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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 5.1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.6592#0053
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„Wenn man nur wüßte, ob der Kerl auch schon die Wasserstoffbombe hat!"

Schutzzölle für den Geist — Ein Schrei der notleidenden Landwirte, Lyriker und Malerschaft

In bewegten Worten schildern Landwirtschaftsver-
treter und -minister die Notlage der Bauernschaft.
Die Landwirtschaft leidet Not, wenn die Arbeits-
losen sich ein Ei und für ihre Kinder Obst kaufen
können, weil dank fehlgelenkter Einfuhren die Preise
für diese immerhin erfreulichen Nahrungsmittel so
weit gesunken sind, daß auch arme Städter sie in
kleineren Mengen zu erwerben in der Lage sind. Die
Not der Landwirtschaft wird dadurch verschärft,
daß durch unverantwortliche Maßnahmen verschie-
dene Wirtschaftszweige ihre Produktion für die All-
gemeinheit wieder aufgenommen und somit die an
Zahlungsstatt angenommenen Hortungswaren in den
bäuerlichen Anwesen weitgehend entwertet haben.
Wer konnte beispielsweise ahnen, daß anderthalb
Jahre nach der Währungsreform schon wieder die
den Städtern entrissenen Radioapparate, Teppiche,
Schmuckstücke, Mäntel und Bettwäsche nicht mehr
in Geld oder Ackergerät umgetauscht werden könn-
ten? Wer konnte annehmen, daß diese für wertbe-
ständig gehaltenen Dinge bald zu wahren Schleuder-
preisen in jedem Schaufenster angeboten würden,
ohne Rücksicht auf die noch vorhandenen ländlichen
Bestände, die man zu kleinen Uberpreisen hätte be-
kommen können? Die Landwirtschaft hat sich in
den spontan erhöhten Butterpreis zu retten versucht,
da sie keineswegs gewillt ist, neben den schwer-
ringenden Städtern ihren Teil an den Kriegslasten
zu tragen und schon das Ansinnen einer Baunotab-
gabe oder eines Lastenausgleichs mit Empörung
quittieren muß. Man ist daher auf dem Lande be-
strebt, diese Lasten von den Höfen mehr auf die
Hütten der Häusler, Rentner und Arbeitersiedler
abzuschieben, die dank der günstigeren Einstufung
der ökonomiebetriebe zu saftigeren Zahlungen mit
Recht herangezogen werden müssen. Gleiche Sorge
wie der Ackerbauer bereitet uns die Zukunft des
Weinbauern, der uns in schweren Jahren mit manch
funkelnder Flasche und süffigen Stoffen über unsere
Not hinweggeholfen hat und unserer Teilnahme ge-
wiß sein kann. Was soll* daher die Überschwem-
mung unserer Keller mit den für ihre schlechte
Qualität berühmten Weinen Italiens und Frank-
reichs, wenn darum die edlen Reben von Rhein,
Main und Mosel, im Preise gedrückt werden. Reben,
deren schimmerndes Gold im Glase glühte, (wenn
auch nicht immer grade in unsern Gläsern) und die
daher als Zahlungsmittel das fehlende Gold jahre-
lang zu ersetzen vermochten? Sollen sie plötzlich im
Kurse schwanken? Hier kann nur eines helfen: der

Schutzzoll. Wie eine Mauer soll er unsere Grenzen
hermetisch schließen gegen billige Ware aller Art
und uns zu Gefangenen unserer Produzenten ma-
chen. Was der Landwirtschaft recht, ist jedoch jeder
anderen Branche billig.

Außer der seit je bekannten, seit 1920 sprichwört-
lichen Notlage der Landwirtschaft gibt es z. B. noch
die sattsam bekannte Notlage der geistigen Berufe.
Wieso, so fragen sich die Vertreter dieses Kreises
von Schaffenden, schützt kein Schutzzoll unsere Pro-
duktion vor Überfremdung? Warum dürfen Dramen
Shakespeares und O'Neills, Komödien Shaws und
Giraudoux ganz ohne Rücksicht auf das Heer brot-
loser einheimischer Dramatiker über unsere Bühnen
gehen? Weil sie besser, billiger oder witziger sind?
Das ist nach bewährtem Muster kein Grund: die
Produktion der deutschen Dichter hatte seit je Welt-
ruf, ihre Erzeugnisse sind tiefschürfender und halt-
barer gearbeitet, und haben besseres Aroma, ihre

Einfälle, gemessen an denen ausländischer Konkur-
renten, sind wie deutsches Frischei gegen Eipulver,
ihre Schilderungen tragen den Gütestempel und
sind garantiert ausführlich, sorgen doch zudem ihre
Innungen durch ständige Fühlungnahme mit regie-
renden und kirchlichen Stellen dafür, daß nicht
schlampige Originalitätssucht die geordnete Serien-
produktion störe. Besonders schlimm aber sieht es
für die Gartenerzeugnisse der Lyrikproduzenten aus:
kräftige Gedichtsorten, am Hagelstangen-Spalier
gezogen, bleiben liegen, weil die Kunden höchstens
noch nach Rilkeschen Südfrüchten fragen, die, im
milderen französisch-schweizerischen Seelenklima
gezüchtet, nichts vom herberen Urhauch der auf
deutschem Eigenmist gezogenen Sorten haben. Hier
müßten einschneidende Maßnahmen die Käufer an
die deutschen Bände heranzwingen und ihnen den
ohnehin seltenen Appetit auf Gedichte vollends aus-
treiben. Es ist unverständlich, wieso die Landtage
sich mit diesen Fragen noch nicht beschäftigt haben
und man sieht, wie notwendig ein geistig schaffen-
der Minister für die Allgemeinheit wäre.
Was aber wird aus der einheimischen Kunstmalerei?
Soll sie durch Heraufsetzen ihrer Preise die zuneh-
menden Absatzschwierigkeiten zu beheben suchen?
Das wäre immerhin ein gangbarer Weg, den die
Landwirtschaft mit dem Butterpreis bereits beschrit-
ten hat. Die Schutzzollfrage hat sich auf dem Gebiet
der Malerei im übrigen etwas verlagert dadurch,
daß aus dem Ausland erworbene Kunstwerke ohne-
hin von Zeit zu Zeit — spätestens nach jedem ver-
lorenen Krieg — kostenlos zurückgegeben werden
müssen und daher in den Handelsverträgen vorerst
nur Rückgaben und keine Zwangs-Neukäufe fest-
gelegt wurden. Da überdies derzeit weder für in-
noch ausländische Malerei großes Interesse auf dem
Markt besteht und nur noch Diebe für einen gewis-
sen Umsatz und Besitzwechsel sorgen (wie etwa der
Student in Kiel, der Koffer voll edelster Museums-
stücke besaß) so müßte immerhin die Tätigkeit der
Diebe soweit gelenkt werden, daß sie nicht Rem-
brandt- und Picassozeichnungen stehlen, sondern
ihr Augenmerk der einheimischen Graphik zuwen-
den, die auf diese Weise wenigstens einen kleinen
Widerhall in der Öffentlichkeit zu finden vermöchte.
Eile jedenfalls tut not — die Arbeitslosenziffern
steigen, die Preise drohen zu sinken!
Schützt uns vor billigen Preisen — die Landwirt-
schaft und die übrigen werden's euch, wie stets, in
Notzeiten danken! Vim

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wenn man nur wüßte"; "Schutzzölle für den Geist"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Wenn man nur wüßte, ob der Kerl auch schon die Wasserstoffbombe hat!"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Blisch, Kurt Jan
Preetorius, Wilhelm
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 5, S. 53.

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