Wähler!
Blutiger Anfänger! Aber wenn es schon ein Schulze
sein muß, schlage ich Schmitz vor. Den kennt zwar
ooch niemand, aber der läßt wenigstens zwei Wagen
für die Partei laufen.
Der Vorsitzende: Also, dann sind wir uns einig.
Schulze kommt auf die Kandidatenliste. Er ist der
Schwiegersohn des Verlagsbesitzers, der unsere
Zeitung druckt. Wir haben da noch Schulden, meine
Herrn!
Der stellv Vorsitzende: Wie willst du das dem
Landesausschuß plausibel machen, der doch die
Liste bestimmt?
Der Vorsitzende: Die werden kuschen. Ich habe
mindestens gegen die Hälfte von ihnen belastendes
Material.
Der Generalsekretär: Dann würde ich den Herrn
einen Kompromiß vorschlagen: Wir setzen Schulze
und Schmitz auf die Liste und streichen dafür Meier
und Huber.
Der Jugendvertreter: Ich weiß nicht recht, .. Meier
und Huber sind dem Volk doch eher ein Begriff!
Sind die ganze Zeit in der Parteiarbeit hervor-
getreten. Ich dächte, man sollte doch mehr auf die
Belange des Volkes . ..
Der Vorsitzende, der stellv. Vorsitzende, der Ge-
neralsekretär: Belange des Volkes! Anfängerl Es
geht um wichtigere Dinge!
WARUM...?
Von Wendelin überzwerch
Warum schließen bei den Damenblusen
Andersrum die Knöpfe als beim Herrn?
Warum schließt sich Rußland mit abstrusen
Gründen ab vom Weltpostbund in Bern?
Warum gibt es Schwund des Völkerrechtes?
Warum müssen stets noch Menschen fiiehn?
Warum ist „Weib" sächlichen Geschlechtes
Und „Kapaun" hingegen maskulin?
Warum sind die Apothekerinnen
Meistens hübsch und voller Eloquenz?
Warum sitzt der Wurm im Kernhaus drinnen
Und in jeder Viererkonferenz?
Warum ist denn „Hund" ein Schimpfwort, bitte?
Warum legt die Hauptstadt man nach Bonn?
Warum macht bei Wurst man schiefe Schnitte?
Warum bombardierte man Heilbronn?
Warum hängt der Mensch denn so am Leben,
Wenn das Jenseits schöner eh und je?
Warum heißt es: „geben/gab/gegeben",
Doch nicht: „schweben/schwab/geschweben" — he?I
Warum, ach, besteht die Weltgeschichte
Nur aus Finsternis und Blut und Streit,
Unterbrochen bloß vom seltnen Lichte
Der gelegentlichen Friedenszeit...?!
III
(Versammlungssaal: wie bei I.)
Der Redner: Darum gebt eure Stimme den Kan-
didaten Schulze und Schmitz! Denkt immer daran,
daß ihr in eurer Stimme das Machtmittel besitzt,
die Männei an eure Spitze zu wählen, die eure
Interessen zu wahren in der Lage sind. (Bravo!)
IV
(In einer Villa, ab und zu das Knarren tiefer Polster-
sessel. Zigarrenrauch weht sanft um Politiker- und
andere Stirnen.
Ein diskreter Bedienter schenkt streng demokra-
tisch Wein ein.)
Der große Unbekannte: Sie rechnen also mit Neu-
wahlen auch für unser Land, im Anschluß an die
Bundestagswahlen?
Der Vorsitzende: Es ist mit Sicherheit anzunehmen.
Die graue Eminenz: Werden Sie wieder als stärkste
Partei hervorgehen?
Der stellv. Vorsitzende: Jedenfalls so stark, daß
wir als maßgebender Faktor in einer Koalitions-
regierung vertreten sein werden.
Der große Unbekannte: Was bieten Sie uns also
dagegen?
Der Vorsitzende: Wir sind Gegner der Sozialisie-
rung und werden sie mit allen Mitteln zu verhin-
dern wissen.
Der große Unbekannte: Das ist nicht so ganz in
unserm Sinn Wir haben da z. B. in der Euklid-AG.
eine unliebsame Konkurrenz.
Die graue Eminenz: Die übrigens auch von unseren
französischen Freunden unangenehm empfunden
wird.
Der Vorsitzende: Unsere ablehnende Haltung ge-
genüber Sozialisierungsbestrebungen ist natürlich
fortschrittlich beweglich. Es steht unserer Ansicht
nach nichts im Wege, entsprechende Industrien in
angemessener Weise zu verstaatlichen Ich denke
da z. B. an die Euklid-AG.
Der stellv Vorsitzende: Sie verstehen, meine
Herrn! Sozialisieiung bedeutet in diesem Fall das
Ende der Konkurrenzfähigkeit. Damit haben wir
übrigens auch gleich eine willkommene Verhand-
le
i
(Versammlungssaal: Husten, Hüsteln, Niesen, Gäh-
nen GelangweiUe Uninteressiertheit. Bierkrügerl-
scheppern Ab und zu ein Zwischenruf.)
Der Redner: Jeder einzelne hat die unabdingbare
Pflicht, bei der kommenden Wahl seine Stimme als
Staatsbürger zu gebrauchen. Denn das ist das Fas-
zinierende an der Demokratie, die unsere altbe-
währten Politiker von 1932 auf den Trümmern des
Hitler-Regimes wiedei errichten konnten, daß nicht
mehr aufoktroyierte Führer aller Grade willenlos
akzeptiert werden müssen, daß im Gegenteil jeder
den Mann wählt, der ihm zusagt und der seine In-
teressen zu wahren verspricht.
