Tränen
C. Sturtzkopl
Bürokraten: „Hochheben dürfen wir sie nicht, an die Hosennaht halten
auch nicht. In den Taschen ist nichts — also wohin mit den Händen?"
LOB DER ARBEITSLOSIGKEIT
Der Wert der Arbeitslosigkeit kann gar nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Selbst Sir
Stafford Cripps fand sie nicht in jeder Be-
ziehung tadelnswert. Es ist notwendig, daß eine
möglichst stattliche Schar von Barfüßlern be-
reit steht, um einzuspringen, wenn irgendwo im
Lande die Beschäftigten zu übermütig werden.
Angenommen, jeder Erwachsene stünde in Ar-
beit und Brot, — wie wollten Sie die Löhne her-
abdrücken, wie die Arbeitszeit verlängern, wie
den Gedanken an ein kommendes Kontingent
in einer gesamteuropäischen Streitmacht popu-
lär machen? Man sagt so leichthin: „Die stei-
gende Arbeitslosenziffer bedeutet eine Gefahr
für unsere Demokratie ..." Na, das wäre noch
schöner! Ganz im Gegenteil, die Grundlage bil-
det sie, auf der das Gebäude unserer abendlän-
dischen Zivilisation aufgebaut ist!
Eine Reserve von Arbeitslosen bietet die beste
Gewähr dafür, daß der, der eine Stellung hat,
sein Letztes hergibt, um sie zu halten. Er ar-
beitet mit beschwingter Schaffensfreude, wenn
er sich täglich sagen darf: „Auf meinen Posten
warten schon Hunderte, sollte es mir einfallen,
unzufrieden zu sein." Die Tüchtigkeit jedes ein-
zelnen wird gesteigert durch die Erkenntnis,
daß es Leute wie Sand am Meere gibt, die ihm
sein tägliches Brot neiden. Darwins Lehre vom
Uberleben des Geeignetsten findet im Erwerbs-
leben ihre glänzende Bestätigung. Nur im
Kampf aller gegen alle entstehen jene stolzen,
stahlharten Naturen, die in jedem Falle frei aus-
sprechen, was der Chef denkt, die unbeirrbar,
mit der Würde des wirtschaftlich Abhängigen,
jede Stiefelsohle lecken, die sich ihnen ent-
gegenstreckt. Der Charakter des Strebsamen,
der in brüderlicher Verbundenheit den Kollegen
aus seinem Platz hinausdrängt, ihn durch bil-
ligeres Angebot zu Fall bringt und durch Mehr-
leistung die Gunst des Arbeitgebers zu erringen
weiß, — dieser Eroberer — und Siegercharakter
wäre unbekannt, wäre es nicht um das Heer der
Arbeitslosen, dessen Vorhandensein ihn mit
Initiative und Tatkraft erfüllt.
Von sittlichem Standpunkt aus betrachtet, muß
eine angemessene Arbeitslosigkeit geradezu
als Kraftquell des Staates bezeichnet werden.
Not lehrt beten! Langwährende Unfähigkeit,
das Nötigste zum Leben zu verdienen, erzeugt
im Menschen jenen Grad von Demut, der zu
fleißigem Kirchenbesuch anregt. Gar mancher,
der im Berufsleben tätig ist, geht völlig in ihm
auf und vernachlässigt seine religiöse Verinner-
lichung und Vertiefung, — oft unter dem selbst-
betrügerischen Vorwand, es ermangle ihm die
rechte Zeit hiefür. Nun, der Arbeitslose hat
Zeit, und er wird sie nutzen, da er ja sonst
nichts zu tun hat . . .
Daß auch die Fruchtbarkeit der Bevölkerung mit
steigender Arbeitslosigkeit zunimmt, ist eine
altbekannte Erscheinung. In der Tat, die Aus-
übung des Beischlafes — ob ehelich oder unehe-
lich sei hier nicht untersucht — ist immer noch
das billigste Volksvergnügen, das man sich
leisten kann. In Palast und Hütte, im Freien und
im unerleuchteten Hausgang, — überall bietet
sich gleichermaßen Gelegenheit zu lebensbe-
jahender Vereinigung, und der Arbeitslose wird
um so freudiger von dieser Gelegenheit Ge-
brauch machen, als er nichts dabei versäumt.
Um das köstlichste Gut eines Landes — eine
anschwellende Geburtenziffer — ist es wohl-
bestellt, wo zahlreiche Arbeitslose die Parkan-
lagen der Städte bevölkern . . .
*
Das Ideal der Armut muß fest in unserem sozia-
len Gefüge verankert werden. Ohne ausreichen-
des Reservoir von billigen Arbeitskräften kann
die freie Wirtschaft nicht gedeihen. Mit Dank-
barkeit ist daher die amtliche Verlautbarung
zu begrüßen, daß die Zahl der Erwerbslosen
in der Bundesrepublik in Bälde die Zweimil-
lionengrenze erreichen wird. Eine Grenze frei-
lich darf diese Ziffer nicht bleiben. Denn aller
guten Dinge sind dreil Erst der dreimillionste
kann mit Fug und Recht zum Bundes-Ehren-
erwerbslosen ernannt werden . . .
Man darf nicht übersehen, daß unter drei Mil-
lionen armen Ludern die Hälfte wahrscheinlich
auf Frauen entfällt, die lediglich in der Rüstungs-
industrie Verwendung finden können. Rechnet
man außerdem mit etwa 500 000 Untauglichen
oder beschränkt Tauglichen, so verbleibt für
eine künftige Armee eine Million einwandfrei
Dienstfähiger, —■ gerade die Stärke, die für eine
Wiederaufrüstung wünschenswert ist. Denn ein
Heer unter einer Million aufzustellen, hätte
keinen Sinn . . .
Es wird also darauf ankommen, die Entwicklung
nicht tatenlos der Vorsehung zu überlassen.
Eine Politik des „laissez faire" wäre hier weni-
ger am Platz, denn je. Kräftig nachzuhelfen, die
Masse der Arbeitslosen zu vermehren und die
Position des Unternehmers zu stärken, muß als
Pflicht und Aufgabe aller Verantwortlichen gel-
ten. Denn, wie gesagt, die Arbeitslosen sind
die Garanten unserer Zukunft! ATA
Es war ein Film aus Hollywood und er schien zu hal-
ten, was das Programm versprach: es entwickelte
sich ein Drama, das sich gewaschen hatte,, und alles,
was sich so köstlich angelassen hatte, artete lang-
sam, aber sicher zum Bösen aus. Das Mädchen, das
neben Alexander im Kino saß und ihm sehr gefiel,
weinte still, aber untröstlich. Erst schnupfte es ein
bißchen, dann suchte es verzweifelt sein Taschen-
tuch und schließlich mußte es die Nase, putzen. Aber
das Schneuzen ging unter im sanften Wellenschlag
nachbarlichen Schluchzens ringsum. Alexander konnte
jedoch den Kummer nicht mehr mit ansehen. Er
drückte zart den Arm der hübschen Nachbarin und
flüsterte: „Keine Angst, das wird schon wieder —
wir haben ja erst die Hälfte!" Sie nickte, gehorsam
—■ aber da schlug der Liebhaber droben auf der
weißen Wand knallend eine Tür zu und ließ die ge-
liebte Braut, die sich von ihm verraten wähnte, mit
fast gebrochenem Herzen zurück. Sie griff nach die-
sem Herzen, wundeite sich sichtlich, daß es in der
Glut des Schmerzes nicht zerschmolzen war, und
stöhnte: „Oh, Fred — das war schlecht . . ."
Das Mädchen neben Alexander wurde vom frischen
Tränenstrom der Heldin aufs neue mitgerissen.
Alexander sagte leise: „Das ist doch nur Spannung
— die Filmfritzen haben für die schwarze Jane, die,
sich in das Glück gemischt hat, doch schon den lusti-
gen Inspektor Martin bereitgestellt. Und wer soll
denn schließlich diesen Fred kriegen?"
Das Mädchen zog die Schultern hoch um anzudeuten,
daß es das auch nicht wisse. Auf der Filmwand raste
Fred über eine regenverwehte Landstraße. Die Haare
hingen ihm in typischer Seelenpein ins Gesicht, der
Wagen schleuderte, alles ging atemberaubend
schnell; es krachte und aus allerlei Beleuchtungs-
effekten schälte sich Freds blutender Kopf. Er
hauchte,: „Oh, Ann — Liebling —" Dann überzeugte
auch er sich durch sicheren Griff, daß sein bisher so
hartes Herz noch da sei. Das Mädchen neben Alexan-
der weinte über die Reue des Verunglückten. Alexan-
der streichelte behutsam seine Hand und sagte: „Bis
in einer halben Stunde, sind sie wieder versöhnt!"
Eine dicke Frau hinter Alexander zischte weinend:
„Bscht!", ein dicker Mann röhrte aus seinem Taschen-
tuch heraus: „Ruhe!" Auf der Filmwand droben trat
Jane, die schwarze Schlange, an Freds Krankenbett
und legte ihm die kühle Hand mit den dunkel-
lackierten FingernägeJn auf die heiße Stirn. Er
wachte nicht auf. Erst allmählich sprach sich der
Überfall zur rechtmäßigen Braut durch. Auf Um-
wegen und nach vielen Aufenthalten kam sie ins
Krankenzimmer. „Oh, Fred — oh, Ann . ."
Diesmal legte jeder zart die Fingerspitzen an die
Stelle, wo er beim andern die Scherben des Herzens
vermutete.
Das Mädchen neben Alexander konnte auch diese
erfreuliche Wendung nur durch Tränen gutheißen.
Jane, die schöne Schlange, wurde auf dem Gang
des Krankenhauses von Inspektor Martin verhaftet.
Sie suchte vergeblich, ihn zu betören: er blieb —
Symbol des tüchtigen Kriminalisten — eisern, ob-
wohl ihre Reize sichtlich längst Eindruck auf ihn ge-
macht hatten. Sie war sehr schön, sehr sex-appealig,
aber sie hatte enorm viel auf dem Kerbholz und es
war vorher öfter die Rede gewesen von Gift, das
sie vielleicht ihrem ersten Mann gegeben hatte.
Schwer rollte sie nun die Augenlider nach oben, ihre
Wimpern fegten Puderwolken hoch, Alexanders
Aufmerksamkeit wandte sich minutenlang dem
Vamp zu. Da plötzlich fiel die schöne Jane dem ejr-
staunten Inspektor in die Arme: „Was ist dir, Jane
— Liebling?" sagte er in völlig undienstlichem
Schreck. „Ich sterbe", flüsterte die schöne Sünderin,
„es war noch ein wenig von dem Gift da — das
meinen Gatten tötete — ich nahm es — oh, Martin.."
Sie starb sehr schön und ausführlich. Das Mädchen
neben Alexander sah ihr trockenen Auges zu. Sie
schien sehr fürs Legale. Ann und Fred legten, ver-
söhnt, einen Kranz aufs Grab der schwarzen Jane.
Es wurde hell. „Sie hatten recht, es ist alles gut ge-
gangen", sagte das Mädchen neben Alexander.
Aber er hatte sich abgewendet und kämpfte vej-
stohlen mit seinem Taschentuch. „Wie — Tränen bei
so einem Kitsch, den geschickte Filmfritzen gemacht
haben?" sagte das getröstete Mädchen. Es ver-
schwand aus der Sitzreihe, ehe Alexanders Augen
wieder klar und seine Nase beruhigt waren. Er
schämte sich sehr. Eiii Horn.
EINHEITSGEDICHT - Von Kilian Karg
Mit spitzem Bleistift schreibt er: lieben!
Dann an den Rand: sehr übertrieben!
Dann, nach einem Kreuzeszeichen,
muß er das Wort ein-, zweimal unterstreichen,
um es dann kritisch zu betrachten.
Doch plötzlich muß er sich verachten
und streicht zum Schluß, ganz kreuz und quer,
mit seinem Bleistift hin und her.
Ein neues Blatt nun, frisch geschrieben.
Ein einzig Wort zuerst. Natürlich! Lieben!
43
C. Sturtzkopl
Bürokraten: „Hochheben dürfen wir sie nicht, an die Hosennaht halten
auch nicht. In den Taschen ist nichts — also wohin mit den Händen?"
LOB DER ARBEITSLOSIGKEIT
Der Wert der Arbeitslosigkeit kann gar nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Selbst Sir
Stafford Cripps fand sie nicht in jeder Be-
ziehung tadelnswert. Es ist notwendig, daß eine
möglichst stattliche Schar von Barfüßlern be-
reit steht, um einzuspringen, wenn irgendwo im
Lande die Beschäftigten zu übermütig werden.
Angenommen, jeder Erwachsene stünde in Ar-
beit und Brot, — wie wollten Sie die Löhne her-
abdrücken, wie die Arbeitszeit verlängern, wie
den Gedanken an ein kommendes Kontingent
in einer gesamteuropäischen Streitmacht popu-
lär machen? Man sagt so leichthin: „Die stei-
gende Arbeitslosenziffer bedeutet eine Gefahr
für unsere Demokratie ..." Na, das wäre noch
schöner! Ganz im Gegenteil, die Grundlage bil-
det sie, auf der das Gebäude unserer abendlän-
dischen Zivilisation aufgebaut ist!
Eine Reserve von Arbeitslosen bietet die beste
Gewähr dafür, daß der, der eine Stellung hat,
sein Letztes hergibt, um sie zu halten. Er ar-
beitet mit beschwingter Schaffensfreude, wenn
er sich täglich sagen darf: „Auf meinen Posten
warten schon Hunderte, sollte es mir einfallen,
unzufrieden zu sein." Die Tüchtigkeit jedes ein-
zelnen wird gesteigert durch die Erkenntnis,
daß es Leute wie Sand am Meere gibt, die ihm
sein tägliches Brot neiden. Darwins Lehre vom
Uberleben des Geeignetsten findet im Erwerbs-
leben ihre glänzende Bestätigung. Nur im
Kampf aller gegen alle entstehen jene stolzen,
stahlharten Naturen, die in jedem Falle frei aus-
sprechen, was der Chef denkt, die unbeirrbar,
mit der Würde des wirtschaftlich Abhängigen,
jede Stiefelsohle lecken, die sich ihnen ent-
gegenstreckt. Der Charakter des Strebsamen,
der in brüderlicher Verbundenheit den Kollegen
aus seinem Platz hinausdrängt, ihn durch bil-
ligeres Angebot zu Fall bringt und durch Mehr-
leistung die Gunst des Arbeitgebers zu erringen
weiß, — dieser Eroberer — und Siegercharakter
wäre unbekannt, wäre es nicht um das Heer der
Arbeitslosen, dessen Vorhandensein ihn mit
Initiative und Tatkraft erfüllt.
Von sittlichem Standpunkt aus betrachtet, muß
eine angemessene Arbeitslosigkeit geradezu
als Kraftquell des Staates bezeichnet werden.
Not lehrt beten! Langwährende Unfähigkeit,
das Nötigste zum Leben zu verdienen, erzeugt
im Menschen jenen Grad von Demut, der zu
fleißigem Kirchenbesuch anregt. Gar mancher,
der im Berufsleben tätig ist, geht völlig in ihm
auf und vernachlässigt seine religiöse Verinner-
lichung und Vertiefung, — oft unter dem selbst-
betrügerischen Vorwand, es ermangle ihm die
rechte Zeit hiefür. Nun, der Arbeitslose hat
Zeit, und er wird sie nutzen, da er ja sonst
nichts zu tun hat . . .
Daß auch die Fruchtbarkeit der Bevölkerung mit
steigender Arbeitslosigkeit zunimmt, ist eine
altbekannte Erscheinung. In der Tat, die Aus-
übung des Beischlafes — ob ehelich oder unehe-
lich sei hier nicht untersucht — ist immer noch
das billigste Volksvergnügen, das man sich
leisten kann. In Palast und Hütte, im Freien und
im unerleuchteten Hausgang, — überall bietet
sich gleichermaßen Gelegenheit zu lebensbe-
jahender Vereinigung, und der Arbeitslose wird
um so freudiger von dieser Gelegenheit Ge-
brauch machen, als er nichts dabei versäumt.
