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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 5.1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.6592#0065
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In jeder Bücherei sollte eine komische Abteilung
sein. Ich habe eine Sammlung die nicht von Pappe
ist. Darf ich Sie bekannt machen mit sechs willkür-
lich herausgegriffenen*Gebilden?

*

Ein zierliches Bändchen (10,7 hoch und 7,7 breit):
Kriegsdepeschen 1870/71. Hier ist Ruhe, hier ist Frie-
den. Es sind die offiziellen Wehrmachtsberichte,
rund 200 an der Zahl. Eine Wohltat, ein seliges Ver-
weilen. 17. Depesche: „Siegreiches Gefecht bei Metz.
Details fehlen noch. Ich begebe mich sogleich auf
das Schlachtfeld. Wilhelm." — 30. Depesche: „Die
kleine Festung Vitry hat sich ergeben. Diesseitiger
Verlust: Major von Friesen schwer blessiert, drei
Mann verwundet." — 33. Depesche: „Wir hatten
gestern ein siegreiches Gefecht. Ich kehre soeben auf
das Schlachtfeld zurück, um die Früchte des Sieges
zu verfolgen. Wilhelm." — Die 75.: „Das große Er-
eignis, daß nun die beiden feindlichen Armeen in
Gefangenschaft sich befinden, veranlaßte Mich, Fritz
und Friedrich Carl zu Feldmarschällen zu ernennen.
Der erste Fall der Art in Unserem Hause. Wilhelm."
— Die 135.: „Zwei Kompanien drangen bis Rosny
vor. Diesseits 1 Mann verwundet." — Und die 143.:
„Gestern von 9 Grad Kälte auf 1 Grad Wärme ge-
stiegen, heute völliges Thauwetter, 7 Grad warm
und schöner Sonnenschein."
Keine Spur von Stahlgewittern!

*

Zu den kuriosen Büchern rechne ich den „Guten
Ton" oder „Wie man sich in Gesellschaft bewegt",
ein Brevier für feine Lebensart und taktvolles Be-
nehmen, 1892 erschienen bei Neufeld & Henius.
„Sehr vorsichtig haben junge Mädchen im Verkehr
mit Herren zu sein. Allzu große Freundlichkeit wird
der Welt sofort Anlaß geben, allerlei Schlüsse zu
ziehen, große Zurückhaltung hingegen die Annähe-
rung erschweren, außerdem den Charakter der Dame
stolz und hochfahrend wirken lassen." — „Empfängt
eine Dame Besuch, nimmt sie zuerst Platz, falls es
ein Herr. Sie bezeichnet diesem mit leichter Hand-
bewegung den Sessel, auf den er sich niederzulassen
hat, während sie selber auf dem Sofa Platz ergreift.
Ist es eine Dame, gehört dieser der Sofaplatz, und
zwar der rechte, während der linke der Hausfrau
bleibt, den sie nur einer vornehmen Dame über-
lassen wird. Ein Herr, sei es nun der Besuchende
oder Empfangende, darf nie neben der Dame auf
dem Sofa Platz nehmen, sondern auf einem Sessel
gegenüber oder in der Nähe derselben. Dagegen ge-
bietet die Wohlanständigkeit der fremden Dame,
welche sich auf dem rechten Sofaplatz niedergelas-
sen hat, sich zu erheben, falls nach ihr eine vor-
nehmere Dame eintritt, und dieser ihren Sitz an-
zubieten, der natürlich nie angenommen werden
wird." — „Junge Mädchen sollten keinesfalls in Be-
gleitung von Herren eine Skulpturengalerie be-
suchen."

Die Zurückhaltung ist hin, das Sofa ist hin, die Vor-
nehmheit ist hin, die Galerien sind hin, der gute Ton
ist hin.

Den „Allgemeinen Bierkomment" (Roßbergsche
Verlagsbuchhandlung, Leipzig, 1920) abzudrucken,
bin ich außerstande. Im Vorwort wird das Korps-
studententum als „die von deutscher Jugendfrische
prangende Oase des Menschenlebens" verherrlicht.
Quintessenz des Buches: „Es wird fortgesoffen."
Was wird fortgesoffen? Der Verstand wird fortge-
soffen. Höhepunkt vom Ganzen: der Bierverschiß.
„Bierverschiß ist der Verlust der Bierehre und aller
mit derselben verknüpften Rechte. Der Bierschisser
ist verpflichtet, sich aus dem BV herauszupauken,
was sofort geschehen kann. Der BV zerfällt in ein-
fachen (ein halbes Glas), geschärften (ein ganzes)
und doppelt geschärften (zwei ganze)." Kapitel V
behandelt die Biermensuren. Sie zerfallen in Bier-
suiten und Bierjungen. Als besiegt zu erklären ist:
wer übermäßig blutet (wer Bier, anstatt in den
Mund, daneben gießt); wer einen Philister im Glase
läßt (soviel, daß dessen Boden noch bedeckt ist);
wer sein Glas später als der andere auf den Tisch
setzt beziehungsweise wessen Gegner zuerst, nach-
dem er ausgetrunken, „Bierjunge!" ruft. Fünfzig
engbedruckte Seiten nimmt das Bierlexikon ein.
Was ist Japper? „Japper ist ein jeder, der wegen
Mangel an männlichem Wesen nach einem Kom-
mers zwei Tage lang Kater hat oder nach dem dritten
Glas gerbt."

Man gerbt nachträglich bei der Lektüre.

Es gibt einen ganzen Prozeß, stenographisch aufge-
zeichnet, gedruckt und bei Rowohlt (1922) veröffent-
licht: den Prozeß um die Berliner Aufführung von
Arthur Schnitzlers „Reigen". Der Bericht zeigt eine
Schicht braves Bürgertum in Dummheit und dreckig-
ster Reinkultur. Was da an geheuchelter Entrüstung
fabriziert wurde, geht auf keine Kuhhaut. Als An-
geklagter stand nicht etwa Schnitzler vor den Schran-
ken, sondern die Schauspielerschar, die sich unter-
fangen hatte, das „obszöne Machwerk" darzustellen
(darunter Fritz Kampers und Victor Schwanneke).
Am liebsten hätten die deutschvölkischen Sittlich-
keitsapostel auch die Souffleuse ausgerottet ge-
sehen. Wegen Unzucht. Im Laufe der sechstägigen

KURIOSA

VON HANS REIMANN

Verhandlung sagte Kampers: „Ich möchte die Zeu-
gin fragen, die mir perverse Umschlingungen der
Beine nachgesagt hat, was perverse Beinumschlin-
gungen sind. Vielleicht kann mir das die Zeugin mal
zeigen?" Darauf die Zeugin, Frau Hauptmann Klara
Müller: „Pfui!" Sodann versicherte der Druckerei-
besitzer Rodolf Lebius, es sei ausgeschlossen, daß
er seine Tochter in ein derartiges Stück schicken
würde. Der Vorsitzende erkundigte sich nach dem
Alter der Tochter. Es stellte sich heraus, daß sie vier-
jährig war. Die Studienrätin Ulrike Scheidel hin-
wiederum stammelte, die unmittelbare Vorberei-
tung des Geschlechtsaktes habe eine so außerordent-
liche Empörung in ihr hervorgerufen, daß sie bis ins
Innerste erschüttert worden sei. Eine andere Zeugin
streckte auf dem Korridor den Schauspielerinnen, die
ihrer Vernehmung harrten, die Zunge heraus. Der
Sachverständige Brunner wollte wissen, ob die bei
der Aufführung verwendeten Betten eigens ange-
fertigt wurden. Der Zeuge Ernst Lüttke, Buchhänd-
ler, konstatierte, daß diese „kolossale Anhäufung
von Bettstellen" auf die breite Masse unangenehm
wirke. Gleich das erste Bild mit der Dirne und dem
Soldaten. Der Vorsitzende unterbrach: eine Bett-
stelle sei in diesem Bild nicht vorhanden. Der Zeuge:

„Dann ist es eben ein Ausnahmefall. Sonst
sind überall Bettstellen da. Also dieser Auf-
zug, wo ausnahmsweise vielleicht eine Bett-
stelle nicht vorhanden war, hat auf mich einen
sehr unangenehmen Eindruck gemacht, indem
ich mir sagte, das ist außerordentlich anstößig.
Ich meine die Bettstellen. In der Mehrzahl der
Akte sind Bettstellen auf der Bühne. Das wirkt
sehr unangenehm. Ich bin der Ansicht, Bett-
stellen in dieser demonstrativen Form ge-
hören nicht auf die Bühne. Da ist zum Beispiel
ein Akt, da steht auf der Bühne, in der Mitte
des Zimmers, eine Bettstelle. In dieser Bett-
stelle liegt eine Dame, und es kommt eine
Dienerin und meldet den Besuch eines Herrn.
Der Herr erscheint, und zwar in Uniform. Die

Dame lockt ihn zu sich heran. Die Annäherung
geschieht bis an den Bettstellenrand, und die
Dame selbst hat geschlechtliche Begierden.
Daß Theaterstücke aufgeführt werden, die
Pikanterien enthalten, warum soll das nicht
gestattet sein? Wenn aber in jedem Akt eine
Bettstelle auf der Bühne ist, das ist der strit-
tige Punkt. Meiner Ansicht nach muß der Ar-
rangeur einer solchen Sache, der vorher mit
großen Umständen die vielen Bettstellen her-
anzuschaffen hat, sich sagen: ,Das dürfte zu
weit gehen.' Wenn ich monatelang die Plakate
las: .Reigen', mußte ich immer an die vielen
Bettstellen denken und mir sagen: Wie ist es
möglich, daß in Deutschland derartige Sachen
aufgeführt werden?"

Er nannte das Stück ein Bettstellenkarussell. Und
sprach stundenlang.

Doch am hitzigsten zerzauste man die diskrete Mu-
sik, die Robert Forster-Larrinaga beigesteuert hatte.
Ihr Rhythmus, hieß es, deute in unverkennbarer
Klarheit die Bewegung des Beischlafs an. Es waren
sechs Walzertakte, und Walzermusik, hieß es, liege
auf der sinnlichen Linie. Wie die übrigen Angeklag-
ten kam auch Forster-Larrinaga mit einem Freispruch
davon: da nicht er, sondern eine Kapelle die Musik
vorgeführt und somit die etwaige unzüchtige Wir-
kung hervorgerufen habe.

Und wie würde Schnitzlers „Reigen" heute aufge-
nommen werden?

*

Eine Publikation der „PsychoanalytischenBewegung"
(Juli/August 1929) mit einem Aufsatz über Wilhelm
Busch. „Wir wollen die .Fromme Helene' näher ins
Auge fassen." Hans Cornioley faßt näher ins Auge.
Also Helene näht Hals und Ärmel von Onkels Nacht-
hemd zu: Verspottung der durch das Alter hervor-
gerufenen männlichen Impotenz! Vetter Franz steckt
sich eine Pfeife an: eine Aktion, die erotische Be-
wertung beansprucht! Helene stolpert über eine
Gießkanne voll Wasser, deren breites Gefäß und
langer Ausguß zwanglos (zwanglos!) an den äuße-
ren Sexualapparat des Mannes erinnern. Franz setzt
dem Onkel einen Frosch in die Tabakdose: erotisch
zu werten! Helene klemmt dem Kater den Schwanz
ein, befestigt mit Siegellack eine Tüte dran und setzt
sie in Brand: sadistische Tierguälerei an Stelle se-
xueller Befriedigung! Zum Nachtessen gibt es Spar-
gel: Helene saugt sie mit Behagen. Zwischen den

M. Radler

Was, das Heimkehrergeld genügt Ihnen nicht? Machen Sie's wie Frau Krupp und verlangen Sie zwei
Milliarden D-Mark, das ist doch wenigstens eine Diskussions-Grundlage!

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"Was, das Heimkehrergeld genügt Ihnen nicht?"
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Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
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G 5442-11-5 Folio RES

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Bildunterschrift: "Was, das Heimkehrergeld genügt Ihnen nicht? Machen Sie's wie Frau Krupp und verlangen Sie zwei Milliarden D-Mark, das ist doch wenigstens eine Diskussions-Grundlage!"

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Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
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München

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Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Der Simpl, 5.1950, Nr. 6, S. 65.

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