II
(Im Büro der Parteileitung: Durch die geschlossene
Tür dringt Schreibmaschinenklappern. Telefonklin-
geln. Eine leere Kasse tönt blechern, da die Anwei-
sung französischer Kreise noch nicht eingetroffen
ist. Schnapsgläser klirren dezent.)
Der Vorsitzende: Schulze muß auf die Kandidaten-
liste
Der Generalsekretär: Sehr richtig, Schulze muß
drauf. Warum eigentlich?
Der stellv. Vorsitzende: Red keen kalten Kaffee.
Wer ist Schulze? Was will Schulze? Schulze kennt
keen Mensch.
Der Jugendvertreter: Man sollte doch eigentlich
mehr auf die Belange der Wähler . ..
Der stellv. Vorsitzende: Paperlapappl Wähler!
Blutiger Anfänger! Aber wenn es schon ein Schulze
sein muß, schlage ich Schmitz vor. Den kennt zwar
ooch niemand, aber der läßt wenigstens zwei Wagen
für die Partei laufen.
Der Vorsitzende: Also, dann sind wir uns einig.
Schulze kommt auf die Kandidatenliste. Er ist der
Schwiegersohn des Verlagsbesitzers, der unsere
Zeitung druckt. Wir haben da noch Schulden, meine
Herrn!
Der stellv Vorsitzende: Wie willst du das dem
Landesausschuß plausibel machen, der doch die
Liste bestimmt?
Der Vorsitzende: Die werden kuschen. Ich habe
mindestens gegen die Hälfte von ihnen belastendes
Material.
Der Generalsekretär: Dann würde ich den Herrn
einen Kompromiß vorschlagen: Wir setzen Schulze
und Schmitz auf die Liste und streichen dafür Meier
und Huber.
Der Jugendvertreter: Ich weiß nicht recht, .. Meier
und Huber sind dem Volk doch eher ein Begriff!
Sind die ganze Zeit in der Parteiarbeit hervor-
getreten. Ich dächte, man sollte doch mehr auf die
Belange des Volkes . ..
Der Vorsitzende, der stellv. Vorsitzende, der Ge-
neralsekretär: Belange des Volkes! Anfängerl Es
geht um wichtigere Dinge!
WARUM...?
Von Wendelin überzwerch
Warum schließen bei den Damenblusen
Andersrum die Knöpfe als beim Herrn?
Warum schließt sich Rußland mit abstrusen
Gründen ab vom Weltpostbund in Bern?
Warum gibt es Schwund des Völkerrechtes?
Warum müssen stets noch Menschen fiiehn?
Warum ist „Weib" sächlichen Geschlechtes
Und „Kapaun" hingegen maskulin?
Warum sind die Apothekerinnen
Meistens hübsch und voller Eloquenz?
Warum sitzt der Wurm im Kernhaus drinnen
Und in jeder Viererkonferenz?
Warum ist denn „Hund" ein Schimpfwort, bitte?
Warum legt die Hauptstadt man nach Bonn?
Warum macht bei Wurst man schiefe Schnitte?
Warum bombardierte man Heilbronn?
Warum hängt der Mensch denn so am Leben,
Wenn das Jenseits schöner eh und je?
Warum heißt es: „geben/gab/gegeben",
Doch nicht: „schweben/schwab/geschweben" — he?I
Warum, ach, besteht die Weltgeschichte
Nur aus Finsternis und Blut und Streit,
Unterbrochen bloß vom seltnen Lichte
Der gelegentlichen Friedenszeit...?!
III
(Versammlungssaal: wie bei I.)
Der Redner: Darum gebt eure Stimme den Kan-
didaten Schulze und Schmitz! Denkt immer daran,
daß ihr in eurer Stimme das Machtmittel besitzt,
die Männei an eure Spitze zu wählen, die eure
Interessen zu wahren in der Lage sind. (Bravo!)
IV
(In einer Villa, ab und zu das Knarren tiefer Polster-
sessel. Zigarrenrauch weht sanft um Politiker- und
andere Stirnen.
Ein diskreter Bedienter schenkt streng demokra-
tisch Wein ein.)
Der große Unbekannte: Sie rechnen also mit Neu-
wahlen auch für unser Land, im Anschluß an die
Bundestagswahlen?
Der Vorsitzende: Es ist mit Sicherheit anzunehmen.
Die graue Eminenz: Werden Sie wieder als stärkste
Partei hervorgehen?
Der stellv. Vorsitzende: Jedenfalls so stark, daß
wir als maßgebender Faktor in einer Koalitions-
regierung vertreten sein werden.
Der große Unbekannte: Was bieten Sie uns also
dagegen?
Der Vorsitzende: Wir sind Gegner der Sozialisie-
rung und werden sie mit allen Mitteln zu verhin-
dern wissen.
Der große Unbekannte: Das ist nicht so ganz in
unserm Sinn Wir haben da z. B. in der Euklid-AG.
eine unliebsame Konkurrenz.
Die graue Eminenz: Die übrigens auch von unseren
französischen Freunden unangenehm empfunden
wird.
Der Vorsitzende: Unsere ablehnende Haltung ge-
genüber Sozialisierungsbestrebungen ist natürlich
fortschrittlich beweglich. Es steht unserer Ansicht
nach nichts im Wege, entsprechende Industrien in
angemessener Weise zu verstaatlichen Ich denke
da z. B. an die Euklid-AG.
Der stellv Vorsitzende: Sie verstehen, meine
Herrn! Sozialisieiung bedeutet in diesem Fall das
Ende der Konkurrenzfähigkeit. Damit haben wir
übrigens auch gleich eine willkommene Verhand-
le
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Einer muss schuld sein"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 16, S. 190.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg