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,,Es ist nicht wegen der Kälte, Kamerad, aber wir kriegen wieder ,dicke Luft' l"

DAS REZEPTBUtH Von Graf Michael Soltiko

Sitzt doch da ein Männlein am Fuße einer ver-
kohlten Mauer, in ihren öden Fensterhöhlen wohnt
(schwarz) das Grauen, und der Himmel über uns
schaut hoch hinein. Einfach, aber geschmacklos, bei-
nahe uniform ist seine Kleidung, und er weint, wo-
bei er sich an die Brust schlägt und stöhnt:
„Mea culpa — mea kollektiv — culpa."
Ich trete näher und rufe: „Heil —" Zuckt er doch wie
von neo-nazistischen Nattern gebissen zusammen,
so daß ich beschwichtige: „Heil ist Eure Kleidung,
Herr Jedermann, was kann man heutzutage mehr
verlangen. Gott zum Gruße! Männlein, warum
weinest du?"

Sieht er mich doch unendlich traurigen Blickes an,
wobei Auge wie Ärmel umflort sind und erwidert:
„Heute vor fünf Jahren sank dieser Tempel in
Schutt und Asche, — ,nur jene hohe Mauer zeugt
von verschwundner Pracht, auch diese schon ge-
borsten, kann stürzen über Nacht'. — ,Des Sängers
Fluch' — Uhland, geboren 1787, gestorben 1862."
„Ein Tempel, Herr Professor?" frage ich und ziehe
andachtsvoll meinen Hut. „Wir stehen somit auf
geweihter Stätte?"

„Ja — hier stand eine höhere Lehranstalt", und mit
einem schweren Seufzer fügte er hinzu: „Ich habe
an ihr unterrichtet."

„Und nun zerfleischen Sie sich in Selbstvorwürfen,
daß Ihr Tempel niedergebrannt ist — vermutlich weil
Sie als Luftschutzwart Ihre Pflicht versäumt haben?"
„Unsinn — meine Schuld wiegt viel schwerer."
„Ach richtig — ich hörte vorhin, wie Sie sich der
Kollektivschuld bezichtigten. Trösten Sie sich, mein
guter Alter. Ein Kollektivschuldner ist jemand, der
sich heute anklagt, weil er vorgestern nicht schon
gewußt hat, was er gestern erst erfuhr. Machen Sie
sich nichts draus."

Er wird plötzlich zutraulich und holt ein Buch
aus der Tasche, das er mir unter die Nase hält.
„Ich habe an dieser höheren Lehranstalt früher näm-
lich Deutsch unterrichtet und mein Lieblingsstück
war seit jeher ,Die Herrmannsschlacht' von Hein-
rich von Kleist — geboren 1777, gestorben 1811." Er

sieht mich streng an. „Sie kennen doch die histo-
rischen Hintergründe der Herrmannsschlacht?"
Ich fahre zusammen und erwidere gehorsam: „Herr-
mann der Cherusker vernichtete gemeinsam mit
anderen Germanenfürsten das Römerheer im Teuto-
burger Walde im Jahre 9 nach der Zeitrechnung."
„Wir sagen heute wieder: 9 nach Christi Geburt —
sonst gut — setzen."

Ich sehe mich nach einem geeigneten Trümmerstück
um, und während der Oberlehrer wie in seinem
Klassenzimmer vor mir auf und ab geht, liest er
mir Verse aus der „Herrmannnsschlacht" vor, die
er vorher stets mit ein paar Worten erläutert, und
was ich da zu hören bekomme, das nimmt mich baß
wunder. Haben wir sowas damals wirklich in der
Schule gelernt? Unter uns gesagt: Wir haben es
tatsächlich. Hören Sie nur zu.

Die Herrmannsschlacht beginnt damit, daß Thus-
nelda, die Gattin Herrmanns des Cheruskerfürsten,
zusammen mit Ventidius, dem römischen Legaten,
von der Jagd zurückkehrt. Der Römer Ventidius
wird als der „kühne Sieger des gehörnten Urs" ge-
feiert und Thusnelda bedankt sich bei ihm, daß er
ihr bei einem Jagdabenteuer gerade eben das Leben
gerettet hat:

Das Tier schoß, von dem Pfeil gereizt, den ich entsendet,

Mit wuterfüllten Sätzen auf mich ein,

Und schon verloren glaubt ich mich.

Da half dein bess'rer Schuß dem meinen nach,

Ich war des Todes, wenn du fehltest. —
Weit gefehlt — wenn man nun etwa meint, daß
Herrmann dem Römer dankbar ist, daß er seiner
Thusnelda das Leben gerettet hat, im Gegenteil: Es
wäre ihm offenbar lieber gewesen, sie durch den
Jagdunfall auf anständige Art loszuwerden, jeden-
falls sinnt er auf Rache gegen die Römer im all-
gemeinen, und gegen Ventidius im besonderen.
Noch ahnen die Germanen nichts Böses, und sie
kommen auch ganz gut mit den Römern aus, aber
einer, ihr Führer, plant ein Blutbad: Herrmann heest
er. Ein typischer Fall also von Kollektivschuld der
Germanen, unserer ach so Vorfahren.

Herrmann sitzt währenddessen mit den verschiede-
nen Gauleitern der Katten, der Marsen, der Cimbern
und der Sueven und entwickelt den Plan seines
frisch-fröhlichen Krieges:
Kurz, wollt ihr

Verheeren eure Fluren, eure Herden erschlagen,
Eure Plätze niederbrennen,
So bin ich euer Mann —
Thuiskomar wagt noch einen schwachen Einwand:
Unsre Plätze niederbrennen? Das eben, Rasender,
Das ist es ja, was wir in diesem Krieg verteidigen
wollen!

Herrmann ist beleidigt. Er hat die „Strategie der
verbrannten Erde" ausgeknobelt und will sich da
nicht durch engherzige Logik reinreden lassen.
Schließlich setzt er sich mit seinem Kriegsplan
durch.

Beim zweiten Aufzug steht Herrmann auf einem
standesgemäßen Feldherrnhügel. In der Regie-
anweisung Kleists heißt es wörtlich:
„Zur Seite eine Eiche, unter welcher prächtige Tiger-
felle liegen." Wo in Germanien die urigen Tiger-
felle damals herkamen, bleibt ungeklärt.
Neben Herrmann stehen zwei Germanen mit Titeln,
die uns — leider — verlorengegangen sind. Der eine
hat den Dienstgrad „Erster Ältester", der andere
tituliert sich „Zweiter Ältester". Herrmann selbst
war damals 9 n. Chr. hoch in den Siebenundzwanzig,
so daß der Rat von Älteren sicherlich zu wünschen
war. Hier auf dem Feldherrnhügel aber ist sich
Klein-Herrmann mit den Ältesten und Allerältesten
einig darin, daß es ein an Nero und an den Brand
Roms erinnerndes Vergnügen ist, die eigenen Städte
brennen zu sehen, zumal, wenn man sie selbst an-
gesteckt hat. Nur in der Geographie ihrer engeren
Heimat haben sie Meinungsverschiedenheiten:
Herrmann: Das ist Thuiskon, was jetzt Feuer griff?
Erster Ältester: Vergib mir, Herthakon.
Herrmann: Ja, dort zur Linken, der Ort, der brannte

längst,
Zur Rechten mein ich.

Erster Ältester: Zur Rechten meinst du? Das ist Helakon,
Thuiskon kann man hier vom Platz nicht sehen.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Remilitarisierung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: ",,Es ist nicht wegen der Kälte, Kamerad, aber wir kriegen wieder ,dicke Luft'!"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Sturtzkopf, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 25, S. 295.

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