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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 5.1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.6592#0046
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.Sagen Sie mir doch schnell noch für den Süddeutschen Merkur, was halten Sie von der Benzinfreigabe?"

MILO WITZ

Von Hans Reimann

Im Herbst 1944 gerieten irgendwelche Lemuren
auf den Einfall, mich nach dem eine Stunde Fuß-
marsch von Bernried entfernten Zeismering zu
schicken, damit ich im Unternehmen des Herrn
von Wening für den Endsieg tätig sei. Nachdem
ich den Dienstantritt wieder und wieder hinaus-
gelogen hatte, teilte mir Herr Lindner vom
Arbeitsamt Weilheim unverblümt mit, er werde
mich in eine bombengefährdete Fabrik des
Westens stecken, falls ich fortfahre, Sperenzien
zu machen. Wohl oder übel trabte ich also an
die Drehbank. Ein Halbdutzend Franzosen aus
Toulouse und ich (als .Anlernling'). Täglich
elf Stunden mit 30 Minuten Mittagpause. Ge-
legentlich kamen Gäste des Hausherrn und be-
glotzten mich wie den Schimpansen im Zoo.
Abends taten mir die Glieder derart weh, daß
ich vor Hunger kaum zu schlafen vermochte.
Diesen aufreibenden Stumpfsinn betrieb ich,
bis das aus Waidhofen an der Ybs gelieferte
Stahlzeug ausblieb: Tiefflieger legten den
Transport brach.

In Bernried war inzwischen der Volkssturm ins
Leben gerufen worden. Unter Hinweis auf die
Tatsache, daß ich am Weltkrieg I als Leutnant
mitgewirkt hatte, lehnte ich ab, Miliz zu mimen.
Im Februar 1945 jedoch mußten sämtliche ehe-
maligen Offiziere an einem Volkssturmlehr-
gang teilnehmen. Aus Neugier sagte ich zu und
reiste nach der Barackensiedlung Milowitz bei
Prag.

Von den sehnsüchtig erwarteten 120 .Kame-
raden' trafen 78 ein. Verpflegung gab's nicht,
ehe der Ist-Stand erreicht war. Landwirte, Leh-
rer, Kaufleute, SA-Männer — einige nette Men-
schen, mehrere Proleten. Jede der sieben Stu-
ben bildete sofort einen Verein für sich und
gegen die übrigen: der deutsche Partikularis-
mus. Wir empfingen drei antiquarische Decken,
ein morsches Handtuch, ein blechernes Eß-
besteck und eine dito Schüssel. Allmorgens ver-
trödelte ich eine Ewigkeit damit, meine Lager-
statt so herzurichten, als sei sie gemacht.
Bereits am dritten Tag ward bekanntgegeben,
daß am vorletzten Abend, also nach Ablauf von
anderthalb Wochen, eine Feier nebst Festmahl
stattfinden solle, und daß diejenigen Herren,
die einen .künstlerischen Beitrag' zu leisten ge-
denken, nach Dienstschluß auf Stube 6 in Ba-
racke 3 erscheinen mögen. Diese Feier erfüllte
von vornherein und unausgesetzt die Gemüter
auch der nicht produktiven Vereinsangehörigen.
Ansonsten war Unterricht . . . drinnen oder
draußen, theoretisch und praktisch. Zwei aktive
Jünglinge belästigten mich mit Sandkasten-

spielen. Setzen diese Übungen an sich schon
eine gradezu dichterische Phantasie voraus, so
sind sie vollends zum Scheitern verurteilt,
wenn eine Pappel oder ein Miniaturholzhaus
benutzt wird, um einen Spähtrupp darzustellen.
Ich bekam eine Würgezange nebst Isolierband
in die ahnungslose Hand gedrückt, erfuhr von
Hafthohlladungen, Blendkörpern, Nebelkerzen
und Brandflaschen, von Vorderhang- und Hin-
terhangstellungen, von Schützenreihe und
Schützenkette und ähnlichen mir unsympathi-
schen Dingen. Während wir über Sofortzünder
und Sprengkapseln belehrt wurden, beäugte
sich mein Nachbar, ein Ökonom, die Füllung
einer Panzerfaust . . . die glimmende Zigarette
in den Fingern. Ein zweiter Eleve, Architekt
von Beruf, hatte Lunten vorzubereiten und ge-
riet dabei an die als lebensgefährlich konfis-
zierte Brisanzmasse: um eine Leitfeuerzündung
zu veranschaulichen, sprengte er ums Haar die
ganze Bude samt dem volksstürmenden Audi-
torium in die Luft.

Damit wir all das im Schweinsgalopp Vorge-
tragene restlos kapierten, schrie der instruie-
rende Fahnenjunker mit Donnerton.
Einen geschlagenen Nachmittag wurden Ge-
wohnheitssprengungen abgehalten — so ge-
nannt, weil wir uns dran gewöhnen sollten.
Was auch immer gezeigt wird: nichts funktio-
niert. ,Das ist verbogen . . .', heißt es. Oder:
.Vorsicht — es klemmt!' Oder: .Unser öl taugt
nichts mehr, drum klebt's.' Oder: ,Das Material
ist eben nicht mehr so hundertprozentig.' Zum
Weinen! Wir müssen an eine Pak mit Zielfern-

O. Nückel

röhr. ,Aber ohne das Aas sehen Sie besser',
nuschelt der Fahnenjunker. Einer aus der
Menge knurrt: ,Ich bin Dreher, aber solchen
Schmarrn hab' ich noch nicht erlebt — vielzuviel
Nieten!' Schwere Infanteriewaffen für Punkt-
ziele sind an der Reihe: entweder abgeschaffte
oder wegen hartnäckiger Mängel nicht einge-
führte Modelle. Mitleiderregendl Die Panzer-
fäuste . . . Versager über Versager! Anfangs
hat so ein Prügel 32 Mark gekostet, jetzt wird
er für ein Viertel des Betrages hergestellt, be-
sitzt angeblich die gleiche Wirkung wie eine
8,8 — bedroht jedoch in Wirklichkeit nur das
Leben der zwei Mann Bedienung. Der Fahnen-
junker ignoriert es schamhaft und tut, als sei
der T 34 (eine Attrappe) völlig demoliert. Trotz-
dem wird uns eingeschärft, daß feindliche
Panzer unzerstört erledigt werden müssen: wir
brauchen sie händeringend. (.Wie das liebe
Brot', sagt der Instruktor.)

Sprachliche Fehlleistungen auf Schritt und Tritt,
so müd' sind die Gehirne. ,Wir richten nun die
Korde nach Narten ein . . .'; .Sobald ich an der
Bicke brün . . .'; ,Wer 500 Patronenhülsen ab-
liefert, darf zur Belohnung einen Prag nach
Tag.'

Wir marschieren in die freie Natur. Mit Ge-
sang. Und das ist stets dieselbe Tragödie: nie-
mand fängt an — ein paar Männeken geben sich
verzweifelt Mühe, das Lied in Gang zu brin-
gen — inmitten der Strophe I brüllt die gesamte
Belegschaft — der Refrain wird markig hinaus-
geschmettert --dünn und krank läuft die

zweite Strophe vom Stapel — es hapert mit dem
Text, und bis zum Kehrreim wird gemogelt —
aber der Schluß, aber der Schluß artet aus in
germanisches Geheul.

Am Waldesrand meldet sich ein übereifriger
Postbeamter, den Feind zu markieren. Mit vier
Platzpatronen. Weil wir haushalten müssen.
Das wichtigste jedoch ist der NSFO, der nazi-
stische Führungsoffizier. Ein Riesenroß. Bei
wesentlichen Stellen senkt er die Stimme, bei
nebensächlichen erhebt er sie. Dabei verhed-
dert er sich chronisch und versinkt in den kon-
zentrierenden Anblick seiner Fingernägel. A
und O der Unterweisung sind Goebbelsreden.
„Die deutsche Armee", salbadert er, „hat den
unschätzbaren Vorzug kurzer Verbindungs-
linien zur Front. Auch sind wir der.ständigen
Schwierigkeiten enthoben, die uns bisher Par-
tisanen im feindlichen Hinterland bereiteten.
Als ein weiterer kräftesparender Faktor ist die
Tatsache zu bezeichnen, daß wir nicht mehr ge-
zwungen sind, in den rückwärtigen Heeres-
gebieten kostspielige Etappenapparate zu er-
halten." Haha! Alsdann schwafelt er vom inne-
ren Schweinehund, und daß es unsere Pflicht
ist, mit Anstand zu sterben, und daß niemand
Angst zu haben braucht, sich dabei zu ver-
späten: es bleiben uns immer noch die Schwel-
len vor unseren Häusern und das Tor zum letz-
ten Hauptquartier des Führers.
Nachdem er seinen Sermon beendet hat, flü-
stere ich dem vor mir sitzenden Instruktor zu,
daß ich den Mann für geistesgestört halte. Statt
mich niederzuschießen, nickt der Fahnenjunker
traurig: „Genau das, was wir alle sagen."
Und die leibliche Nahrung? Mittags Nudeln,
abends Nudeln. Zur Abwechslung Nudeln mit
Sauerkraut oder Sauerkraut mit Nudeln. In der
Lorke: Brot; in der Milchsuppe: Brot; im Sauer-
kraut: Brot; in den Nudeln: Brot. Und mit Stiel-
augen hocken unsere Ausbilder zwischen uns
und betteln um die Reste.

Vierhundert Fahnenjunker waren versammelt.
Dreiviertel von ihnen brachte es zum Leutnant.
Vor der Schreibstube steht ein Posten und prä-
sentiert im Serienbau. Macht jeweils 5 Mark.
Fürs WHW. Und der Spieß schnauzt die frisch-
backenen Leutnants an, als wären sie noch
Fahnenjunker, und die Leutnants reißen die
Hacken zusammen und würgen es stramm hin-
unter.

Abschiedsfeier und Festmahl erwiesen sich als
Fiasko. Für den Heimweg verehrte man uns den
,Volkssturm', herausgegeben vom Reichsor-
ganisationsleiter. An der Spitze ein Motto. Am
Ende der Satz: „Das Führerwort, die an-
schließenden Appellworte und die Kampfsätze
sind vor der angetretenen Mannschaft wort-
getreu zu verwenden und müssen markant und
mit innerer Überzeugung gesprochen werden."
Das war elf Tage, ehe Eisenhower die deutschen
Truppen aufforderte, sich zu ergeben.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sagen Sie mir doch schnell"; "Milowitz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Sagen Sie mir doch schnell noch für den Süddeutschen Merkur, was halten Sie von der Benzinfreigabe?"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Nückel, Otto
Dubout, Albert
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 4, S. 46.

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