Fr. Bilek: AKTSTUDIE
CA PTA I N HATTERAS ERZÄHLT
Aus dem Surrealistischen übersetzt von Hans Beilhack
Zu jener Zeit lernte ich einen Mann kennen, der
war so stark, daß er einen in voller Fahrt daher-
brausenden Eisenbahnzug mit einer Hand aufhalten
konnte. Dieses tat er aber nicht, sondern kaufte
sich ein Monocle Er zerdrückte es kraft seines lin-
ken Auges, fand den Splitter in seines Bruders
Auge und den Balken im eigenen, ergriff sie und
fing damit einen schwunghaften Holzhandel an. Als
er dadurch zu beträchtlichem Wohlstande gelangt
war, beschloß er eine längere Seereise in die Lüne-
burger Heide zu machen. Er begab sich nach dem
Hafen und fand daselbst drei Schiffe vor, von denen
das erste keinen Boden das zweite keinen Platz
hatte und das dritte bereits auf hoher See war. Da
er gerade noch rechtzeitig ankam, um zu spät zu
kommen, bestieg er das fünfte und stach damit in
das Rote Meer, welches das Gelbe genannt wird,
weil es grün ist. Am andern Ufer fand er drei
nackte Frauen. Die eine war bekleidet vom Kopf
bis zum Fuß, die andere vom Fuß bis zum Kopf,
die dritte aber war ganz bekleidet. Diese nahm er
zum Weibe und ließ sich links rechter Hand mit
allen Stempeln und Gebühren mit ihr trauen, was
demnächst an allen fünf Weltteilen öffentlich an-
geschlagen wird. Daraufhin neigte sich der Tag zu
Ende.
Nach einer Minute kosmischen Schweigens und in
Ermangelung anderer Ideen, zogen sie sich den
Mantel der Nacht über die Ohren und gingen Hand
in Hand auf der Milchstraße spazieren. Bald zeigte
es sich jedoch, daß Land und Leute dort schwer zu
studieren waren, weil die Felder nachts nicht be-
leuchtet und die Leute scheinbar in einem anderen
Lande wohnten. Als sie dieses merkten, gerieten
sie darüber in einen so lauten Wortwechsel, daß
die Felsen erbebten, sich auftaten und aus ihnen
heraus drei Wanderer schritten. Davon war der
erste ein Jahr jünger wie Ahasver, der zweite einen
Tag älter als Moses im Bienenkorb und der dritte
Direktor der Vereinigten Eisbergwerke in der Wüste
Sahara. Das Merkwürdige aber war, daß davon
einer dem andern glich, nur mit dem kleinen Unter-
schied, daß sie nach Größe, Alter, Form und Aus-
sehen sich in keiner Weise ähnlich waren. Als sie
das merkten, lachten sie bis sie weinten und sam-
melten dann ihre Tränen in Krügen, um daraus ein
gekochtes Gefrorenes zu machen. Nachdem sie so
gefrühstückt, wozu sich die Morgenstunden am
besten eignen, bliesen sie aus ihren Zigaretten
Ringe in die Luft, die sie sammelten und als Ehe-
ringe nach Afrika verkauften. Solange ein solcher
Ring hält dauert die Ehe, weshalb es dort auch
keine Scheidungen wegen langjähriger gegensei-
tiger Abneigung gibt.
Indem sie diese kühne Behauptung unter sich und
an noch einige Nichtanwesende verteilten, fand
sich, daß sie nicht schwer zu glauben war. Allmäh-
lich wurde es aber nun so heiß, daß sie die Hitze
mit Händen greifen und wie glühendes Eisen bie-
gen konnten. Da ihnen jedoch dazu die Muße fehlte,
stiegen sie lieber auf einen zahmen Apfelbaum,
dessen Stamm aus Siegellack war und begannen zu
fischen. Der eine davon verlor dabei allerdings den
Atem, aber es hatte ihn niemand gestohlen, denn
beim Herabsteigen fand er ihn wieder. Da das
Fischen das Herz der Dame nicht erfreute, nahm
sie ihren Begleiter beiseite, ließ ihn dort stehen,
holte einen Zankapfel, schnitt ihn in kleine Stücke
und steckte ihm diese vertraulich in den Mund. Die
Wirkung war überraschend. Denn kaum hatte der
Mann seinen Adamsapfel verschluckt, als er in
einen tiefen Beischlaf verfiel, aus dem ihn erst nach
Stunden der Knall eines Hexenschusses weckte. Da
merkte er plötzlich, daß er allein war. Doch ge-
wahrte er bald neben sich im Schatten eines
Stammbaumes, lässig auf einer Hängematte am
Steffi Kohl
I
Boden hingestreckt, die Dame. In zarten Sonnen
schein gehüllt, mit Luft verziert und mit einer
Schleppe aus Nichts hinterdrein, war sie gerade da-
bei, über ihr linkes Eisbein einen etwas arroganten
Blaustrumpf zu ziehen. Als sie seinen Nachruf hörte,
ermannte sie sich, denn sie war ein Weib, und kam
näher. Aufs neue von ihrer Schönheit entzückt,
begann er sie zu loben, bis ihm der Schaum vor
den Mund trat, wobei er so schielte, daß er Mitt-
wochs beide Samstage zu gleicher Zeit sehen konnte.
Dadurch zu beträchtlichem Hunger gekommen, ver-
langte er etwas zu essen Die Dame, die etwas
Fersengeld bei sich hatte, ging in die nächste. Miß-
handlung, um einiges zu besorgen. Inzwischen ver-
suchte er in dem asphaltierten Kornfeld, das rechts
zu seiner Linken lag, einige Glückspilze zu finden,
was ihm auch gelungen wäre, wenn es welche ge-
geben hätte. Trotzdestonichts verkaufte er seinen
Mut nicht unter dem Kurs, sondern stellte ihn offen
auf den Scheffel, dessen „Ekkehard" ihm wohl-
vertraut war. Als die Dame auf zierlichen Vers-
füßen endlich nahte, sie war zwar nicht klein, aber
doch ein wenig zu sehr ungroß, erhob er darüber
ein so kataleptisches Gelächter, daß das Zelt des
Siebten Himmels, unter dem sie lebten, in seinen
innersten Fugen erbleichte. Doch der Liebe der
Dame, die darüber nur den Verstand verlor, tat
dies keinen Abbruch. Krachend fiel sie ihm um den
Hals, versengte seine Bartstoppeln mit ihren lau-
warmen Küssen, bis er sich mit einem geschickt
angebrachten Doppelnelson den Fängen des teuf-
lischen Weibes entwinden konnte.
Unter Mitnahme der Flucht, die er bei dieser Ge-
legenheit ergriffen hatte, von der Windsbraut ge-
leitet, fegte er auf gutgeölten Rollschuhen durch
die Lande der unwirtlichen Küste entgegen, allwo
soeben das dort jährlich einmal anlegende Paddel'
boot den schwarzen Rauch durch seinen Vergaser
stieß. „O Heimat", rief er, unterbrach sich aber so-
fort, als er merkte, daß das Boot, das schon einige
tausend Meilen in See gestochen war, der Küste
ihr letztes Valet entgegenrief.
Gebrochen an Herz, Leber, Milz und Nieren sank
er zu Boden und starrte auf das weite Meer hin-
aus, das gleich einem Meer von Wellengipfeln vor
ihm lag. Schon versuchte zaghaft eine junge Träne
seine Wange zu netzen, als plötzlich die Luft ein
Sausen und Brausen erfüllte. Aus blauem Himmel
und ohne jeglichen Grund entstand ein Streit zwi-
schen dem Südwestwind und den schweren schwar-
zen Wolken des Firmaments. Endlich ließ der Him-
mel Gnade für Recht ergehen und schützte den bis-
her vom Schicksal so sehr Verhätschelten durch
einen ausgiebig strömenden Landregen vor den all-
zu heißen Strahlen der Sonne. Den Mann jedoch
focht das nicht an. Mit schnellem energischem Griff
an den Reißverschluß entledigte er sich den Resten
seiner Konfektion, hing sie neben sich auf den
Boden hin und schwamm in bildschönem Crawl-
schwumm einer plötzlich auftauchenden Fata Mor-
gana entgegen. Schon hatte er einige Meter Brack-
wasser hinter sich, als er merkte, daß er sich auf
einer Insel befand. Er hatte richtig vermutet. Denn,
da.sie rings von Wasser umgeben war, lag sie tat-
sächlich im Meer. Durch die geistigen Anstrengun-
gen, die ihm diese Erkenntnis bereitete, verfiel er
nach Tagen umgehend in einen so tiefen Schlaf,
aus dem er erst in der Fortsetzung wieder erwachte
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CA PTA I N HATTERAS ERZÄHLT
Aus dem Surrealistischen übersetzt von Hans Beilhack
Zu jener Zeit lernte ich einen Mann kennen, der
war so stark, daß er einen in voller Fahrt daher-
brausenden Eisenbahnzug mit einer Hand aufhalten
konnte. Dieses tat er aber nicht, sondern kaufte
sich ein Monocle Er zerdrückte es kraft seines lin-
ken Auges, fand den Splitter in seines Bruders
Auge und den Balken im eigenen, ergriff sie und
fing damit einen schwunghaften Holzhandel an. Als
er dadurch zu beträchtlichem Wohlstande gelangt
war, beschloß er eine längere Seereise in die Lüne-
burger Heide zu machen. Er begab sich nach dem
Hafen und fand daselbst drei Schiffe vor, von denen
das erste keinen Boden das zweite keinen Platz
hatte und das dritte bereits auf hoher See war. Da
er gerade noch rechtzeitig ankam, um zu spät zu
kommen, bestieg er das fünfte und stach damit in
das Rote Meer, welches das Gelbe genannt wird,
weil es grün ist. Am andern Ufer fand er drei
nackte Frauen. Die eine war bekleidet vom Kopf
bis zum Fuß, die andere vom Fuß bis zum Kopf,
die dritte aber war ganz bekleidet. Diese nahm er
zum Weibe und ließ sich links rechter Hand mit
allen Stempeln und Gebühren mit ihr trauen, was
demnächst an allen fünf Weltteilen öffentlich an-
geschlagen wird. Daraufhin neigte sich der Tag zu
Ende.
Nach einer Minute kosmischen Schweigens und in
Ermangelung anderer Ideen, zogen sie sich den
Mantel der Nacht über die Ohren und gingen Hand
in Hand auf der Milchstraße spazieren. Bald zeigte
es sich jedoch, daß Land und Leute dort schwer zu
studieren waren, weil die Felder nachts nicht be-
leuchtet und die Leute scheinbar in einem anderen
Lande wohnten. Als sie dieses merkten, gerieten
sie darüber in einen so lauten Wortwechsel, daß
die Felsen erbebten, sich auftaten und aus ihnen
heraus drei Wanderer schritten. Davon war der
erste ein Jahr jünger wie Ahasver, der zweite einen
Tag älter als Moses im Bienenkorb und der dritte
Direktor der Vereinigten Eisbergwerke in der Wüste
Sahara. Das Merkwürdige aber war, daß davon
einer dem andern glich, nur mit dem kleinen Unter-
schied, daß sie nach Größe, Alter, Form und Aus-
sehen sich in keiner Weise ähnlich waren. Als sie
das merkten, lachten sie bis sie weinten und sam-
melten dann ihre Tränen in Krügen, um daraus ein
gekochtes Gefrorenes zu machen. Nachdem sie so
gefrühstückt, wozu sich die Morgenstunden am
besten eignen, bliesen sie aus ihren Zigaretten
Ringe in die Luft, die sie sammelten und als Ehe-
ringe nach Afrika verkauften. Solange ein solcher
Ring hält dauert die Ehe, weshalb es dort auch
keine Scheidungen wegen langjähriger gegensei-
tiger Abneigung gibt.
Indem sie diese kühne Behauptung unter sich und
an noch einige Nichtanwesende verteilten, fand
sich, daß sie nicht schwer zu glauben war. Allmäh-
lich wurde es aber nun so heiß, daß sie die Hitze
mit Händen greifen und wie glühendes Eisen bie-
gen konnten. Da ihnen jedoch dazu die Muße fehlte,
stiegen sie lieber auf einen zahmen Apfelbaum,
dessen Stamm aus Siegellack war und begannen zu
fischen. Der eine davon verlor dabei allerdings den
Atem, aber es hatte ihn niemand gestohlen, denn
beim Herabsteigen fand er ihn wieder. Da das
Fischen das Herz der Dame nicht erfreute, nahm
sie ihren Begleiter beiseite, ließ ihn dort stehen,
holte einen Zankapfel, schnitt ihn in kleine Stücke
und steckte ihm diese vertraulich in den Mund. Die
Wirkung war überraschend. Denn kaum hatte der
Mann seinen Adamsapfel verschluckt, als er in
einen tiefen Beischlaf verfiel, aus dem ihn erst nach
Stunden der Knall eines Hexenschusses weckte. Da
merkte er plötzlich, daß er allein war. Doch ge-
wahrte er bald neben sich im Schatten eines
Stammbaumes, lässig auf einer Hängematte am
Steffi Kohl
I
Boden hingestreckt, die Dame. In zarten Sonnen
schein gehüllt, mit Luft verziert und mit einer
Schleppe aus Nichts hinterdrein, war sie gerade da-
bei, über ihr linkes Eisbein einen etwas arroganten
Blaustrumpf zu ziehen. Als sie seinen Nachruf hörte,
ermannte sie sich, denn sie war ein Weib, und kam
näher. Aufs neue von ihrer Schönheit entzückt,
begann er sie zu loben, bis ihm der Schaum vor
den Mund trat, wobei er so schielte, daß er Mitt-
wochs beide Samstage zu gleicher Zeit sehen konnte.
Dadurch zu beträchtlichem Hunger gekommen, ver-
langte er etwas zu essen Die Dame, die etwas
Fersengeld bei sich hatte, ging in die nächste. Miß-
handlung, um einiges zu besorgen. Inzwischen ver-
suchte er in dem asphaltierten Kornfeld, das rechts
zu seiner Linken lag, einige Glückspilze zu finden,
was ihm auch gelungen wäre, wenn es welche ge-
geben hätte. Trotzdestonichts verkaufte er seinen
Mut nicht unter dem Kurs, sondern stellte ihn offen
auf den Scheffel, dessen „Ekkehard" ihm wohl-
vertraut war. Als die Dame auf zierlichen Vers-
füßen endlich nahte, sie war zwar nicht klein, aber
doch ein wenig zu sehr ungroß, erhob er darüber
ein so kataleptisches Gelächter, daß das Zelt des
Siebten Himmels, unter dem sie lebten, in seinen
innersten Fugen erbleichte. Doch der Liebe der
Dame, die darüber nur den Verstand verlor, tat
dies keinen Abbruch. Krachend fiel sie ihm um den
Hals, versengte seine Bartstoppeln mit ihren lau-
warmen Küssen, bis er sich mit einem geschickt
angebrachten Doppelnelson den Fängen des teuf-
lischen Weibes entwinden konnte.
Unter Mitnahme der Flucht, die er bei dieser Ge-
legenheit ergriffen hatte, von der Windsbraut ge-
leitet, fegte er auf gutgeölten Rollschuhen durch
die Lande der unwirtlichen Küste entgegen, allwo
soeben das dort jährlich einmal anlegende Paddel'
boot den schwarzen Rauch durch seinen Vergaser
stieß. „O Heimat", rief er, unterbrach sich aber so-
fort, als er merkte, daß das Boot, das schon einige
tausend Meilen in See gestochen war, der Küste
ihr letztes Valet entgegenrief.
Gebrochen an Herz, Leber, Milz und Nieren sank
er zu Boden und starrte auf das weite Meer hin-
aus, das gleich einem Meer von Wellengipfeln vor
ihm lag. Schon versuchte zaghaft eine junge Träne
seine Wange zu netzen, als plötzlich die Luft ein
Sausen und Brausen erfüllte. Aus blauem Himmel
und ohne jeglichen Grund entstand ein Streit zwi-
schen dem Südwestwind und den schweren schwar-
zen Wolken des Firmaments. Endlich ließ der Him-
mel Gnade für Recht ergehen und schützte den bis-
her vom Schicksal so sehr Verhätschelten durch
einen ausgiebig strömenden Landregen vor den all-
zu heißen Strahlen der Sonne. Den Mann jedoch
focht das nicht an. Mit schnellem energischem Griff
an den Reißverschluß entledigte er sich den Resten
seiner Konfektion, hing sie neben sich auf den
Boden hin und schwamm in bildschönem Crawl-
schwumm einer plötzlich auftauchenden Fata Mor-
gana entgegen. Schon hatte er einige Meter Brack-
wasser hinter sich, als er merkte, daß er sich auf
einer Insel befand. Er hatte richtig vermutet. Denn,
da.sie rings von Wasser umgeben war, lag sie tat-
sächlich im Meer. Durch die geistigen Anstrengun-
gen, die ihm diese Erkenntnis bereitete, verfiel er
nach Tagen umgehend in einen so tiefen Schlaf,
aus dem er erst in der Fortsetzung wieder erwachte
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Aktstudie"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 17, S. 194.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg