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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0118
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Ztlustvirte


-es wahren Jacob

Samuel Kokosky.

Ilichts ist dem Menschen sicherer als der
Tod. Das erfährt auch die Sozialdemokratie.
Holt der Allbezwinger sich seine Opfer aus
allen Lebensaltern, so, wie ganz natürlich, die
meisten aus dem höheren, in dem die Parzen
das Weiterspinnen des Lebensfadens verweigern.
Auch unserem Freunde und Parteigenossen
Samuel Kokosky erging es so, indem er, ein-
nndsechzig Jahre alt, am 22. Mai d. I. einem
Herzschlag erlag. Kokosky war schon seit
längerer Zeit einem schweren Siechthum ver-
fallen, das sein Ende voraussehen ließ.

Kokosky wurde im Jahre 1838 zu
Danzig geboren, woselbst er auf dem
dortigen Gymnasium die erste» Grund-
lagen zu seiner Bildung empfing. Bis
zur Sekunda gelangt, traf ihn eine
schwere Erkrankung, die ihn sieben Jahre
ans Krankenbett fesselte und ein Siech-
thum für das ganze Leben zur Folge
hatte. Während dieses langen Kranken-
lagers beschäftigte sich Kokosky nament-
lich mit philosophischen Studien und ge
wann ein umfassendes Wissen. Zwei-
undzwanzig Jahre alt geworden, kannte
er daS Krankenlager verlassen, aber was
nun anfangen? Der Zufall kam ihm
zur Hilfe. Die Pflegemutter seiner spä-
teren Lebensgefährtin, ebenfalls eine
Danzigerin, lernte ihn kennen und lud
ihn ein, »ach Königsberg zu kommen
und bei ihr zu wohnen. In Königsberg
machte Kokosky ein Jahr darauf sein
Abiturientenexamen und bezog die Uni-
versität, um sich dem Studium der Juris-
prudenz zu widmen. Seiner späteren
Frau dankte er die Anregung, sich mit
der Frauenfrage und den sozialen Fragen
zu beschäftigen.

Kokoskys politisches Ideal war wäh-
rend seiner Studienzeit sein Landsmann
Johann Jacoby, dessen Auftreten in der
zweiten Kammer und nach 1866 gegen
die Annexionen und im Jahre 1868 für die
sozialistische Arbeiterbewegung er mit Begeiste-
rung verfolgte. Erfüllt von diesem demokra-
tischen Geiste gründete er 1869 in Königsberg
die „Demokratischen Blätter", in denen er sich
sehr entschieden zu Gunsten der weitgehendsten
demokratischen und wirthschaftlichen Reformen
aussprach. Doch da der Leserkreis dieser Blät-
ter sehr beschränkt und Kokoskys materielle
Mittel gleich Null waren, gingen dieselben
bald wieder ein.

Eine Wandlung in seinem Leben führte das
Jahr 1872 herbei. In Folge der Verurtheilung
Liebknechts und Bebels im Leipziger Hoch-
verrathsprozeß sah Johann Jacoby sich ver-
anlaßt, sich demonstrativ der sozialdemokratischen
Arbeiterpartei anzuschließen. Kokosky, der inner-
lich längst zu ihr gehörte, schloß sich ihr eben-
falls an und wurde in dem folgenden Jahre
Redakteur des von unserem verstorbenen Partei-
genossen Wilhelm Bracke mit großer Opfer-
willigkeit gegründete» „Braunschweiger Volks-
freund", der damals wöchentlich dreimal erschien.
Zugleich übernahm er die Redaktion des mit

j dem „Braunschweiger Volkssreund" verbundenen
I Witzblattes „Leuchtkugeln", in denen er eine
| Stätte für seinen Witz und Humor und sein
beachtenswerthes poetisches Talent fand, denn
auch am Dichten hatte er seine Freude.

Kokoskys Aufenthalt in Braunschweig währte
von 1873 bis 1891. Neben der Sympathie der
Genossen dort lernte er aber auch in reichlichem
Maße den Haß und die Verfolgungssucht der
Gegner kennen. Weder fehlte es ihm an per-
sönlichen Verunglimpfungen, noch an gericht-
lichen Verfolgungen. Die letzteren trugen ihm
insgesanimt, einschließlich einer einmonatlichen
Gefängnißstrafe, die ihn später in Berlin traf.

fünfzehn Monate Gefängniß ein, die er theils
in Braunschweig, theils in Wolfenbüttel und
j Plötzensee verbüßte.

Als 1878 die Sturzwelle des Sozialisten-
gesetzes über die Partei hereinbrach, wurde
! auch der „Braunschweiger Volksfreund" und seine
! Gefährtin, die „Leuchtkugeln", davon betroffen.
Beide fielen dem Schandgesetz zum Opfer, ebenso
die von Kokosky übersetzte Schrift „Ein Attentat
auf die Internationale", die sich gegen Bakunins
Treibereien richtete. Kurze Zeit darauf erschien
in unpolitischem Gewände als Ersatz für den
„Volkssreund" das „Braunschweiger Unterhal-
tungsblatt", das nach und nach seine harmlose
Haut abstreifte und wieder ein sozialdemo-
kratisches Blatt wurde, soweit ein solches unter
dem Sozialistengesetz möglich war. Kokosky
redigirte dasselbe bis zum Falle des Sozialisten-
gesetzes, worauf der „Volkssreund" wieder er-
stand und zwar als tägliches Blatt.

Kokosky, der seine Kräfte langsam erlahmen
fühlte, lehnte es ab, dasselbe weiter zu redigiren.
Er siedelte nach Berlin über, woselbst er aber
nach kurzer Zeit wieder von schwerer Krank-

| heit erfaßt wurde und sich aufs Neue einer
! Operation unterwerfen mußte. Wieder genesen,
soweit bei seinem Körperzustand von Genesung
die Rede sein konnte, übernahm er die Re-
daktion der „Neuen Welt"; er mußte dieselbe
aber nach kaum dreijähriger Führung uieder-
legen. Sein Siechthum verschlimmerte sich
und wirkte auch allmälig auf seinen Geist,
bis der Tod ihn endlich erlöste. Daß ein
Herzschlag seinem Leben ein Ende machte,
war eine besondere Wohlthat für ihn, denn
bei längerem Leben standen ihm sehr schwere
Leiden bevor.

Bemerkenswerth und ein höchst seltener
Fall ist, daß Kokosky während seines
Berliner Aufenthalts nach mehr als
dreißigjährigem Brautstande seine
Jugendgeliebte heirathete und mit
dieser noch eine sechsjährige glückliche
Ehe führte. Bemerkenswerth ist ferner
die Rolle, die Kokosky lange Jahre
auf unseren Kongressen und Partei-
tagen spielte, wo er, nachdem die
Last der Arbeit und der Mühen vor-
über war und die Delegirten sich bei
einem Glase Bier zu harmloser Unter-
haltung vereinigten, er stets einer der
Wortführer war, der durch seine
humorvollen Reden und Einfälle Alle
zur Heiterkeit hinriß, und, wenn er
mit der entsprechenden Würde und
mit seinen: Krückstock bewaffnet präsi-
dirte, nicht ahnen ließ, daß man es
mit einem schwer siechen Manne zu
thnn hatte. Auch im Karikaturen-
zeichnen leistete er Erkleckliches. Er
und der verstorbene Grillenberger be-
trieben dasselbe mit Vorliebe auf un-
seren Parteitagen um die Wette und
entfesselten oft Stürme der Heiterkeit,
wenn die betreffenden Blätter an der

I Tafelrunde zirkulirte». Zuletzt noch
auf dem Kopenhageuer Kongreß (1883),
wo Kokosky eine sehr humoristische
Zeichnung über eine Kongreßszene ent-
worfen hatte, die Auer als Andenken
seiner Brieftasche einverleibte, dann aber in
die unberufenen Hände des Berliner Polizei-
leutnants v. Haake fiel, als dieser, unterstützt
von einigen seiner Geheimpolizisten, Auer,
Bebel und Dietz auf ihrer Rückreise voin
Kopenhagener Kongreß in Neumünster in Hol-
stein überfiel und vom Scheitel bis zu den
Zehen durchsuchte. Beiläufig bemerkt: diese
Zeichnung war das einzige, was damals als
„Kongreßmaterial" den schnüffelnden Poli-
zisten in die Hände fiel, es verhinderte aber
nicht, daß der bekannte Chemnitz-Freiberger
Prozeß daraus hervorwuchs, der mit der Ver-
urtheilung sämmtlicher Angeklagten zu sechs-
und neunmonatlichem Gefängniß endete.

Dies das kurze Lebensbild von einem aus
der alten Garde der Partei, der zur großen
Armee abbernsen wurde, von der es kein Zurück-
kommen mehr giebt.

Samuel Kokosky hat sich wohl verdient ge-
macht um die Partei, sein Name wird in der
Parteigeschichte fortleben und von uns Allen
in Treuen und Ehren gehalten werde», a. b.

Beilage zum „wahren Jacob" Nr. 3371», \899.
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