Um das köstlichste Gut eines Landes — eine
anschwellende Geburtenziffer — ist es wohl-
bestellt, wo zahlreiche Arbeitslose die Parkan-
lagen der Städte bevölkern . . .
*
Das Ideal der Armut muß fest in unserem sozia-
len Gefüge verankert werden. Ohne ausreichen-
des Reservoir von billigen Arbeitskräften kann
die freie Wirtschaft nicht gedeihen. Mit Dank-
barkeit ist daher die amtliche Verlautbarung
zu begrüßen, daß die Zahl der Erwerbslosen
in der Bundesrepublik in Bälde die Zweimil-
lionengrenze erreichen wird. Eine Grenze frei-
lich darf diese Ziffer nicht bleiben. Denn aller
guten Dinge sind dreil Erst der dreimillionste
kann mit Fug und Recht zum Bundes-Ehren-
erwerbslosen ernannt werden . . .
Man darf nicht übersehen, daß unter drei Mil-
lionen armen Ludern die Hälfte wahrscheinlich
auf Frauen entfällt, die lediglich in der Rüstungs-
industrie Verwendung finden können. Rechnet
man außerdem mit etwa 500 000 Untauglichen
oder beschränkt Tauglichen, so verbleibt für
eine künftige Armee eine Million einwandfrei
Dienstfähiger, —■ gerade die Stärke, die für eine
Wiederaufrüstung wünschenswert ist. Denn ein
Heer unter einer Million aufzustellen, hätte
keinen Sinn . . .
Es wird also darauf ankommen, die Entwicklung
nicht tatenlos der Vorsehung zu überlassen.
Eine Politik des „laissez faire" wäre hier weni-
ger am Platz, denn je. Kräftig nachzuhelfen, die
Masse der Arbeitslosen zu vermehren und die
Position des Unternehmers zu stärken, muß als
Pflicht und Aufgabe aller Verantwortlichen gel-
ten. Denn, wie gesagt, die Arbeitslosen sind
die Garanten unserer Zukunft! ATA
Es war ein Film aus Hollywood und er schien zu hal-
ten, was das Programm versprach: es entwickelte
sich ein Drama, das sich gewaschen hatte,, und alles,
was sich so köstlich angelassen hatte, artete lang-
sam, aber sicher zum Bösen aus. Das Mädchen, das
neben Alexander im Kino saß und ihm sehr gefiel,
weinte still, aber untröstlich. Erst schnupfte es ein
bißchen, dann suchte es verzweifelt sein Taschen-
tuch und schließlich mußte es die Nase, putzen. Aber
das Schneuzen ging unter im sanften Wellenschlag
nachbarlichen Schluchzens ringsum. Alexander konnte
jedoch den Kummer nicht mehr mit ansehen. Er
drückte zart den Arm der hübschen Nachbarin und
flüsterte: „Keine Angst, das wird schon wieder —
wir haben ja erst die Hälfte!" Sie nickte, gehorsam
—■ aber da schlug der Liebhaber droben auf der
weißen Wand knallend eine Tür zu und ließ die ge-
liebte Braut, die sich von ihm verraten wähnte, mit
fast gebrochenem Herzen zurück. Sie griff nach die-
sem Herzen, wundeite sich sichtlich, daß es in der
Glut des Schmerzes nicht zerschmolzen war, und
stöhnte: „Oh, Fred — das war schlecht . . ."
Das Mädchen neben Alexander wurde vom frischen
Tränenstrom der Heldin aufs neue mitgerissen.
Alexander sagte leise: „Das ist doch nur Spannung
— die Filmfritzen haben für die schwarze Jane, die,
sich in das Glück gemischt hat, doch schon den lusti-
gen Inspektor Martin bereitgestellt. Und wer soll
denn schließlich diesen Fred kriegen?"
Das Mädchen zog die Schultern hoch um anzudeuten,
daß es das auch nicht wisse. Auf der Filmwand raste
Fred über eine regenverwehte Landstraße. Die Haare
hingen ihm in typischer Seelenpein ins Gesicht, der
Wagen schleuderte, alles ging atemberaubend
schnell; es krachte und aus allerlei Beleuchtungs-
effekten schälte sich Freds blutender Kopf. Er
hauchte,: „Oh, Ann — Liebling —" Dann überzeugte
auch er sich durch sicheren Griff, daß sein bisher so
hartes Herz noch da sei. Das Mädchen neben Alexan-
der weinte über die Reue des Verunglückten. Alexan-
der streichelte behutsam seine Hand und sagte: „Bis
in einer halben Stunde, sind sie wieder versöhnt!"
Eine dicke Frau hinter Alexander zischte weinend:
„Bscht!", ein dicker Mann röhrte aus seinem Taschen-
tuch heraus: „Ruhe!" Auf der Filmwand droben trat
Jane, die schwarze Schlange, an Freds Krankenbett
und legte ihm die kühle Hand mit den dunkel-
lackierten FingernägeJn auf die heiße Stirn. Er
wachte nicht auf. Erst allmählich sprach sich der
Überfall zur rechtmäßigen Braut durch. Auf Um-
wegen und nach vielen Aufenthalten kam sie ins
Krankenzimmer. „Oh, Fred — oh, Ann . ."
Diesmal legte jeder zart die Fingerspitzen an die
Stelle, wo er beim andern die Scherben des Herzens
vermutete.
Das Mädchen neben Alexander konnte auch diese
erfreuliche Wendung nur durch Tränen gutheißen.
Jane, die schöne Schlange, wurde auf dem Gang
des Krankenhauses von Inspektor Martin verhaftet.
Sie suchte vergeblich, ihn zu betören: er blieb —
Symbol des tüchtigen Kriminalisten — eisern, ob-
wohl ihre Reize sichtlich längst Eindruck auf ihn ge-
macht hatten. Sie war sehr schön, sehr sex-appealig,
aber sie hatte enorm viel auf dem Kerbholz und es
war vorher öfter die Rede gewesen von Gift, das
sie vielleicht ihrem ersten Mann gegeben hatte.
Schwer rollte sie nun die Augenlider nach oben, ihre
Wimpern fegten Puderwolken hoch, Alexanders
Aufmerksamkeit wandte sich minutenlang dem
Vamp zu. Da plötzlich fiel die schöne Jane dem ejr-
staunten Inspektor in die Arme: „Was ist dir, Jane
— Liebling?" sagte er in völlig undienstlichem
Schreck. „Ich sterbe", flüsterte die schöne Sünderin,
„es war noch ein wenig von dem Gift da — das
meinen Gatten tötete — ich nahm es — oh, Martin.."
Sie starb sehr schön und ausführlich. Das Mädchen
neben Alexander sah ihr trockenen Auges zu. Sie
schien sehr fürs Legale. Ann und Fred legten, ver-
söhnt, einen Kranz aufs Grab der schwarzen Jane.
Es wurde hell. „Sie hatten recht, es ist alles gut ge-
gangen", sagte das Mädchen neben Alexander.
Aber er hatte sich abgewendet und kämpfte vej-
stohlen mit seinem Taschentuch. „Wie — Tränen bei
so einem Kitsch, den geschickte Filmfritzen gemacht
haben?" sagte das getröstete Mädchen. Es ver-
schwand aus der Sitzreihe, ehe Alexanders Augen
wieder klar und seine Nase beruhigt waren. Er
schämte sich sehr. Eiii Horn.
EINHEITSGEDICHT - Von Kilian Karg
Mit spitzem Bleistift schreibt er: lieben!
Dann an den Rand: sehr übertrieben!
Dann, nach einem Kreuzeszeichen,
muß er das Wort ein-, zweimal unterstreichen,
um es dann kritisch zu betrachten.
Doch plötzlich muß er sich verachten
und streicht zum Schluß, ganz kreuz und quer,
mit seinem Bleistift hin und her.
Ein neues Blatt nun, frisch geschrieben.
Ein einzig Wort zuerst. Natürlich! Lieben!
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Bürokraten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Bürokraten: „Hochheben dürfen wir sie nicht, an die Hosennaht halten auch nicht. In den Taschen ist nichts — also wohin mit den Händen?"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 4, S. 43.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg